Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Wir sind gespannt, wer diesmal alles gelöst hat. Einige Begriffe waren sicher nicht einfach zu knacken, aber wer aufmerksam Heimtex Orient ließt, wird in den Fachartikeln auf etliche Lösungen stoßen. Und wenn nicht, schaue man in die Fachliteratur oder man rätselt gemeinsam im Kollegenkreis. Jede der nachfolgenden Erläuterungen der im vorigen Heft zur Lösung angebotenen Fachbegriffe ist ein weiterer Baustein auf dem Wege zum Fachmann. Und die braucht die Branche ganz besonders.


Barik - Zusatzbezeichnung für schmale Orientbrücken

Barik bedeutet auf Persisch schlank. Dieses Adjektiv beschreibt aber auch die Abmessungen großer Brücken mit einer Breite von nur 1,00 m und einer Länge um 2,00 m. Durch die Bezeichnung Barik wird zum Ausdruck gebracht, dass eine Brücke erheblich schmaler ist als ein üblicher Dosar, dessen Maß gewöhnlicherweise um 1,30 m x 2,00 m beträgt. Ist eine Brücke nur 1,00 m breit, wird sie fachlich als Barik oder Dosar-Barik bezeichnet. In Fachkreisen hört man bisweilen auch die Bezeichnung Moussel (Mossul)-Barik. Dies ist ein Hinweis auf die kurdisch-irakische Stadt Mossul, über die im 19. bis zum ersten Viertel des 20. Jahrhundert Orientteppiche gehandelt wurden. Der Sammelbegriff Moussel steht zugleich für mindergute Qualität, zum Beispiel für preiswerte Hamadan-Knüpfungen.


Ghab-ghabi - Dessinname für Feldermuster

Die persische Musterbezeichnung ist hier ausnahmsweise einmal profaner als die Deutsche, denn wörtlich übersetzt bedeutet Ghab-ghabi etwa Rahmen-im-Rahmen. Dieses persische Fachwort bezeichnet das so genannte Feldermuster, das bisweilen auch Chesch genannt wird. Wegen ihrer beetartigen Musteraufteilung wird das Muster Im Deutschen auch Gartenteppich genannt. Es ist in vielen Provenienzen präsent.

Das Felder- oder Gartenmuster ist nicht nur sehr bekannt und beliebt, die Bezeichnung ist auch mustergeschichtlich durchaus berechtigt. Da weite Regionen Persiens und anderer Länder des Nahen und mittleren Ostens wüsten- und steppenartige Trockengebiete sind, kommt den Gärten im Orient eine sehr viel sinnlichere Stellung zu als im mit Regenfällen bestens versorgten Abendland. Die Ursprünge dieses Dessins gehen wohl auf den Wunsch zurück, sich ein wenig Garten ins Haus zu holen, ein kleines Paradies, das der Koran den Gläubigen verheißt. Da wegen des arriden Trockenklimas in Persien hauptsächlich Irrigationsgartenbau betrieben, das Wasser also durch kleine Bewässerungskanäle zu den Beeten geleitet wird, ist die Bezeichnung Gartenteppiche keineswegs abstrakt gemeint. Schließlich werden solche Gartenanlagen hier in einem Teppich in stark vereinfachter Form symbolisch wiedergegeben. Betrachtet man die einzelnen Kassetten, fällt auf, daß sie meist unterschiedliche Innendekorationen haben, die einer streng symmetrischen Aufteilung folgen. Sie sind quadratisch - selten rechteckig - und häufig auch in Rhombenform.

Im Museum für Islamische Kunst in Berlin ist ein berühmter Gartenteppich aus dem 18. Jhd. ausgestellt. In den darin aus der Vogelperspektive wiedergegebenen Bewässerungsgräben ist das Wasser als blaue Wellen angedeutet, in denen sich sogar kleine Fische tummeln.

Das prägnante, fast ausschließlich all-over konzipierte Felderdessin, findet man hauptsächlich in den Provenienzen: Bachtiar (sehr häufig), Moudh und Ghoum, relativ selten aber auch im Täbriz, Mesched und Sarough.


Sunniten - Moslemische Glaubensgemeinschaft

Neunzig Prozent aller Muslime, also etwa 680 Millionen Gläubige, gehören der islamischen Großkonfessionen der Sunniten an. Der Begriff kommt vom Arabischen Sunna und bedeutet etwa Vielbegangener Weg, Gewohnheit, wird aber auch mit Tradition übersetzt. Der Hauptunterschied beider Richtungen besteht darin, dass die Schiiten ausschließlich Abkömmlinge der Familien des Propheten als rechtmäßige, religiöse Glaubensführer (Kalifen) akzeptieren. Die Sunniten hingegen erkennen auch Nachfolger an, die nicht zu den direkten Nachkommen des Propheten zählen. Im Gegensatz zu den Schiiten, der zweitgrößten, allerdings sehr viel kleineren Konfession, erkennen die Sunniten alle im Hadith überlieferten Aussagen und Taten Mohammeds an und berücksichtigen sie neben dem Koran in ihrem alltäglichen Handeln.


Maltebaff - Provenienzbezeichnung für Teppiche im Stil altturkmenischer Buchara-Dessins

Orientteppichprovenienz, die ursprünglich aus den afghanischen Flüchtlingscamps nördlich von Peschwar/Pakistan stammt. Seit der Vertreibung der Taliban werden die Maltebaffs überwiegend in der Region Kabul und im Norden im Turkmenen-Gebiet geknüpft wird. Die Dessins basieren auf der Tradition alt-turkmenischer Muster, insbesondere der Ersari- und Beschir-Knüpfungen. Die Farbgebung ist Braunrot mit Nachtblauen Musterlinien


Tschapan - mantelartiger, bestickter Umhang der Turkmenen

Zu bestimmten Festtagen und festichen Anlässen tragen die Turkmenen und Usbeken auch heute noch einen weiten, langärmeligen, reich verzierten Reitermantel, dessen Stoffe oft aus Reiner Seide gewebt und mit Applikationen aus dem gleichen Material reich bestickt und verziert sind. Bei den Dessins greift man auf den traditionsreichen, großen Musterschatz dieser Völker zurück, so dass auch neue Tschapans immer noch ihren Reiz haben und Eingang in Sammlungen finden.


Risbaff - Neuprovenienz, entstanden aus dem Gabbeh

Die volle Provenienzbezeichnung lautet auf Persisch: Gabbeh-Risbaff. Der Zusatz Risbaff bedeutet "feingeknüpft", was darauf hinweist, dass dieser Teppich eine verfeinerte Weiterentwicklung des gröberen Gabbeh ist. Die Knüpfdichten des Risbaff reichen bis gut über 200.000 Knoten/qm. Risbaff-Knüpfungen werden auch als Loribaff und Kabulibaff angeboten, also nach Stammesbezeichnungen der herstellenden Knüpfer in Süd-Persien.


Sassaniden - Frühe Herrscherdynastie in Persien

Diese bedeutende Dynastie folgte auf die der Arsakiden (248 v. Chr. - 224 n. Chr). Ihr Name geht auf den zoroastrischen Priester (Magier) Sassan zurück, der als Gründer dieser Dynastie angesehen wird. Die Sassaniden herrschten in Persien von 226 bis 642 n. Chr. Ihnen wird unter anderem der Grundgedanke des Rittertums zugeschrieben, also einer bewaffneten, adligen Einheit, die dem König bei Bedarf berittene Soldaten und Waffen zur Verfügung stellt.
Ständig waren die Sassaniden im Kämpfe mit den erobernd von Syrien nach Osten drängenden, römischen Legionen verstrickt. Allerdings hatten die Römer gegen die gepanzerte Kavallerie und die geschickten Taktiken der Sassaniden militärisch keine schlagkräftige Gegenwehr, so dass die Perser drei römische Kaiser besiegten: Gordianus III. (238-244), Marcus Julius Verus, genannt "Philippus Arabs" (244-249) und Valerian (253-260). Letzteren nahm ihr bedeutendster Herrscher, Schah Schapour I. (240-271) im Jahre 260 gefangen. Auf einem Felsrelief in Naqsh-e-Rustam, unweit von Persepolis, Süd-Iran, ist zu sehen, wie Kaiser Valerian in einer Unterwerfungsgeste vor Shapour das Knie beugt. Dieser römische Kaiser starb in persischer Gefangenschaft. Beim islamischen Sturm 642 a. d. unterlagen die Sassaniden den Arabern.

Die Sassaniden liebten höfisches Gepränge sowie die Jagd und bildeten ihr Leben auf vielen überlieferten Miniaturmalereien ab. Auf späteren Bildteppichen finden sich immer wieder Legenden um ihren König Bahram V. (Ghur), genannt "der Jäger" (422- 439). Auch heute noch dienen sassanidische Kleingemälde der Knüpfkunst als Vorlagen. Die auf den Seiden-Ghoums dargestellten Jagdgesellschaften sind überwiegend der Epoche der Sassaniden zuzuschreiben. Teppiche, die nachweislich aus der Zeit der Sassaniden stammen, sind bisher nicht bekannt. Erzählt wird in alten Überlieferungen immer wieder von einem mit Edelsteinen, Perlen, Gold- und Silberdrähten verzierten Teppich mit dem poetischen Namen "Frühling des Chosrau". Dieses Prachtstück, von dem nicht gesichert ist, ob es sich um einen Knüpfteppich handelte, soll etwa 30 m x 50 m gemessen haben. Er lag in der Audienzhalle des sassanidischen Königspalastes Taq-i-Kirra in Ktesiphon (Persisch: Tisfun). Das Gebiet liegt heute im Nord-Irak.


Zhenping - Großmanufaktur und Orientteppich-Provenienz in China

Die Zhenping Carpet Industry Corp. ist sicher die weltgrößte und bedeutendste Seidenteppich-Manufaktur. Derzeit sind bei ihr etwa fünftausend Menschen mit der Herstellung von handgeknüpften Seidenteppichen beschäftigt. Der Ort Zhenping (sprich: Schenping) liegt in Zentral-China, in der Provinz Henan, Distrikt Nanyang. Man knüpft alles, was die Exportmärkte begehren und kann auf hunderte von Dessins zurückgreifen. Die Henan-Seidenknüpfungen weisen oftmals oben und unten einen Ansatzkelim auf, in den Seidenponpons oder andere Teilgestaltungen eingeknüpft sind. Diese Zusatzdekoration hat ihren Ursprungs in der türkischen Seidenteppichmanufaktur Özipek. Geliefert werden zwei Grundqualitäten, die mit Singleknot und Doubleknot bezeichnet werden. Der letztere ist zwar massiver, der verwendete Teppichknoten ist jedoch bei beiden der selbe: Man knüpft mit dem Persischen Knoten, auch Farsibaff, Sennehknoten oder Asymmetrischer Knoten genannt. Der bisher feinste Zhenping-Seidenteppich weist 1200 lines auf, was einer Knüpfdichte von ca. 15,5 Millionen Knoten per Quadratmeter entspricht. Er wurde inzwischen allerdings von einem noch feineren übertrumpft. Der weltweite Vertrieb der Zhenpin-Teppiche liegt seit Jahren exklusiv den Händen des in Karlsruhe ansässigen Orientteppich-Importeurs Türkas KG.


Herati - Aus der Stadt Herat stammendes Muster

Das Herati ist ein typisches Rapportmuster, das sich seit langem großer Beliebtheit erfreut. Es stammt wohl ursprünglich aus der heute westafghanischen Stadt Herat, die 328 v. Chr. als Alexandria Areion von Alexander dem Großen gegründet wurde. Unter Schah Rukh (1405-1447), einem Sohn Tamerlans, war es kurze Zeit Reichshauptstadt der Timuriden. Bis Anfang des 20. Jhd. wurden in Herat hochwertige Teppiche in persischen Mustern geknüpft. Heute ist die Stadt Hauptumschlagsplatz für die westafghanischen Herat-Belutschteppiche.

Das i am Ende ist der Präposition "von" gleichzusetzen, also "von Herat (stammend)". Dies ist sehr gut möglich, denn nach der von Nadir-Shah (1688-1747) befohlenen Umsiedlung großer Bevölkerungsteile von Westafghanistan nach Westpersien, taucht es vermehrt im West-Persien auf.

Das Musterensemble setzt sich aus mehreren, interpretierbaren Einzelteilen zusammen. Dargestellt sind ein auf die Spitze gestellter Rhombus mit einer im Zentrum aufgehängten Blüte - wohl eine Margerite darstellend, möglicherweise aber auch die Erde als Zentrum allen Seins symbolisierend. An den oberen und unteren Spitzen sitzen stilisierte Lotosblüten auf, ein Hinweis auf die Verbindung nach China. Die seitlichen Spitzen laufen aus in Päonien. Diese, auch Bauernrose genannte Blüte, ist in China die Königen der Blumen und gelangte über die Seidenstraße und mit den Mongolen nach Westen. Alle vier Seiten des Ensembles werden von halbmondförmigen, lanzettartigen Blättern flankiert, die auch als Fische (Pers. Mahi) interpretiert werden, daher die pers. Bez. Mahi-to-hos, zu Deutsch "Fische im Teich". Bisweilen wird darum gestritten, ob die flankierenden Lanzettblätter möglicherweise Bothés sein könnten. Die sehr bildliche Benennung geht davon aus, daß das Teppichinnenfeld einem Teich gleichzusetzen ist. Als Begriffsbestimmung klingt diese Auffassung auch in Europa an, wo man die Teppichumrandung als Bordüre bezeichnet, ein Wort aus dem Französischen, das auch Ufer bedeuten kann.

Der immense Mengen Eier produzierende Fisch war in vielen altorientalischen Religionen ein Symbol für Fruchtbarkeit und fand deshalb Eingang in die Kunst. Es könnte aber auch ein altiranischer Mythos zu Grunde liegen, nach dem zwei gigantische Wale die Erdscheibe in Rotation halten.

Zwar ist das Herati/Mahi-to-hos sicher das derzeit verbreitetste Muster in persischen Teppichen. Es wird aber auch in Indien und China nachgeknüpft. Man findet es Innenflächen deckend - Allover mit oder ohne Medaillon - vorwiegend in den Provenienzen Ardebil, Bidjar, Birdjend, Ghiassabad, Ferahan, Khoy, Marand, Moudh, Sarab-Madjajechi, Sarough, Senneh/Sanandadj und Täbriz. Es taucht auch auf in den Teppichen des Fars-Gebietes und ist als Begleitmuster in fast allen Provenienzen persienweit vertreten.
aus Heimtex Orient 02/04 (Teppiche)