Industrievereinigung Chemiefaser e. V. (IVC)

Grenzen der nationalen Belastbarkeit erreicht


Frankfurt - Am 23. Juni 2006 fand die diesjährige Mitgliederversammlung der Industrievereinigung Chemiefaser e. V. (IVC) bei dem österreichischen Mitglied Lenzing AG statt. Der bisherige und langjährige Schatzmeister der IVC, Peter Wack (Acordis AG), stand aus Altersgründen nicht mehr zur Wiederwahl an. Als seinen Nachfolger wählte die IVC-Mitgliederversammlung Jochen Boos von der Polyamide High Performance GmbH (Wuppertal) mit Wirkung vom 1. Juli 2006 für drei Jahre zu ihrem neuen Schatzmeister.

Die Chemiefaserindustrie in Deutschland und Österreich stellt sich zunehmend internationaler auf, um den globalen Herausforderungen zu begegnen. Dieses zeigt sich sowohl im Aufbau außereuropäischer Produktionsstätten wie auch darin, dass sich die Konzernzentralen vielfach außerhalb Deutschlands und Österreichs befinden. So ist es heute selbstverständlich, dass deutsche Chemiefaserstandorte in Firmennetzwerken integriert sind, deren Hauptsitz in den Niederlanden, Frankreich, Italien, Polen, Türkei, USA, Israel, Indien und Japan zu finden ist. Bedingt durch diese Globalisierung werden aber die Standorte Deutschland und Österreich kritischer bewertet. Zahlreiche technische Alleinstellungsmerkmale der Vergangenheit finden sich heute nicht mehr. Ein Blick in die Exportstatistiken der Maschinenhersteller zeigt, dass sich die meisten der modernen Chemiefaser-Spinn- und Verarbeitungsanlagen der Welt im asiatischen Raum befinden. In Verbindung mit guten Standortbedingungen und lokalen Wachstumsmärkten erreicht China eine jährliche Steigerung des Chemiefaserwachstums von ca. 10 Prozent, wohingegen in Deutschland ein Rückgang der Produktionsmengen um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet wurde. Weitere bestehende Vorteile für Produzenten im asiatischen Raum ergeben sich aus der Größe der Märkte und der Vielzahl der Abnehmer aus der textilen Weiterverarbeitungskette, aber auch aus der Abschottung der Märkte durch hohe Einfuhrzölle sowie einer Energiepolitik, die im dortigen nationalen Interesse einen hohen Stellenwert besitzt. Durch die fortschreitende Modernisierung des asiatischen Maschinenparks relativieren sich aber die Vorteile des dortigen Wirtschaftsraumes. Je weniger personalintensive Arbeitsschritte für die Produktion notwendig sind, die dort mit preiswertem Personal besetzt werden können, umso größer wird der kapitalintensive Kostenanteil. Maschinen und Primärenergie müssen nämlich auch in Asien zu Weltmarktpreisen bezogen werden. Damit mindern sich bisherige Vorteile des Billiglohnraumes Asien.

Vor diesem Hintergrund hätten die deutschen und österreichischen Produktionsstandorte eine gute Ausgangsbasis für die weitere Entwicklung. So sehr aber die Vorteile der asiatischen Produzenten schwinden, um so mehr werden hier die Standortnachteile gefestigt. Genießen die asiatischen Produzenten die politische und teilweise auch finanzielle Unterstützung ihrer Heimatländer, so muss die hiesige Industrie zunehmend weitere national bedingte Lasten schultern, welche die Wettbewerbsfähigkeit vermindern. Als wesentliche Stichpunkte seien nur genannt die andauernden Diskussionen um Arbeitsplatz- und Emissionsgrenzwerte, Emissions-Trading und vor allem Energiepolitik. Dieses führt zu einer Planungsunsicherheit, die in global operierenden Firmen, wie es die IVC-Mitglieder sind, auf Unverständnis stößt.

Die verbliebenen deutschen und österreichischen Chemiefaserstandorte zeichnen sich nicht nur durch eine spezifische Kundenorientierung und Innovationsbereitschaft als kompetenter und zuverlässiger Partner ihrer Kunden aus, sondern sind sich auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Allerdings kann nur dort investiert werden, wo überproportionale Wachstumsmärkte erwartet werden können, um die nationalen Standortnachteile finanziell zu kompensieren.

Auch im Jahr 2005 zeichnete sich für die deutsche Chemiefaserbranche keine Entspannung ab. So musste ein Rückgang der Chemiefaserproduktion von 1,5 Prozent auf 926.000 t verzeichnet werden. Dabei betrifft der Produktionsrückgang alle Chemiefaserarten gleichermaßen. Ein Lichtblick sind die im Jahr 2005 von IVC-Mitgliedsfirmen erstmals aus Polyphenylensulfid hergestellten Chemiefasern, die noch deutliche Wachstumspotentiale bieten. Die gesamte Produktionsverminderung steht unmittelbar im Zusammenhang mit dem um 3,3 Prozent auf 813.600 t verringerten Export, wohingegen die Importmenge um 1,8 Prozent auf 459.000 t anstieg. Dabei bleibt der europäische Binnenmarkt mit 68 Prozent Exportanteil zwar weiterhin der stärkste Bereich, musste aber zu Gunsten der asiatischen Exportmärkte um 2 Prozent nachgeben. Im Gegenzug bauten asiatische Chemiefaserhersteller ihren Importanteil um 4 Prozent auf 24 Prozent aus.

Mit Blick auf die Weltmarktanteile nimmt China eine zunehmend dominante Rolle ein. Auch im letzten Jahr konnte die Volksrepublik ihren relativen Weltmarktanteil um weitere 3 Prozent auf 40 Prozent steigern. Durch die erhöhte weltweite Gesamtproduktion an Chemiefasern ergibt sich sogar eine jährliche Steigerung der chinesischen absoluten Produktionsmenge um 10 Prozent. Wie bereits in den Vorjahren reduzierte sich die Anzahl der in der deutschen Chemiefaserbranche Beschäftigten um 8,7 Prozent auf 11.500, was u. a. im Zusammenhang mit Werkschließungen steht. Erfreulicherweise konnten die Einsatzgebiete von Chemiefasern in Deutschland um 3,4 Prozent ausgebaut werden. Die vermehrte Verarbeitung von Chemiefasern erfolgte dabei ausschließlich für technische, medizinische und hygienische Produkte, die nunmehr 51 Prozent der Anwendungen von Chemiefasern betragen. Weiterhin stark rückläufig ist der Bekleidungssektor, in dem nur noch 18 Prozent der verarbeiteten Chemiefasern eingesetzt werden.
aus Haustex 09/06 (Wirtschaft)