Diskussion über das geplante staatliche Umweltzeichen für Bodenbelags-Klebstoffe

"Blauer Engel" contra Emicode EC1

In Ausgabe 1/2003 berichteten wir unter der Überschrift "Absage an den Blauen Engel" über eine Pressemitteilung des Industrieverbandes Klebstoffe (IVK), in der die Pläne des Umweltbundesamtes (UBA) kritisiert wurden, in Kürze ein staatliches Umweltzeichen für Bodenbelags-Klebstoffe einzuführen. Nach Ansicht der organisierten deutschen Klebstoffhersteller ist der geplante "Blaue Engel" ein Versuch, die mit der Produktklassifizierung Emicode EC1 geschaffenen Umweltstandards jetzt "als eigene Idee zu verkaufen". Sie kündigten vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit mit dem UBA auf. Als Reaktion auf die Veröffentlichung erreichten uns mehrere Stellungnahmen und Pressemitteilungen von Seiten der Befürworter eines staatlichen Umweltzeichens. Wir
geben sie im Wortlaut wider, damit sich unsere Leser ein eigenes Bild vom aktuellen Stand der Diskussion machen können.

Umweltbundesamt, Berlin

Blauer Engel für Bodenbelags-Klebstoffe wird kommen

Die in den Klebstoffen für Bodenbeläge enthaltenen organischen Lösemittel sowie Weichmacher und andere Inhaltsstoffe können Umwelt und Gesundheit belasten. Dies ist besonders problematisch, weil solche Kleber in Innenräumen eingesetzt und darüber hinaus sehr großflächig verarbeitet werden. Die Folgen können unter anderem Schleimhautreizungen, Kopfschmerzen sowie als störend empfundene Geruchswahrnehmungen sein. Nach Ansicht des Umweltbundesamtes (UBA) lässt sich das Gesundheitsrisiko jedoch erheblich verringern: Inzwischen sind Klebstoffe für Bodenbeläge auf dem Markt, die als emissionsarm bezeichnet werden können.

Diese Produkte sind bislang äußerlich nicht von herkömmlichen Dispersionsklebstoffen unterscheidbar. Eine bessere Information der Verbraucherinnen und Verbraucher ist also notwendig. Dies zeigen die Ergebnisse von Untersuchungen der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) im Auftrag des UBA. Auf Basis dieser Untersuchungen wird für das Jahr 2003 ein neues Umweltzeichen "Blauer Engel" für emissionsarme Bodenbelagsklebstoffe angestrebt. Der wissenschaftliche Entwurf einer Vergabegrundlage für den Blauen Engel wird im Frühjahr mit den beteiligten Kreisen diskutiert und der Jury Umweltzeichen zur Entscheidung vorgelegt.

Obwohl der Einsatz von Lösemitteln bei Bodenbelags-Klebstoffen in den vergangenen Jahren drastisch reduziert wurde, verbleiben gravierende Unterschiede bei Weichmachern und anderen hochsiedenden Bestandteilen. Die BAM hatte im Auftrag des UBA emissionsarme Klebstoffe und Bodenbeläge untersucht und damit eine Grundlage für die Bewertung emissionsarmer Klebstoffe für Bodenbeläge geschaffen. Das neue Konzept orientiert sich an dem vom Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten (AgBB) entwickelten Bewertungsschema, das von Wissenschaftlern und Vertretern verschiedener Bundes- und Länderbehörden zur Umsetzung des 1992 erlassenen Bauproduktengesetzes erarbeitet wurde (nähere Infos hierzu gibt es im Internet unter: "www.umweltbundesamt.de"). Ziel des AgBB ist eine einheitliche und nachvollziehbare gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten in Deutschland - besonders im Hinblick auf die Emissionen flüchtiger organischer Stoffe.

Die Klebstoffindustrie und die von ihr gegründete Gemeinschaft emissionskontrollierter Verlegewerkstoffe (GEV) waren an der Steuerungsgruppe zum Forschungsvorhaben der BAM aktiv beteiligt, um gemeinsam die Entwicklung und Prüfung emissionsarmer Bodenbelags-Klebstoffe zu fördern. Die gute Zusammenarbeit wurde im Sommer vergangenen Jahres von der Klebstoffindustrie aufgekündigt, da sie nach eigenen Aussagen an einer Kennzeichnung ihrer Produkte mit dem Blauen Engel nicht interessiert ist.

Für eine Reihe von Produkten, aus denen gesundheits- und umweltschädliche Stoffe frei werden können, existiert derzeit bereits die Möglichkeit einer Auszeichnung mit dem Blauen Engel (weitere Informationen gibt es im Internet unter: "www.blauer-engel.de"). So sind Parkett und Laminatböden, Möbel, Lacke und Dispersionswandfarben mit dem Blauen Engel erhältlich. Auch für Linoleum kann das Umweltzeichen seit kurzem beantragt werden. Damit ausgezeichnete Produkte sind derzeit allerdings noch nicht im Handel. Blaue Engel für weitere Produktgruppen, die die Innenraumluft möglichst wenig mit Emissionen belasten und damit ein gesundes Wohnen ermöglichen, sind geplant.

Umweltbundesamt, Berlin
(Anm. d. Redaktion: Das Umweltbundesamt ist dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit unterstellt und für die Festlegung der Vergabekriterien für das staatliche Umweltzeichen "Blauer Engel" zuständig.)

Klebstoff-Hersteller Wulff, Lotte

Blauer Engel bedeutet höhere Sicherheit

Der Industrieverband Klebstoffe in Düsseldorf hat in einer kürzlich veröffentlichen Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass der Lösemittelverbrauch im Jahr 2001 um 10 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen ist - eine sehr zu begrüßende Tatsache. Gleichzeitig wird in der Veröffentlichung behauptet, dass die Behörden - gemeint ist das Umweltbundesamt in Berlin - die von der Klebstoffindustrie erarbeiteten Umweltstandards aufgegriffen hätten und als eigene Idee verkaufen wollen.

Dazu ist aus unseres Sicht folgendes anzumerken: Als sich die GEV (Anm. d. Redakt.: "Gemeinschaft emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe" - zuständig für die Vergabe der Emicode-Produktkennzeichnung) im Jahr 1997 gründete, gab es bereits beim Deutschen Teppich-Forschungsinstitut (TFI) in Aachen Kammerprüfungen auf flüchtige organische Substanzen. Das Landes-Hygiene-Institut in Greifswald betreibt diese Kammerprüfungen schon seit rund 30 Jahren und ist sicherlich eines derjenigen wissenschaftlichen Institute, das über die langjährigsten Erfahrungen auf dem Gebiet der Raumluftanalyse verfügt. Die wichtigsten Grundlagen, die in der GEV-Prüfung zusammengetragen wurden und in Form der sogenannten Emicode-Klassifizierung dann veröffentlicht wurden, sind also bereits viel früher erarbeitet und standardisiert worden, als es jetzt in der Pressemitteilung des IVK dargestellt wird.

Wenn nun das Umweltbundesamt den Blauen Engel vom RAL vergeben lassen will und dafür die Standards schafft, so will man damit ein Zeichen vergeben, das als Klassiker des produktbezogenen Umweltschutzes bereits seit 1978 vielfach vergeben wurde und beim Endverbraucher eine hohe Akzeptanz gefunden hat.

Außerdem sind die Vergabekriterien für den Blauen Engel vom Bundesumweltamt deutlich schärfer gefasst, als es zur Zeit bei der GEV-Prüfung der Fall ist. So sollen zum Beispiel die Emissionswerte bei der Kammerprüfung bereits am 3. Tag den Wert von 2.000 g/m3 unterschreiten und nicht noch teilweise erheblich darüber liegen, wie Untersuchungen an EC1-Klebstoffen durch das Umweltbundesamt ergeben haben. Nach 28 Tagen Kammerprüfung soll dann der gemessene VOC-Wert nicht höher als 200 g/m3 liegen.

Das bedeutet letztendlich eine noch höhere Sicherheit für den Verarbeiter und den Endverbraucher hinsichtlich Geruchsneutralität und Emissionsbelastung. Man könnte auch sagen, dass das Umweltbundesamt hier noch mehr "Responsible Care" durchsetzen will - und das sollte doch eigentlich auch im Sinne der Klebstoffindustrie sein, die gern ihre Verantwortung darstellt.

Ernst Dieckmann, Wulff-Geschäftsführer, Lotte
(Anm. d. Redakt.: Wulff gehört zu den Antragstellern für einen "Blauen Engel" im Bereich Bodenbelags-Klebstoffe beim Umweltbundesamt.)

Landes-Gesundheitsamt M-V, Greifswald

Blauer Engel entspricht mehr den Verbraucher-Anforderungen

Der vom Industrieverband Klebstoffe inszenierte Streit um angebliche Urheberrechte auf Umweltstandards - hier das System "Emicode" - ist nur schwer zu verstehen. Anstatt gemeinsam mit den Umweltbehörden und anderen Fachleuten an der Entwicklung solcher Standards zu arbeiten, zieht man sich in die Schmollecke zurück und verweigert die Zusammenarbeit. Riskiert man nicht so, in den Verdacht zu kommen, dass es vorrangig gar nicht um solche Standards geht, die den Erfordernissen der Praxis und insbesondere eines umfassenden Gesundheitsschutzes gerecht werden?

Es ist ja zu begrüßen, dass sich der Industrieverband Klebstoffe nach jahrelangem Zögern Mitte der 90er Jahre überzeugt sah, anzuerkennen, dass nicht nur unerwünschte Emissionen von seinen Produkten ausgehen können, sondern dass man auch ganz gezielt etwas zur Produktdeklaration und Reduzierung von emissionsbedingten Belastungen in Innenräumen tun muss. So wurde 1997 mit dem Emicode-System ein produktintegriertes Prüf- und Bewertungssystem für Verlegewerkstoffe geschaffen. Dies ist nicht nur Ausdruck dafür, dass ein Umdenkprozess stattgefunden hat, sondern gibt gleichzeitig auch all den Herstellern recht, die bereits Jahre zuvor eine umfassende Untersuchung und Bewertung der Emissionen ihrer Produkte durchführen ließen - mit der Zielvorstellung, dem Verbraucher möglichst emissionsarme Verlegewerkstoffe zur Verfügung stellen zu können.

Solche Untersuchungsleistungen wurden auch für andere Produkte bereits deutlich vor Schaffung des herstellerinternen Emicode-System von verschiedener Seite angeboten und durchgeführt. Erinnert sein hier nur an die diesbezüglichen Arbeiten im Hygiene-Institut Greifswald, das als eine der ersten (behördlichen) Institutionen Emissionsuntersuchungen und -bewertungen einschließlich der Zertifizierung von Materialien des Bau- und Möbelsektors in dem 1981 gegründeten Referenzlabor vornahm.

Hier wurden die unterschiedlichsten Produkte und Materialien, darunter auch Kleber für Bodenbeläge, nach damals schon vereinheitlichten Untersuchungs- und Bewertungsmethoden untersucht, die nicht nur multilateral abgestimmt, sondern auch verbindlich für alle RGW-Länder waren (Staaten des Ostblocks im sogenannten "Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe").

Die heute noch üblichen Prüfkammer- und Prüfraumuntersuchungen an Einzelmaterialien sowie an komplexen Materialzusammenstellungen, flankiert von toxikologischen Untersuchungen und weiteren zur umfassenden Charakterisierung der Emissionen, wurden hier also schon frühzeitig durchgeführt. Dabei wurden für die Zertifizierung sehr strenge Bewertungsmaßstäbe herangezogen bei gleichzeitiger Offenlegung der Untersuchungsergebnisse. Letzteres ist insbesondere für einen aus gesundheitlicher Sicht planbaren Materialeinsatz unabdingbar.

Im Vergleich dazu verzichtet das Emicode-System - aus welchen Gründen auch immer - ausdrücklich auf die Offenlegung der Messergebnisse, was einer gezielten Material- und Produktauswahl im Wege steht; sie in besonders schwerwiegenden Fällen sogar unmöglich macht (z.B. Materialauswahl für Räume mit erhöhten gesundheitlichen Anforderungen wie für Allergiker, Kranke, Schwache).

Spätestens in diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob diese Einschränkungen die vielleicht guten Absichten, die mit der Schaffung dieses Klassifizierungssystems zunächst verfolgt wurden, nicht so weit geschmälert werden, dass über ein den Anforderungen der Verbraucher besser angepasstes System nachgedacht werden muss. Man darf unterstellen, dass genau dies ein wichtiger Grund für das Umweltbundesamt war, unter Einbeziehung von Fachleuten aus den verschiedensten Bereichen einschließlich des Kleberverbandes, hier einen Beitrag mit dem jetzt vorliegenden Entwurf für ein Umweltzeichen für emissionsarme Bodenbelagsklebstoffe und andere Verlegewerkstoffe zu leisten.

Dr. rer. nat. Jürgen Bremer, Landes-Gesundheitsamt Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald
(Anm. d. Redakt.: Dr. Bremer gehört dem Expertengremium an, das mit der Ausgestaltung der Vergabevoraussetzungen für den "Blauen Engel" für Bodenbelags-Klebstoffe befasst ist.)
aus FussbodenTechnik 02/03 (Bodenbeläge)