Industrievereinigung Chemiefaser

Vorsichtiger Optimismus


Frankfurt/Main - Im Juni fand die jährliche Mitgliederversammlung der Industrievereinigung Chemiefaser e. V. (IVC) statt, auf der die offiziellen Daten über das abgelaufene Geschäftsjahr sowie Ausblicke auf das laufende Jahr bekannt gegeben wurden. Turnusgemäß erfolgte die Neuwahl des Schatzmeisters der IVC. Als Nachfolger des bisherigen Schatzmeisters Jochen Boos von der Polyamide High Performance GmbH (Wuppertal) wurde Dr. Till Boldt von der Enka International GmbH & Co. KG (Wuppertal) gewählt. Die Position des Vorsitzenden der IVC sowie seines Stellvertreters, Dr. Heinz Meierkord (Advansa GmbH, Hamm-Uentrop) bzw. Stefan Braun (Dralon GmbH, Dormagen), stand in diesem Jahr nicht zur Neuwahl an.

Die Herausforderungen, denen sich die Chemiefaserindustrie ständig stellt, wurden auch im letzten Jahr wieder erfolgreich bewältigt. Im Gegensatz zu anderen Branchen wie z. B. die der erneuerbaren Energien, die hoch subventioniert in die Wettbewerbsunfähigkeit schreitet, haben die IVC-Mitglieder gezeigt, dass man ohne die Inanspruchnahme von Subventionen international erfolgreich wirtschaften kann. In Europa und speziell in Deutschland wird zurzeit eine Reihe von Standortbedingungen politisch neu justiert: Außenhandelspolitik und Zollfragen, Währungsstabilität sowie Energiepolitik, alles Faktoren, die entscheidend für die künftige Positionierung der Industrie in einer globalisierten Welt sind.

Ein Drittel der Handelsbeziehungen findet mit Staaten außerhalb der Europäischen Union statt. Für die Mitglieder der Industrievereinigung Chemiefaser e. V. (IVC) ist deshalb ein freier Warenverkehr eine der wichtigen Voraussetzungen für ihren Erfolg. Unfairem Wettbewerb wird mit Dumping-Maßnahmen begegnet. Einer Reduzierung von EU-Importzöllen müssen Senkungen der Einfuhrzölle in Drittstaaten gegenüberstehen, denn nur so profitieren beide Partner in fairer Weise vom Handel. Zwei Drittel des Handelsvolumens der Chemiefaserbranche findet innerhalb der EU statt. Der Euro als gemeinsame Währung und Bindeglied fördert den innereuropäischen Handel und den Zusammenhalt Europas, frühere Währungsschwankungen gehören der Vergangenheit an. Vor dem Hintergrund möglicher Staatsinsolvenzen im Euro-Raum ist nun politisches Fingerspitzengefühl gefragt, um die Stabilität der gemeinsamen Währung aufrechtzuerhalten und zu vermeiden, dass der Euro vom bindenden zum spaltenden Element Europas wird.

Der Branche wird oft die Frage gestellt, welche Auswirkungen die Endlichkeit der fossilen Rohstoffe auf die Herstellung synthetischer Chemiefasern haben wird. Antwort: wenige, denn nur ca. 0.8 Prozent des geförderten Rohöls werden zur Chemiefaserherstellung benötigt. Zudem setzt man zunehmend Rezyklate zur Faserherstellung ein, was nur durch Engpässe in der Rezyklatversorgung gebremst wird. Gleichzeitig wird in Technologien zur Energieminimierung investiert. Ressourcenzehrend ist nicht die stoffliche Verwertung des Öls, sondern seine direkte Verbrennung, die zu mehr als 90 Prozent stattfindet. Hier muss die Energiewende ansetzen, wozu ein politischer "Fahrplan" unerlässlich ist. Fahrpläne erhält man aber nicht dadurch, dass man Start- und Zielpunkt einfach mit einer Linie verbindet und dann berechnet, wie schnell man auf ihr zum Ziel gelangt. Realistische Fahrpläne berücksichtigen viele Randbedingungen, vor allem das Bedürfnis der Nutzer. Leider wird der Verzicht auf die Nutzer in der praktischen Umsetzung der Energiewende in Kauf genommen. Deutschlands energieintensive Industrien, zu denen auch die Chemiefaserbranche zählt und in denen ca. 1.4 Mill. Beschäftigte Produkte mit hoher Wertschöpfung erzeugen, werden nämlich zunehmend als störend empfunden. Obwohl Deutschland bereits in den letzten zwei Dekaden eine Vorreiterrolle bei Energie einsparenden Maßnahmen einnahm, werden diese bei der künftigen Ausgestaltung des Emissionshandels nicht anerkannt. Man schreckt sogar nicht davor zurück, in das marktwirtschaftliche System des Emissionszertifikate-Handels mit dirigistischen planwirtschaftlichen Methoden einzugreifen, wenn sich die Zertifikatspreise nicht so entwickeln, wie politisch gewünscht, nämlich nach oben. Auf europäischer Ebene werden sogar schon Zwangsmaßnahmen zur Energieeinsparung ernsthaft diskutiert. Die Chemiefaserindustrie ist mit ihren Produkten ein unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende. Ein System, in dem der umweltpolitische Erfolg einer Branche gleichzeitig deren Existenz bedroht, ist nicht nachhaltig und muss dringend überdacht werden. Denn nur mit Chemiefasern geht es energievoll in die Zukunft!

Chemiefasern erfreuen sich weltweit steigender Beliebtheit, wenn nicht sogar zunehmender Notwendigkeit. Die Nachfrage nach Fasern sowohl für Bekleidung als auch vor allem für technische Einsatzgebiete könnte ohne Chemiefasern nicht gedeckt werden. So wäre z. B. die Nutzung von Windenergie mit Rotorblättern ohne Carbonfasern nicht effizient. Von diesem Trend profitierte auch im letzten Jahr vor allem China, das seinen Weltmarktanteil von 60 Prozent im Jahr 2010 auf 63 Prozent im Jahr 2011 steigern konnte, was immerhin eine Mehrproduktion von 3.4 Mill. t Chemiefasern bedeutet. Alleine die Steigerung in China entspricht dem Fünffachen der gesamten deutschen Chemiefaserproduktion des zurückliegenden Jahres. Diese ist im Vergleich zu 2010 mit - 8.4 Prozent rückläufig, was aber nicht zu dem Schluss verleiten sollte, dass die in Deutschland ansässigen Chemiefaserhersteller individuell betrachtet eine Produktionsabschwächung erlitten haben. Vielmehr ist Mengenabnahme auf die vollständige Schließung eines Produktionsstandortes zurückzuführen, der auf dem Gebiet der Polyamidfaserherstellung spezialisiert war.

Das Jahr 2011 lag in der deutschen Chemiefaserbranche unterhalb der Erwartungen, was insbesondere auf den abflachenden Auftragseingang in der zweiten Jahreshälfte zurückzuführen ist. Ausgehend von diesem Niveau begann das Jahr 2012 zwar sehr verhalten, belebte sich aber bis zum Ende des 1. Quartals, so dass in den weiteren Jahresverlauf mit vorsichtigem Optimismus gegangen wird. Weitere Details finden sich in der IVC-Jahresbroschüre unter www.IVC-eV.de
aus Haustex 09/12 (Wirtschaft)