Meinung

Innovation oder Nicht-Innovation – das ist hier die Frage


Unternehmensberater Karl-Heinz Scholz mit einem kritischen Blick auf das Thema Innovationen in der Bodenbelagsbranche.

Kaum ist die Domotex 2016 zu Ende, schon stellt sich die Hamlet-Frage: "Innovation oder Nicht-Innovation - das ist hier die Frage".

Wer sich mit Sachverstand und Marktkenntnis das diesjährige Innovations-Forum Innovations@Domotex angeschaut hat muss eigentlich zum gleichen Schluss kommen wie viele der Besucher: Was bitte schön ist hier Innovation?

Alter Wein in neuen Schläuchen sei ein Großteil dessen, was sich hier als Innovation, revolutionär oder gar Weltneuheit präsentiere. Oder aber Innovation der Art: die Innovation - jetzt auch von der X-GmbH.

Einige Fundstücke belegen, was den Besuchern aufgefallen ist:

-"Xxxx-LVT Looselay - ein innovativer Belag, der nicht verklebt werden muss"
-" Weltneuheit Digitaldruck"
-" LVT mit Synchronprägung für täuschend echte Reproduktionen"
-" mit komplett unsichtbarem Verriegelungs-System"
-" the newest creation which is inspired on woods that have floated in the sea for many years with a natural uneven surface".

Zusammenfassend könnte man zur Innovation@Domotex zu dem Schluss kommen: 90 % Marketing, 10 % Innovation. Wenn überhaupt.

Wer braucht denn überhaupt Innovation?

Braucht unsere Branche eigentlich Innovation? Oder besser: Will sie denn überhaupt Innovation?

Eine Marktuntersuchung zum Thema "Innovationen in der Bodenbelags- und Holzwerkstoff-Industrie" hat kürzlich zu folgendem Ergebnis geführt, das vielleicht schon eine Erklärung für die oben beschriebene Innovations-Armut ist:

-Für 60 % der Großhändler sind Innovationen der Industrie eher lästig und solange uninteressant, bis sich deren Erfolg deutlich und ohne jedes Risiko abzeichnet (nach 3-5 Jahren).
-Weitere 30 % schauen sich Innovationen aus sicherer Distanz kritisch an und steigen in die Vermarktung erst mit ein, wenn es eine ausreichende Menge an Erfahrungsberichten und umgesetzten Projekten gibt (1-2 Jahre).
-Nur ca. 10 % halten Innovationen für dringend notwendig und unterstützen die Hersteller von Anfang an bei der Umsetzung während der Markteinführungsphase.

Wenn der Handel also größtenteils negativ oder zurückhaltend gegenüber Innovationen der Industrie eingestellt ist - warum soll die Industrie dann eigentlich forschen und entwickeln? Warum nicht einfach alles dort belassen, wo es heute ist?

Aus der Sicht der großen Industrieunternehmen ist Innovation eine echte Herausforderung. Innovation ist teuer, lässt sich nicht genau planen und der Ausgang ist ungewiss. Innovation versus Effizienz - hier liegt der Hund begraben.

Anders verhält es sich bei den inhabergeführten, mittelständischen Unternehmen, bei denen der Chef auch gleichzeitig oberster Entwickler ist. Hier hat Innovation höchste Priorität, weil der Chef-Innovator auch die Zeche zahlt, wenn die Innovation ins Leere geht. Diese Bereitschaft zu scheitern ist die wichtigste Voraussetzung von Innovations-Bemühungen, weil nur so Neues erdacht werden kann, an das bisher noch niemand gedacht hat und an das sich noch niemand herangetraut hat.

Was treibt also diese Schultes, Windmöllers und Lingg’s, um nur Einige zu nennen, die sich seit Jahrzehnten um Innovation bemühen, an?

Fortschritt braucht Visionäre - Visionäre brauchen Anerkennung

Es ist Pioniergeist, Unternehmermut und die unumstößliche Überzeugung, dass Fortschritt Visionäre braucht. Gerade in einer Zeit, in der z.B. der gesamten Bodenbelags-Branche der Nachwuchs auf der Verlegerseite weg bricht, muss es Vordenker geben, die nach den Gründen suchen und Lösungen schaffen, wie sich moderne Bodenbeläge schneller, einfacher und mit größerer Sicherheit verlegen lassen.

Effizienz versus Innovation

Können also innovative Unternehmen nicht effizient und effiziente Unternehmen nicht innovativ sein? Ja und Nein!

Wenn sich die Leitkultur in einem Unternehmen hauptsächlich über Effizienz-Grundsätze definiert, dann wird jede Form der Innovation einen schweren Stand haben. Innovation braucht:
-Freiraum und flexible Budgets,
-kreative Menschen, denen es gestattet ist, quer zu denken,
-Unternehmer oder Führungskräfte, die bereit sind, Erfahrungskurven zu ertragen,
-Geduld.

Börsennotierte Industrieunternehmen werden heute mehr denn je von Controllern gesteuert, weil dort Börsenkurs, EBIT oder Cash Flow wichtiger sind als Reputation, Qualität und Innovationsimage. Das Denken von Quartal zu Quartal dominiert das Geschäft - weniger Überlegungen, wo das Unternehmen in drei, fünf oder zehn Jahren stehen muss.

Und wenn der Markt - sprich der Handelskunde - als Mittler zwischen Hersteller und Verleger/Verbraucher nur ein untergeordnetes Interesse an innovativen Neuprodukten hat, weshalb sollten die Hersteller die Kosten und Mühen eines Innovations-Prozesses aufwenden?

Es ist die Einsicht, dass Innovation die Lokomotive ist, die das Geschäft am Laufen hält - auch in Konjunktur-Tälern. Nur einmal angenommen, der LVT-Boom hätte nicht stattgefunden. Wo ständen Industrie und Handel heute hinsichtlich Absatz, Umsatz und Ertrag?

Die Absatzentwicklung von Bodenbelägen in Deutschland in den letzten zehn Jahren macht deutlich, dass der seit 2007 anhaltende Abwärtstrend in den Jahren 2013/2014 zumindest eine Pause einlegt hat. Vielleicht ist es gar die von allen Beteiligten erhoffte Trendwende, die sich hier anbahnt.

Was denn sonst als die Innovation LVT sollte diese Trendwende ausgelöst haben? Textile Beläge, elastische Beläge und Parkett waren es nicht, Laminat und Parkett schon gar nicht. Und die Keramik-Fliese scheidet als Konjunktur-Motor auch aus.

Balance zwischen Effizienz und Innovation

Eine gute und langfristig erfolgreiche Unternehmensführung kann weder auf die eine Kraft, die Effizienz, noch auf die andere Kraft, die Innovation, verzichten. Diese beiden Begriffe stehen für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien, sozusagen das Yin und Yang der Unternehmensführung.

In vielen Bereichen der Ausbauindustrie sind es gerade die großen Mittelständler, denen der Spagat zwischen Effizienz und Innovation gut gelingt. Es sind genau die Unternehmen, die in den Kunden- und Branchen-Barometern der Fachzeitschriften, z. B. der BTH Heimtex, sowohl im Bereich "Starke Marke" als auch "Zukunftsperspektiven" und "Innovation" meist die ersten Plätze belegen und insgesamt die Rankings dominieren. Und darüber hinaus sehr ertragsstark sind.

Wie ertragsstark oder profitabel, darüber sind sie (fast) niemandem Auskunft schuldig. Es ist auch meist kein kriegsentscheidendes Merkmal in diesen Unternehmen, ob die EBIT-Rate 5, 7, 9 % oder mehr beträgt und welchen Marktanteil man "besitzt".

Innovation ist Chefsache

Wie innovativ ein Unternehmen ist und wie viele sinnvolle und erfolgreiche Produkte in den Markt gebracht werden können, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Bedeutung Innovation im Unternehmen hat, welche Priorität dem Innovationsprozess eingeräumt wird. Und natürlich, wer hinsichtlich Innovation den "Hut" aufhat.

Dort, wo der Inhaber oder Chef die Verantwortung für Innovation selbst übernimmt, gibt es kurze Wege, schnelle Entscheidungen und erfolgreiche Markteinführungen. Überall dort, wo Gremien, Abteilungen oder Kompetenz-Center nach Lösungen und Wegen suchen, gibt es meist Hierarchiegerangel, Kompetenzstreitigkeiten und Verzögerungen.

Die Marktentwicklung von LVT- und Designböden ist ein Paradebeispiel für zielorientiertes, mittelständisches Innovationsstreben. Vom Erkennen der Chancen bis zur Einführung marktreifer Produkte lagen nur knapp zwei Jahre.

Wie geht Innovation?

Man braucht nicht gleich einen Inkubator wie große börsennotierte Unternehmen, um innovativ zu werden. Man kann es auch nicht über Nacht erzwingen.

Erfolgreiche, innovative Unternehmen haben eine Kultur geschaffen, in der Kreativität und Fehlertoleranz genauso wichtig sind wie effiziente Strukturen und schlanke Prozesse. Nur wer etwas wagt und probiert, kommt zu neuen Lösungen, die Kunden begeistern, hohe Erträge bringen und den Unternehmenserfolg langfristig absichern.

Ein gutes Beispiel für eine wegweisende Industrieinnovation ist der neue wasserfeste und PVC-freie Bodenbelag Neo von Classen. Geschaffen wurde eine bisher nicht dagewesene Produktgattung mit einem immensen Forschungs- und Investitionsaufwand, der in den letzten Jahren seines Gleichen sucht.

Innovation ist kein Selbstzweck - Innovation muss sich immer an den Bedürfnissen der Kunden orientieren. Diese zu ergründen und zu verstehen ist die gemeinsame Aufgabe von Herstellern, Handel und Verlegern.

Karl-Heinz Scholz ist Inhaber von Scholz & Partner Management Consulting, Unternehmensberatung für Marketing-, Vertriebs- und Innovationsmanagment in der Bauzulieferindustrie.
www.scholz-partner.eu
aus BTH Heimtex 05/16 (Wirtschaft)