Alle reden vom Amazonas-Wald, aber wer kennt schon den Mata Atlantico?

Brasiliens Holzwirtschaft strebt aus dem Zwielicht in die Zukunft

Man muss nicht ins Amazonas-Ursprungsbecken oder die Tiefen des brasilianischen Urwaldes in der Provinz Mato Grosso eindringen, um am Beispiel des Tropenholz-Einschlages zu studieren, wie sich Menschen Natur aneignen und nutzbar machen. Um dies zu "erfahren", genügt eine Autofahrt auf der bestens ausgebauten Fernverkehrsstraße von Sao Paolo nach Tieté, einer 150 km nordöstlich gelegenen Stadt. Die Strecke führt fast ausschließlich durch Zuckerrohrplantagen soweit das Auge reicht. Fast ganz verschwunden ist der Atlantische Wald (Mata Atlantico), der sich hier an der Küste entlang und weit landeinwärts erstreckte. Von ihm sollen heute nur noch 7 Prozent erhalten sein.

Der Mata Atlantica verschwand innerhalb vergleichsweise weniger Jahrzehnte. Erst musste er dem Hunger ackernder Familien, dann dem Landhunger der Zuckerrohr anbauenden Großagrarier weichen. Die gleiche Problematik, der gleiche Prozess wiederholt sich heute im Amazonas-Ursprungsbecken, im Verlaufe des Flusses und in angrenzenden waldreichen Regionen. Der Unterschied: Der Mata Atlantico starb seinerzeit still und unbeachtet. Erst die Regenwald- und Tropenholz-Diskussion lenkte die Aufmerksamkeit auch auf den Mata Atlantico. Aber in den 18 Jahren ihres Bestehens, resümierte kürzlich die brasilianische Umweltorganisation SOS, verwechseln noch viele den Atlantik-Wald mit dem Amazonas-Wald. Zudem sei die Bevölkerung, bedauert SOS, "unaufgeklärt und nur an guten Straßenverhältnissen interessiert".

Täglich auf Seite 1: Der Amazonas-Wald

Bis auf den Rest von 7%, um dessen Erhalt jetzt im Wettlauf mit fortschreitender Vernichtung gekämpft wird, ist der Mata Atlantico verloren. Er ist nur noch einen Nachruf wert - oder das Nachdenken darüber, was auch aus dem brasilianischen Tropenwald werden kann, wenn man die Dinge schleifen lässt. Dieses Nachdenken findet inzwischen an exponierten Stellen statt, in Universitäten oder auf den ersten Seiten von Tageszeitungen. In den Tagen, als eine deutsche Händlergruppe dem brasilianischen Parketthersteller Indusparquet einen Informationsbesuch abstattete, kündeten verschiedene regionale und überregionale Tageszeitungen in Wort und Bild davon, dass die Diskussion über "Amazonien" und die Tropenholz-Thematik aktuell in vollem Gange ist. In engagierten Berichten und hitzigen Kommentaren tauchten deutliche Worte auf: Von "Biopiraterie" war die Rede, von kriminellen Praktiken im Kampf um Konzessionen und der Mitschuld der einheimischen Bevölkerung am "Amazonischen Desaster".

Gesetzgebung im Wandel

Möglich, dass die vergangenen Jahre, in denen Brasilien wegen seiner Tropenholz-Politik besonders an den Pranger gestellt worden ist, ein Umdenken und Umlenken eingeleitet haben. Es hat zumindest den Anschein, wie Prof. Ivaldo Pontes Jankowsky von der Universität S. Paolo seinen deutschen Zuhörern vermittelte. Er berichtete, dass die Gesetzgebung inzwischen deutlich darauf ausgerichtet sei, illegale und unkontrollierte Landnahme durch Wanderbauern, die sich durch Brandrodung in den Regenwald "hineinfressen", zu verhindern bzw. zu bestrafen. Noch gehe es jedoch nicht nur um Gesetze, sondern vorrangig um Macht: "Eine Hand wäscht die andere. Politiker geben Land und bekommen dafür Stimmen", kennzeichnete Jankowsky die Situation.

Nicht nur Korruption verschafft den Zugang zu Tropenholz. Jankowski sprach auch von "Abenteurern und Gangstern", die sich entweder heimlich und illegal im Wald festsetzen oder ihren legalen Waldbesitz weit über die zulässige Menge hinaus ausbeuten. Wegen begrenzter Kontrollmöglichkeiten sei illegaler Holzeinschlag in unzugänglichen Gebieten ein großes Problem, räumte der Redner ein. Dennoch sei es grundsätzlich als Fortschritt zu werten, dass inzwischen klar definiert ist, welches Holz nach dem Gesetz als legal oder illegal gelte. Die nächsthöhere Stufe sei dann die Zertifizierung.

Holz aus legalem Einschlag kann von staatlich legitimierten landwirtschaftlichen oder rein forstwirtschaftlichen Betrieben stammen. Ein offiziell als Landwirtschaft genehmigter Betrieb darf nicht mehr als maximal 20% seines Waldbesitzes abholzen, für einen konzessionierten forstwirtschaftlichen Betrieb gelten andere Bestimmungen bzw. Einschränkungen. Landwirtschaftliche Betriebe, die sich am oder im Regenwald ansiedeln, sollen so an fortschreitender Rodung gehindert werden. Forstwirtschaftliche Betriebe sind gehalten, möglichst keine großflächige Rodung, sondern Solitärentnahmen vorzunehmen.

Wegen mangelnder Kontrollen und trotz internationaler Prüfverfahren wächst die jährlich illegal vernichtete Waldfläche weiter. Bauern nutzen das Land für den lukrativen Sojaanbau und Konzessionäre setzen sich über Beschränkungen hinweg. 2005 sei, so berichtete Prof. Jankowsky, bisher keine einzige Erlaubnis zur Waldnutzung durch Einzelentnahme erteilt worden. Dennoch schreite die Tropenwaldvernichtung fort. Öffentliche Kritik richtet sich gegen unzulängliche Gesetzgebung und lasches Handling.

Brasilien verfügt über 20-25% der weltweiten Waldflächen

Brasilien verfügt über 5,6 Mio. qkm Waldfläche. 33,5% sind unterschiedlich beschaffen und genutzt (u.a. Landwirtschaft), 0,5% entfallen auf Plantagen, 66% auf die größte zusammenhängende Tropenwaldfläche der Erde, den Amazonaswald, sowie assoziierte Ökosysteme, den Mata Atlantico und die Caatinga- und Cerrados-Wälder im Nordosten bzw. Mittleren Westen. Bezogen auf die gesamte Staatsfläche sind 66% bewaldet, bezogen auf die ganze Erde, verfügt Brasilien über 20 - 25% der gesamten Waldfläche. Gleichzeitig ist das Land der größte Lieferant und Verbraucher von tropischem Holz. Von jährlich 14 Mio. cbm Holz aus dem Regenwald werden nur 20% exportiert und 80% im Lande genutzt - falsch, wie Prof. Jankowsky unterstrich. Veredelung und Wertschöpfung vor Ort seien unterentwickelt, betonte er und äußerte die Erwartung, dass ausländische Investoren die Entwicklung voranbringen könnten.

Etwa zeitgleich berichtete die deutsche Bundesagentur für Außenwirtschaft aus Brasilien über Forderungen nach einem nationalen Investitionsprogramm sowie nach Anwerbung ausländischen Kapitals und titelte: "Brasilien attraktivstes Land für Forstwirtschaft in Lateinamerika". Diese Bewertung ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID), die 26 Länder umfasst. Nach Brasilien an erster Stelle folgen Chile und Argentinien.

Trotz der positiven Bewertung sieht man in Brasilien noch viel Handlungsbedarf. Der Präsident des Brasilianischen Verbandes der Holzverarbeitenden Industrie (ABIMCI) hat darauf hingewiesen, dass sich die Branche derzeit aus privater Initiative modernisiere und bestrebt sei, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Von der Politik seien flankierende Maßnahmen zur Stimulierung der Investitionsbereitschaft zu fordern. Dazu gehöre eine Revision der Gesetzgebung zur Beteiligung ausländischen Kapitals in der Branche, das mit 15% im Vergleich zu anderen Ländern unterrepräsentiert sei.

Zusammen mit besseren Voraussetzungen für die Anwerbung ausländischen Kapitals fordert der ABIMCI eine "klare Politik zur forstwirtschaftlichen Entwicklung". Was hier konkret bemängelt oder gefordert wird, steht im Gegensatz zu mancher - auch gesetzlichen - Neuerrungenschaft, die Prof. Jankowsky hoffen lässt. Vom ABIMCI wird als hinderlich empfunden, dass für natürliche Wälder und Baumplantagen das Umweltministerium zuständig ist und nicht das Landwirtschaftsministerium. Ferner werden "eine teilweise absurde Gesetzeslage" und "übertriebene Bürokratie, die die Abwicklung forstwirtschaftlicher Projekte verzögert", kritisiert.
aus Parkett Magazin 04/05 (Holz)