Holzwirtschaft in Deutschland größer als allgemein angenommen

Haben Statistik-Fehler Deutschland viele Millionen EU-Fördergelder gekostet?

In einer medienwirksam angelegten Aktion hat der europäische Verband der holzverarbeitenden Industrie (CEI-Bois) kürzlich EU-Parlamentarier und EU-Kommissionsmitglieder über "die Schlüsselrolle der Holzindustrie im ländlichen Raum" informiert. Damit wollte der CEI-Bois "Politiker auf höchster Ebene für die Werte sensibilisieren, die Holz, Holzprodukte und die daran geknüpften Arbeitsplätze für die Länder Europas darstellen."

Europaübergreifend darf sich die Branche über diesen CEI-Vorstoß freuen. Jedoch: Es steht zu befürchten, dass speziell die deutsche Holz- und Forstwirtschaft davon vergleichsweise wenig profitieren wird. Schuld sind die amtliche Statistik und die Verantwortlichen in Spitzenfunktionen, die zu vieles zu lange schleifen ließen. "Jetzt wird der Sektor Holz bundesweit auf seine tatsächliche Größe überprüft", berichtete "Die Welt" am 11. November 2004 über die Konsequenzen aus einer wissenschaftlichen Studie, die zu alarmierenden Erkenntnissen kam: "Statistik-Fehler könnten Deutschland Millionen EU- Wirtschaftsfördergelder kosten".

Anlass für die deutsche Parkettbranche, sich zu erinnern: Stieß sich der Verband der Deutschen Parkettindustrie in den letzten Jahren nicht ständig an den Daten des Statistischen Bundesamtes? Wunderte er sich nicht schon lange über das "Glück auf!" der Österreicher bei der Förderung von "Kohle", sprich EU-Fördergeldern? Oder über die fixen Finnen, die ihren "Holz-Cluster" so erfolgreich ins rechte Licht zu rücken wussten?

Forschungsprojekt mit weitreichenden Folgen

Fast 1 Mio. EUR wurden am Waldzentrum der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster unter der Leitung des Forstwissenschaftlers Andreas Schulte in ein Forschungsprojekt investiert. Die hohe Summe lohnte sich: Schulte wies nach, dass die Forst- und Holzwirtschaft für Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich ebenso bedeutungsvoll ist wie die Metallindustrie. Obgleich der Forschungsansatz davon ausging, dass die amtlichen Statistiken zur Holz- und Forstwirtschaft womöglich nicht stimmten, überraschte das Ergebnis.

Auf der Basis aller Wirtschaftszweige, die nach der EU-Definition der Holz- und Forstwirtschaft zuzurechnen sind, ermittelte die wissenschaftliche "Cluster-Studie Forst & Holz NRW", dass rund 200.000 Beschäftigte in der Holz- und Forstwirtschaft tätig sind (Stand 2003). Zum Vergleich: In der Metall- bzw. Maschinenbauindustrie sind es 215.000. Rechnet man der Holz- und Forstwirtschaft noch die Mitarbeiter in Fachverlagen und Druckereien hinzu, kommt die Studie auf insgesamt 260.000 Beschäftigte in der Holz- und Forstwirtschaft in NRW. Dahinter bleiben die Elektroindustrie (145.000 Beschäftigte) und die Chemieindustrie (128.000) weit zurück.

Nur Betriebe mit mehr als 21 Mitarbeitern erfasst

Auf die Spur falscher Statistiken führte die leicht messbare Tatsache, dass NRW zu einem Drittel mit Wald bewachsen ist. Angesichts dieser Fläche erschien den Wissenschaftlern an der Uni Münster die Zahl von nur 120 Sägereien, die laut Statistischem Landesamt vorhanden sein sollten, fragwürdig. Langwierige und gründliche Überprüfungen führten dann zu der korrigierten Zahl von 283 betriebenen Sägewerken - exakt 163 mehr als "eigentlich" vorhanden sein konnten. Das Statistische Landesamt begründete seine Zahl damit, dass nur Betriebe mit mehr als 21 Mitarbeitern in der Statistik berücksichtigt werden.

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden dann auch weitere statistische Daten als Ursache dafür ausgemacht, dass die Forst- und Holzwirtschaft in der amtlichen und öffentlichen Wahrnehmung entschieden "zu kurz" kam. Nach der EU-Definition umfasst der jeweilige nationale Holz-Cluster die gesamte Kette vom Wald über Sägewerke, Holzwerkstoff-, Furnier-, Parkett-, Möbel-, Papier- und Verpackungsindustrie bis hin zu sämtlichen holzverarbeitenden Handwerken wie Tischler, Zimmerer, Parkettleger, Modellbauer und Holzhaushersteller, ferner Öko-Energiegewinnung u.a. Jedoch wurden in der NRW-Statistik - nur als Beispiel - Zimmerer nicht dem Holz-Cluster zugerechnet, sondern der Baubranche. Der forstnahe Dienstleistungssektor - "vom Rückepferd über Waldkalker bis zu Forstplanungsbüros" - war statistisch überhaupt nicht berücksichtigt.

Zulieferindustrie nicht berücksichtigt

Zwar nicht laut EU-Definition, jedoch de facto dem Holz-Cluster zuzurechnen sind außerdem Zulieferer, allen voran der Maschinenbau für die holzverarbeitende Industrie. Er hält - wie aus der Parkettbranche bekannt - nicht nur in NRW eine starke Stellung, sondern exportiert Anlagen weltweit. Ferner profitiert die chemische Industrie vom Holz-Cluster. Es wurde ermittelt, dass allein in NRW jährlich rund 40 % der dortigen Klebstoffproduktion in die holz- und papierverarbeitende Industrie gelangen. Mit etwa 1/3 Waldfläche ist NRW repräsentativ für den Waldanteil in Gesamt-Deutschland. Dennoch lassen sich Zahlen (z.B. Beschäftigungszahlen), wie sie für NRW ermittelt wurden, nicht automatisch auf das Bundesgebiet übertragen. Hier wären allerdings zusätzlich die Seehäfen als Holzumschlagplätze zu berücksichtigen. Allein im Holzhafen Wismar arbeiten derzeit rund 2.000 Beschäftigte.

"Fauxpas des Jahrhunderts"

Seitdem die EU-Kommission in Brüssel nicht mehr einzelne Branchen, sondern nur noch komplette Wirtschaftszweige - eben die übergreifenden "Cluster" - fördert, kommt es für die jeweiligen nationalen Holzwirtschaften darauf an, ihre "Holz-Cluster" in Brüssel gemäß ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als förderungswürdig darzustellen. Der deutschen Holzwirtschaft kann das schwerlich gelingen, wenn ihre Lobby auf der Basis falscher Statistiken operiert.

Als den "forst- und holzpolitischen Fauxpas des Jahrhunderts" hat der Leiter der NRW-Studie die systematische Fehleinschätzung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Holz- und Forstwirtschaft bezeichnet. Dazu weist "Die Welt" im erwähnten Beitrag darauf hin, dass sich das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits nicht mehr (wie früher) ausdrücklich für Forstwirtschaft zuständig erklärt: "Forstwirtschaft findet auf Referatsebene statt." Dass "jetzt der Sektor Holz bundesweit auf seine tatsächliche Größe überprüft" werden soll, könnte mit der Warnung von Projektleiter Andreas Schulte zusammenhängen: Die von der Statistik gestützte Fehleinschätzung der deutschen Holz- und Forstwirtschaft werde "zu erheblichen Nachteilen bei der Vergabe von EU-Fördermitteln führen".

Wahrscheinlich ist dieser Fall längst eingetreten. Und wann die Holz- und Forstindustrie von der jetzt angekündigten Überprüfung ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Bedeutung für Deutschland profitieren und bei der Vergabe von EU-Fördergeldern möglicherweise besser abschneiden wird, steht in den Sternen - und in den Statistiken. Nur: Wieviel Vertrauen darf die Holzbranche, die von Pleiten bis hinauf in die Lobby-Etagen (siehe Holzabsatzfonds) erschüttert ist, denn noch in die Zahlenwerke des Holzabsatzfonds (siehe Parkettmagazin 4/03) oder des Statistischen Bundesamtes haben? Die unzeitgemäß-überhebliche Praxis des Statistischen Bundesamtes, nur Betriebe mit mehr als 21 Beschäftigten der Statistik würdig zu befinden, hat im Übrigen ihre Entsprechung in der VDP-Statistik: Diese fasst alle kleinen Parketthersteller "einfach" in einer geschätzten Jahresproduktionsmenge zusammen. Und die dort genannten 200.000 qm werden seit vielen Jahren unverändert (und unbesehen?) von einer Jahresstatistik in die nächste übertragen.
aus Parkett Magazin 01/05 (Holz)