Dura: Interview mit Dr. Christian Schäfer

"Wir sind bei Bodenbelägen mit drei von vier Marken gewachsen"

Im letzten Jahrzehnt hat sich die Dura-Gruppe massiv verändert. Nur wenige Unternehmen der Branche haben einen derart tiefgreifenden Restrukturierungsprozess samt strategischer Neuausrichtung hinter sich gebracht wie das familieneigene und -geführte Unternehmen mit Stammsitz in Fulda. Zukäufe wie Zoeppritz, Borgers, TWN und Besmer einerseits sowie die konsequente Stärkung der Automobilzuliefer-Aktivitäten andererseits haben der Dura neue Felder erschlossen und den Umsatz vorangetrieben. Eine solche Expansion muss aber auch intern verarbeitet und verkraftet werden. Wenn dann parallel zu den aufwendigen Konsolidierungs- und Integrationsbestrebungen ein wichtiges Standbein wie das Automobilgeschäft zusammenbricht, kann es schon mal eng werden... Wie eng es bei der Dura tatsächlich ist, wollte BTH Heimtex-Chefredakteur Claudia Weidt von Geschäftsführer und Mitinhaber Dr. Christian Schäfer wissen.

BTH Heimtex: Herr Dr. Schäfer, die Branche macht sich Sorgen um die Dura. Es wird kolportiert, dass Berater bei Ihnen im Haus seien und die Banken das Kommando übernommen hätten. Reine Spekulation - oder ist etwa Wahres daran ?

Dr. Christian Schäfer: Wir haben immer wieder Berater zu diversen Projekten konsultiert. Und wir haben auch momentan externe Beratung hinzugezogen, um unsere Konzepte für Logistik und Supply Chain auf den Prüfstand zu stellen und zu optimieren. Insofern ist es richtig: Ja, wir haben Berater im Haus.

Weiterhin ist es gerade in einer Phase wie der aktuellen, in der die Weltwirtschaft stark erschüttert ist und die Banken schwierige Zeiten durchleben, normal, dass diese genau ihre einzelnen Engagements beobachten.

In anderen Worten: Die Banken haben hier nicht das Sagen. Aber sie wünschen sich eine intensive Information von uns, die sie selbstverständlich auch erhalten. Und das insbesondere, weil wir zum Kreis der Automobilzulieferer gehören. Jahrelang haben wir uns bemüht, nicht mehr den Stempel "Teppichbodenhersteller" zu tragen, da man als deutsches Textilunternehmen als aussterbende Spezies galt. Inzwischen haben wir sogar schon zu hören bekommen, ob wir nicht noch stärker im Bodenbelagsbereich wachsen können... Was wir übrigens definitiv tun. Trotzdem wäre uns diese Frage vor drei Jahren nicht gestellt worden.

BTH Heimtex: Wie schlimm war 2009 denn nun tatsächlich ?

Dr. Schäfer: Ich will nicht darum herumreden: Es ist klar, dass die Krise im Automobilbereich an uns als Zulieferer nicht spurlos vorbei gegangen ist. Der Oktober 2008 ging noch, der November war schon schlimm, der Dezember und der Januar 2009 absolut desaströs.

BTH Heimtex: Das bezieht sich rein auf das Automobilgeschäft ?

Dr. Schäfer: Ja. Teilweise mussten wir Werke wochenlang schließen. Den Betrieb in der Slowakei mussten wir im Dezember 2008 herunterfahren und schließen, obgleich er 2008 profitabel war. Aber 2009 haben wir das Budget um 70 % unterstritten. Damit lässt sich ein fixkostenlastiges Geschäft wie die Automobilzulieferung auch bei bester Produktivität nicht profitabel betreiben.

Anfang Februar 2009 war dann das Werk Großenlüder nicht mehr vor der Insolvenz zu retten, weil es gleich doppelt von der Flaute betroffen war: Zum einen war die E-Klasse von Mercedes ausgelaufen und der Nachfolger ging woanders hin. Zum anderen hatten wir offenbar genau die Audi-Modelle, die nicht gefragt waren, obgleich Audi ansonsten gut lief. Dieser Schritt hat schon wehgetan.

BTH Heimtex: Und bei Bodenbelägen ? War die Entwicklung dort ähnlich katastrophal ?

Dr. Schäfer: Nein. Ich glaube, wir sind insgesamt sogar vergleichsweise gut hindurch gekommen. Wir sind bei Bodenbelägen mit drei von vier Marken gewachsen, nur bei Dura mussten wir einen Rückgang im Objekt hinnehmen, das ab dem zweiten Quartal stark gelitten hat.

Mit TWN haben wir beachtlich zugelegt, obgleich wir unseren größten Auslandsmarkt Großbritannien fast komplett verloren haben.Aber wir haben in Deutschland zweistellig gewonnen.

Auch Zoeppritz hat deutliche Fortschritte gemacht. Mit beiden Marken sind wir sehr zufrieden.

Besmer war auch positiv, aber nicht so erfolgreich, wie wir erwartet hatten, weil auch hier das Objektgeschäft Schwächen zeigte.

Unter dem Strich haben wir das Jahr mit einem Umsatzminus von 4 % abgeschlossen.

BTH Heimtex: In der zweiten Jahreshälfte hatten Sie auch mit Lieferproblemen zu kämpfen. Das hat die Kunden verärgert. Sonst wär das Minus wohlmöglich noch geringer ausgefallen.

Dr. Schäfer: Durch das Automobilgeschäft war das erste Halbjahr nicht gut, wirklich nicht. Und dann kam nach der Sommerpause, in der wir wie üblich die Bestände heruntergefahren hatten, eine Situation auf uns zu, die ich noch nie erlebt habe: Der August war noch gar nicht ganz vorbei, als vor allem BMW, aber auch Mercedes plötzlich wie verrückt Mengen orderten. Ich will Ihnen das verdeutlichen: Wir haben im absoluten Auto-Krisenjahr 2009 im September einen historischen Rekordumsatz im Automobilgeschäft realisiert.

Das hat leider dazu geführt, dass unsere gesamte Pipeline ins Stocken geriet: Angefangen bei den Garnlieferanten, die kaum mit ihren solution-dyed-Garnen hinterher kommen konnten, über unsere Tuftingproduktionen, die teilweise sieben Tage die Woche dreischichtig liefen, bis zu den Beschichtungskapazitäten. Dieser Run hielt je nach Modell und Werk zwei, drei Monate an und hat sich erst im November wieder beruhigt.

Das hat dazu geführt, dass wir im Handels- und Objektgschäft die Bestände nicht halten bzw. auffüllen konnten und ab August 2009 die Lieferfähigkeit gelitten hat. Das war für uns - und noch viel schlimmer - für unsere Kunden sehr ärgerlich und tut uns auch sehr leid. Wir haben dann später die Pause über den Jahreswechsel genutzt und im ersten Quartal wieder volle Lieferfähigkeit erreicht.

BTH Heimtex: Hat es Sie da rückwärts getroffen, dass Sie einst den Lagerbestand stark reduziert und weitgehend auf Schnelldreher konzentriert haben ?

Dr. Schäfer: Die Probleme bei der Lieferfähigkeit betrafen ja gerade die Schnelldreher und nicht die "lame ducks" . Das Konzept der Lagerreduktion bei den C- und D-Varianten ist richtig; das hat sich schon mehrfach erwiesen.

Aber wir haben in dieser außergewöhnlichen Situation im vergangenen Herbst den Preis dafür gezahlt, das wir derzeit sehr viele Kollektionen am Markt haben - denn das bedeutet sehr viele SKUs (= Stock Keeping Units, zu Deutsch Lagerpositionen, Anm.d.Red.) Wir haben momentan zu viele Varianten. Das rächt sich, wenn sich die verfügbaren Kapazitäten verknappen. Und ich bitte unsere Bodenbelagskunden um Verständnis, wenn das Automobilgeschäft in einer solchen Zwangssituation Priorität haben muss, weil dort sofort der Bandstillstand mit immensen Konventionalstrafen, Ärger und Auftragsverlust droht, wenn wir nicht liefern können.

Das heißt beilebe nicht, dass uns das Automobilgeschäft wichtiger ist als der klassische Handel -, dort kommen wir schließlich her - aber wir haben leider auch keinerlei Einflussmöglichkeiten.

BTH Heimtex: Das klingt alles sehr teuer. Und ergebnisbelastend...

Dr. Schäfer: Wir haben 2009 nicht unbeachtliche Restrukturierungs-Aufwendungen gehabt und werden sie auch 2010 haben. In Verbindung mit der Unterauslastung im Automobilbereich war das Ergebnis 2009 nicht ausgeglichen.

BTH Heimtex: War denn die Restrukturierung eine kurzfristige Reaktion auf die Krise, eine Art Notfall-Plan ?

Dr. Schäfer: Eine Reaktion auf diverse Entwicklungen. Zum einen hatten wir bei unseren zwei großen Tuftingwerken anfangs schon die Erwartung, dass wir sie über den Automobilbereich dauerhaft füllen können. Der hat sich damals positiv entwickelt. Das ist dann leider nicht so eingetreten, wie wir es uns vorgestellt haben. Zum anderen tendiert der Markt immer stärker zu spinndüsengefärbten Artikeln, was die Auslastung unserer Färberei gewaltig nach unten drückt.

In Verbindung mit der desaströsen Entwicklung Ende 2008 waren wir dann an einem Punkt angelangt, an dem wir wussten, dass wir tatsächlich alles in Frage stellen müssen...und das haben wir getan.

Das Ergebnis ist, dass wir uns hier in Fulda auf eine Premiumfertigung konzentrieren, mit Spezialitäten wie Wolle, Feinstvelouren, bestimmten Autoqualitäten und der PU-Beschichtung - da wird übrigens in Zukunft einiges kommen - und Hessisch-Oldendorf zum Hauptwerk wird, das spätestens ab Anfang des vierten Quartals vollstufig dreischichtig arbeiten wird.Das waren keine leichten Entscheidungen, kann ich Ihnen sagen, traurige Entscheidungen - aber leider auch unumgänglich. Der Standort Fulda ist überaltert, die Fertigung zu groß, der Produktionsfluss zu umständlich, die maschinelle Ausstattung zum Teil nicht mehr "state of the art".

BTH Heimtex: Das hört sich nicht nach einer vielversprechenden Zukunft für Fulda an...

Dr. Schäfer: Es scheint, dass die Konzentration auf eine Premiumfertigung in Fulda nur ein Zwischenschritt bis zur kompletten Schließung ist. Ist es aber nicht. Wer lange in der Branche unterwegs ist, weiß, dass die Integration einer Premiumfertigung, insbesondere von Wolle, in eine herkömmliche Mengenproduktion fast zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist - wegen der kleinen Lose, der Vielzahl an Varianten, der Besonderheit der Produkte an sich.

Zusätzlich haben wir in Fulda die PU-Beschichtung, übrigens die einzige noch genehmigte Anlage in Deutschland. Ein klassischer USP, der auch dem Nutzer Vorteile bringt.

Von daher macht diese kleine, schlagkräftige Einheit in Fulda absolut Sinn. Zumal sie auch noch in den großen Fertigungsstandort der Filzfabrik Fulda-Gruppe eingebettet ist und wir insofern auch noch auf Ressourcen Zugriff haben.

BTH Heimtex: Und in Hessisch-Oldendorf wollen Sie nun das "größte deutsche Tuftingwerk mit einer Kapazität von 10 Mio. qm" betreiben, wie Sie in einer Pressemitteilung angekündigt haben...

Dr. Schäfer: Nein. Die Kapazität beträgt 20 Mio. qm. Wir wollen dort 10 Mio. qm fertigen.

BTH Heimtex: Das ist ambitioniert angesichts der Marktlage. Abgesehen davon ist doch heute eine Mengenstrategie kein Garant mehr für Erfolg. Im Gegenteil. Die funktionieren nicht mehr. Und ich denke auch, dass sie nie mehr wie früher funktionieren werden.

Dr. Schäfer: Wenn man heute nur noch Automobilware herstellen würde, wäre es tatsächlich schwierig, ein 10 Mio. qm-Werk ertragreich zu führen. Die Automobilware ist so heruntergewirtschaftet, dass sie nur noch dazu dienen kann, eine Grundauslastung sicher zu stellen. Doch wir sind ja noch in sehr vielen anderen Bereichen aktiv. Und: die Marktkonsolidierung setzt sich fort. Es gibt immer weniger Marktteilnehmer. Allein wir haben mit Besmer, Zoeppritz und TWN drei übernommen und unlängst hat sich mit Enia wieder einer verabschiedet.

Ich gebe Ihnen Recht: Mengenkonzepte funktionieren nicht mehr. Das bekommen gerade die klassischen Mengenanbieter zu spüren. Die Mengen sind weg, die Strukturen stimmen nicht mehr, das ganze Vertriebskonzept passt nicht mehr. Sie müssen plötzlich ihre Lagerhaltung umstellen, anders distribuieren und haben zudem mit dem zunehmendem Wettbewerb aus China und der Türkei zu kämpfen. Meiner Meinung nach droht in nicht allzuferner Zukunft auch noch zusätzlich Konkurrenz durch arabische Anbieter. Die sind zur Zeit nur noch einseitig auf die USA und lokal ausgerichtet.

BTH Heimtex: Ich möchte noch einmal auf den Anfang unseres Gesprächs zurückkommen. Sie sagten, Dura sei die einziger Ihrer Marken, die 2009 zurückgefallen ist. Lag das nur an der Flaute im Objektgeschäft oder ist nicht auch ein Grund, dass die Kollektionen zu alt sind, das Sortiment überholt ?

Dr. Schäfer: Richtig: Die Dura-Kollektionen sind nicht neu. Die Besmer-Kollektionen hingegen schon. Ich will nicht verhehlen, dass wir dadurch gewissermaßen unter einer Kannibalisierung im eigenen Haus leiden. Die Dura-Hauptkoffer stehen tatsächlich am Ende ihres Lebenszyklus und auch zum Austausch an. Nur wäre ein Kollektionswechsel zur Jahreswende 2009/2010 in einem verunsicherten Markt falsch gewesen. Wir werden nun Richtung Domotex 2011 mit einer völlig überarbeiteten Sortimentskonzeption und einem aktualisierten Produktauftritt kommen.

BTH Heimtex: Mögen Sie generell eine Prognose für 2010 wagen ?

Dr. Schäfer: Das ist schwierig. Wir gehen grundsätzlich von drei Prämissen für 2010 aus: Erstens, dass sich das Automobilgeschäft wieder stabilisiert, zweitens, dass sich das Objektgeschäft erholt und drittens warten wir auf einen Rückschlag im Handelsgeschäft. Wir haben ihn noch nicht, wir sehen ihn auch noch nicht, aber wir befürchten ihn.

Gleichwohl haben wir das erste Quartal mit einem Plus abgeschnitten - und zwar in der gesamten Gruppe.
aus BTH Heimtex 05/10 (Wirtschaft)