Interview mit Prof. Dr. Stefan Mecheels, Leiter der Hohenstein Institute in Bönnigheim

Kompetenz aus einer Hand


Die Hohenstein Institute haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 1946 zu einem der weltweit führenden Forschungs- und Dienstleistungszentren für die Textilbranche und artverwandte Bereiche mit derzeit 27 Auslandsbüros entwickelt. Sie bieten Herstellern, Handelsunternehmen, Dienstleistern und Endverbrauchern "Kompetenz aus einer Hand" und decken dabei eine Vielzahl unterschiedlicher, aber eng miteinander verknüpfter Arbeitsgebiete an. Diese Netzwerke erschließen textilen Produkten völlig neue Einsatzgebiete und den Kunden zusätzliche Märkte und Zukunftschancen. Im Gespräch mit der Haustex erläutert Prof. Dr. Stefan Mecheels, der in dritter Generation das Familienunternehmen leitet, das breit gefächerte Forschungs- und Dienstleistungsangebot.

Haustex: Wie erklärt sich die starke internationale Ausrichtung Ihres Instituts?

Mecheels: Unser Ziel ist es von jeher, unsere Kunden intensiv sowohl bei der Produktentwicklung als auch bei der Qualitätssicherung zu unterstützen. Ich habe die Institutsleitung im Jahre 1995 übernommen, als sich die Umwälzungen im Rahmen der Globalisierung für die europäische Textilindustrie bereits klar abzeichneten. In den Jahrzehnten zuvor war die Tätigkeit der Hohenstein Institute vornehmlich durch die Philosophie der "Einheit von Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung" geprägt. Dieser Grundidee musste nun der Aspekt der Internationalisierung an die Seite gestellt werden. Im Gegensatz zu meinem Großvater und Vater, die sich in ihrer Funktion als Institutsleiter immer in erster Linie als Wissenschaftler verstanden, verstehe ich meine Aufgabe daher auch mehr als Manager mit globaler Ausrichtung und wissenschaftlichem Hintergrund.

Haustex: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Stammsitz auf Schloss Hohenstein in Bönnigheim, im Herzen des "Wertelandes Baden-Württemberg"?

Mecheels: Unsere schwäbische Heimat ist und bleibt die Keimzelle unserer Kreativität und Aktivität. Das historische Schloss und die mittlerweile sechs modernen Nebengebäude spiegeln diesen Spannungsbogen auch nach außen wider - das bestätigen uns regelmäßig Besucher. Ein besonderes Kapital bilden aber vor allem auch unsere über 300 hoch qualifizierten Mitarbeiter. Diese bilden einen nicht zu unterschätzenden Standortvorteil. Um einen einheitlichen Qualitätsstandard sicherzustellen, werden deshalb alle Laboruntersuchungen weiterhin hier und durch unser Tochterinstitut Innovatex in Ungarn durchgeführt. Aber auch die Forschungslandschaft ist heute deutlich internationaler, als sie es noch vor zehn Jahren war. Das gilt sowohl in den Bereichen der Auftragsforschung, aber selbst bei öffentlich geförderten Projekten, denn die Bedeutung weltweiter Netzwerke hat auch hier an Bedeutung gewonnen.

Haustex: Stichwort "Netzwerke" - welche Rolle spielen diese generell bei der Entwicklung innovativer Textilien?

Mecheels: Heute kommen faserbasierte Werkstoffe in den verschiedenen Lebens- und Technikbereichen wie der Medizin, im Fahr- und Flugzeugbau oder im Bauwesen zum Einsatz. Nur über interdisziplinäre Netzwerke lässt sich das Know-how aus verschiedenen Wissensbereichen nutzbringend in neue Produkte oder Anwendungen zusammenführen. An den Hohenstein Instituten arbeiten deshalb Textilingenieure zusammen mit Chemikern, Medizinern, Humanbiologen oder Physikern an den Hightech-Textilien der Zukunft. Neben diesen internen Netzwerken ist es z. B. das Engagement in der AFBW, der Allianz Faserbasierter Werkstoffe Baden-Württemberg, oder in Kompetenznetze Baden-Württemberg, von dem wir bei unserer Arbeit profitieren.

Haustex: Auf welche Innovationen "made by Hohenstein" sind Sie besonders stolz und auf welche dürfen wir uns für die Zukunft freuen?

Mecheels: Speziell im Bereich der Medizintextilien haben wir in den letzten Jahren einige viel beachtete Entwicklungen bis zur Marktreife geführt. Dazu gehört u. a. eine neuartige Anti-Milbenmatratze für Hausstauballergiker oder eine Wundauflage mit Drug-Delivery-System, bei der kontinuierlich Wirksubstanzen abgegeben werden. Besonders großes Potenzial haben Entwicklungen im Bereich der technischen Textilien, an denen wir im Moment arbeiten. Dazu gehören photochrome Textilien, die unter der Einwirkung von UV-Strahlung ihre Farbe verändern und damit z. B. ganz neue Produkte im Bereich des adaptiven Sonnenschutzes ermöglichen. Oder ein Wettkampf-Schwimmanzug mit reduziertem Strömungswiderstand auf Basis einer innovativen Textilbeschichtung.

Haustex: Neben Produktinnovationen sind die Hohenstein Institute vor allem auch für die Entwicklung neuer Prüfmethoden bekannt. Wo liegen hier die Schwerpunkte?

Mecheels: Mein Großvater Prof. Dr.-Ing. Otto Mecheels hat als Institutsgründer die Bekleidungsphysiologie, die Wissenschaft von der planmäßigen Konstruktion funktioneller Kleidung, in Deutschland begründet und den Grundstein für zahlreiche Prüf- und Messmethoden zur Atmungsaktivität und Wärmeisolation gelegt, die heute international anerkannt sind. Dazu gehören u. a. das Hohenstein Hautmodell oder die thermischen Gliederpuppen "Charlie" und "Charlene". Letztere ist sei 2008 im Einsatz und ermöglicht es erstmals, die Besonderheiten bei der Thermoregulation von Kindern - z. B. bei der Entwicklung von Bettwaren - zu berücksichtigen. Um künftig den Trage- und Sitzkomfort von Fußbekleidung oder auch Kfz-Sitzen noch zuverlässiger messen und optimieren zu können, haben wir hier ebenfalls neue Prüfmethoden entwickelt. Im Bereich Hygiene und Biotechnologie haben wir ebenfalls eine Reihe neuer Testmethoden etabliert, mit denen sich die Wirksamkeit und biologische Unbedenklichkeit von textilen Ausrüstungen belegen lassen. Damit ergänzen wir u. a. die Schadstoffprüfungen nach Oeko-Tex Standard 100, an dessen Entwicklung wir 1992 ebenfalls maßgeblich beteiligt waren.

Haustex: Mittlerweile lassen rund 9.500 Unternehmen weltweit ihre Produkte nach dem Oeko-Tex Standard 100 prüfen und zertifizieren. Wie erklären Sie sich den großen Erfolg des freiwilligen Systems?

Mecheels: Dass der Oeko-Tex Standard 100 heute bei Millionen von textilen Produkten für Sicherheit steht, ist sicherlich in erster Linie darin begründet, dass das System von Anfang an international ausgerichtet war und eine große Transparenz für alle Beteiligten bietet. Der Bekanntheitsgrad des Labels "Textiles Vertrauen - Geprüft auf Schadstoffe" bei Endverbrauchern ist sehr hoch - in Deutschland liegt er nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumgüterforschung zum Beispiel bei 46 Prozent. Das Label spielt bei der Kaufentscheidung von Endverbrauchern eine große Rolle und entsprechend setzen auch viele Handelsunternehmen und Discounter die Zertifizierung in ihren Einkaufsbedingungen voraus. In der Zusammenarbeit der einzelnen Produktionsstufen ist der Oeko-Tex Standard aufgrund seiner weltweit einheitlichen Kriterien als wichtiger Bestandteil der Produktionsstätten übergreifenden Qualitätssicherung ebenfalls fest etabliert.
aus Haustex 01/11 (Wirtschaft)