Risse in zementgebundenen Industrieböden

Ist wirklich jeder Riss ein Mangel?

Risse in zementgebundenen Industrieböden sind ein Thema, das auf der Baustelle häufig und kontrovers diskutiert wird. Anhand des neu erschienenen Hinweisblattes "Risse in zementgebundenen Industrieböden" des Bundesverbandes Estrich und Belag e.V. (BEB) zeigt der Autor Roger Genz auf, wann ein Riss in einem Industrieboden einen Mangel begründet und wann nicht. Dabei wird neben der technischen auch die rechtliche Situation beleuchtet und in Kurzform auf mögliche Bearbeitungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen eingegangen.

Industrieböden sind oberflächenfertige Industrieestriche nach DIN 18560 Teil 7 und Nutzestriche nach DIN 18560 Teil 3 sowie Betonböden. Sie dienen als gewerbliche Nutzflächen mit unterschiedlichen Zweckbestimmungen bzw. daraus resultierenden Beanspruchungen. Diese Beanspruchungen können äußerst vielschichtig sein und müssen bis ins kleinste Detail dem Planenden und Ausführenden im Vorfeld bekannt sein. Bedeutend bei einem Industrieboden sind beispielsweise Schlag- und Stoßfestigkeit, Verschleiß, Ebenheit, Gleitsicherheit, Chemikalienbeständigkeit, Hygiene und Pflegeleichtigkeit. Von größter Bedeutung scheint jedoch nach wie vor der qm-Preis für die Herstellung eines Industriebodens zu sein.

Risse werden "kapitalisiert"

Die aktiv am Markt operierenden Bauunternehmer, Estrich- und Fußbodenhersteller stehen oftmals der Situation gegenüber, dass ihre Auftraggeber eine Mängelrüge wegen Rissen im Industrieboden (Estrich und/oder Beton) erteilen, obwohl diese Risse nicht immer einen Bauschaden bzw. Mangel darstellen.

In manchen Fällen kann sich die Situation derart entwickeln, dass aufgrund der vorhandenen Risse Minderungsansprüche geltend gemacht werden. Dieser Entwicklung zur "Kapitalisierung von Rissen", sollte mit einer entsprechend sach- und fachgerechten Aufklärung seitens der Betroffenen (Ausführenden) gegenüber möglichen Auftraggebern begegnet werden.

Dabei kommt es jedoch entscheidend auf den Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit dem möglichen Kunden an. Es sollte folglich nicht erst während eines Baustellentermins zwecks Besichtigung der bereits aufgetretenen Risse im Industrieboden, sondern bereits im Vorfeld, also vor Beginn einer möglichen Baumaßnahme bzw. Auftragsannahme, ein entsprechendes Gespräch geführt und die dazugehörigen technischen Informationen gegeben und erläutert werden.

Oftmals nehmen an diesen Gesprächen (z.B. Vergabeverhandlungen) neben dem eventuellen Kunden (Baulaie) auch Personen mit entsprechender Fachkenntnis (Architekten, Bauingenieure) als Bauherrenvertreter bzw. dessen Bevollmächtigte teil. Zusätzlich werden bei immer mehr Bauvorhaben bereits im Vorfeld Juristen zu Rate gezogen, so dass dies vorteilhaft von allen Beteiligten genutzt werden sollte, um gewisse Eigenschaften bzw. nicht zu vermeidende "Nebenwirkungen" im Vertrag zu erwähnen oder sogar ausdrücklich zu beschreiben.

Risse sind Prinzip der Bauweise

In der zuvor erwähnten Teilnehmerrunde ist zumindest dem Baufachmann seit vielen Jahren klar, und somit eigentlich als Stand der Technik anzusehen, dass Risse in Massivbauwerken eine für die Bauart spezifische Erscheinung und daher nicht zu vermeiden sind. Ein Bauwerk hat im Montage- und Endzustand bestimmte Lasten aufzunehmen. Diese werden vom Statiker bei der Berechnung in einer Lastermittlung erfasst und zusammengestellt. Die Lasten ergeben sich aus der Eigenlast der Bauteile, aus den Verkehrslasten durch den Nutzungszweck des Gebäudes und aus Wind und Schnee. In einer statischen Berechnung wird nachgewiesen, dass all diese Kräfte sicher auf den Baugrund übertragen und von diesem aufgenommen werden können.

Diese Kräfte belasten und verformen jedoch die Bauteile, so dass im Inneren des jeweiligen Werkstoffgefüges Spannungen hervorgerufen werden. Mineralische Baustoffe wie Beton und Mauerwerk sind zwar optimal für Druckbeanspruchungen, sie können jedoch nur äußerst geringe Zugspannungen aufnehmen. Aufgrund dieses Zusammenwirkens der Baustoffe innerhalb eines Bauwerks sind Risse nicht in jedem Falle zu vermeiden und können somit auch in Beton- und Estrichböden auftreten. Rissbildungen im Beton infolge planmäßiger Lasteinwirkungen und Verformungen gehören somit zum Prinzip der Bauweise und sind daher nicht grundsätzlich als Schaden oder Mangel einzustufen, sofern die Tragfähigkeit des betroffenen Bauteils (z.B. des Industriebodens) gewährleistet ist. Die Tatsache eines sichtbaren Risses in einem Bauteil lässt deshalb grundsätzlich noch nicht den Schluss zu, dass auch ein Schaden bzw. Mangel vorliegt.

Was steht in den Vertragsunterlagen?

Von großer Bedeutung bei der Beurteilung, ob der Riss denn nun einen Mangel begründet oder nicht, sind die der Ausführung zu Grunde liegenden vertraglichen Vereinbarungen. Die meist als Anlage zur Ausschreibung und zum Vertrag (z.B. Werklieferungsvertrag) dazugehörenden Unterlagen wie zusätzliche Vertragsbedingungen, allgemeine Vorbemerkungen und technische Vorbemerkungen werden häufig dazu genutzt, um beispielsweise eine Textpassage bezüglich der Rissfreiheit einzufügen.

Dies geschieht sogar nicht selten in Kenntnis der Tatsache bzw. wider besseres Wissen, dass eine Rissfreiheit in flächenhaften Bauteilen aufgrund bauphysikalischer Einflüsse und/oder chemischer Reaktionen innerhalb des Baustoffs nicht zu erreichen ist, und somit zur Unmöglichkeit der Leistungserbringung führt.

Im herrschenden Wettbewerb werden diese Textpassagen von Auftragnehmern überlesen oder nicht beachtet und können dann dazu führen, dass bereits im Zuge der Auftragsverhandlung oder bei der Auftragsannahme ein Mangel "produziert" wird. Man könnte diesen als "juristischen Mangel" bezeichnen, der zu einem späteren Zeitpunkt nach Ausführung und Auftreten von Rissen eventuell zu Streitigkeiten führt, wenn sich daraus tatsächlich ein so genannter "technischer Mangel" ableiten lässt.

Nämlich in dem Fall, wenn die Rissfreiheit des Industriebodens als Beschaffenheitsvereinbarung (nicht Qualität) im Bauvertrag enthalten ist. Das Vorhandensein von Rissen im Beton und/oder Estrich bedeutet in diesem Fall eindeutig eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit), nämlich rissfrei, zur Ist-Beschaffenheit (§ 633 BGB Sach- und Rechtsmangel), obwohl eine rissfreie Ausführung nach dem Stand der Technik fast unmöglich ist.

Entsprechend sind nachfolgend einige Kriterien aufgeführt, die von allen am Bau Beteiligten, seien es Handwerker, Bauunternehmer, Architekten, Ingenieure, Generalunternehmer oder Bauträger und auch möglicherweise tätige Sachverständige, bei der Beantwortung der Mangelfrage bezüglich aufgetretener Risse im Industrieboden beachtet werden sollten:

- Bauvertrag
- VOB -Verdingungsordnung für Bauleistungen-
- BGB -Bürgerliches Gesetzbuch-
- Leistungsverzeichnis
- Baubeschreibung
- Zusätzliche Vertragsbedingungen
- Allgemeine Vorbemerkungen
- Technische Vorbemerkungen
- Besondere Vereinbarungen (optisches Erscheinungsbild, "Rissfreiheit")
- DIN-Normen

Erscheinungsformen von Rissen

Wenn trotz größter Sorgfalt in allen Phasen der Planung und Ausführung Risse im Industrieboden auftreten, werden diese gemäß des BEB-Hinweisblattes "Risse in zementgebundenen Industrieböden" (Stand: Mai 2003) wie folgt unterteilt:

1. Trennrisse: Sind Bauteiltrennende Risse (Estrich und Bodenplatte) mit mehr oder weniger gerichtetem Verlauf, ohne oder mit geringen Verzweigungen.

2. Haarrisse (Krakeleerisse): Sind feine Oberflächenrisse mit geringer Tiefe.

3. Netzrisse: Sind maschengeflechtartige Risse mit größerer Rissweite als Haarrisse und eventuell bis zur Verbundzone reichend.

Die Unterscheidung dieser Rissarten ist zur Feststellung der eventuellen Einflussfaktoren von Bedeutung. Aufgetretene Risse können zum Beispiel die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit eines Industriebodens, und somit die gewerbliche Nutzung dieser Industriebodenfläche beeinträchtigen.

Ursache bestimmt Bearbeitung/Instandsetzung

Neben der Aufnahme des Rissbildes, also den Erscheinungsformen der Risse und den dadurch bedingten objektspezifischen Einflussfaktoren, muss vor einer eventuellen Bearbeitung von Rissen grundsätzlich die Ursache der Rissbildung analysiert werden. Es ist zwingend zu untersuchen, ob eine vorhandene Rissbildung durch einmalige Überbeanspruchung (z.B. abfließende Hydratationswärme bei massigen Bauteilen oder zu hoher Lasteinwirkung während der Bauphase) oder durch wiederkehrende Beanspruchungen (Last oder Temperaturänderungen) entstanden ist. In dem Fall der wiederkehrenden Beanspruchung besteht die Gefahr, dass der Beton oder Estrich neben einem kraftschlüssig verfüllten Riss erneut reißt. Falls sich die zur Rissbildung geführten Ursachen nicht beseitigen lassen, muss die dauernde Rissbreitenänderung konstruktiv berücksichtigt werden, z.B. durch die nachträgliche Ausbildung einer Bewegungsfuge. Basierend auf den Kenntnissen der Ursachen der Rissbildung ist eine Entscheidung über notwendige und Erfolg versprechende Sanierungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen zu treffen.

Für den Fall einer Rissbearbeitung sollen zur Klarstellung zunächst die Begriffe Instandhaltung und Instandsetzung anhand der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) erläutert werden. Wirtschaftlich gesehen bedeutet Instandhaltung die Beseitigung kleinerer Schäden am Anlagevermögen (Gebäude, Produktionshalle). Nach § 3 der HOAI versteht man hierunter alle Maßnahmen zur Erhaltung des zum bestimmungsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustandes (Soll-Zustand).

Unter Instandsetzung versteht man bei wirtschaftlicher Betrachtung die vollständige Überholung von Gegenständen des Anlagevermögens (z. B. Produktionshalle mit Industriefußboden), um diese wieder in einen gebrauchsfähigen Zustand zu versetzen. Nach der HOAI sind dies Maßnahmen zur Wiederherstellung des zum bestimmungsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustandes (Soll-Zustand) eines Objekts.

Für den Fall, dass die Trag- oder Gebrauchsfähigkeit des Industriebodens eingeschränkt ist, sind die möglichen Bearbeitungsmaßnahmen in Abhängigkeit der Erscheinungsform der Risse auszuwählen.

Bearbeitungsmaßnahmen

1. Im Falle von Haarrissen (Krakeleerissen): Aufgrund dieser meist sehr feinen Risse ist die Gebrauchsfähigkeit eines Industriebodens bzw. oberflächenfertigen Belages im Allgemeinen nicht beeinträchtigt und erfordert somit keine Bearbeitung.

2. Im Falle von Netzrissen: Wenn diese Risse in Abhängigkeit der jeweiligen objektspezifischen Nutzung eine Bearbeitung erfahren sollen, empfiehlt sich ein kraftschlüssiges Schließen oder Verfüllen mit Reaktionsharzen. Weiterhin ist für die Bearbeitung von Bedeutung, ob es sich um "sehr feine" oder "feine" Risse handelt. In dem ersten Fall können diese sehr feinen Risse nach sorgfältiger Reinigung und Entstaubung durch kapillare Saugwirkung mit besonders niedrigviskosem Reaktionsharz verfüllt werden. Bei Verwendung eines hocheindringfähigen Reaktionsharzes können eventuell im Zuge eines flächigen Auftrages mit geeigneten Farbrollern, diese sehr feinen Risse verfüllt werden (Tiefenimprägnierung). In dem zweiten Fall erfolgt der Auftrag des Materials entweder mit einem schmalen Pinsel oder einer Gießflasche in die zuvor gereinigten und von Staub befreiten feinen Risse. In beiden Fällen führt jedoch die Bearbeitung bzw. die Durchführung einer derartigen Instandsetzungsmaßnahme im Allgemeinen zu einer weiteren Beeinträchtigung des optischen Erscheinungsbildes.

3. Im Falle von Trennrissen: Bei Trennrissen, die nicht mehr in Bewegung sind, kann die nachfolgend beschriebene Instandsetzungsmaßnahme sinnvoll sein: Nach oberseitiger Erweiterung des Risses durch Auskratzen oder maschinelles Einschneiden sind die Rissflanken zu reinigen und zu entstauben. In Abhängigkeit der Rissbreite und wiederum der objektspezifischen Nutzung, kann anschließend entweder eine Feinstzement-Suspension (gemäß der ZTV-SIB, zusätzliche Technische Vertragsbedingungen für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen) oder aber ein geeigneter Reaktionsharzmörtel oberflächenbündig eingefüllt werden. Trennrisse, bei denen weiterhin mit Bewegung zu rechnen ist, können nicht kraftschlüssig verfüllt werden.

Beurteilung der Beeinträchtigung

Wenn eine Beeinträchtigung der technischen Eigenschaften durch die Rissbildung ausgeschlossen werden kann oder aber so gering ist, dass eine Nachbesserung nur mir erheblichem Aufwand verbunden bzw. nicht angemessen ist, verbleibt die Beurteilung der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes. Bei optischen Beeinträchtigungen steht generell die Frage im Vordergrund, welche Störwirkung z.B. Farbabweichungen, Verschmutzungen und kleinere Beschädigungen auf einen Betrachter haben. Derartige Beeinträchtigungen sind nach dem Grundsatz der gebrauchsüblichen Bedingungen eines flächenhaften Bauteils (horizontale Betonoberfläche) zu beurteilen. Das bedeutet, dass die Beurteilung aus einem Betrachtungsabstand zu erfolgen hat, der bei der Nutzung üblich ist - eventuell auch unter Beleuchtungsbedingungen.

Zusätzlich zu dieser Vorgehensweise muss die optische Bedeutung des Rissbetroffenen Bauteils berücksichtigt werden. Diese wird bei einem Industrieboden (Beton oder Estrich), der entsprechend industriell genutzt wird, geringer zu beurteilen sein, als bei einem Industrieboden, in gleicher Art und Weise hergestellt, der jedoch als so genannter "Design-Boden" im Objekt eine gestalterische Funktion zu erfüllen hat. Bei allen möglichen Fällen ist jedoch immer der Individual-Fall von entscheidender Bedeutung. Zur Ermittlung eines eventuellen Minderwertes, muss das Bewertungsergebnis der untersuchten Werkleistung (Industrieboden), nämlich die Ist-Beschaffenheit der Soll-Beschaffenheit (Vertrag) gegenübergestellt werden.

Vergleich Ist- und Soll-Beschaffenheit

Die Kriterien zur Ermittlung des Minderwertes ergeben sich dabei im Wesentlichen aus den vertraglichen Vereinbarungen. Dies kann dann unter Umständen jeweils im Individualfall dazu führen, dass zum einen tatsächlich ein Mangel vorliegt, und zum anderen, dass der Riss im Industriefußboden keinen Mangel darstellt und somit eine Minderung des vereinbarten Vergütungsanspruchs nicht gerechtfertigt ist.

Fazit: Nicht jeder Riss ein Mangel

Als Fazit bleibt somit festzuhalten, dass das Entstehen von Rissen in zementgebundenen Industriefußböden wegen der Komplexität der möglichen Ursachen und Zusammenhänge, sowie durch baustoffbedingte chemische Reaktionen innerhalb solcher zementgebundener Bauteile, nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Risse begründen keinen technischen Mangel, sofern die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit des betroffenen Bauteils nicht beeinträchtigt wird, und in den zur Ausführung gehörenden Vertragsunterlagen nicht ausdrücklich eine Rissfreiheit vertraglich vereinbart wurde.
aus FussbodenTechnik 04/03 (Bodenbeläge)