Tarkett:

"Unsere Kernstrategie ist die echte Kreislaufwirtschaft"


Seit mehr als einem Jahrzehnt entwickelt der Tarkett-Konzern das Thema Cradle to Cradle immer weiter; inzwischen gelingt sogar das Recycling homogener PVC-Beläge nach der Nutzungsphase. Der Relaunch zweier Objekt-Klassiker und die Kreislaufwirtschaft mit dem Werkstoff PVC - das waren die Kernthemen des Interviews. BTHHeimtex sprach mit D/A/CH-Manager Tilo Höbel sowie mit Tanja Ofer, Moritz Helbach und Daniel Mai aus den Unternehmensbereichen Marketing und Produktmanagement.



BTH Heimtex: Tarkett blickt auf ein erfreuliches Geschäftsjahr 2021 zurück, dabei hat gerade der Objektbereich in den Sparten Gesundheit und Bildung kräftig zugelegt. Wollen Sie mit Ihrem Relaunch der homogenen Kollektionen IQ Granit und IQ Eminent konkret dort anknüpfen?

Tilo Höbel: Auch, aber nicht nur; wir investieren grundsätzlich viel in die Produktentwicklung, das gilt für alle Bereiche. Und jetzt bekommen unsere Highlight-Kollektionen fürs Gesundheitswesen ein neues Gesicht.

Moritz Helbach: Das war übrigens ganz schön aufregend für uns, immerhin ist IQ Granit seit über 50 Jahren erfolgreich am Markt und die am häufigsten eingesetzte Kollektion im Gesundheitswesen - mit einem für Fachleute unverkennbaren Design. Die fasst man nicht mal eben so an.

Zwei homogene Objekt-Klassiker
mit neuem Gesicht

BTH Heimtex: Trotzdem haben Sie sie überarbeitet. Was genau ist neu?

Daniel Mai: Erstens haben wir das Design modernisiert, sodass es noch besser in zeitgemäße Einrichtungskonzepte passt, aber seine ursprüngliche DNA beibehält. Und es gibt eine neue, etwas sanftere Farbpalette mit frischen und weichen Tönen, die den derzeitigen Trend in der Innenarchitektur widerspiegeln und auch den unterschiedlichen Märkten gerecht werden. Wir liefern unsere Böden in über 100 Länder weltweit.

Tilo Höbel: In der Vergangenheit hieß es, man habe im Bereich der homogenen Bodenbeläge nicht so hohe Design-Ansprüche. Inzwischen legt man auch in Krankenhäusern und in der Pflege verstärkt Wert auf attraktive Räume, zumal die Umgebung stark zum Wohlbefinden von Patienten und Mitarbeitern beiträgt.

Daniel Mai: Neu bei IQ Granit und IQ Eminent ist außerdem der Mix & Match-Gedanke: Wir haben die Kollektionen harmonisch aufeinander abgestimmt. Damit geben wir Architekten und Planern eine noch größere Auswahl an die Hand und machen es Ihnen mit unserer Kombi-Musterkarte besonders leicht, die passenden Beläge zu ihren Farbkonzepten zu finden. Und wem eine der beiden Kollektionen besser gefällt - der kann sich auch ganz auf diese konzentrieren; die Musterkarten gibt es zusätzlich weiterhin separat.

BTH Heimtex: Und die überarbeiteten Kollektionen sind ab sofort erhältlich?

Tanja Ofer: Heute, am 2. März, werden sie erstmals auf der Webseite gezeigt, Newsletter gehen raus, die Social Media-Kampagne startet, die Pressemitteilung wird morgen verschickt. Der Außendienst ist gebrieft. Wir sind bereit für Kundengespräche.

Moritz Helbach: Eine Besonderheit sind die demenzsensiblen Dekore, die wir neu entwickelt haben. Da sind wir, denke ich, Vorreiter. Gerade in Krankenhäusern und in der Altenpflege ist es wichtig, Böden zu schaffen, die den Menschen die Orientierung erleichtern - durch eher ruhige, zurückhaltende Dekore mit geringeren Lichtreflexionswerten. Die demenzsensiblen Dekore sind auch deutlich in der Musterkarte gekennzeichnet.

BTH Heimtex: Ein hoch wissenschaftliches Thema - wie sind Sie das angegangen?

Daniel Mai: Wir arbeiten eng mit Demenz-Experten in England zusammen, auch mit Dr. Birgit Dietz vom Bayerischen Institut für alters- und demenzsensible Architektur in Bamberg. In Kooperation mit der TU Braunschweig läuft ein Projekt zu Patientenzimmern und Intensivstationen der Zukunft, auch in Sachen Hygiene. Alles, was hier passiert, fließt direkt in unsere Produktentwicklung ein und schafft dadurch weitere Mehrwerte, gerade auch für diejenigen, die letztlich mit den Bodenbelägen leben.

BTH Heimtex: Die wenigsten können sich wohl vorstellen, wie genau Demenz die Orientierung beeinträchtigt.

Moritz Helbach: Dafür wurden Simulationen mit VR-Brillen entwickelt. Unsere Vertriebskollegen haben insgesamt sechs dieser Brillen; damit können sie interessierten Kunden die Beeinträchtigungen im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen führen. Das hat schon zu großen Aha-Effekten geführt, auch bei uns und bei Architekten, die seit vielen Jahren Krankenhäuser einrichten. Solche Simulationen verbessern wir immer weiter.

BTH Heimtex: Sehr wichtig ist natürlich das Thema Nachhaltigkeit. Da unternimmt Tarkett ja einiges, gerade bei Vinylbelägen. Was tut sich hier gerade?

Tilo Höbel: Der Begriff Nachhaltigkeit wird leider sehr inflationär gebraucht, und niemand weiß, was er konkret bedeutet. Unsere Kernstrategie ist die echte Kreislaufwirtschaft, außerdem streben wir CO-Neutralität an. Daher produzieren wir für unseren Markt in Europa, um die Transportwege zu reduzieren. Und zweitens recyceln wir über unser Restart-Programm nicht nur Produktionsüberschüsse und Verschnitte, sondern auch immer mehr Tarkett-Altbeläge. Mit Teppichfliesen und homogenen Beläge haben wir angefangen, inzwischen können auch unsere verlegten Linoleumbeläge nach der Nutzung in den Kreislauf zurückgeführt werden. Das geschieht dort, wo die Böden jeweils hergestellt werden, z.B. in Schweden in unserem Werk in Ronneby. Dort produzieren wir übrigens schon mit 100 % erneuerbaren Energien, auch der Wasserkreislauf ist zu 99,5 % geschlossen.

BTH Heimtex: Sie haben bereits Bodenbeläge aus Ikea-Filialen zurückgenommen.

Moritz Helbach: Ja, zwischen Ikea und Tarkett besteht eine sehr lange Partnerschaft. Und weil das Thema Cradle to Cradle auch für Ikea sehr wichtig ist, waren sie schnell bei unserem Restart-Recyclingprogramm dabei. Die Herausforderung besteht darin, Klebstoffreste, Spachtelmasse und Estrich-Reste vom PVC zu lösen. Wir haben viele Jahre an einem Verfahren gearbeitet, das effizient und gleichzeitig unbedenklich sein sollte, damit wir die wertvollen Rohstoffe in den Kreislauf zurückführen können.

Daniel Mai: Längerfristig gesehen macht Recycling nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch Sinn, zumal wir dadurch immer wieder neu auf begrenzt verfügbare Rohstoffe zurückgreifen können. Wir produzieren unsere Rohstoffe durch Recycling also quasi selbst, statt begrenzte Rohstoffe zu verbrauchen. Im Moment lohnt es sich wirtschaftlich für uns allerdings noch nicht; wir gehen da erst mal in Vorleistung und finanzieren die Logistik bei der Rücknahme der großen Sammelbeutel, der Big Bags und die Maschinerie, die für die Trennprozesse nötig ist.

Tilo Höbel: Die angestrebte Kreislaufwirtschaft kostet erst mal viel Geld, und wir müssen viele Personengruppen überzeugen, die Teil des Prozesses sind: die Kunden, die Verleger ... für die bedeutet das Sortieren der Tarkett-Bodenbeläge einen Mehraufwand; auch der effiziente Rücktransport ist eine logistische Herausforderung. Aber langfristig ist es die richtige Entscheidung. Im Markt zeigt sich immer stärker, dass die Akzeptanz steigt, dass die Kunden jetzt durchaus willens sind, etwas mehr dafür zu zahlen. Das ist auch ein gemeinsamer Lernprozess. Zurzeit machen schon über 100 Kunden und Partner mit.

BTH Heimtex: Die Organisation des Recyclings und die Trennung des Bodenbelags von den Untergrundresten sind also komplex. Wie sieht es mit der Wiederaufbereitung des dann sortenreinen PVC aus?

Moritz Helbach: Das ist unproblematisch, weil wir schon seit sehr vielen Jahren nur solche Materialien in den Kreislauf zurückführen, die für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. Bereits 2011, bevor die Diskussion rund um die Phthalate überhaupt losging, haben wir sie von selbst aus der Produktion genommen. Insofern können wir alle nach 2011 produzierten homogenen Beläge zurücknehmen, wieder zu Granulat verarbeiten und daraus neue herstellen. Das machen wir ja schon lange mit unseren Produktionsüberschüssen so.

Inhaltsstoffe werden
veröffentlicht und geprüft

Tilo Höbel: In Sachen Materialien und Rohstoffe sind wir übrigens so transparent wie kein anderes Unternehmen unserer Branche: Wir veröffentlichen die Inhaltsstoffe unserer Beläge in frei zugänglichen Material Health Statements und lassen sie parallel von der EPEA in Hamburg prüfen, einem international tätigen Forschungs- und Beratungsinstitut für die Implementierung von Cradle-to-Cradle-Lösungen. Etwa 98 bis 99 % aller von uns eingesetzten Rohstoffe werden bereits von dritter Stelle geprüft. Dieser Schritt wird von Kunden stark wertgeschätzt; gerade deswegen wurden uns schon bestimmte Projekte zugesprochen.

Moritz Helbach: Gerade im PVC-Bereich sehen unsere Statements sehr gut aus. Natürlich gibt es auch noch Zusammensetzungen, bei denen die EPEA nicht alles als "grün" bewertet; für gewissen Dinge müssen wir noch Ersatz finden. Aber genau das ist ja das Prinzip von Cradle to Cradle: dass ich nicht von Anfang an perfekt bin, sondern eine Bestandsaufnahme mache und mich immer weiter verbessere.

Tilo Höbel: Um das Ganze mal in Relation zu setzen: Vor einiger Zeit wurde auch ein Material Health Statement einer Schokoladenverpackung veröffentlicht, einer sehr weit verbreiteten Marke sogar. Da war alles rot, auch wegen der darin verwandten Farben. Das heißt natürlich nicht automatisch, dass gesundheitsschädigende Stoffe an die Schokolade abgegeben werden. Aber das Statement unserer PVC-Beläge ist wesentlich "grüner". Bei uns kann man praktisch vom Boden essen.

Wandel in der PVC-Wahrnehmung

BTH Heimtex: Den Werkstoff PVC hat man ja jahrelang nicht unbedingt mit Wohngesundheit und Umweltfreundlichkeit zusammengebracht.

Tanja Ofer: Hier findet tatsächlich gerade ein Wandel in der Wahrnehmung statt, den wir weiter voranbringen wollen. Deswegen wollen wir den Begriff PVC auch nicht scheuen, sondern vielmehr erklären, dass PVC ein sehr guter Werkstoff ist, der gut recycelt werden kann. Um mal eine konkrete Zahl zu nennen: Das Recycling eines Quadratmeters IQ Eminent oder IQ Granit nach der Nutzungsphase spart rund 10 kg CO, also gut dreimal so viel, wie der Quadratmeter wiegt.

BTH Heimtex: Was nutzen Sie statt der gängigen Phthalate als PVC-Weichmacher?

Moritz Helbach: Entweder Weichmacher auf biologischer Basis, beispielsweise von Rhizinusöl ... oder solche, die auf fossilen Rohstoffen basieren, aber unbedenklich sind und für Lebensmittelverpackungen oder Kinderspielzeug freigegeben wurden.

Daniel Mai: Auf Anfrage können wir IQ Granit und IQ Eminent aus bio-attribuiertem Vinyl nach dem Massenbilanzprinzip herstellen - für einen noch kleineren CO-Fußabdruck. Wir verwenden Biovyn, das ist bio-attribuiertes Vinyl, bei dem fossiler Rohstoff durch erneuerbare Biomasse ersetzt wird. Diese stammt von Holzabfällen aus nachhaltiger Waldwirtschaft in Finnland und steht nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion.

Durch das Massenbilanzprinzip als Berechnungsmethode wird gewährleistet, dass sich das biobasierte Produktionsergebnis und die biobasierte Einsatzmenge genau entsprechen. Diese Berechnungsmethode ist durch den RSB, also den Roundtable on Sustainable Biomaterials als externe Partei zertifiziert, um eine komplette Rückverfolgbarkeit und Transparenz sicherzustellen. IQ Granit und IQ Eminent mit bio-attribuiertem Vinyl weisen die gleichen technischen Merkmale und Pflegeeigenschaften wie die Standardversion auf. Zudem können sie nach dem Gebrauch wieder zurückgenommen und zu neuen Produkten recycelt werden.

BTH Heimtex: Ob fossile Rohstoffe oder Biomasse - derzeit ist die Lieferkettensituation alles andere als entspannt. Das zieht natürlich auch Preiserhöhungen nach sich.

Tilo Höbel: Das war unvermeidlich: Zu den Rohstoffpreiserhöhungen im zweistelligen und teilweise im dreistelligen Bereich kamen auch noch gestiegene Frachtkosten hinzu. Einen Teil konnten wir durch Prozessoptimierungen kompensieren, einen Teil mussten und müssen wir in Form von Preiserhöhungen an unsere Kunden weitergeben. Für uns war und ist es ein Vorteil, dass wir so breit aufgestellt sind und für unseren Markt in Europa produzieren sowie in der Rohstoffbeschaffung Synergien genutzt werden können. Damit konnten und können wir nicht immer unsere Lieferfähigkeit in diesen schwierigen Zeiten gewährleisten, aber es gibt uns und unseren Kunden mehr Stabilität und Sicherheit.

BTH Heimtex: Gerade in so unruhigen, schwierigen Zeiten wie jetzt ist Sicherheit ein wichtiger Faktor.

Tilo Höbel: Es ist sogar das Tarkett-Thema Nummer eins. Das betrifft auch die Sicherheit unserer Mitarbeiter überall, im Außendienst, in unseren Werken, hier am Standort. Gerade hatte sich die Lieferkettensituation etwas gebessert, da kam der Ukraine-Krieg hinzu, der sich durch weitere Rohstoff-Engpässe ebenfalls auf unser Geschäft auswirken wird. Aber wir gehen sehr transparent und offen mit allen Themen um, und das wird von unseren Handelspartnern und Kunden sehr gut angenommen. Zudem planen wir auch dieses Jahr große Investitionen in unsere europäischen Produktionsstätten und das Thema Cradle to Cradle.

Unsere Kunden und unsere Mitarbeiter haben in diesen turbulenten Zeiten dafür gesorgt, dass wir fast alle Herausforderungen meistern konnten. Dafür bin ich ihnen außerordentlich dankbar - für das Engagement und Verständnis, falls nicht alles sofort reibungslos lief, und für die gute und konstruktive Zusammenarbeit.


Was ist bio-attribuiertes Vinyl?

Bio-Attribution bedeutet, dass einem Material eine bestimmte Menge an bio-basiertem Ausgangsmaterial nach dem Massenbilanzprinzip zugeordnet wird. Das bio-attribuierte Vinyl Biovyn wird in einem Produktionsprozess hergestellt, der Ausgangsstoffe aus Biomasse, in diesem Fall Holzreste, in Kombination mit fossilen Rohstoffen verwendet. Beide Materialien werden im System gemischt, wobei eine genau festgelegte Masse des bio-basierten Anteils nur einer bestimmten Menge des Endproduktes zugeordnet, also "attribuiert", wird. Und dennoch bleiben die technischen Merkmale und Pflegeeigenschaften auf dem gleichen hohen Niveau. Das Massenbilanzprinzip treibt den "grünen Übergang" innerhalb der vorhandenen Produktionsinfrastruktur an; eine ressourcenintensive Entwicklung neuer Produktionsanlagen ist nicht erforderlich.
"Unsere Kernstrategie ist die echte Kreislaufwirtschaft"
Foto/Grafik: Tarkett
"Eine Besonderheit bei IQ Granit und Eminent sind auch die demenzsensiblen Dekore, die wir neu entwickelt haben."

Moritz Helbach (Marketing Director D/A/CH, Mitte)
"Unsere Kernstrategie ist die echte Kreislaufwirtschaft"
Foto/Grafik: Tarkett
Hygiene

In Krankenhäusern ein Muss: Die homogenen Beläge können fugenlos verschweißt werden und lassen sich wannenförmig an der Wand hochziehen.
aus BTH Heimtex 04/22 (Wirtschaft)