Interface Flor: Interview mit Dirk Boll

"Wir wollen unseren Umsatz in drei Jahren verdoppeln"

2007 war ein Jahr des Umbruchs für Interface Flor Deutschland. Europachef Lindsey Parnell hatte Anfang des Jahres die Devise ausgegeben, dass die Bearbeitung des deutschen Marktes massiv intensiviert werden soll. Für Dirk Boll, der zum gleichen Zeitpunkt als neuer Direktor für Marketing und Vertrieb in Krefeld antrat, eine Herausforderung und eine spannende Aufgabe: Innerhalb weniger Monate wurde der Vertrieb neu strukturiert, die Marktansprache modifiziert , eine neue Kollektion entwickelt und neue Verkaufsinstrumente geschaffen. Nun trägt die Arbeit erste Früchte. BTH Heimtex-Chefredakteur Claudia Weidt sprach mit Boll über Maßnahmen, Märkte und mutige Ziele.

BTH Heimtex: Interface Flor hat sich in Deutschland neu aufgestellt. Was hat sich konkret verändert und greifen die Maßnahmen bereits?

Dirk Boll: Ich glaube, die entscheidende Veränderung ist, dass wir seit einem halben Jahr eine zweigleisige Vertriebsstruktur haben, wobei beide Schienen eng zusammen arbeiten. Auf der einen Seite sind das die Generalisten, der klassische Außendienst, zwölf Kollegen, die bundesweit die verschiedenen Regionen betreuen. Auf der anderen Seite gibt es ein Team von A + D-Spezialisten - A+ D steht für Architektur und Design - die gezielt Architekten und Innenarchitekten bearbeiten.

Insofern gehen wir den Markt zweigleisig an: In Richtung Großhandel, Objekteure und Verleger und in Richtung Architekten. Denn wir haben einfach feststellen müssen, das die großen Projekte in Deutschland nach wie vor durch die Architekten angetrieben werden und wir wollen gleich von Anfang dabei sein.

BTH Heimtex: Aber das gilt ja nur für den Neubau. In Deutschland machen Renovierung und Sanierung das Gros des Geschäftes aus und da ist es weitaus schwieriger, heranzukommen.

Boll: Das stimmt. In anderen Ländern ist der Neubau viel stärker, in Deutschland spielt die Musik bei der Renovierung. In der Architekten-Ansprache ist dort allerdings kein großer Unterschied. Nach wie vor sind viele gute und große Architekturbüros auch in der Renovierung und Sanierung aktiv.

BTH Heimtex: Und diese duale Strategie hat sich bewährt?

Boll:Sie fängt an,sich zu bewähren. Natürlich braucht es eine gewisse Anlaufphase, in der dem Markt transparent gemacht werden muss, dass wir mit zwei Vertriebsstrukturen arbeiten und auch intern keine Wettbewerbssituation entsteht. Und das haben wir gut im Griff : der klassische Außendienst und das A+D-Team arbeiten inzwischen eng zusammen und das macht sich ausgesprochen positiv bemerkbar - wir haben mittlerweile Zugang zu Projekten gewonnen, die uns vor einem Jahr noch verborgen waren.

BTH Heimtex: Welche Bedeutung hat denn der deutsche Markt überhaupt noch für Interface Flor Europe? In den letzten Jahren schien es nicht so, als habe er Priorität, sondern wird eher stiefmütterlich behandelt.

Boll: Keinesfalls. Deutschland ist der bedeutendste Markt der Welt für Interface. Aus einem einzigen Grund: Wir sind weltweit im Fliesenbereich führend. Wir haben im Jahr 2006 rund 1,1 Mrd. USD umgesetzt und dominieren in den meisten Ländern Europas den Markt - in Deutschland, dem drittgrößten Markt für textile Bodenbeläge, sind wir davon allerdings noch weit entfernt. Das heißt, wir haben hierzulande ein riesiges Potenzial, während wir anderswo nur noch marginal wachsen können.

Insofern wurde Anfang letzten Jahres die Strategie verabschiedet, massiv in Deutschland zu investieren, den Vertrieb auszubauen und neue Strukturen zu schaffen. Also Deutschland hat derzeit absolute Priorität.

BTH Heimtex: Von welcher Basis gehen Sie denn aus? Wieviel Umsatz machen Sie aktuell in Deutschland?

Boll: Ich kann Ihnen nur sagen, dass Interface Flor in Europa etwas mehr als 200 Mio. EUR umsetzt und wir Bestandteil der europäischen Organisation sind.

BTH Heimtex: Zäumen wir das Pferd andersherum auf: Wie groß schätzen Sie den Fliesenmarkt in Deutschland?

Boll: Schwierig zu sagen, weil er momentan sehr stark in Bewegung ist. Wir spüren wachsendes Bewusstsein für die Teppichfliese. Das wird unter anderem daran deutlich, dass sich immer mehr gute Marktbegleiter der Fliese zuwenden, was wir sehr begrüßen. Da wird nämlich Markt für das Produkt gemacht. Daher glaube ich, dass wir die Potenziale, die darin liegen, zur Zeit noch gar nicht abschätzen können.

BTH Heimtex: Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen: Es gibt tatsächlich immer mehr Teppichbodenhersteller, die in Fliesenkollektionen einsteigen, die auch Kombinations-Konzepte mit Bahnenware anbieten und darüber hinaus suchen auch andere Fliesen-Spezialisten Zugang zum deutschen Markt. Kann der Markt das überhaupt verkraften? Provoziert das nicht einen Preiskampf?

Boll: Also wir freuen uns grundsätzlich über jeden Mitbewerber, der ein gutes Produkt auf den Boden bringt, weil das den Markt befruchtet. Und genau das wollen wir ja. Leider gibt es aber noch zu wenig gute Fliesen in Deutschland. Und ich habe wirklich ein Problem damit, wenn wir auf Wettbewerber mit schlechten Fliesen stoßen. Denn die bringen die ganze Produktgattung in Misskredit und es wird um so schwerer, Bauherren und Architekten davon zu überzeugen, dass gute Fliesen genau das leisten, was sie verlangen.

BTH Heimtex: Ganz banal gefragt: Was ist für Sie eine schlechte Fliese?

Boll: In Deutschland darf ja eine Fliese nicht als solche erkennbar sein. Das bezieht sich nicht auf das Design, was durchaus die Fliese widerspiegeln darf, auch wenn in der Regel Bahnenwaren-Optik verlangt wird. Eine schlechte Fliese ist als Fliese erkennbar - weil sie keine gute Schnittkante hat, keine Formstabilität, kein sauberes Nahtbild. Das ist die große Kunst: Dass die Fliese dauerhaft in der gleichen Form auf dem Boden liegen bleibt.

Zum Thema Bahnenware und Fliesen in der Kombination will ich Ihnen auch noch etwas sagen: Wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenz Fliese, weil wir überzeugt sind, dass das der Schlüssel zum Markt ist. Das heißt, beides - Bahnenware und Fliese - zu können, ist gut, eins davon perfekt zu können, ist besser.

BTH Heimtex: Für eine Kombination von Bahnenware und Fliese wird häufig mit der höheren Wirtschaftlichkeit argumentiert, weil Bahnenware günstiger ist.

Boll: Das ist so nicht richtig. Die Fliese ist definitiv nicht teurer als Bahnenware. Wenn wir sämtliche Aspekte mit einbeziehen wie Verlegeoptimierung, Verschnitt etc. können wir jedes Wettbewerbsangebot gegen Bahnenware halten. Mal ganz abgesehen von den Folgekosten bei der Entfernung.

BTH Heimtex: Ich möchte noch einmal auf das Thema Fliesenqualität zurück kommen. Die hängt vom Material ab, vom Rücken, von der Technik, vom Stanzen...wovon noch? Was macht konkret die Güte einer Fliese aus, auch im Design?

Boll: Ziel muss sein, eine Fliese herstellen zu können, die unabhängig von der Ersterscheinung verlegbar ist. Als Beispiel schauen Sie sich unsere Neuentwicklungen an, die richtungsfrei verlegt werden können. Nicht eine Fliese gleicht hier einer anderen, was 100% Austauschbarkeit bedeutet. Das bringt erhebliche Vorteile mit sich, weil es völlig unproblematisch ist, im Nachhinein einzelne oder mehrere Fliesen auszutauschen.

In dem Moment, wo die Fliese von einer bestimmten Verlegerichtung abhängig ist, im Muster verlegt werden muss, der Raum nicht eckig ist oder in Flurzonen bestimmte Verschnittbereich anfallen, wird es problematisch. Mit unseren Produkten nicht - denn egal, wo sie liegen, sie liegen immer an der richtigen Stelle. Das entspricht unserer neuen Philosophie. Gerade im Hinblick auf die Mission Zero (Anm.d.Redaktion: InterfaceFlor hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2020 ein vollständig nachhaltiges Unternehmen ohne schädliche Umwelteinflüsse zu werden. Mission Zero ist das Versprechen zur Eliminierung aller negativen Auswirkungen auf die Umwelt durch Berücksichtigung jeder kreativen, produzierenden und bautechnischen Entscheidung) und den Nachhaltigkeitsaspekt haben wir den Focus der Produktentwicklung genau auf dieses Thema gelegt.

BTH Heimtex: Rechnen Sie Ihren Kunden konkret vor, was Sie mit Fliesen im Vergleich zur Bahnenware an Verschnitt etc. sparen?

Boll: Selten. Wir konzentrieren uns darauf, unser Produkt zu vermarkten und nicht, in den Wettbewerb mit der Bahnenware zu treten. Wir sind von unserem Thema überzeugt, können den Kunden aufzeigen, was das Produkt kann und was es ihn letztlich pro Quadratmeter kostet.

Und wir haben ja noch ganz andere Argumente im Köcher: Wie unsere 100%-Rücknahmegarantie, wie Cool Carpet, bei dem der Kunde einen minimalen Mehraufwand pro Quadratmeter leistet, den Interface wiederum in bestimmte Umweltprojekt investiert, wie der ganze Re-Entry-Bereich, bei dem wir gebrauchte Produkte zurücknehmen und sie je nach Zustand für gemeinnützige Projekte zur Verfügung stellen, die kein Budget für Fliesen haben...

BTH Heimtex: Dieser Nachhaltigkeitsgedanke, den Sie so engagiert propagieren - spielt der in Deutschland überhaupt eine Rolle? Zählen hierzulande nicht eher die nackten Zahlen?

Boll: Für uns spielt er auf jeden Fall eine erhebliche Rolle, ist sozusagen die DNA unseres Unternehmens. Und hier in Deutschland wird er auch immer wichtiger. Mittlerweile ist der Gedanke der Nachhaltigkeit in den ersten großen Ausschreibungen involviert und wir spüren auch Interesse bei den Architekten. Im Prinzip laufen wir grad bei ihnen offene Türen ein, wenn wir über Mission Zero und die Vorteile der Fliese sprechen.

BTH Heimtex: Dabei haben die Architekten jahrelang andere Beläge favorisiert: Holz, Stein. Was glauben Sie, hat diese Renaissance der Fliese oder auch generell der textilen Beläge im Objekt bewirkt? Warum schwenken die Architekten um?

Boll: Ich habe gerade vor kurzem mit verschiedenen, wirklich renommierten Architekten darüber gesprochen und sie haben das damit erklärt, dass die Zeiten von "schwarz, hart und flach" vorbei ist, wieder mehr Textur, Komfort, Wertigkeit und damit auch Textil gefragt ist. Darüber hinaus bin ich persönlich der Meinung, dass uns die aktuellen Trends in Gestaltung und Einrichtung entgegenkommen.

BTH Heimtex: Sie betonen, dass Sie jetzt den Vertriebsweg Architekt stärken und verstärkt ansprechen wollen. Mein Eindruck ist, dass Ihre Prioritäten die gleichen sind, wie in den letzten Jahren, der Architekt Ihr primärer Adressat ist, und Sie die klassische Distributionsschiene über den Großhandel, der die vielen kleinen und mittleren Objekte betreut, die letztlich das Gros des Objektgeschäftes ausmachen, vernachlässigt haben.

Boll: Wir wollen jetzt beides richtig machen. Natürlich haben wir in den letzten Jahren auch dazu gelernt, was das Thema Großhandel und Verleger angeht und in diesem Jahr schon viele Dinge erledigt. Wir haben unter anderem eine neue Kollektion entwickelt, neue Konzepte und ein klares Bekenntnis abgegeben, dass wir weiterhin ein verlässlicher Partner sein wollen. Das ist vielleicht nicht so nach außen gedrungen. Ich denke mal, unser Architekten-Engagement wird in der Öffentlichkeit einfach mehr wahrgenommen.

Und ich möchte noch eins betonen: Wir machen ja keine Direktgeschäfte. Wir wickeln grundsätzlich jedes unserer Projekte über den Verleger ab.

BTH Heimtex: Und den Verleger, bedienen Sie den direkt oder über den Großhandel?

Boll: Selbstverständlich bedienen wir beide direkt, sowohl Verleger wie auch Großhandel. Das wird auch definitiv so bleiben. Kurzfristig wollen wir jedoch den Einzelhandel auf den Großhandel umstellen.

BTH Heimtex: Welchen Anteil macht der Großhandel denn jetzt konkret bei Ihnen aus?

Boll: Gut 30 %. Trend steigend.

BTH Heimtex: Also fassen wir zusammen: Sie haben Ihren Vertrieb neu strukturiert, ein A+D-Team aufgebaut und eine neue Kollektion entwickelt. Was noch?

Boll: Wir haben auch eine neue Architektenbox geschaffen, und unser Toolkit, neue Broschüren, ein neuer Auftritt...ich glaube, dass wir jetzt ganz anders wahrgenommen werden, bewusst wahrgenommen werden. Das ist für mich eigentlich die größte Veränderung.

Und das alles ist ein klares Bekenntnis für den Standort Deutschland und auch den Standort Krefeld. Dort residiert Interface seit 25 Jahren und wir sind vor kurzem umgezogen, auf das Gelände der TAG, wo wir ein Verwaltungsgebäude sehr schön revitalisiert haben. Das ist nun die ideale Anlaufstelle für jeden Kunden, jeden Architekten, weil da auch unser Designteam sitzt und zudem unser Werk Scherpenzeel in den Niederlanden kaum eine Stunde entfernt ist.

BTH Heimtex: Mit dem Bekenntnis zum Standort Deutschland haben Sie mir ein Stichwort gegeben. Sie haben Ihre neue Kollektion erwähnt. Früher waren Ihre Produkte oft am deutschen Geschmack vorbei, weil die Kollektionen woanders zusammengestellt wurden. Ist das heute anders?

Boll: Ja, es ist eine rein deutsche Kollektion: In Krefeld entstanden und auf den deutschen Markt zugeschnitten. Das liegt wie bereits gesagt daran, dass unser Europa-Präsident Lindsay Parnell zum Beginn letzten Jahres die klare Parole ausgegeben hat, den deutschen Markt auszubauen.

BTH Heimtex: Es ist sicher ein Fortschritt, wenn Sie mehr auf die Bedürfnisse Ihrer deutschen Kunden eingehen. Wie weit agieren Sie in Deutschland überhaupt selbstständig innerhalb dieser Europa-Organisation? Abgesehen von Ihrer Firmenphilosophie und -politik, gibt es eine übergreifende globale Vertriebs- und Marketing-Strategie in Europa oder den Märktenangepassten nationale Strategien?

Boll: Wir sind in großen Teilen unabhängig. Es gibt ein sogenanntes Zentralmarketing, dass die Hauptstrategie des Unternehmens und das Branding steuert. Aber wir haben auch ein lokales Marketing, dass Aktivitäten initiieren kann, die wir für Deutschland richtig halten.

Grundsätzlich ist die europäische Organisation so aufgestellt, dass unter Lindsey Parnell und einem Exekutiv-Team ein Senior Manager-Team agiert, das sich aus fünf Länderverantwortlichen zusammensetzt, zu denen ich auch gehöre, und letztlich die grundsätzlichen strategischen Entscheidungen für Europa im Vertriebsbereich trifft.

BTH Heimtex: Also das operative Geschäft vor Ort betreibt jede Ländergesellschaft für sich und alles Übergreifende wird in der Gruppe geregelt?

Boll: Exakt.

BTH Heimtex: Nochmal zurück zur Kollektion. Sie hatten Heuga als Marke für Ihre Produkte für den privaten Wohnbereich. Was ist damit passiert?

Boll: Bis vor zwei Jahren war der Residential-Bereich, also der Wohnbereich, auch Bestandteil von Interface. Inzwischen haben wir das separiert in der Heuga Homeflooring, einer Schwestergesellschaft mit einer eigenen Vertriebsorganisation, die mit einer eigenen Mannschaft und Kollektion den Markt bedient und in der Regel auch zu anderen Kunden geht als wir. Die Objektqualitäten von Heuga sind Bestandteil unseres Produktportfolios geblieben.

BTH Heimtex: Was versprechen Sie sich von all diesen Neuerungen und Investitionen? Wo soll Interface Flor Deutschland mittelfristig stehen?

Boll: Unser Ziel ist, unseren Umsatz in drei Jahren zu verdoppeln - das heißt, von Anfang 2007 bis Ende 2009. Und ich darf Ihnen heute schon sagen, dass wir auf dem besten Weg sind. Wir gehen sogar davon aus, dass wir das Ziel übererfüllen.

BTH Heimtex: Das ist sehr ambitioniert. Aber Umsatz ist nicht alles; glauben Sie, dass Sie auch auf Ertragsseite einigermaßen mitwachsen können?

Boll: Natürlich wollen wir unsere Marge und unsere Erträge mindestens halten, sonst macht es keinen Sinn. Und wir wollen, dass auch unsere Kunden damit zufrieden sind. Denn ein Geschäft macht nur Sinn, wenn beide Seiten zufrieden sind.
aus BTH Heimtex 01/08 (Wirtschaft)