Eröffnung des "Tuch und Technik"-Museums

Genug Stoff für ein Museum

Neumünster - Von der Wolle bis zum Tuch, von vorgeschichtlicher Zeit bis hin zur Gegenwart: Diesen weiten thematischen und historischen Bogen spannt seit Mitte Oktober 2007 ein neues Museum im nördlichsten deutschen Bundesland Schleswig-Holstein. Zahlreiche alte Maschinen sind hier zu sehen; die Besucher dürfen viele davon nicht nur anfassen, sondern auch ausprobieren.

Rauchende Schlote, ratternde Webstühle, hupende Sirenen und der Geruch von Wolle und Schmierfett: Neumünster war bis in die jüngste Vergangenheit hinein ein regionales Zentrum der norddeutschen Tuchherstellung und galt sogar als das "Manchester Holsteins". In der Hochzeit dieser Industrie boten die knapp 20 Fabriken mehreren Tausend Arbeitern Lohn und Brot - vorbei, denn das ist lange her. Vor rund 30 Jahren gab es noch einmal einen kleinen Aufschwung mit Tweed-Stoffen; der Niedergang der Textilindustrie hatte aber längst eingesetzt: Die Lohnvorteile anderer Länder machten sich immer mehr bemerkbar und so schlossen die beiden letzten Neumünsteraner Fabriken - Juba und Sager - 1990 bzw. 1991 für immer ihre Tore.

Welche Bedeutung die Textilindustrie in der heute noch knapp 80.000 Einwohner zählenden kreisfreien Stadt aber in der Vergangenheit hatte, macht nun der Museumsneubau (im Stadtzentrum direkt neben der Stadthalle) gleich auf zweierlei Art deutlich: Zum einen wird ein historischer Überblick über die Geschichte der Weberei gegeben - von den Anfängen der vorgeschichtlichen Siedler, über die Tuchmacher und Leinweber im mittelalterlichen Marktflecken bis hin zum bitteren Aus der Textilindustrie gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Gleichzeitig wird dies in den Kontext der Lebenssituation der Menschen und der Stadtgeschichte gestellt, die beide buchstäblich eng mit der Tuch-Herstellung "verwoben" sind. Fast 500 Exponate laden die Besucher zu dieser Zeitreise durch die Textilgeschichte ein.

Funktionierende Maschinen aus Neumünster und zahlreichen weiteren vor allem nord- und ostdeutschen Städten und Gemeinden vermitteln den Besuchern einen Eindruck, wie die Wolle zum Faden, der Faden zum Garn, oder das Garn zum Tuch wird. Ein Museum zum Mitmachen: Wo immer es möglich ist, dürfen die Besucher anfassen und ausprobieren; komplizierte Vorgänge werden außerdem zusätzlich auf Videostationen erklärt. Zu bestimmten Terminen finden Vorführungen der ausgestellten Großgeräte durch ehrenamtliche Mitarbeiter (ehemalige Textilfacharbeiter) statt.

Im Mittelpunkt des Museums stehen dabei nicht nur altertümliche Geräte wie hand- und fußbetriebene mittelalterliche Webstühle oder das ehrwürdige Spinnrad, das viele Jüngere wahrscheinlich nur noch aus Märchen wie Dornröschen oder Rumpelstilzchen kennen. Prunkstücke bei "Tuch und Technik" sind vielmehr zahlreiche große historische Exponate, die mit ihren Zahnrädern und Walzen, einem verwirrenden Geflecht aus Fäden und mit ungezählten Spulen und Gestängen die Besucher sofort in ihren Bann ziehen. So ist die industrielle Tuchherstellung der eindeutige Schwerpunkt der Ausstellung; sie zeigt zum Beispiel eine komplette Volltuchfabrik auf dem technologischen Stand der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Zu den am dichtesten umlagerten Exponaten in Neumünster gehören zahlreiche Großgeräte wie etwa der "Wolf", in dem die vorbereitete Schurwolle gemischt und gelockert wird oder eine mehr als 20 m lange Krempelmaschine, die die Wolle kämmt und zum Spinnen vorbereitet. Auch zu sehen: Eine Kettschärmaschine oder eine Spinnmaschine (ein so genannter "Selfaktor", dieser englische Begriff bedeutet selbsttätig; dies bezieht sich jedoch nur auf die Bewegung des Spinnwagens), die auf 396 Spindeln gleichzeitig Garn verspinnt.

Natürlich stehen viele verschiedene Webstühle im Mittelpunkt der großen und 9 m hohen Museumshalle aus Stahl und Glas: Mit einem Jacquard-Webstuhl lassen sich auch gegenständliche Motive weben; ein anderer Webstuhl produziert zum Beispiel flauschige Plaids (die im Museumsshop zu kaufen sind). Reine Mechanik ohne moderne elektronische Miniaturisierung - für Ältere vielleicht ein Stück Erinnerung; für die Jugend sicher ein Anlass zum Staunen. Kinder jedenfalls werden von den beiden Leitfiguren Tina Tuchmacher und Willi Weber mit leicht verständlichen Texten durch das Museum geführt.

Mit dem in dieser Form deutschlandweit wohl einmaligen Museums-Konzept lässt das Museum ein Stück deutscher Industriegeschichte lebendig werden. Das Team um Museumsleiterin Dr. Sabine Vogel will so großen und vor allem kleinen Besuchern die Herstellung von Textilien anschaulich und verständlich machen. Das beeindruckte auch die stellvertretende Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins, Ute Erdsieck-Rave: "In einer Zeit, in der die Arbeitsprozesse zunehmend anonymer werden und in der Produktionen automatisiert oder ins Ausland verlagert werden, können Besucher hier sehen, hören, fühlen und selbst ausprobieren, wie Gebrauchsgüter entstehen", sagte sie zur Eröffnung des Hauses, das nach ihrer Meinung "in der ersten Reihe der schleswig-holsteinischen Museen" steht. Für Neumünsters Stadtpräsident Hatto Klamt ist das neue Museum deshalb "das historische Gewissen der Stadt". Nach diesen Vorschusslorbeeren war das Interesse der Bevölkerung natürlich riesig, denn schon am ersten Wochenende nutzten mehr als 5.000 Besucher die Gelegenheit, "Tuch und Technik" kennenzulernen.

Dieses neu erbaute Museum hat eine Vorgeschichte, die schon in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts begann. Ein damals gegründetes städtisches Museum in Neumünster entwickelte sich erst zu einem Technik- und Industriemuseum, erhielt dann unter den Nationalsozialisten den neuen Schwerpunkt "Germanische Trachtenkunde", bevor es erst ausgebombt und einige Jahre nach dem Krieg mit neuem Konzept wieder aufgebaut und (da mehrere Neubauvorhaben in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht verwirklicht wurden) noch bis ins Jahr 2002 betrieben wurde. Seit einem Zeitraum von fast dreißig Jahren engagierte sich außerdem der rührige "Förderverein Textil- und Industriemuseum Neumünster e.V." durch die Sammlung von Textilmaschinen, die nun im Museumsneubau wirkungsvoll zur Geltung kommen.


Das Textilmuseum in Kürze

Kleinflecken 1, 24534 Neumünster
Tel. 04321/5595815, Internet: www.tuch-und-technik.de

Ausstellungsfläche: 2.000 qm
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr
Eintrittspreis: 6 Euro pro Person; Ermäßigung für Kinder und Gruppen
aus Haustex 12/07 (Wirtschaft)