Neue Möglichkeiten für Luftspitze

Natürlich Abstrakt


Halle/Auerbach - Delia E. Münch, vergangenes Jahr Absolventin der Hochschule für Kunst und Design in Halle/Saale, erhielt für ihre Diplomarbeit zum Thema "Natürlich Abstrakt" die Bestnote.

Was die Angelegenheit für die Leserschaft der "Haustex" interessant machen dürfte ist der Umstand, dass die Studentin den gestalterischen Teil an der Technik von Gesticken abhandelte; experimentell und konkret erarbeitet am Beispiel neuester Computer gesteuerter Verfahren der Firma ZSK Krefeld. Hinsichtlich der entsprechenden Maschine gewährte das im vogtländischen Auerbach ansässige Ingenieurbüro Möckel praktische Hilfe.

Die Diplomandin beabsichtigte in ihrer Arbeit zu belegen, dass aus der Grundtechnik der Stickerei heraus mehr zu erreichen ist als nur die modernisierte Nachahmung historisch vorgegebener Ausdruckswerte und ihrer scheinbar unendlich beliebigen motivlichen Variierbarkeit. In dem Zusammenhang Prof. Wieland Poser, Leiter des Fachbereichs Design der Hallenser Hochschule: "Der Historismus, bekanntlich schon vor über 100 Jahren beendet, wirkt in der gegenwärtigen Praxis weiter. Ausdrucksmäßig gelten für gestickte Produkte derartige Leitbilder noch immer. Aber alle kulturellen Rahmenbedingungen haben sich inzwischen geändert. Eigenartigerweise sind die Ansichten, die diese geheiligten Ziele der Nachahmung als unumstößlich zementiert erscheinen lassen, konstant geblieben, so dass dem Anliegen der Erneuerung Erfolg gewünscht werden muss ... Kaum durchdringend sind bisher Ziele verfolgt worden, die neue Ausdruckswerte sowie neue kulturelle Bestimmungen zum Inhalt hätten; natürlich gemeint in dem Wirtschaftszweig selbst."

Ihren Gestaltungsansatz hatte Delia E. Münch in der bei der Tischdeckenfertigung häufig angewandten Technologie der Luftstickerei angesiedelt, bei der nach dem Stickvorgang der Stickgrund entfernt wird. Zuvor sind hier Fäden zu Flächen zusammengefügt worden. Beginnend mit dem kleinsten Element, der einzelnen Stichlage, entwickeln sich Konstruktions- und Gestaltungsmöglichkeiten; durch verschiedenartige Ordnung der Stichlagen entstehen unterschiedliche textile Anmutungen. Im Zuge von Natürlich Abstrakt wurden offene Konstruktionen geschaffen, "die dem Betrachter Einblick geben auf die Grundelemente... Fadenbeziehungen werden sichtbar; durch Volumen und Raumreaktionen entstehen Textilien, deren Aspekte von Fläche und Raum erlebt werden können."

Für die praktische Umsetzung stand der Diplomandin dankenswerter Weise Dipl. Ing. Rolf Möckel mit einem der modernsten ZSK-Automaten zur Seite. Sie war dort über 275 Stunden kostenfrei experimentierend und formend tätig; formulierte Skizzen und Erzeugnisentwürfe, um neue stickereitypische Aussagen zu erlangen. Das Ergebnis im Urteil Prof. Posers: Stickerei nicht dekorativ aufgefasst und nicht gefolgt dem Ansatz, dass man Stickerei sofort erkennen müsse. So habe sie mit ihren Arbeiten für die Luftstickerei eigene neue, jedoch auch urtypische Ausdruckswerte entwickelt.

"Somit wurde mit Natürlich Abstrakt eine Perspektive beschrieben...", sagt Delia E. Münch. Den der Thematik scheinbar innewohnenden Widerspruch hat sie aufgelöst und vermeintliche Grenzen der Stickerei - wie sie von manchem Hersteller in der Stickereibranche fast schon als erreicht gesehen werden - ein Stück weit in die Zukunft verschoben.
aus Haustex 01/05 (Haustextilien)