Interview mit Marcel Wanders

"Bei jedem Blick auf Join sehe ich etwas Neues"

Der 47-jährige Niederländer Marcel Wanders zählt zu den einflussreichsten Produkt- und Interieurdesignern weltweit. International bekannt wurde er 1996 durch seinen Knotted Chair für Droog Design. Er entwirft für zahlreiche Unternehmen wie beispielsweise Puma, KLM Royal Dutch Airlines, Alessi, Swarovski und Flos. Wanders ist Mitbegründer und Art Director des Design-Studio Moooi in Amsterdam. Dort arbeiten rund 30 Kreative aus mehr als 10 Ländern. Er ist verantwortlich für große Architekturprojekte wie das Kameha Grand Hotel in Bonn, das Mondrian South Beach Hotel in Miami und den Villa Moda Store in Bahrain.

BTH Heimtex: Sie haben die neue Kollektion "Join" von Anker designt. Was macht diesen Teppichboden aus, dass er als Neuinterpretation der Gattung bezeichnet wird?

Marcel Wanders: Jedes Mal, wenn ich auf diesen Teppichboden schaue, sehe ich etwas Neues, einen neuen Aspekt. Das Besondere ist die große Komplexität und Farbenvielfalt. Das liegt an dem speziellen Produktionsverfahren, der CL+-Technologie von Anker. Es sind ja eigentlich zwei Teppichböden, die zusammengebracht werden. Das hat mich wirklich begeistert und enorm inspiriert.

Dazu beigetragen hat auch, dass uns mehr Farben zur Verfügung standen als normalerweise beim Drucken, und wir sie durch die besondere Technik derart Vermischen und Kombinieren können. Wir haben jetzt eine Kollektion mit 40 Positionen entwickelt - mit dieser Technik können wir aber unendlich viele Dessinierungen entwerfen.

BTH Heimtex: Sie werden als ein Fan des Teppichbodens bezeichnet. Wieso begeistern Sie sich für dieses Produkt?

Wanders: Es ist fantastisch, mit Teppichboden zu arbeiten. Ich liebe das Textile. Es ist warm, es hat Charakter. Ich fühle mich zu Textilart und -design viel stärker hingezogen als ein klassischer Produktdesigner.

Als solche betrachten wir die Gegenstände mehr aus der Ferne. Ich versuche tiefer zu gehen, der Struktur und der Aussage der Dinge auf den Grund zu gehen. Ich mache mir mehr Gedanken über den Inhalt als über die Form. In Join habe ich mich hineingedacht, mich in den Teppichboden "hineinbegeben". Im Übrigen finde ich, dass Teppichboden und seine Stärken lange Zeit vernachlässigt wurden.

BTH Heimtex: Die wenigsten Betrachter werden in der Lage sein, sich in Join "hineinzubegeben". Was für eine Wirkung erhoffen Sie sich bei den Nutzern?

Wanders: Mein Antrieb ist, Räume für Menschen auf eine Weise zu gestalten, dass Sie sich nicht nur wohlfühlen. Sie sollen begeistert sein von ihnen und sich von ihnen inspirieren lassen, sie sollen sie lieben. Es gibt in unserem Alltag genug Räume, die nur funktional sind - nicht mehr. Als Objektboden wird Join in diesen modernen Räumen zum Einsatz kommen. Die Dessins der Kollektion reichen von gesetzt bis theatralisch: Ein schönes Grau in der Lobby, ein mitreißendes Rot im Konferenzzimmer, eine distinguierte Farbgebung im Büro des Geschäftsführers - und man hat trotzdem den Eindruck, es ist ein Unternehmen.

BTH Heimtex: Join ist als Objektboden konzipiert und wird auch so vertrieben. Aber ihre Beschreibungen lassen darauf schließen, dass er auch seinen Weg in Privaträume finden könnte.

Wanders: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. In erster Linie ist er aber für Objektflächen entwickelt worden, die einer gewissen Belastung ausgesetzt sind. Außerdem ist das Produktionsverfahren aufwendig. Daraus resultiert letztendlich auch das Preisniveau. Ich habe Join sowohl hier in meinem Studio liegen als auch in meinem neuen Wohnhaus, das ich gerade entworfen habe. Natürlich verbietet niemand, Join in den eigenen vier Wänden zu verlegen.

BTH Heimtex: Teppichboden hat in den vergangenen Jahren Marktanteile eingebüßt und an Attraktivität verloren. Kurz gesagt: Er liegt momentan nicht im Trend. Wird Join der ganzen Branche einen positiven Impuls gibt?

Wanders: Ich sehe Join nicht als einen Trend-Teppichboden. Ganz im Gegenteil. Ich hoffe, dieses Produkt wird in den nächsten 50 Jahren erfolgreich auf dem Markt sein. Es ist von bester Qualität und absolut ein Architekten-Produkt. Es gibt immer wieder Produkte, die in Vergessenheit geraten sind. Das liegt aber in der Tradition der Moderne. Wichtig ist, dass wir den Menschen Teppichboden näher bringen und sie von seinen Vorzügen und Möglichkeiten überzeugen. Das tun wir gerade mit Join.


Kommentar von Jochen Lange

Eine Bereicherung für die Branche

"Teppichboden ist nicht sexy". Diese Klage ist weit verbreitet in der Branche. Einerseits verständlich. Gemessen an der Marketing-Logik "Sex sells" trifft die Zustandsbeschreibung zu. Die Absatzzahlen gehen stetig zurück. Andere Beläge kommen besser an bei Architekten, Entscheidern und Endkunden. Ja, damals, in den 70er Jahren, da lag der textile Bodenbelag im Trend. Jeder wollte ihn haben, erinnert man sich wehmütig.

Aber es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ideenreichtum und Mut sind gefragt, wieder Begeisterung für den Teppichboden, für seine weiche, wohlige Haptik, für seine Wärme und seinen vielfältigen Komfort zu entfachen. Ob man gleich ins Schweben kommt, wie der Designer und bekennende Teppich-Fan Marcel Wanders seine Gefühle beschreibt, wenn er über den von ihm federführend entworfenen Teppichboden Join schreitet, sei dahingestellt.

Er und das Anker-Team stecken den Kopf nicht in den Sand. Sicherlich, die Dürener zielen mit der hochwertigen Objekt-Qualität auf eine Nische. Aber keine Frage, mit der engen Zusammenarbeit und den gemeinsamen Visionen, der Mischung aus moderner Technik und verblüffenden Designs gepaart mit Herzblut und Nachhaltigkeit, bereichert Join die Branche. Bleibt abzuwarten, wie der Markt reagiert.
aus BTH Heimtex 06/11 (Wirtschaft)