Aktion Gesunder Rücken

Prävention statt Operation


In Deutschland werden jährlich rund 400.000 Rücken operiert, Tendenz steigend. Laut dem Münchener Wirbelsäulenspezialisten Dr. Martin Marianowicz hat sich die Zahl der Operationen von 2005 bis 2010 mehr als verdoppelt. Dabei seien 80 Prozent der OPs überflüssig. Seine Überzeugung: "Die meisten Rückenleiden heilen von selbst aus." Doch was hilft, wenn der Rücken schmerzt? Und wie beugt man Rückenschmerzen effektiv vor? Die Aktion Gesunder Rücken (AGR) präsentiert neueste Erkenntnisse und stellt hilfreiche Tipps vor, welche das Vorbeugen von Rückenleiden erleichtern.

Mittlerweile ist jeder zweite Arztbesuch auf ein Rückenleiden zurückzuführen. Das Problem laut AGR: Ärzte raten viel zu schnell zu invasiven Eingriffen, also Operationen, ohne vorher eine eindringliche Ursachenforschung vorzunehmen. "Röntgen- und CT-Aufnahmen sind zwar schnell gemacht und beruhigen den Patienten, liefern jedoch keine gesicherte Diagnose", mahnt Dr. Martin Marianowicz. "Schmerzen sind nicht auf Bildern sichtbar. Die Ursachen für Rückenleiden haben oft vielerlei Ursachen und sind längst nicht so eindeutig identifizierbar wie zum Beispiel ein Knochenbruch." Die Folge: Bei vielen Ärzten sitzt das Skalpell zu locker. So werden laut TK-Rückenreport pro Jahr rund 400.000 Rücken-OPs durchgeführt, von denen nicht nur 80 Prozent unnötig sind, sondern 40 Prozent gänzlich erfolglos bleiben. Patienten sollten sich im Hinblick auf eine OP daher unbedingt eine zweite Expertenmeinung einholen.

Minimaler Eingriff - maximale Wirkung

Fakt sei, so AGR, dass eine konservative Therapie neun von zehn Patienten Hilfe verschaffen würde, sofern diese zuerst zum Einsatz käme. Marianowicz ist überzeugt davon, dass 90 Prozent der Bandscheibenvorfälle innerhalb von zehn bis zwölf Wochen von selbst ausheilen. Orthopäden, die am Wohl des Patienten interessiert sind, bemühen sich deshalb zunächst um eine nicht- bzw. minimalinvasive Behandlung, bevor sie zum Messer greifen. So lassen sich hohe gesundheitliche Risiken für Patienten und noch höhere finanzielle Belastungen vermeiden, die Operationen mit sich bringen. Große, offene Rückenoperationen sind zum Teil völlig unnötig.

Damit Rückenbeschwerden gar nicht erst auftreten, ist ausreichend Bewegung das Maß aller Dinge. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass nur Sport wirksam ist. Wichtig ist vor allem, dem Rücken bewusst etwas Gutes zu tun. Ergänzend dazu gibt die AGR ganzheitliche Aufklärung über die fundamentalen Bausteine für die effektive Prävention von Rückenleiden, mit dem Schwerpunkt "Verhältnisprävention". Die AGR nimmt alle Alltagssituationen genau unter die Lupe und gibt hilfreiche Tipps. Die AGR zertifiziert besonders rückenfreundliche Alltagsprodukte mit dem AGR-Gütesiegel, das von Öko-Test mit sehr gut bewertet wurde, wie beispielsweise Möbel, Autositze, Sportgeräte, Schuhe und nicht zuletzt Bettsysteme.


Genusstraining gegen die Beschwerden

Der Grundstein zur Prävention von Rückenschmerzen ist ein aktiv gestalteter Alltag. Dazu gehören Spaziergänge, Unternehmungen mit sozialen Kontakten und Entspannungsphasen. Aktivitäten, die wir genießen, sind durchaus auch für die Rückengesundheit förderlich. Diesem Aspekt wurde in der Vergangenheit jedoch nur selten angemessene Beachtung geschenkt. Doch das soll sich jetzt ändern: Rückenschulen formieren sich neu und plädieren für einen ganzheitlichen "biopsychosozialen' Ansatz. Das heißt für Teilnehmer der "Neuen Rückenschule", dass nicht mehr nur die Stabilisierung der Rückenmuskulatur und Haltungskorrekturen im Mittelpunkt stehen, sondern auch die Motivation für eine aktive Freizeitgestaltung, die Minimierung von Stressfaktoren im Alltag sowie bewusstes Genusstraining. Dieser neue Schwerpunkt setzt auf gezieltes Erholen und Genießen mit ausreichend Bewegung.

Eine Evaluierungsstudie des Universitätsklinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena prüft derzeit die Wirksamkeit der "Neuen Rückenschule". Ihr Kernziel: Die Stärkung der psychischen und psychosozialen Gesundheitsressourcen. Die Studie liefert in ihren ersten Auswertungen den Beweis, dass sich die durchschnittliche Schmerzintensität der Patienten bereits nach drei Monaten reduziert. Ebenso konnten positive Entwicklungen bezüglich funktioneller Beeinträchtigungen und motorischer Grundfertigkeiten wie Koordination und Kraft erzielt werden.

In der Praxis zeigt sich beispielsweise, dass eine Aktivität, die nicht nur den Ausgleich zum bewegungsarmen Berufsalltag schafft, sondern noch dazu ein persönliches Hobby darstellt, häufig eine viel positivere Wirkung auf die Gesundheit hat, als ein rein sportives Training. Der psychologische Nutzen ist deutlich größer, als wenn ein Sportmuffel sich ins Fitnessstudio zwingen würde. Aktive rückenfreundliche Garten-, Haus- oder Handwerksarbeiten sowie das Radfahren oder Wandern können Sporteinheiten durchaus ersetzen oder ergänzen und bilden so die optimale Symbiose von Freizeit und Sport. Besonders förderlich sind Aktivitäten in Gemeinschaften, da sie die Lebensqualität steigern. Ein gut funktionierendes soziales Umfeld fördert zusätzlich den aktiven Austausch von Körperwahrnehmungen und -erfahrungen.

Nach den neuesten Erkenntnissen gibt es auch kein falsches Sitzen und kein zu langes Sitzen. Beide Umstände waren lange Zeit das Hauptargument für unspezifische Rückenschmerzen. Sofern jedoch häufige Positionswechsel, gelegentliches Aufstehen und dynamische Bewegungen während des Sitzens ausgeführt werden, gibt es nichts zu befürchten. Das Sitzmöbel muss jedoch grundsätzlich eine optimale Körperhaltung und Dynamik ermöglichen, was oftmals leider nicht der Fall ist.
aus Haustex 04/13 (Wirtschaft)