Kunden und Konsumverhalten

"Ohne Online-Denke geht es nicht mehr"

Köln. Coronapandemie, Digitalisierung, Nachhaltigkeit - derzeit nehmen viele Faktoren Einfluss auf das Konsumverhalten. Im Haustex-Interview erklärt Handelsexpertin Dr. Eva Stüber vom IFH Köln, wie sich die Bedürfnisse und Wünsche der Kundinnen und Kunden verändern und was vor allem stationäre Händler tun können, um mit dem rasanten Wandel Schritt zu halten.

Haustex: Frau Dr. Stüber, die Art
und Weise wie wir einkaufen
verändert sich im Moment extrem.
Alles nur wegen Corona?

Dr. Eva Stüber: Überhaupt nicht. Wer glaubt, dass nach der Coronapandemie im Handel alles wie früher sein wird, ist auf dem Holzweg. Entwicklungen, die vorher schon vorhanden waren, sind lediglich beschleunigt und laufen im Zeitraffer ab. Dies betrifft vor allem zwei Themen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Haustex: Welche Vorteile ergeben
sich aus Kundensicht durch eine
Digitalisierung des Handels?

Stüber: Das Kernthema ist Bequemlichkeit. Das Smartphone ist ein permanenter Begleiter, mit dem auch Einkäufe getätigt werden können. Über Online-Kanäle ist Information schnell und einfach möglich: Produktvideos und 360-Grad-Betrachtung ansehen oder vielfältige Inspirationsmöglichkeiten nutzen. Die meisten Internetnutzer und -nutzerinnen sind zudem in den Sozialen Medien aktiv, die mittlerweile direkte Kaufmöglichkeiten bieten.

Haustex: Ist der stationäre Handel
dann überhaupt noch relevant?

Stüber: Auf jeden Fall. Menschen sind soziale Wesen und wollen interagieren. Die Zeit der Kontaktbeschränkungen hat gezeigt, wie sehr der persönliche Austausch an vielen Stellen gefehlt hat. Die Kundinnen und Kunden werden also wieder in die Läden kommen - aber mit einer neuen Erwartungshaltung und wesentlich seltener als zuvor. Für die Händler heißt das, sie müssen sich und ihre Geschäftsmodelle neu aufstellen, um zukunftsfähig zu sein.

Haustex: Als zweites aus Kunden-
sicht aktuell besonders wichtiges
Thema sprachen Sie die Nachhaltig-
keit an.

Stüber: Genau, Nachhaltigkeit ist der zweite große Entwicklungsstrang, der durch Corona befeuert wird. Die Pandemie hat uns klar vor Augen geführt, dass wir in einer Welt leben, die aus Abhängigkeiten besteht. So denken die Menschen viel nach - über sich selbst, die Zukunft und ganz stark über die Umwelt und das Verhalten ihr gegenüber. Es wird heute stärker hinterfragt, woher Produkte kommen und unter welchen Bedingungen sie produziert werden.

Haustex: Was leiten die Kunden aus
diesen Überlegungen ab?

Stüber: Sie wünschen sich vor allem mehr Transparenz. Gleichzeitig wird aber auch Konsumverzicht zu einem Thema. Wenn etwas nicht gekauft wird, muss es vorher auch nicht hergestellt werden. Natürlich steht dies in krassem Gegensatz zu unserer wachsenden Wirtschaft, ist aber spätestens seit den "Fridays for Future"-Demonstrationen eine ernst zu nehmende Entwicklung.

Haustex: Beschränkt sich diese
Denkweise auf die jungen
Konsumenten?

Stüber: Nein, die Sensibilisierung betrifft alle Altersgruppen, ist aber bislang nicht in allen gleichermaßen spürbar. Gerade bei modischen Produkten ist der Abwägungsprozess zwischen Nachhaltigkeit und Gefallen eine große Herausforderung.

Haustex: Was bedeutet diese
Entwicklung nun konkret für die
Händler?

Stüber: Im ersten Schritt gilt es für Händler, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und das eigene Geschäftsmodell entlang der Nachhaltigkeitsdimensionen zu analysieren. Am Beispiel des Sortiments, das für Kundinnen und Kunden der entscheidende Kontaktpunkt ist, sind Fragen zu klären. Zum Beispiel: Wie werden die Produkte, die ich anbiete, hergestellt und wie transportiert? Inwieweit kann ich mit meiner Sortimentsauswahl etwa dazu beitragen, eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen, und wie kommuniziere ich das am besten an meine Kundschaft?

Haustex: Haben Sie den Eindruck,
dass diese Entwicklung nachhaltig
sein wird?

Stüber: Ja, diese Entwicklungen werden mit dem Ende der Pandemie nicht verschwinden, sondern sich weiter ausbreiten. Spannend ist auch, dass die Digitalisierung die Nachhaltigkeit befeuert, indem sie eine hohe Transparenz, neue Geschäftsmodelle und eine intensive Kommunikation hin zu den Kundinnen und Kunden möglich macht. Die große Aufgabe für Händler, aber auch für Hersteller und Lieferanten ist es nun, herauszufinden, wo die besten Ansatzpunkte in der eigenen Branche sind und diese für sich zu nutzen.

Haustex: Der derzeit viel zitierte
Wertewandel der Kunden hin zu
mehr Qualität und Nachhaltigkeit
hat also stattgefunden.

Stüber: Ja, derzeit ist er jedoch noch unterschiedlich ausgeprägt, weil der Informationsstand noch sehr unterschiedlich ist. Vom Thema Nachhaltigkeit fühlen sich viele Kundinnen und Kunden noch überfordert. Ich sehe hierbei aber eine rasante Entwicklung und empfehle Händlern dringend, nicht zu warten, bis Kundinnen und Kunden selber nachhaltige Angebote fordern, sondern direkt zu reagieren.

Haustex: Ein Ratschlag sowohl
für Online- als auch für stationäre
Händler?

Stüber: Genau. Das Thema ist nicht abhängig von den Kanälen, über die vertrieben wird, sondern hat universell hohe Relevanz.

Haustex: Wie sehen sie die Gewich-
tung von E-Commerce und
stationärem Handel aktuell? Ist das
Ende für Pure Player, also Anbieter,
die sich auf einen Vertriebskanal
beschränken, erreicht?

Stüber: Die Kundinnen und Kunden erwarten grundsätzlich eine Erreichbarkeit auf allen Kanälen. Bei allen Überlegungen, die Händler anstellen, muss Online hierbei der Ausgangspunkt sein. Das heißt aber nicht, dass die Online-Aktivität immer bis zum Verkauf reichen muss. Ein gutes digitales Kommunikations- oder Inspirations-Konzept kann beispielsweise schon ausreichen und einen stationären Verkauf vorbereiten.

Haustex: Bislang rein stationäre
Händler sollten also spätestens jetzt
umdenken?

Stüber: Ja, ohne Online-Denke geht es nicht mehr. Das Engagement kann aber unterschiedlich ausgeprägt sein, abhängig davon, wie ein Geschäft positioniert ist und welche Zielgruppe erreicht werden soll. Fest steht aber: Der Erstkontakt mit einem Laden kommt heute in den meisten Fällen über die sozialen Medien oder Online-Suchmaschinen zustande. Dazu kommt die Digitalisierung auf der Fläche, etwa durch Maßnahmen wie ein kontaktloses Bezahlsystem. Die Shopping-Experience muss bis in den letzten Prozessschritt ausgespielt werden.

Haustex: Demnach sollten
stationäre Händler neben
bewährten Stärken wie Beratung
und Service vermehrt auf Faktoren
wie Bequemlichkeit und Erlebnis
setzen.

Stüber: Der Handel muss sich weg vom reinen Produktdenken hin zu einem Gesamtkonzept bewegen, das einen Mehrwert bietet. In solch kundenzentrierten Ansätzen gibt es keine Läden mehr, die einfach nur mit Waren vollgestellt sind. Vielmehr geht es um den Rahmen, um die Präsentation. Matratzen sind ein gutes Beispiel. Ausprobieren ist hierbei wichtig, die Kundinnen und Kunden wollen aber zudem inspiriert werden und sich wohlfühlen. Eine Präsentation im Gesamtkontext bietet sich dafür gut an. Die soziale Komponente beim Einkauf wird viel relevanter werden. Den Konsumentinnen und Konsumenten müssen Impulse gegeben werden, die über das eigentliche Produkt hinaus gehen, aber eine Relevanz haben und damit die Aufenthaltsqualität im Geschäft steigern.

Haustex: Haben Sie Tipps, wie
Händler diese Impulse setzen
können?

Stüber: Indem sie mutig und kreativ sind und einfach mal Neues ausprobieren - auch ohne dass ein lange entwickeltes Konzept dahintersteckt. Derzeit zeigt sich ja, dass die Kundschaft bereit ist, vieles mitzugehen. Ein gutes Beispiel ist der aktuelle Trend Live-Shopping, der über die Distanz hinweg einen persönlichen Austausch ermöglicht. Das können auch kleine Händler umsetzen.

Haustex: Und wo finde ich als
Händler Ideen, die ich umsetzen
kann?

Stüber: Ich rate dazu, einfach mal jüngere Mitarbeitende oder die eigenen Kinder zu fragen, was sie sich wünschen würden, und das entsprechend zu testen, oder auch nur zu beobachten, wie sie sich verhalten. Die Jüngeren sind einfach näher an den Technologien. Aber auch Kundenwünsche können für Händler eine Inspiration sein.

Haustex: Zum Schluss ein Blick in
die Zukunft: Geht es so rasant
weiter?

Stüber: Egal, was ich in der Zukunft sehe, abnehmende Geschwindigkeit ist nicht dabei. Wir befinden uns in einer anhaltenden Phase der Beschleunigung. Was den stationären Handel betrifft, werden wir auch viele Schließungen sehen, weil Händler ihre Geschäftsmodelle nicht schnell genug anpassen können. Mein Rat: Flexibel bleiben, bereit sein, immer wieder Neues auszuprobieren, und die Kundinnen und Kunden nicht aus dem Blick verlieren. Dann hat auch das stationäre Geschäft eine Zukunft. Es sieht eben nur anders aus.


Dr. Eva Stüber - Zur Person

Dr. Eva Stüber ist Mitglied der Geschäftsleitung am Institut für Handelsforschung, IFH Köln. Sie betreut namhafte Unternehmen aus dem Handel und der Konsumgüterindustrie bei komplexen Fragestellungen rund um kundenzentrierte Vertriebskonzepte, Digitalisierung und Innovationen. Zuvor war Stüber, die seit 2012 zum IFH-Team gehört, in den Funktionen Leiterin Research & Consulting und Senior Projektmanagerin tätig.
aus Haustex 06/21 (Wirtschaft)