Hohenstein Institute

Aufbruchstimmung in russischer Textilindustrie


Bönnigheim - Das Textilforschungszentrum Hohenstein Institute konnte im laufenden Jahr mehr als 30 Oeko-Tex Standard 100 Zertifikate an russische Unternehmen vergeben - Tendenz steigend. Auch viele Textilunternehmen aus Weißrussland, Kasachstan, Usbekistan, Moldawien und der Ukraine setzen neuerdings auf unabhängige Qualitätsprüfungen und lassen ihre Textilprodukte bei den Hohensteiner Experten begutachten. Dabei reicht die Palette vom Garnproduzenten bis hin zum Konfektionär - bei einigen Firmen in diesen Ländern noch unter einem Dach vereint.

Das hauptsächlich in Russland und Weißrussland stetig wachsende Interesse an Qualitätsprüfungen resultiert aus der erfolgsorientierten teilweisen Umstellung der dort angesiedelten Unternehmen auf Spezialprodukte wie beispielsweise Arbeitsschutzkleidung. Gleichzeitig wird eine Qualitätsoptimierung über Zertifizierungen wie z.B. den Oeko-Tex Standard 100 angestrebt mit dem Ziel, sich erfolgreich von Konkurrenzprodukten abzugrenzen. Für den daraus resultierenden Informationsbedarf bieten die Hohenstein Institute beispielsweise durch ihre Präsenz auf den einschlägigen Fachmessen im Land eine wichtige Anlaufstelle, die auch für den Erfahrungsaustausch genutzt werden kann. Die direkte Kontaktaufnahme ist über die Auslandsvertretung der Hohenstein Institute in Moskau möglich, die auch die optimale weitere Betreuung vor Ort gewährleistet. Leiter Timur Kohlmeier schreibt den Erfolg u. a. der Teilnahme an Fachmessen, wie beispielsweise der Textillegprom, Besuche solcher Messen und direkter Kontaktaufnahme mit den Firmen zu. Er betont die Bedeutung von Broschüren und Internetseiten in russischer Sprache, aber auch die fachliche Unterstützung bei nationalen und internationalen Konferenzen und Treffen.

Der zentrale Faktor für den Erfolg ist jedoch die Bereitstellung einer Reihe von Dienstleistungen im textilen Sektor wie beispielsweise zuverlässige Warenprüfungen, kompetente Beratung sowie Zertifizierungen. Erst kürzlich konnten sich Natalya Arhipova ( Leiterin Produktzertifizierung) und Elena Senzova (Leiterin Qualitätskontrolle), zwei Vertreterinnen der russischen Firma BTC Group JSC, sowie Olga Lobanova (Leiterin Produktentwicklung und Zertifizierung), eine Vertreterin der Firma Tchaikovsky Textile bei einem Besuch der Hohenstein Institute in Bönnigheim (Deutschland) ein Bild über deren Leistungsspektrum machen und Zertifikate nach dem Oeko-Tex Standard 100 für Arbeits- und Schutzbekleidung mit nach Hause nehmen.

Als Wegbereiter der Entwicklung hin zu geprüfter Qualität fungiert auch weiterhin der russische Verband ASIZ (Verband von Herstellern und Lieferanten von Persönlicher Schutzausrüstung), der auf der Düsseldorfer Fachmesse A+A im November 2009 als Partner nominiert war. Mitglieder der russischen Delegation, darunter das Direktorium des Verbands sowie der Generaldirektor der größten weißrussischen Textilfirma Mogotex informierten sich vor Ort am Stand der Hohenstein Institute über Qualitätsprüfungen und Zertifizierungen, um diese Informationen direkt an ihre Mitglieder weitergeben zu können. Im Dezember 2009 erfolgte ein Gegenbesuch durch Dr. Andreas Schmidt und die Vertreter von Hohenstein Russland auf der Messe für Sicherheit und Arbeitsschutz in Moskau, um an die Gespräche von Düsseldorf anzuknüpfen.

Für die russische Textilindustrie ergibt sich die Notwendigkeit zum strategischen und konzeptionellen Umdenken zum einen aus der unzureichenden Umstrukturierung im Wirtschaftssektor, zum anderen aus ihrer schlechten Aufstellung im internationalen Wettbewerb. Ziel ist es, den derzeitigen Marktanteil von 18 Prozent (Quelle: Industrieministerium Russland) sowie die rückläufigen Produktionsvolumen im Land deutlich aufzustocken. Derzeit kommt der Großteil des Bedarfs an Textilien aus dem Ausland, hauptsächlich aus China und der Türkei. Während die Inlandsproduktion immer noch stagniert, wächst die Nachfrage nach Bekleidung, Heimtextilien und Technischen Textilien jährlich zwischen 10 und 15 Prozent. Zukünftig soll die russische Textilindustrie nicht nur den heimischen Markt bedienen, sondern auch die Exportquoten signifikant ausbauen. Die Chancen stehen gut - es entfaltet sich speziell in Russland im textilen Sektor ein riesiges Potential. Die Bevölkerung sucht den Anschluss an europäische Lebensstandards, was angesichts steigender Durchschnittseinkommen zu einem geschätzten Marktvolumen bei Textilprodukten von derzeit rund 50 Milliarden US-Dollar führt. Experten sehen jedoch bei weitem nicht nur bei Bekleidung, sondern auch in den Bereichen Technische Textilien, Textilien für den medizinischen Bereich sowie Spezialtextilien für die Automobilindustrie und Arbeitskleidung enorme - und vor allem steigende Nachfrage. Im Bereich Bekleidung haben russische Textilunternehmen den ins Land strömenden Konkurrenzprodukten und der textilen Massenware wenig entgegenzusetzen. Darum setzen viele Textilproduzenten im Land mittlerweile auf die Herstellung von Nischenprodukten wie beispielsweise Thermobekleidung für Energie- und Stahlkonzerne oder High-Tech Stoffe für die Automobilindustrie. Unterstützend subventioniert der russische Staat mit gezielten Aktionen wie die Möglichkeit der zollfreien Einführung von Textilmaschinen die eigene Textil- und Bekleidungsbranche.
aus Haustex 03/10 (Wirtschaft)