Hesse-Lignal: Industrielle Oberflächenbeschichtungen

Wie natürlich sind UV-Öle?


Der Wunsch nach Natürlichkeit bleibt ein Megatrend bei Fußböden. Diesen Anspruch zu bedienen, ist eine technische Herausforderung für industrielle Oberflächenbeschichter. Welche Differenz zwischen Wunsch und Realität zum Tragen kommt, beschreibt Dr. Sven Arne Thomsen, Leiter Forschung und
Entwicklung bei Hesse-Lignal.


"Die meisten Menschen assoziieren mit dem Begriff Öl eine eher ökologische Sichtweise", sagt Dr. Sven A. Thomsen, Leiter Forschung und Entwicklung beim Chemiehersteller Hesse. Natürlicher Ursprung, schonende Herstellung, nachwachsende Rohstoffe, angenehmer Geruch, keine schädliche Chemie - das sind Aspekte, die in Marketing und Werbung betont werden, wenn es um Fußbodenöle und damit beschichtete Holzdielen geht. Der Verbraucher folgt dieser Beurteilung, sieht und fühlt keinen Film auf dem matt geölten Parkett und hält ein Produkt mit dem Bodenbild eines scheinbar unbehandelten Holzes für besonders naturnah.

Aber stimmt diese Betrachtung? "Es werden viele Coating-Produkte als Öle verkauft", schränkt Dr. Thomsen ein, "jedoch ist der Begriff der Öle nur unzureichend definiert. Da könnte jeder UV-Lack als Öl gelten." Mit anderen Worten: Weder Verarbeiter noch Verbraucher können beurteilen, ob das verwendete Öl als Bodenbeschichtung so naturnah ist, wie erwartet. Mehr noch: Es ist nicht einmal sicher, ob ein natürliches Öl keine Schadstoffe enthält.

Besonders in der industriellen Beschichtung von Holzböden sind die überwiegend eingesetzten UV-Öle hohen Anforderungen ausgesetzt. Dr. Thomsen: "Sie müssen eine Vielzahl von Eigenschaften vereinen, ohne die sie sich nicht verarbeiten lassen." Da braucht es Photoinitiatoren und ungesättigte Verbindungen, damit die Beschichtung unter UV-Licht aushärtet. Niedermolekulare chemische Verbindungen werden eingesetzt, um die Fließfähigkeit mit nur wenig Lösemittel oder ohne zu gewährleisten. Das UV-Öl muss hohe Reaktivität aufweisen, denn es soll am Ende der Produktionsstraße vollständig gehärtet sein. Entschäumer, Netzmittel und andere Additive sind für die Auftragsart durch Walzen, Spritzen oder Gießen von Bedeutung. Mattierungsmittel fördern die Unsichtbarkeit des Films. Und die gewünschte Beständigkeit gegen Abrieb wird entweder durch hohe Vernetzungsdichte oder naturferne Chemie erzielt.

"Ehrliches" Öl oder "Scheinöl"?

Wird kein industriell vorgeöltes Fertigparkett verlegt, hat ein Verarbeiter auf der Baustelle, so sieht es Dr. Thomsen, zwei Möglichkeiten. Entweder er verwendet natürliches Öl in Form von Leinöl oder ölmodifiziertem Alkydharz und entspricht damit der Vorstellung des Endkunden, dann müsse er Nachteile langsamer Trocknung, schlechter Wirtschaftlichkeit und Probleme wie Selbstentzündung genutzter Materialien sowie im Naturöl eventuell enthaltene Schwermetalle in Kauf nehmen. Oder er setzt UV-Lacke und -Harze auf Basis natürlicher Öle oder UV-Lacke mit Beimischung natürlicher Öle ein. Auch mit diesen Produkten erzielt er eine matte Beschichtung, die der von natürlichem Öl gleicht. Tatsächlich aber seien diese UV-Produkte "keine Öle im Sinne des Endkunden", formuliert Dr. Thomsen, denn sie würden größtenteils Acrylate, Photoinitiatoren und chemische Verbindungen mit Allergiepotenzial enthalten.

Was also tun? Letztlich bestimmt die Nachfrage, welche Produkte im Trend liegen. Beeinflusst wird der Markt von Normen und Grenzwerten wie der internationalen Gebäudezertifizierung LEED, die eine immer größere Rolle spielt, und vom Wunsch des Verbrauchers nach Natürlichkeit. Doch echtes Wissen steht selten hinter diesem Wunsch. Umweltzeichen wie der Blaue Engel können als Orientierungspunkte fungieren. "Produkte mit den geforderten Eigenschaften, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren, sind seit Jahren auf dem Markt", sagt Dr. Thomsen. "Die verwendeten Rohstoffe sind jedoch teurer als klassische Monomere und der Kunde muss entscheiden, ob die Natürlichkeit den höheren Preis rechtfertigt."

Natürliche Rohstoffe gelten als nachhaltig. Aber jede Medaille hat zwei Seiten. "Wer mit dem einen Auge auf nachwachsende Rohstoffe blickt, muss mit dem anderen Auge darauf schauen, dass Anbauflächen in der Landwirtschaft dann für die Nahrungsherstellung fehlen", gibt Dr. Jörn Haferkorn von Loba zu bedenken. Und auch Dr. Thomsen sieht Nachhaltigkeit nicht in erster Linie durch eine bestimmte Art rohstofforientierter Oberflächenbeschichtungen gewährleistet: "Die hohe Lebensdauer eines Bodenbelags ist die beste Nachhaltigkeit." | Henrik Stoldt
aus Parkett Magazin 03/18 (Wirtschaft)