Textilmuseum in Bocholt

Ausstellung in historischer Spinnerei

Bocholt - 30 Jahre nach Stilllegung öffnet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) im Sommer erstmals die Tore der ehemaligen Spinnerei Herding für Besucher. Aus Anlass des 100. Geburtstages des Gebäudes zeigt das Textilmuseum in Bocholt eine Ausstellung mit textilen Objekten und Installationen von sieben renommierten Textilkünstlerinnen. Unter dem Titel "100 Jahre Herding - Kunst.Visionen.Geschichte" öffnet sich das eindrucksvolle Baudenkmal vom 19. August bis 7. Oktober 2007 erstmals in seiner neuen Funktion als Ort der Kultur den Besuchern.

Die international bekannte Textilkünstlerin Gabriela Nasfeter wird mit ihrer Installation "Webräume" das zweite Obergeschoss in eine imaginäre Textilfabrik verwandeln. Die in dichter Reihe zwischen den Stahlstützen gespannten weißen Polyesterbänder erinnern an die Kettfäden im Webstuhl. In der Fläche ergeben sich das Auf und Ab von Sheddächern, unter denen Textilproduktion stattfindet, die beim Blick aus dem Fenster über die umliegende Hallenlandschaft ihr verblüffendes Gegenstück findet. Die 1950 in Polen geborene Künstlerin arbeitet seit 1980 in Deutschland. In Ulm entwickelte sie ihre Projekte und setzte sie dann in vielen Ländern der Erde um, immer mit weißen Stoffbahnen und geometrischen Körpern als ihre Markenzeichen.

Die seit 1997 in Aachen tätige Textilkünstlerin Claudia Merx zeigt u.a. fünf textile Stelen mit dem Titel "rüsten außen - innen stark". Zarte, schwebend leichte Skulpturen erschafft sie in einer Wollfilztechnik, die sonst vornehmlich für robuste Gebrauchsobjekte eingesetzt wird. Die verblüffenden und tief bewegenden Faserkörper wirken durch die Kombination mit Eisendraht noch fragiler.

Die Kölner Künstlerin Angelika Wittek schafft mit ihrer Installation "Raumgestalten" ein spannendes Wechselspiel zwischen dem 5 m hohen Spinnsaal und ihren bis zu 4 m hohen hängenden Objekten aus Nesselstoff. Diese weißen textilen Skulpturen erheben sich in die Luft, greifen schwebend Raum und erschließen ihn. Segel aus strengen geometrischen Grundformen wie Raute, Rechteck und Quadrat und herabhängenden Fransen durchkreuzen den Raum.

Mit ihren beschwingt leichten Fadenfiguren im kleinen Format setzt die Kölner Künstlerin Traudel Lindauer einen Kontrapunkt zu den großformatigen Objekten. Aus Verwicklung und einzelnen klaren Fadenlinien entstehen Figuren, die leicht und bewegt über den weißen Seidengrund tanzen. Ihre Namen wie "darf ich sie umgarnen?" oder "Madame Butterfly", die zugleich auch einen Teil des Plakatmotives bildet, scheinen sie sich selbst gegeben zu haben.

Die Kölner Künstlerin Renate Behla zeigt ihr großformatiges goldenes Sprungtuch, indem sie die Sehnsucht zwischen Himmel und Erde aufgreift.

In ihrer Videoinstallation mit dem Titel "Zeit-Momente: vergangen und verknüpft" projiziert Veronika Moos-Brochhagen aus Bergisch-Gladbach fließende Wassererscheinungen auf eine transparente textile Struktur. Sie sieht die Idee des "Textilen als Sinnbild", in der sie mit unterschiedlichsten Techniken Formen der Erinnerung schafft.

Mit ihrer Installation "Hemdener Weg" stellt die seit kurzem in Bocholt lebende Künstlerin Christa Maria Kirch eine besondere Beziehung zum 100-jährigen Jubiläum des ehemaligen Spinnereigebäudes her. Sie spielt mit dem Begriff "Hemden", der ein Bocholter Stadtteil ist und zugleich für ein zentrales Herrenkleidungsstück steht. Die Anwohner der Häuser im Hemdener Weg wurden gebeten, durch die Spende eines weißen Hemdes dieses Kunstwerk aus 100 Hemden zu ermöglichen. Gleich einem Festzug werden die gebügelten und gefalteten weißen Herrenhemden der jeweiligen Hausnummer auf kleinen schwarzen Stoffflächen, den Hausgrundstücken ähnlich, mittig im großen Spinnsaal als Straßenzug arrangiert.

Einen weiteren Ausstellungsschwerpunkt werden die Präsentationen der Geschichte der ehemaligen Spinnerei Herding sowie der musealen Visionen annehmen. Die Ausstellung von Textilkunst und Textilgeschichte bietet einen Vorgeschmack auf das große Potenzial des historischen Komplexes, der neben Ausstellungsflächen in Zukunft auch Räume für Veranstaltungen und Ateliers für kreative Textiler bilden wird.

"Unsere Vision ist es, in einem gewachsenen Gebäudeensemble ein Museum zu integrieren, das gestalterisch, didaktisch und denkmalpflegerisch nationalem wie internationalem Standard genügt", erläutert Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums, zu dessen Verbund das Textilmuseum in Bocholt gehört. Zur Ausstellung wird ein eigenes Begleitprogramm angeboten, mit Jubiläumsfest am Eröffnungstag sowie Vorführungen, Führungen und Künstlergesprächen.
aus Haustex 09/07 (Wirtschaft)