Heim- und Haustextilienmesse Evteks in Istanbul

Türkische Wohntextilien-Industrie reagiert auf fernöstliche Billigkonkurrenz

Mehr Aussteller, mehr Fläche, aber weniger Besucher. Die Evteks in Istanbul, weltweit die zweitgrößte Fachmesse für Heim- und Haustextilien, ging in diesem Jahr mit gemischten Gefühlen zu Ende. Die türkische Wohntextilien-Industrie befindet sich in einem Strukturwandel, ausgelöst durch die Billigkonkurrenz aus Fernost. In Zukunft soll am Bosperus nicht mehr der Preis, sondern die Qualität im Vordergrund stehen. Mona Backhaus besuchte für BTH Heimtex die Evteks.

Die Evteks in Istanbul ist nach der Heimtextil in Frankfurt die weltweit zweitgrößte Messe für Heim- und Haustextilien. In diesem Jahr zeigten mehr als 850 Aussteller auf einer Netto-Ausstellungsfläche von 60.000 qm ihre Produkte. Damit schaffte die Messe erneut ein deutliches Wachstum, nachdem sich im letzten Jahr etwa 660 Aussteller auf knapp 50.000 qm präsentierten.

Insgesamt standen 10 Messehallen zur Verfügung, davon waren 6,5 Hallen für Gardinen und Dekostoffe vorgesehen, der Rest für Haustextilien, in denen neben Bettwäsche, Matratzen, Tischwäsche und Frottierwaren auch vereinzelt die Segmente Garne und Teppiche vertreten waren.

Die Aussteller kamen nach wie vor weitgehend aus der Türkei; nur etwa 8 % stammten in diesem Jahr aus dem Ausland. Stärkste ausländische Nation war Spanien mit 16 Unternehmen. Für Deutschland hielt einzig Jacquardweber Stoeckel & Grimmler die Fahne hoch.

Rund 100.000 Besucher aus mehr als 90 Ländern wurden von Veranstalter Istanbul Trade Fairs (IFT) erwartet, was einem erheblichen Rückgang von 20 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Alle von BTH Heimtex befragten Unternehmen bestätigten diese Entwicklung. Nur der erste von insgesamt fünf Messetagen erhielt in puncto Besucherfrequenz die Note "hervorragend", alle übrigen verliefen "ziemlich ruhig". Für viele stellte dies jedoch kein Beinbruch dar. "Es kamen in diesem Jahr zwar weniger, dafür aber sehr interessierte Besucher zur Evteks", berichtete Göksen Gürellier, verantwortlich für die Pressearbeit der Zorlu-Gruppe. "Die Quantität sinkt, die Qualität steigt", bilanzierte auch Nilgün Baydemir, Export-Leiterin von Baydemirler.

Der Anteil der ausländischen Besucher dürfte sich wie im vergangenen Jahr bei rund 12 % bewegt haben. Viele bekannte Gesichter aus Deutschland waren zu sehen, sowohl Einzelhändler als auch Hersteller. Die Messe zählte das schwedische Möbelhaus Ikea, den englischen Filialisten Marks & Spencer und die französische Kaufhauskette La Fayette zu ihren prominentesten Besuchern.

Türkische Textilindustrie befindet sich im Umbruch

Hauptthema der diesjährigen Evteks waren die heftigen Turbulenzen, in die die türkische Textilindustrie inklusive ihrem Sektor Heim- und Haustextilien geraten ist. Die zentralen Ursachen dafür sind die starke Aufwertung der türkischen Währung in den letzten Jahren sowie vor allem die endgültige Liberalisierung des Welttextilhandels zum 1. Januar 2005. Seither machen Billig-Produkte aus China den Herstellern am Bosperus schwer zu schaffen.

Vor allem der Export leidet. Dabei ging es ihm noch vor kurzem blendend: In den vergangenen zehn Jahren konnte allein der Wirtschaftszweig Heim- und Haustextilien jedes Jahr Zuwächse zwischen 11 % und 29 % (2003) realisieren. Diese Zeiten sind nun wohl vorbei. Im internationalen Vergleich der Heim- und Haustextilien exportierenden Länder fiel die Türkei bereits vom dritten auf den vierten Platz zurück.

Die genannten Negativ-Faktoren erschweren aber nicht nur den Export, sondern schwächen auch die Wettbewerbsfähigkeit auf dem einheimischen Markt. Immer mehr billige Importwaren kommen ins Land. Auch hier ist China auf dem Vormarsch: Die Volksrepublik konnte ihre Textil- und Konfektions-Einfuhren in die Türkei im letzten Jahr um gut 30 % steigern.

Die Folgen: Nach einer tendenziellen Abschwächung der Produktion bereits im letzten Jahr meldete das statistische Amt der Türkei kürzlich für Januar 2006 einen Produktionsrückgang von fast 18 % bei Textilien und 35% bei Konfektionsartikeln im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Und nach neuesten Angaben der Vereinigung Istanbuler Textil- und Konfektionsverbände mussten im Jahr 2005 rund 1.800 Betriebe schließen. Betroffen waren vor allem viele kleine Unternehmen, die ohne eigene Marke und eigenem Design in voller Abhängigkeit von ausländischen Auftraggebern produziert haben.

Sofortmaßnahmen der türkischen Regierung

In Anbetracht dieser Entwicklung hat die türkische Regierung im März den Mehrwertsteuersatz für Textil- und Konfektionserzeugnisse sowie Lederwaren und Teppiche von bisher 18 % auf 8 % gesenkt. Damit ging jedoch nur ein Teil der Forderungen der Hersteller in Erfüllung. Sie hatten auch Energiekostenzuschüsse und andere staatliche Hilfen verlangt.

Die Branche richtet sich jetzt neu aus. Einige große Textilholdings haben sich bereits andere Standbeine zugelegt, beispielsweise in der nach wie vor wachsenden Tourismusbranche. Diversifizierung ist allgemein ein großes Thema, insbesondere wenn es um Haustextilien geht. Zudem betreiben viele Unternehmen ein Trading up von den unteren in die höheren Preisklassen, bauen Marken auf beziehungsweise pflegen intensiv bereits bestehende Namen. Darüber hinaus sollen Forschung und Entwicklung künftig stärker gefördert werden - wer Qualität produzieren will, braucht entsprechende Technologie, heißt es.

Qualität steht überall an erster Stelle, wenn nach Wettbewerbsvorteilen gegenüber China gefragt wird. Farb- und Mustertreue, Einhaltung kurzer Termine, speziell bei Nachorder, schneller Transport, Gefühl für den europäischen Geschmack und Zeitgeist sowie Einhaltung von Umweltvorschriften lauten weitere Argumente.

Die Spitzenreiter der höchsten türkischen Textil-Liga

Keine Angst vor China hat Baydemirler. Der Hersteller von Gardinen, Dekostoffen, Bezugsstoffen und Bettwäsche verfügt über feste Absatzmärkte insbesondere in Deutschland, Italien, Russland und in den USA. Im letzten Jahr erwirtschaftete das Unternehmen, das sich ausschließlich auf Wohntextilien konzentriert, allein durch den Export einen Umsatz von 70 Millionen US-Dollar, in diesem Jahr sollen es 80 Mio. US-Dollar werden.

"Wir bieten Qualität, exklusives Design und faire Preise", sagte Export-Leiterin Nilgün Baydemir auf der Evteks, wo sich Baydemirler auf dem unübersehbar größten Stand der Leistungsschau präsentierte. Das Unternehmen stellt auf allen wichtigen Messen der Welt aus und besucht zusätzlich seine Kunden rund dreimal pro Jahr. In Deutschland gehören dazu unter anderem zwei große Industrieunternehmen. Auf Wunsch werden vom hauseigenen, 20köpfigen Designer-Team individuelle Dessins entworfen. In Sachen Trends arbeitet Baydemirler kontinuierlich mit europäischen Designern zusammen. Dabei wird auch das Feedback aus dem firmeneigenen Showroom in Mailand berücksichtigt.

Im vergangenen Jahr startete das Unternehmen, das mit seiner Marke Brillant am Markt agiert, erfolgreich mit der Produktion von Wohntextilien für den Objektbereich. In diesem Jahr hat Baydemirler ein Franchise-Konzept entwickelt. Unter dem Namen Brillant Home wurden bereits die ersten Einzelhandelsgeschäfte in der Türkei eröffnet, jetzt soll das Projekt auf internationaler Ebene ausgeweitet und eventuell auch in Deutschland umgesetzt werden.
In der höchsten türkischen Textil-Liga spielt auch die Zorlu-Gruppe, die außerdem in den Wirtschaftssektoren Finanzen, Energie, Elektronik und Tourismus aktiv ist. Auf dem deutschen Heimtextilien-Markt ist sie über Tochter Belair Gardinen vertreten. Ihr Label Tac zählt in der Türkei und Südosteuropa zu den bekanntesten Marken. Es ist sowohl an Gardinen und Dekostoffen sowie an Bettwäsche, Bettdecken, Kissen, Frottierwaren und seit neuestem Matratzen insbesondere in eigenen Tac-Stores zu finden, Hinzu kommen unter anderem das Label Valeron für gehobene Ansprüche sowie eine Vielzahl an Lizenz-Produkten, darunter Benetton Home (Lizenz für ganz Europa außer Spanien und Handtücher) und Sisley Casa (weltweite Lizenz).

Rund 80 % der Produktion von Gardinen- und Dekostoff-Hersteller Ulusoy Tekstil geht in den Export, vornehmlich nach Europa. Aber auch Nord-Amerika, der Mittlere und Ferne Osten sowie Nordafrika werden beliefert. Auf dem heimischen Markt ist Ulusoy Tekstil über seine Marke Ceys bekannt. "Wir erwirtschaften einen Umsatz von 16 Mio. US-Dollar pro Jahr", berichtet Mustafa Basar. Das erst 1995 gegründete Unternehmen gehört zur Ulusoy-Gruppe, die aus dem Transportwesen und Tourismus kommt.

Ein weiterer Big-Player der Branche ist Akman Tekstil, bereits 1978 gegründet und seit 1996 auf neuem Firmenareal in Corlu ansässig. Bislang lag der Fokus auf der Herstellung von Dekostoffen und Gardinen, die unter anderem über die gehobene Marke Pinella und das konsumige Label Ecobella vertrieben werden. Jetzt geht das Unternehmen neue Wege und bringt Programme fertig konfektionierter und im Design aufeinander abgestimmte Heim- und Haustextilien auf den Markt. Dahinter steht ein Franchise-Konzept, das Shop-in-Shop oder die Eröffnung von Stores vorsieht. Es soll zunächst in der Türkei zum Tragen kommen und danach auf die Auslandsmärkte ausgedehnt werden. An erster Stelle stehen Polen, Russland und Griechenland, in ferner Zukunft vielleicht auch Deutschland. "Deutschland ist unser Zielmarkt, besonders in Hinblick auf fertig konfektionierte Artikel", sagt General-Manager Kadri Özbey.

Für Dina Vanelli Textile, exportierender Arm der 11 Unternehmen umfassenden Erol Turkun Textile Group, spielt Design eine wichtige Rolle. "In unseren Produkten vereinen wir hohe Qualität und Ästhetik", berichtete eine Mitarbeiterin auf der Evteks. Rund 30 Designer arbeiten für die Gruppe. Weltweit werden die neuesten Trends in Sachen Wohntextilien aufgespürt. Rund 60 % der Produktion geht ins Ausland, vornehmlich in europäische Staaten, darunter auch Deutschland, sowie in die USA, nach Neuseeland, Australien und Fernost.

Eine ähnlich hohe Exportquote kann Gardinen- und Dekostoff-Hersteller Hit Tekstil aufweisen, dessen Muttergesellschaft Mega Tekstil auch Inhaberin des deutschen Frottierwarenherstellers Egeria ist. Etwa 70 % der Produktion wird an Kunden insbesondere in Deutschland, in den Niederlanden, Italien und Griechenland sowie in Australien geliefert, darunter sowohl Einzelhändler als auch Industrieunternehmen. Hohe Qualität und Einhaltung der Lieferfristen sind die zentralen Leitgedanken von Hit, erläuterte Abdulkadir Pekkaya, Mitglied der Unternehmensführung. Derzeit befindet sich ein komplettes Heim- und Haustextilien-Programm in Vorbereitung, das nächstes Jahr vorgestellt werden soll.

Ambitionierte Ziele hat auch Kücükcalik. Die Gruppe will trotz Krise in der türkischen Textil-Branche ihren Export-Umsatz in diesem Jahr um 9 % auf 120 Mio. US-Dollar steigern; der Export hat einen Anteil von 75 % am Gesamtumsatz. Die Absatzmärkte befinden sich in Europa, darunter Deutschland, und in Nordamerika sowie im Mittleren und Fernen Osten. Die Klientel ist vielfältig, reicht vom Einzelhändler bis zum Industrieunternehmen. Ebenso das Produktspektrum: In vier Fabriken werden unter anderem Gardinen und Dekostoffe, Bezugsstoffe, Bettwäsche, Tischwäsche und Duschvorhänge hergestellt. Alle selbst produzierten Stoffe können im Unternehmen zu fertig konfektionierten Artikeln weiter verarbeitet werden, heißt es. Im heimischen Markt sind Kücükcalik-Wohntextilien unter dem Markennamen Premier erhältlich; seit kurzem auch in eigenen Stores.

Ganz kurzfristig hatte sich der deutsche Jacquardweber Stoeckel & Grimmler dazu entschieden, an der Evteks teilzunehmen. Hauptgrund sei gewesen, neue Kundenkreise zu erschließen, vornehmlich aus dem Mittleren und Fernen Osten, berichtete Export-Mitarbeiter Detlef Sindel. Zudem sei der Zeitpunkt zwischen Heimtextil und Decosit gut gewählt. Ob Stoeckel & Grimmler im nächsten Jahr wieder kommen werde, sei noch offen - das hänge vom Ergebnis ab, sagte Sindel. Ein endgültiges Fazit könne noch nicht gezogen werden.
aus BTH Heimtex 07/06 (Wirtschaft)