Hohenstein spürt Gentechnik in Bio-Baumwolle auf

"Das neue Label Organic kommt 2023"


Bönnigheim. Immer mehr Verbraucher bevorzugen nachhaltige Textilien, insbesondere die Nachfrage nach Bio-Baumwolle steigt rasant. Doch wie zuverlässig sind vermeintliche Bio-Baumwoll-Textilien? Mit einer neuen Untersuchungsmethode kann der Prüfdienstleister Hohenstein nicht nur nachweisen, dass gentechnisch veränderte Baumwolle in einem Produkt enthalten ist, sondern auch, in welchem Umfang. Im Haustex-Interview erklärt Martin Cieslik, internationaler Vertriebsleiter bei Hohenstein, wie das Prüfverfahren funktioniert und wie daraus bis 2023 das Label "ORGANIC" werden soll.

Haustex: Der STANDARD 100 by
OEKO-TEX garantiert eine Schad-
stoffprüfung textiler Produkte, die
Zertifizierung nach STeP by OEKO-
-TEX umfasst umweltfreundliche
und sozialverträgliche Produk-
tionsstätten. Zusammengenommen
bilden sie die Basis für das
Verbraucherlabel MADE IN GREEN
by OEKO-TEX. Warum halten Sie
ein weiteres Testverfahren speziell
für Bio-Baumwolle für nötig?

Martin Cieslik: Wir haben festgestellt, dass zu den bestehenden Zertifizierungen eine zusätzliche Bewertung des Materialeinsatzes erforderlich ist. Wie es bei Lebensmitteln schon lange der Fall ist, differenzieren immer mehr Verbraucher auch bei Textilien zwischen bio und nicht bio sowie im nächsten Schritt zwischen recycelt und nicht recycelt. Vor diesem Hintergrund haben wir bei Hohenstein schon frühzeitig mit der Entwicklung eines neuen Verfahrens zur Überprüfung von gentechnischen Veränderungen bei Bio-Baumwolle begonnen, das wir seit geraumer Zeit am Markt anbieten. Mit dem neuen Label ORGANIC by OEKO-TEX überprüfen wir nicht allein die Produktion, sondern machen vor allem auch den Rohstoffeinsatz über die Lieferkette nachvollziehbar.

Haustex: Wie gehen Sie bei dem
neuen Prüfverfahren vor?

Cieslik: Zunächst setzen wir uns mit der Qualifizierung auseinander, also mit der Frage: Ist in einem Produkt genetisch veränderte Baumwolle enthalten, ja oder nein? Dafür haben wir einen eigenen Prüfstandard entwickelt, der heute bereits an die internationalen Normen angeglichen ist. Im zweiten Schritt führen wir die Quantifizierung durch, also die Bestimmung des Anteils genetisch veränderter Baumwolle in einem Produkt.

Haustex: Gibt es bereits einen
Grenzwert, der vorschreibt, wie
hoch dieser Anteil sein darf? Oder
gilt hier das Nulltoleranz Prinzip?

Cieslik: Nein, das Thema wird derzeit international diskutiert. Klar ist aber jetzt schon, dass ein Null-Wert in der Praxis kaum zu erreichen ist. Natürlich kann ich vorschreiben, dass bestimmte Substanzen nicht verwendet werden dürfen. Die Realität ist aber selten nur schwarz oder weiß. Erfahrungsgemäß ist es ratsamer, auf der Grundlage der Toleranzgrenzen sowohl der Industrie als auch der Verbraucher auf internationaler Norm-Ebene einen Grenzwert für die Verunreinigung von Bio-Baumwolle festzulegen.

Haustex: Kann die Arbeit an dem
neuen Zertifizierungsverfahren
denn weitergehen, solange dieser
Prozess noch nicht abgeschlossen
ist?

Cieslik: Ja, auf jeden Fall. Am 1. April 2022 sind wir mit diesem Projekt in eine Pilotphase gestartet, in der wir uns in erster Linie speziell mit dem Thema Lieferketten-Nachvollziehbarkeit beschäftigen wollen. Dabei folgen wir den Warenströmen über die verschiedenen Stufen hinweg. Neu ist, dass wir mit der Überprüfung auf genetisch veränderte Baumwolle ganz am Anfang der Lieferkette beginnen: bei der Entkörnung also der Trennung der Baumwollfasern vom Samen. Der Grund dafür ist, dass das Material in diesem Stadium noch sehr naturbelassen ist, während es im Laufe der folgenden Verarbeitungsschritte, wie der Mercerisierung oder der Bleiche, immer schwieriger wird, die DNA-Stränge der Baumwolle zu separieren.

Haustex: Wie lange soll diese Pilot-
phase dauern?

Cieslik: Im OEKO-TEX -Kalender werden zum 1. Januar eines jeden Jahres neue Kriterien vorgestellt, die dann jeweils zum 1. April in Kraft treten. Dementsprechend planen wir, in der aktuellen Pilotphase einen flüssigen Prozess zu entwickeln, der am 01.01.2023 vorgestellt wird und am 01.04.2023 in Kraft tritt.

Haustex: Gibt es bereits einen Titel
für ein entsprechendes Label, mit
dem Ihre Kunden Bio-Baumwoll-
produkte am Ende auszeichnen
können?

Cieslik: Stand jetzt können wir bei Hohenstein unseren Kunden Informationen über die Bio-Qualität ihrer Baumwollprodukte liefern: Die Identifikation einzelner gentechnischer Veränderungen und ihre Quantifizierung ermöglicht eine Aussage darüber, ob es sich um eine äußerst geringfügige Vermischung durch Kontamination handelt oder ob eine Beimischung größerer Anteile von gentechnisch veränderter Baumwolle vorliegt. Für den Einsatz im OEKO-TEX Portfolio befindet sich das Verfahren noch in der Pilotphase. Auch unter der Voraussetzung, dass die Grenzwertfrage bis dahin geklärt ist, werden wir ab 2023 dann das neue Label "ORGANIC by OEKO-TEX" anbieten. Dafür müssen Unternehmen nicht nur den Nachweis auf Produktebene erbringen, sondern über die beschriebene Warenstromkontrolle die komplette Lieferkette nachvollziehbar machen.

Haustex: Inwiefern unterscheidet
sich das neue Label von MADE IN
GREEN by OEKO-TEX?

Cieslik: Tatsächlich ist es uns wichtig, den bereits existierenden "Labelwald" nicht unnötig zu erweitern. Deshalb kann ORGANIC natürlich für sich stehen, sollte nach Möglichkeit aber in die MADE IN GREEN-Zertifizierung integriert werden. Auch bei MADE IN GREEN gehen wir ja bereits aus dem Produkt heraus in die gesamte Lieferkette. Mit ORGANIC schaffen wir für unsere Kunden eine wertvolle Leistungserweiterung, die aussagt: Meine Produktionsbedingungen sind fein und das Produkt hat auch noch Bio-Qualität.

Haustex: Anfangs sprachen Sie an,
dass für Verbraucher neben der
Frage nach der Bio-Qualität auch
die Recycling-Frage an Relevanz
gewinnt. Gibt es in diese Richtung
ebenfalls Pläne?

Cieslik: Ja, neben dem Materialeinsatz wird das Thema Recycling in den kommenden Jahren bei Hohenstein mit Sicherheit stärker in den Fokus rücken. Bereits seit 2020 können recycelte Materialien im Rahmen der STANDARD 100 Zertifizierung geprüft werden. Bei STeP by OEKO-TEX führen wir beispielsweise gerade schrittweise den OEKO-TEX Impact Calculator, also einen Wirkungsrechner, ein, mit dem wir den CO- und den Wasser-Fußabdruck auf Betriebsebene bestimmen können. Zukünftig ist die Nutzung des OEKO-TEX Impact Calculators aber auch auf Produktebene für
MADE IN GREEN by OEKO-TEX gelabelte Produkte geplant.

Haustex: Das Label MADE IN
GREEN by OEKO-TEX wird
demnach der Sammelpunkt für
Nachhaltigkeits-Kriterien von
OEKO-TEX?

Cieslik: Genau. MADE IN GREEN by OEKO-TEX ist das Kernlabel, das langfristig alle Aspekte beim Thema Nachhaltigkeit abdecken soll. Als Prüfinstitut wollen wir unseren Kunden damit künftig zum einen die Möglichkeit geben, nachzuweisen, ob ein Produkt Bio-Qualität aufweist und welche Fertigungsschritte es durchlaufen hat. Zum anderen können wir Einsicht gewähren, wie groß CO- und Wasser-Fußabdruck bei seiner Herstellung sind.

Haustex: Um so Transparenz für
den gesamten Lebenszyklus eines
Produkts zu erreichen?

Cieslik: Ja, Transparenz ist der wesentliche Faktor, der von den Verbrauchern immer stärker eingefordert wird, um sich am POS für oder gegen ein Produkt zu entscheiden. Natürlich sind Preis und Style noch immer die top Kriterien beim Einkauf, Nachhaltigkeit gewinnt aber rasant an Bedeutung - das beobachten wir derzeit ganz besonders im Heimtextilbereich. Ein Label fungiert für Verbraucher als Entscheidungshilfe und verleiht dem Händler Integrität.



Über Hohenstein

Seit der Firmengründung 1946 ist Hohenstein auf die Prüfung, Zertifizierung und Erforschung textiler Produkte aller Art spezialisiert. Als unabhängiger Partner offeriert das Prüflabor Textilunternehmen umfassende Services, unter anderem in Form von Hilfestellung bei Produktentwicklungen, Textil-Prüfungen und -Zertifizierungen bis hin zu Produktlabels und Markteinführungsstrategien. In dritter Generation geführt, beschäftigt das Familienunternehmen aktuell rund 1.000 Mitarbeiter sowohl am Stammsitz in Bönnigheim als auch in internationalen Laboren und Auslandsbüros. Als Gründungsmitglied von OEKO-TEX unterstützt Hohenstein Marken, Hersteller und Einzelhändler in allen Belangen nachhaltigen Wirtschaftens entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
aus Haustex 05/22 (Wirtschaft)