Dipl.-Ing. Michael Bauer zum Bereich Tischwäsche

Starker Wandel in der Optik


Die Tischwäsche-Produktion in unserer Firma hat eine viele Jahrzehnte währende Tradition. In unserer bisherigen 127-jährigen Firmengeschichte sind viele Millionen Stück Tischwäsche produziert und an Kunden in den verschiedensten Bereichen zur Auslieferung gekommen. Die Firma S. Wolle (unsere Firma firmierte bis 1939 als Firma S. Wolle, da unser Urgroßvater Alwin Bauer gemeinsam mit dem Berliner Geschäftsmann Samuel Wolle die Auer Firma begründete) produzierte unter der Marke Merlin ein breites Spektrum an Tischdecken. Neben hochwertigen abgepasst gewebten Damasttischdecken wurden farbig gestaltete Decken für den Gartenbereich hergestellt. Die Produktion dieser Sortimente erfolgte in den damals vorhandenen zwei Betriebsteilen in Aue im Erzgebirge und in Eibau in der Oberlausitz. Im fast vollstufigen Betrieb (nur die Spinnerei fehlte) wurde die Tischwäsche komplett produziert. Auch Kunden wie z. B. die Schiffe der Reederei Hapag Lloyd wurden mit Tischwäsche von S. Wolle ausgestattet. Mit hochwertigen Einwebungen ging die Ware auf viele Reisen um die Welt.

Die Produktion besonders der abgepasst gewebten Tischwäsche, d.h. in der Weberei wird bereits das Maß der Decke fixiert, bedurfte einer anspruchsvollen technischen Ausstattung, welche die Fertigung dieser Sortimente ermöglichte. Mit viel personellem Aufwand mussten die Jacquardkarten für die Produktion der Tischwäsche hergestellt werden. Je länger das Maß der Tischdecke war, desto größer musste die Jacquardkarte sein, die meistens manuell in die Webmaschine verbracht wurde.

Die Dessins sind größtenteils durch eigene Designer im Unternehmen entworfen worden. Als Hauptmaterialien kamen damals Baumwolle oder Mischungen Baumwolle mit Viskose zum Einsatz. Leider musste dann die textile Fertigung während des 2. Weltkrieges eingestellt werden, da Rüstungsfirmen in den vorhandenen Gebäuden ihre Tätigkeit aufnahmen. Nach 1945 ist unter den Bedingungen Ostdeutschlands bzw. der späteren DDR die textile Produktion für Tisch- und Bettdamaste wieder installiert worden. Im Bereich der Haustextilien stellte die damalige Curt Bauer KG (bis 1972) bzw. der VEB Damastweberei Aue die qualitativ hochwertigste Ware in der damaligen DDR her. Die Firma war sehr exportintensiv. Schon damals wurden 50 Prozent der hergestellten Sortimente ins Ausland verschickt.

Dabei war Westdeutschland der Hauptexportmarkt. Besonders abgepasste Tischdamaste sind über Versender und Kaufhäuser an einen breiten Käuferkreis gegangen, ohne dass ein Hinweis auf unsere Firma vorhanden war, da diese Artikel meist unter kundeneigenen Marken und Bezeichnungen vertrieben wurden. Auch in die damalige Sowjetunion wurde viel Tischwäsche exportiert. Es gab ein Sortiment aus 100 Prozent Viskose, welches in großen Stückzahlen produziert und geliefert wurde. Ende der 80er Jahre wurde eine Zusammenarbeit mit der Firma Irisette in Zell/Schönau begonnen. Im Bereich der abgepasst gewebten Tischwäsche wurden damals erhebliche Mengen über die Firma Irisette verkauft.

Das äußere Erscheinungsbild einer abgepasst gewebten Damasttischdecke ist eigentlich immer etwas edles und bereicherndes für den festlich gedeckten Tisch. Bis in die 90er Jahre hinein fehlte eigentlich in einem gepflegten Haushalt auf den vorhanden Esstischen nie die Damastdecke. Hauptsächlich wurde diese Ware in Weiß aber auch in Pastelltönen und zeitweise auch in kräftigeren Farben hergestellt und vertrieben. Auch nach dem Zusammenbruch der DDR konnte die Herstellung der Damasttischwäsche im großen Umfange weiter fortgesetzt werden. Die Zusammenarbeit mit Irisette nahm wesentlich intensivere Formen an. Durch Umgestaltung des Irisette-Sortimentes in Richtung Bekleidung wurde die Produktion der Tischwäsche verlagert. Zunächst als Rohwarenlieferant, später als Produzent der Fertigware und Mitte der 90er Jahre als Lieferant fertig konfektioniert und verpackter Tischwäsche konnte unser Unternehmen die Tischwäscheversorgung unter dem Namen Irisette parallel zum Vertrieb der Tischwäsche unter der Marke Bauer organisieren.

Schlussendlich wurde nach Übernahme der Firma Irisette durch das Unternehmen Bierbaum die Möglichkeit gegeben, Irisette als Lizenznehmer für Tischwäsche zu führen. Parallel dazu sind unter der Marke Bauer ebenfalls hochwertige Tischwäsche-Linien im Handel etabliert worden. Neben dem anfänglich starken Verkauf im Bereich der Versender wurden die Vertriebslinien Kaufhäuser und Fachhandel zielstrebig aufgebaut und genutzt.

Leider hat sich im Verlauf der 90er Jahre das Kaufverhalten für Tischwäsche stark geändert. Schönes Mobiliar und geänderte Essgewohnheiten führten zu einer Reduzierung des Bedarfs an Tafeltüchern und damit an abgepasst gewebter Ware. Diesem Trend musste Rechnung getragen werden, so dass verschiedene, meistens nun allover gemusterte Tischwäsche-Sortimente entwickelt wurden. Auch in Richtung Pflegeleichtigkeit bzw. Fleckschutz mussten neue Sortimente auf den Markt gebracht werden, um den Pflegeaufwand für die Hausfrau deutlich zu vermindern.

War das Material bisher meist 100 Prozent Baumwolle, sind zwischenzeitlich erhebliche Anteile in Mischung mit Polyester hinzugekommen. Auch der Service für den Kunden musste erheblich ausgeweitet werden, da sich die Maße im Tischbereich erheblich verändert haben. Während in früheren Zeiten das Standardgrößenprogramm für alle angebotenen Tische ausreichte, so mussten nun Vorbereitungen getroffen werden, um auch bei allen abweichenden Tischmaßen die entsprechende Tischwäsche bereitstellen zu können. Es entstand der so genannte Atelierservice, d.h. die Herstellung der Tischdecke im Wunschmaß des Kunden. Mit viel Aufwand und Einzelanfertigung der Tischdecken wird nun in breiter Front diesen Wünschen entsprochen.

Die Tische sind jedoch nicht nur in den Abmessungen anders geworden, sondern haben sich auch sehr in der Optik gewandelt. Attraktive Formen mit schönen Holzfurnieren sind entstanden. Jetzt soll der Tisch repräsentieren und nicht durch eine Tischdecke verhüllt werden. Diesem Problem wurde mit der Entwicklung von Placemats und Tischläufern entsprechend Rechnung getragen. Auch in diesem klassischen Tischwäschesortiment haben derartige Segmente sukzessive höhere Verkaufszahlen erbracht. Leider hat auch ein anderes Problem das Leben für die Tischwäsche nicht einfacher gemacht.

Die Tischkultur in Deutschland ist nicht mehr vergleichbar mit der vor 25 Jahren. Vermehrt nimmt man sich wenig Zeit zum Essen - und das wirkt sich negativ auf die Gestaltung des Esstisches aus. Bei einem Großteil der Jugend hat sich die McDonalds-Esskultur breit gemacht, so dass die Tischdecke für derartige Verhältnisse keinerlei Daseinsberechtigung mehr hat. Besser sind da unsere europäischen Nachbarn wie z.B. Italien und Frankreich dran. Hier hat das Essen einen anderen Stellenwert. Demzufolge ist die Tischkultur weitaus besser und der Esstisch wird kultiviert mit Tischdecke und Stoffserviette gedeckt. Es bleibt zu hoffen, dass auch in Deutschland einer aufwendigeren Tischgestaltung wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, denn so richtig gut schmeckt es doch nur an einem schön gedeckten Tisch, der natürlich mit attraktiver Tischwäsche eingedeckt ist.
aus Haustex 08/09 (Wirtschaft)