Eine außergewöhnliche Aufgabe

Die Teppiche der Prager Burg

Eine Gelegenheit wie diese bekommt auch ein Orientteppich-Experte nicht alle Tage: Die Begutachtung und Erfassung der Teppiche auf der Prager Burg, dem tschechischen Präsidentensitz. Der Frankfurter Orientteppichsachverständige Peter Mauch hatte die wohl einmalige Gelegenheit, die zahlreichen wertvollen Bestände dort genauer zu inspizieren.

Die Prager Burg, der Hradschin, ist Mittelpunkt und Wahrzeichen der tschechischen Hauptstadt. Die Grundmauern des Burggebäudes in der "Goldenen Stadt an der Moldau" stammen aus dem 9. Jahrhundert. Der Komplex, auf einem Hügel oberhalb des Flusses gelegen, ist aber nicht nur der bedeutendste touristische Anziehungspunkt Prags, sondern auch Sitz des Präsidenten der Republik. Nach der "samtenen Revolution" wurde dies 1989 der Schriftsteller und Dissident Vaclav Havel.

Weder in den Zeiten der deutschen Besetzung Prags während des zweiten Weltkriegs noch in den darauf folgenden kommunistischen Zeiten wurde offenbar großer Wert auf die Begutachtung und Erfassung der zahlreichen kostbaren Teppichbestände im Innern des Hradschins gelegt.

Diesen Zustand wollte der kunstsinnige Havel, im Volksmund auch "der Dichterpräsident" genannt, nicht länger hinnehmen; denn neben den zahlreichen Möbeln und Gemälden - vor allem aus dem Zeitraum zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert - sind es gerade auch die vielen Orientteppiche, die für die einzigartige Atmosphäre auf dem Hradschin prägend sind. Havel also wandte sich deshalb an einen Londoner Freund, den in Prag geborenen Maschinenteppichproduzenten Zdenek Mladek: "Ob er nicht jemand kennen würde, der sich einmal um die sachverständige Aufarbeitung der wertvollen Teppichbestände kümmern könnte?"

Mladek wiederum empfahl für diese Aufgabe Peter Mauch, einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Orient-Teppiche aus Frankfurt, der diesen Auftrag dann auch erhielt. "Eine sehr interessante Aufgabe, die außerhalb der sonst üblichen sachverständigen Tätigkeiten liegt" - so Mauch rückblickend zu seiner Tätigkeit in Prag. Bei einem ersten Treffen 1991 auf dem Hradschin wurde mit dem Stab des Präsidenten der Umfang der Tätigkeit abgesprochen.

Mauchs Aufgabe war es nun, die Teppiche in allen repräsentativen Räumen des Hradschin und auch im Schloss Lany einzeln zu inventarisieren - sich also besonders um Herkunft, Provenienz, Maße, Material und Zustand zu kümmern. So wurden unter anderem die Teppichbestände im Vorzimmer sowie im Arbeitszimmer des Präsidenten, im Besprechungszimmer, im Empfangssaal für die Staatsgäste, im "Goldenen Saal" oder in den Verbindungsgängen zwischen den einzelnen Sälen genau begutachtet. Eine Feststellung des Werts der einzelnen Teppiche sollte dabei nicht vorgenommen werden. Wichtig war jedoch noch die Frage, ob der jeweilige Teppich auch repräsentativ an seinem richtigen Platz liegt. Alle Teppiche wurden außerdem fotografisch dokumentiert.

Während eines mehrtägigen Aufenthalts auf dem Hradschin führte Mauch diese Tätigkeit durch und erhielt dafür auch einen Spezialausweis, um nicht an jeder Tür von den natürlich zahlreich anwesenden Sicherheitskräften aufgehalten zu werden. Und auch sonst konnte Mauch relativ ungestört arbeiten: Während des Zeitraums seiner Begutachtung der Teppiche war der Staatspräsident auf einer Auslandsreise - und da viele Mitarbeiter seines Stabes ihn dorthin begleitet haben, war kaum ein "Störfaktor" vorhanden.

Begleitet wurde Mauch bei seiner Arbeit von zwei einheimischen Experten - einer Kunsthistorikerin und einem Innenarchitekten.

Beide Begleiter hatten die Aufgabe, sich über die einzelnen Teppiche Notizen zu machen: Liegt er richtig? Muss er gewaschen oder repariert werden? Ist sein Zustand vielleicht gar so schlecht, dass er komplett ausgetauscht werden muss?

Eine Hilfe und Unterstützung bei Mauchs Arbeit waren außerdem alte Inventurbücher: Sie gaben darüber Auskunft, woher der jeweilige Teppich stammt, wann er eingeliefert wurde und ob es damals ein Geschenk war oder der Teppich gekauft worden ist.

Neben den Teppichbeständen in der Prager Burg - einige der 67 erfassten Orientteppiche sind hier abgebildet - kümmerte sich Mauch auch um die Teppichdokumentation von 57 Stücken im Schloss Lany, dem Gästehaus der Regierung.

Schwerpunkt in diesem Repräsentationsgebäude - das unter anderem auch historische Räume des ersten tschechischen Präsidenten Tomas Masaryk aufweist - bilden Orientteppiche aus dem 19 Jahrhundert: Neben Heris-Teppichen erfasste Mauch dort unter anderem zahlreiche Beschir-Afghan, Doroksch, Waziri-Afghan, Hamadan-Kelleghi, Sultanabad, Tekke oder Kerman.
aus Heimtex Orient 03/05 (Wirtschaft)