Im schwierigen Umfeld hofft die Tapetenbranche, die Talsohle durchschritten zu haben

Retro - Die 70er sind wieder da

Bei einer BTH Heimtex-Umfrage zum Kollektionswechsel in der Tapetenbranche kristallisierten sich eindeutige Tendenzen heraus. Unsere Redaktion fasst Trends, Stimmen und Stimmungen zusammen.

Wirtschaft. Das erste Halbjahr brachte der Tapetenbranche keine Entspannung - im Gegenteil: der Absatz ist weiter geschrumpft auf schätzungsweise 25 bis 27 Mio. Rollen. Allerdings konnte dieser erneute Mengenrückgang wenigstens teilweise durch den höheren Vliesanteil aufgefangen werden. Das leichte Umsatzplus im Inlandsmarkt, das einige Anbieter gegenüber BTH Heimtex angaben, beruht auf den höheren Preisen, die mit diesem hochwertigen Produkt erreicht werden können.

Die einzelnen Anbieter haben ganz unterschiedlich abgeschnitten. So bedauert Erfurt-Vertriebsleiter Manfred Franken, dass "der Profibereich im Inland in der ersten Jahreshälfte weiter rückläufig war". Jörn Kämper, Vorstandsvorsitzender von A.S. Création, beklagt die schwache Nachfrage und die Preissteigerungen bei Papier, Faservlies, PVC und Farben, die auf das Ergebnis drückten. Christian Schmitz vom gleichnamigen Tapeten-Import und dem Schwesterunternehmen Essener beurteilt den Verlauf der ersten sechs Monate dagegen "deutlich positiver als die Stimmung, die man oft draußen beim Kunden angetroffen hat."

In den letzten Jahren war der Export oft der Rettungsanker, weil sich im Ausland die Inlandseinbußen kompensieren lassen. Wie sieht das in diesem Jahr aus? "Wir erzielen Wachstum im Ausland", sagt Franken klar - wobei Erfurt relativ frisch in den Export eingestiegen ist, sich also noch auf eher niedrigem Sockel bewegt.

Auf jeden Fall macht Osteuropa immer noch mehr Freude als die benachbarten westeuropäischen Märkte. Sie werden zunehmend durch finanzielle Probleme und drohende Insolvenzen in der Tapetenindustrie erschüttert. In Großbritannien ging Crown in die Knie, in den Niederlanden Esta/sanders, in Frankreich soll Marktführer Essef stark angeschlagen sein, in Italien kämpft Emiliana Parati - vielleicht hat man sich mit Zukäufen wie Salubra übernommen, bzw. deren Folgekosten unterschätzt?

Fragt sich auch, was an den Gerüchten um Erfurt und Retford wahr ist. Während Brancheninsider sicher sein wollen, dass die Wuppertaler bei den Briten eingestiegen sind - und damit das Rauhfaser-Monopol in der Hand hätten - wiegelte Martin Erfurt auf Nachfrage freundlich, aber bestimmt ab und dementierte eine Verbindung zu dem Wettbewerber von der Insel, der sich im vergangenen Jahr bei der Papierfabrik Lunzenau eingekauft hatte, dem zweiten deutschen Rauhfaser-Hersteller.

Ein Handikap war im ersten Halbjahr der hohe Euro-Kurs im Verhältnis zum Dollar. Im konsumigen Bereich komme noch hinzu, dass vermehrt Kopien deutscher Dessins vornehmlich aus ukrainischer, aber mittlerweile auch russischer Produktion zu Dumpingpreisen auf den Markt strömen.

Im zweiten Halbjahr und darüber hinaus wird trotz der schwierigen Sommermonate eine deutliche Verbesserung erwartet. Zum einen sollen die zum Kollektionswechsel vorgestellten Neuheiten Impulse sorgen, zum anderen wirken sich die niedrigeren Eurokurse positiv auf die Exporte aus.

Die Stimmung beim diesjährigen Kollektionswechsel war allerdings wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Situation eher verhalten. Für Christian Schmitz entwickelt sich der Großhandel weiterhin in zwei Richtungen: "Die Stimmung ist unterschiedlich, je nachdem, mit welchen Händlern man spricht. Positiv wird sie gesehen bei jenen, die für die Tapete etwas tun und damit erfolgreich sind. Aber es gibt Großhändler, für die die Tapete nur noch ein Produkt ist, das am Rande mitläuft und hier wird lediglich der Aspekt des unkomplizierten und kostenneutralen Musterns in den Vordergrund gestellt. Die Großhändler, die sich für die Tapete stark machen, verdienen auch in diesem Bereich Geld. Jene, die nichts für das Produkt tun, beschweren sich über den mangelnden Absatz der Ware Tapete. Diese Polarisierung wird weiter stattfinden und daraus ergeben sich dann Allianzen von Vertriebs-partnern mit gleichen Interessen."

Was sucht der Handel? Hier variieren die Antworten - je nach Sortiment. Neben gut verkäuflichen Konsumblättern werden wieder hochwertigere Muster und Spezialitäten gesucht. Vertriebsleiter Ulrich Roesner von Pickhardt + Siebert: "Die Kunden wünschen ein Trading-up". Im Fokus des Interesses stehen Tapeten, mit denen sich der Fachhandel profilieren kann. Vlies ist überall ein Lieblingsthema. Jörn Kämper: "Deutliche Zuwächse verzeichnen wir bei den Vliestapeten. Diese Entwicklung unterstützen wir mit allen Mitteln. Den Slogan "Noch nie war Tapezieren so einfach!" propagieren wir am POS. Vliestapeten machen schon deshalb Freude, weil jeder Anwender früher oder später zu diesem Produkt zurückkehren wird."

Farbe ist ein wichtiger Tapetentrend. Sie darf kräftig sein und intensiv auch in den Farbkombinationen.Im Kommen: Betonte Matt-Glanz-Effekte mit trockenen, matten Fonds und darauf Gold-, Silber- oder Lackakzente.

Die neu interpretierten Siebziger-Jahre sind bei den jungen Mustern stark vertreten. Bei kaum einem Anbieter fehlt der Retro-Look mit Reminiszenzen aus der Pop-Art. Teilweise wurden dafür sogar die alten Mustervorlagen aus dem Archiv geholt und zeitgemäß modifiziert.

Es gibt auch eine neue, sehr farbstarke und dekorative Indien-Schiene mit den typischen ornamentalen Mustern in Rot, Gewürztönen, Purpur und Smaragdgrün. Japanische Schlichtheit ist die andere Asia-Richtung.

Naturmaterialien - original oder naturgetreu nachgestellt - und damit verbunden die Palette der Naturfarben erlebt bei den hochpreisigen Produkten eine Renaissance. Weiter gefragt sind mediterrane Dessins - die allgegenwärtige Toscana lässt grüßen - , pastellige Farbtöne sowie textile Anmutungen. Die Unis haben, nicht zuletzt dank neuer technischer Möglichkeiten, immer raffiniertere Strukturen und Effekte von Borken-, Kork- und Rinden-Anmutungen bis zu Leder-, Kroko- und Schlangen-Look.
aus BTH Heimtex 09/03 (Tapeten, Wandbeschichtungen)