Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Es ist zwar wichtig, auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner" möglichst mit Ja antworten zu können. Doch alles kann man gar nicht wissen. Etliches muss auch der versierte Fachmann nachschlagen, zum Beispiel im Orientteppich-Kompass mit seiner umfangreichen Fachterminologie. Diese Ratespiel dient also allen dazu, sich ständig weiterzubilden. Wohl auch, sich mal ein wenig selbst zu prüfen. Ein Fachwissen ohne Lücken gibt es nun mal nicht. Daher sind diese Fragen und Antworten ein guter und vor allem ein amüsanter Meilenstein. Wie immer versuchen wir ein Mix anzubieten zwischen Zeitgenössischem, Neuem und historischem Teppichwissen. Auch da gibt es hin uns wieder neue Erkenntnisse, die zu berücksichtigen sind. Schließlich ist der Orientteppich ein Produkt das lebt und das zugleich auf eine ungeheuer lange Historie und Tradition verweisen kann. In dieser Hinsicht gibt es weltweit keine annähernd vergleichbare Handarbeit. Eine, die zudem prägend für die jeweilige Einrichtung ist und dort meist sogar die Führung übernimmt.


Basadar - Fundort des ältesten Teppichfragments der Welt

Bald nachdem Ende der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts die Funde des berühmte Skytenkurgarn von Pazyryk die Wissenschaft in Erstaunen versetzten, gruben die Archäologen auch in einer etwa hundertachtzig Kilometer westlichen gelegenen Region des Altaigebirges. Die Funde in der Region Basadar sind ebenfalls sehr eindrucksvoll und wurden etwas älter datiert. Zwar meinte man, mit dem mit Pazyryk-Teppich bereits das älteste Knüpfobjekt entdeckt zu haben. In Basadar wurde die Wissenschaft aber eines besseren belehrt. Eingenäht in das zu den Begräbnisutensilien gehörende Sattelzeug im Großkurgan II mit seinem gewaltigen Durchmesser von etwa zweihundert Metern, fanden die Ausgräber ein Knüpfteppichfragment, das etwa hundertfünfzig Jahre älter ist als der Pazyrykfund. Noch erstaunlicher: Es hat bereits die immense Knüpfdichte von circa siebenhunderfünfzigtausen Knoten pro Quadratmeter und belegte erneut, daß die Knüpfkunst schon im Altertum in vollendeter Blüte stand.


Grundgewebe - Kette und Schuss eines Orientteppichs

Das Grundgewebe eines Orientteppichs ist gewissermaßen sein Fundament. Zu Beginn wird die Kette aufgebäumt, wie der Fachmann sagt. Nach einigen Vorweben - Kette und Schuss kreuzen sich im Winkel von 90, so dass fachlich korrekt ausgedrückt eine so genannte Leinwandbindung entsteht - beginnt das Eintragen der Knüpfknoten. Das Grundgewebe entsteht also erst im Verlauf des Knüpfvorgangs und ist ein Zusammenspiel von Kette, Schuss und Knotenreihen. Die Knüpfer bauen den Teppich somit Querreihe für Querreihe auf, ähnlich wie bei einem Gewebe.


Kalligraphie - Schönschreibkunst

Kalligraphie ist ein aus dem Griechischen hergeleitetes Fremdwort für Schönschreibkunst. In den arabischen Schriftformen betont sie insbesondere die aufstrebenden Hasten der beiden Grundschreibelemente "Alif" und "Lam". Wegen des Bildermeidens im Islam wird die ornamentale Kunst, besonders in ihren Schönschriftformen der arabischen Schriften auch als religiöses Element empfunden und dementsprechend gepflegt. Kalligraphische Schriftzüge tauchen relativ oft auch in Orientteppichen auf.

Zu den bedeutendsten Schriften gehören Kufi, Nastalik, Neschi mit seiner Abart des Sulus (Arabisch: Sülüs), Muhaggak, Raihani, Rikah, Talik, Tuluth und Tauwki. Aus dem Neschi leitet sich das zeitgenössische Talik her, die heutzutage im Iran gebräuchliche Schrift. Die Schriften hatte ihre Schwerpunkte in folgenden Jahrhunderten: Kufi im 7.-10., Nastalik im 16.-18. und Sulus im 19.-20.


Kartusche - Umrahmtes Musterteil in Bordüren oder Innenfeld

In diesem Zusammenhang ist in der Kartusche ein schildartiges, in sich geschlossenes Musterdetail zu verstehen, das überwiegend als Primärornament in Bordüren, aber auch als Namens- oder Gedicht-, beziehungsweise Verskartusche in Orientteppichen zu finden ist.


Nimbaff - Orientteppich, der teilweise geknüpft und gewebt ist

Das persische Wort Nimbaff setzt sich zusammen aus nim = halb und baf = Teppichknoten/geknüpft, bedeutet also soviel wie "Halbgeknüpfter". Unter der Bezeichnung Nimbaff sind orientalische Teppich zu verstehen, die teilweise geknüpft und teilweise gewebt sind. Die Webanteile sind meist in Kelim- oder Soumachtechnik gearbeitet. Im Iran wird der Begriff Nimbaff auch für geschlungene Teppiche verwendet. Vergleichbare Knüpf-Webkombinationen werden in Afghanistan Golbadjeste genannt.


Paschtunen - in Afghanistan und Pakistan lebendes Volk

Die der sunnitischen Richtung des Islam angehörenden Paschtunen sind die Knüpfer der unter der Provenienzbezeichnung Wasiri angebotenen, afghanischen Orientteppiche. Neuerdings knüpfen sie jedoch auch Ziegler-Dessins und andere, derzeit gefragte Muster.

Mit etwa neun Millionen (ca. 38%) stellen die Paschtunen in Afghanistan die größte Volksgruppe. Zu ihr gehört auch der afghanische König, Sahir-Schah. Zwar leben sie über ganz Afghanistan verstreut, siedeln schwerpunktmäßig jedoch im Südosten des Landes, mit ihrer Provinzmetropole Kandahar als Zentrum. Allerdings erstreckt sich ihr Siedlungsgebiet bis weit nach Pakistan hinein, wo sie Pathanen genannt werden. Ihre Metropole ist Peschawar, das während der Zeit der Flüchtlingsläger Hauptumschlagsbasar für die dort gefertigten Torientteppiche war.

Die als äusserst kriegerisch bekannten Paschtunen-Stämme widerstanden selbst den kampfstarken, britische Kolonialarmeen, denen es nicht gelang, Afghanistan zu unterwerfen. 1839 erfolgte durch die damals in Indien herrschenden Briten die so genannte Duran-Grenzziehung (2.430 km). Sie teilte das Volk der Paschtunen/Pathanen ohne Rücksicht auf Stammesbande Nomadengepflogenheiten in zwei Nationen. Viele Paschtunen, insbesondere die als Viehzüchternomaden wandernden Sippen, erkennen die aus ihrer Sicht willkürliche Grenzziehung auch heute noch nicht an. Etliche profitieren dennoch von ihr und ziehen beträchtliche Profite aus dem auf beiden Seiten blühenden Schmuggel.

Die in Pakistan "tribal areas" genannten Stammesgebiete sind weitestgehend autonom. Pakistanische Gesetze werden hier nicht beachtet. Die paschtunische Gesellschaft richtet sich noch durchweg an den Jahrhunderte alten Stammesgesetzen aus, dem Paschtunwali. Nach diesem archaisch anmutenden Ehrenkodex steht die Ehre des Stammes und der Familie über allem. Die Frau ist dem Mann absolut untertan und genießt nicht einmal die Rechte des Islam. In dieser noch mittelalterlich geprägten Gesellschaft ist Gastfreundschaft heilig. Sie zu gewähren gilt den Stämmen als als Ehre, sie zu missbrauchen oder gar zu brechen wäre ein Sakrileg.


Sirchaki - Auch Ausgrabungsmuster genannt

Das provenienztypische Sirchaki-Dessin kommt ausschließlich im Kaschmar-Teppich, Ost-Persien, vor. Ein massiv geknüpfter, hochfloriger, volumiger Orientteppich mit Knüpfdichten zwischen 180.000 bis 250.000 Knoten/qm. Dem Verfasser sind allerdings auch Sirchaki-Dessins in einem Sarough und eine gut gelungene Nachknüfung aus Indien bekannt. Aufgrund der immer häufiger werdenden Mustertransfers wird es ständig problematischer, Grundsatzaussagen hinsichtlich lokal gebundener Muster zu treffen.

Da in diesem unverwechselbaren Dessin antike Vasen, Krüge, Schalen, Schwerter, Streitäxte, sowie andere Waffen und Gegenstände recht naturgetreu abgebildet sind, wird es allgemein als Ssirchaki = (sehr frei übersetzt) Ausgrabungsmuster bezeichnet. Es erscheint fast immer in vierersymmetrischer Aufteilung. Längssymmetrische Musterkonzepte und allover gemusterte Ssirchaki-Dessins als auch Brückenformate sind sehr selten. Es ist überaus reich und dicht appliziert mit Floralornamenten wie Shah Abbas-Blüten, Ranken und Arabesken, stilisierten Blumen, Blättern und Pflanzen und wird zentral von einem Medaillon geschmückt.

Um dieses reihen sich manchmal die zwölf Tierkreiszeichen. In einigen Teppichen, vorwiegend in den Bordüren, aber auch im Medaillonkranz, sind manchmal Schriftkartuschen und Porträts klassischer, persischer Dichter und Herrscher abgebildet.


Safran - Gelben Farbstoff enthaltende Krokusart

Der Name Safran ist hergeleitet vom arabischen zafaran, zu Deutsch: gelbe Farbe. Er wird bereits auf akkadischen Tontafel aus dem zweiten Jahrtausend v. Chr. erwähnt und ist damit einer der ältesten Farbstoffe der Welt. Sein gelber Farbstoff Crocin wird aus den Blütennarben verschiedener Krokusarten gewonnen, insbesondere aus denen des Crocus sativus. Die kleinen Blumen werden im Vorderen und Mittleren Orient, in Spanien, aber auch in den Höhenlagen des Schweizer Kanton Wallis angebaut. Mittels Extraktion erhält man eine gelbe Lösung. Der Kilopreis für getrocknete Safranfäden lag 2003 bei etwa zweitausend Euro.

Safran ist nicht nur ein hochgeschätzter Farbstoff, sondern wird auch als Gewürz verwendet. Es färbt Speisen hellgelb bis orange. Ferner dient er beim Backen als Treibmittel. Bekannt ist der Ausspruch: "Safran macht den Kuchen gehl." Da Safran zu den direktfärbenden Farbstoffen gehört, ist kein Vorbeizen erforderlich.

Gelb war im alten China die allein dem Kaiser vorbehaltene Farbe und von daher ein äusserst wichtiges Machtsymbol. Sie stand zugleich für Glückseligkeit, Ruhm und Weisheit. In Persien symbolisiert gelb Lebenskraft, in Indien Glückseligkeit und Reinheit. Bei uns steht gelb je nach Farbnuance für Neid und Verrat., aber auch für Gottesfurcht und Entsagung, Enthaltsamkeit, Buße und Askese.


Wagireh - Geknüpfte Mustervorlage

1. Der Wagireh ist eine geknüpfte Knüpfmustervorlage nach dem die Musterdetails in einem Orientteppich geknüpft werden.

Ursprünglich wurden alle Teppich ohne jede Vorlage "aus dem Kopf" geknüpft. Bei den Nomaden und vielen Bauern ist das auch heute noch der Fall. Um die Muster jedoch festzulegen, aber auch um die technischen Voraussetzungen wie Anzahl der Knoten pro Schußreihe, Farbe, Grundgewebe und Knotendichte in den Griff zu bekommen und dem Knüpfer das Einhalten solcher Vorgaben zu erleichtern, bedient man sich der Wagirehs. Als Familienbesitz werden sie von Genration zu Generation weitervererbt und finden sich nur selten im Handel.

Wagirehs sind kleine geknüpfte Brückenfragmente, die an ihren Seiten meist von vier unterschiedlichen Haupt und Nebenbordüren gerahmt werden. Im Innenfeld geben sie eine Ansammlung verschiedener Musterdetails wieder, die dann auf das im Entstehen befindliche Stück Knoten für Knoten von der Rückseite ablesbar auf den Knüpfstuhl übertragen werden.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging man dann dazu über, Musterpatronen zu erstellen, wie sie in der Weberei üblich sind. Auf diesen Blättern, eine Art Millimeterpapier, das den gesamten Teppich wiedergibt, ist das Dessin Knoten für Knoten aufgezeichnet. Der Knüpfer kann davon das Muster dann Reihe für Reihe ablesen und in Flor umsetzen.

Gefragt wurde zwar nur nach einer Antwort (s.o.), doch es gibt eine weitere Lösung, die allerdings selbst in Fachkreise kaum bekannt ist und daher nur äusserst selten gebraucht wird. Nach der ist Wagireh auch ein

2. in sich verschachteltes Feldermuster im Habibian-Nain.
aus Heimtex Orient 03/04 (Teppiche)