Martin Auerbach, Verband der deutschen Heimtextilien-Industrie, zum Thema Insolvenz

Wenn der Kunde insolvent wird

Auch in unseren Branchen häufen sich die Firmenzusammenbrüche - auf Lieferanten- wie auf Handelsseite und verursachen Forderungsausfälle, die große Summen erreichen können. Wie kann man Vorsorge dagegen treffen? Wie verhält man sich, wenn ein Kunde insolvent wird? Darüber gibt dieser Beitrag einen Überblick.

In der Regel schlägt es bei dem Gläubiger ein wie ein Paukenschlag, wenn ihm sein Schuldner in wenigen Zeilen nonchalant mitteilt, daß die wirtschaftliche Lage bekanntermaßen langanhaltend schlecht sei, der lang ersehnte Kundenansturm leider ausgeblieben, und er angesichts der hohen Außenstände gezwungen gewesen sei, bei Gericht den Insolvenzantrag zu stellen. Handelt es sich um einen besonders höflichen Schuldner, dankt er vielleicht noch für die stets gute Zusammenarbeit.

Von solchen oder ähnlichen Szenarien weiß nicht nur die Industrie, sondern auch der Handel ein Lied zu singen. Was dann folgt, spielt sich in der Regel ebenfalls immer gleich ab: Der Antrag wird mangels Masse abgewiesen oder es meldet sich - sofern der Gläubiger aus der Buchhaltung des Schuldners als solcher hervorgeht oder sich bereits mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter in Verbindung gesetzt hat - nach Eröffnung des Verfahrens der Insolvenzverwalter und bittet um Anmeldung der Forderungen sowie Geltendmachung der Aus- und Absonderungsrechte. Zu diesen zentralen Gläubigerrechten kommen wir später.

Was geschieht nach dem Insolvenzantrag?

Aber was passiert eigentlich rechtlich betrachtet, wenn der Schuldner erst einmal den Weg zum Insolvenzgericht gefunden hat und Antrag auf Durchführung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers oder der von ihm vertretenen Gesellschaft gestellt hat? Hilft das Insolvenzrecht dem Gläubiger bei der Durchsetzung seiner Ansprüche - oder schützt es letztlich nur den Schuldner vor den aufdringlichen Bemühungen der Gläubiger, ihre Forderungen zu realisieren?

Zunächst einmal wird mit dem richtig formulierten Antrag ein Insolvenzantragsverfahren in Gang gesetzt, in dessen Verlauf das Insolvenzgericht prüft, ob ein Antragsgrund wie Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung oder drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, und ob eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist. In einem Sicherungsbeschluß werden von dem Gericht Maßnahmen festgelegt, mit denen das Vermögen des Insolvenzschuldners für die spätere Verteilung unter den Gläubigern gesichert werden soll, zum Beispiel Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters.

Liegt bei Antrag des Schuldners zwar ein Antragsgrund vor, fehlt es aber an ausreichender Masse, um die Kosten des Verfahrens abzudecken, kann es für den Gläubiger von Interesse sein, einen Kostenvorschuß aus eigener Tasche zu zahlen und damit die Eröffnung des Insolvenzverfahren zu ermöglichen. Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn Anfechtungstatbestände vorliegen, und eine hinreichende Chance besteht, durch die Anfechtung die Masse kräftig anzureichern und damit die Insolvenzquote zu erhöhen.

Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, tritt der Insolvenzverwalter - sofern dies nicht bereits in dem Sicherungsbeschluß durch das "Verfügungsverbot" veranlaßt war - an die Stelle des Schuldners oder an die des Geschäftsführers der insolventen GmbH. Nun werden mit den Forderungsanmeldungen die Außenstände des Insolvenzschuldners ermittelt.

Sicherungsmittel für die Insolvenz

Klar im Vorteil sind regelmäßig diejenigen Gläubiger, die ihre Warenlieferungen durch einfachen, verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehalt abgesichert haben. Ist die Ware noch nicht abverkauft, kann der Gläubiger, der aufgrund des Eigentumsvorbehaltes noch Eigentümer der Ware ist, die Herausgabe dieser Ware verlangen, die nach der Insolvenzordnung nicht zur Insolvenzmasse gehört. Die Eigentumsvorbehaltsware wird sozusagen außerhalb des Insolvenzverfahrens behandelt - an ihr besteht ein "Aussonderungs"-Recht.

Anders verhält es sich bei den Rechten aus verlängertem Eigentumsvorbehalt. Hier wird bekanntlich der Verkäufer aufgrund einer Vorausabtretung Inhaber der Forderung des Käufers, die der durch die Weiterveräußerung der Vorbehaltsware gegen seinen Kunden erwirbt. Durch dieses Sicherungsmittel wird der Kunde des Lieferanten in die Lage versetzt, trotz des Eigentumsvorbehaltes seinem Kunden Eigentum an der Ware zu verschaffen. Im Gegenzug bekommt der Lieferant vor Zahlung der Warenrechnung durch seinen Kunden die Forderung gegen dessen Kunden abgetreten.

Zieht der Insolvenzverwalter nun im Rahmen seiner Verwaltertätigkeit die Forderungen gegen die Kunden des Insolvenzschuldners ein, sind darunter auch regelmäßig Forderungen, die aufgrund des verlängerten Eigentumsvorbehaltes an sich dem Verkäufer zustehen. Durch Zahlung der Kunden des Insolvenzschuldners werden die Beträge Bestandteil der Masse, fließen praktisch in den "großen Topf", ohne dass sie individualisierbar bestehen blieben. Stellt man sich nun die Insolvenzmasse als einen großen Kuchen vor, ist es leicht nachvollziehbar, dass sich der Verkäufer hiervon in Höhe der abgetretenen und zu Unrecht durch den Verwalter eingezogenen Forderung ein Stück "abschneiden" läßt und dadurch von seinem "Absonderungs"-Recht Gebrauch macht.

Ist also bei dem Insolvenzschuldner noch Ware vorhanden oder stehen noch Forderungen aus der Weiterveräußerung dieser Waren aus, kann der Verkäufer unter Umständen auf diese trotz des Insolvenzverfahrens noch zugreifen. Nur zu verständlich ist daher die Forderung der Hersteller gegenüber ihren Kunden, Lieferungen ausschließlich zu den eigenen allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die entsprechenden Eigentumsvorbehaltsregelungen enthalten, zu tätigen. Aus dieser Forderung spricht kein Mißtrauen, sondern die kaufmännische Überlegung, das unternehmerische Risiko bei Warenlieferungen, für die der Lieferant erst bis zu 60 Tagen nach Lieferung Bezahlung erhält, soweit wie möglich einzuschränken. Abgesehen davon verlangen alle Warenkreditversicherungen die Vereinbarung der Eigentumsvorbehaltsformen als Deckungsvoraussetzung.

Gleichbehandlung aller Gläubiger

Mit der bereits oben erwähnten Anfechtung oder präziser "Insolvenzanfechtung" wird der Gläubiger nicht so häufig konfrontiert sein. Zur Konfrontation kann es allerdings zwischen den Ansprüchen des einzelnen Gläubigers und der Gesamtzahl der Gläubiger kommen - nämlich dann, wenn der Insolvenzverwalter von einem Gläubiger die einzige Rate zurückfordert, die der betreffende Gläubiger noch schnell vor Antragstellung auf seine Forderung von dem Insolvenzschuldner erlangen konnte. Das hat nichts mit einer eventuellen "Raffgier" des Insolvenzverwalters zu tun, vielmehr geben an dieser Stelle Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens Aufschluß: Ist ein Schuldner nicht mehr in der Lage, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (Zahlungsunfähigkeit im Sinne der Insolvenzordnung), soll zunächst das schuldnerische Vermögen gesichert werden, damit es bei der Unternehmensfortführung durch den Verwalter vielleicht vermehrt wird und dann zur gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger dienen kann.

Durch diese gleichmäßige bzw. prozentuale Befriedigung werden diejenigen Gläubiger geschützt, die nicht so schnell von der Insolvenz ihres Kunden erfahren haben. Wäre nämlich zum Beispiel die Einzelzwangsvollstreckung nach Eröffnung des Verfahrens nicht gesetzlich untersagt, könnten die schnellsten Gläubiger auf die verbliebene Insolvenzmasse zugreifen und die restlichen Gläubiger gingen leer aus. Diese Vermögenssicherung wird noch durch die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung zeitlich vorverlagert, denn zur Insolvenzmasse gehört an sich nur das Vermögen, wie es sich bei Eröffnung des Verfahrens beim Insolvenzschuldner befunden hat.

Die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Beispiel durch Zwangsvollstreckungen der Gläubiger eingetretene Minderung der Insolvenzmasse soll durch die Anfechtung zugunsten aller Gläubiger rückgängig gemacht werden. Die Anfechtung selbst führt nicht ohne weiteres zur Rückgängigmachung der die Masse belastenden Verfügung. Vielmehr hat die Masse gegen den Gläubiger einen Anspruch auf Rückgewähr etwa des gezahlten Betrages. Nicht selten finden ja gerade im Vorfeld eines Insolvenzverfahren Vermögensverschiebungen statt, um dieses Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen.

Für den redlichen Gläubiger wird aber oft die Kehrseite der Medaille Insolvenzanfechtung zur Bedeutung: Zwar fließt im Zweifel das der Ehefrau von dem Insolvenzschuldner in weiser Voraussicht geschenkte Luxuscabriolet zurück in die Masse, was allen Gläubigern zugute käme, aber: den einzelnen Gläubiger, der vergeblich auf die Bezahlung seiner Rechnungen gewartet hatte und den Weg der Zwangsvollstreckung beschritten hat, trifft es doppelt hart. Er muss unter bestimmten Voraussetzungen die erlangten Beträge an die Masse zurückerstatten und hat durch die Vollstreckung dem schlechten Geld noch gutes hinterher geworfen. In diesen Fällen wird das Insolvenzrecht nicht als Segen empfunden.

Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass dem Insolvenzschuldner, der natürliche Person im Rechtssinne ist, die Möglichkeit der Restschuldbefreiung ermöglicht wird. Läßt sich der Insolvenzschuldner in der 6-jährigen Wohlverhaltens phase nichts zu Schulden kommen, werden ihm die restlichen Schulden erlassen - ein Schlag ins Gesicht der Gläubiger, wenn man das Geschäftsgebahren einiger Schuldner unter die Lupe nimmt. Es ist daher nur sachgerecht, daß diejenigen Forderungen von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden können, die aus unerlaubter Handlung resultieren, zum Beispiel weil der Insolvenzschuldner bei Bestellung der Ware bereits wußte oder er es wenigstens billigend in Kauf genommen hat, daß er die bestellte Ware nicht wird bezahlen können. Diese Möglichkeit sollte von den Kunden bewußt zur Kenntnis genommen werden, da es sich bei Bestellung bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.

Fazit: Nicht alles ist schlecht

Aus der Sicht des Gläubigers lässt sich nicht ohne weiteres nachvollziehen, daß die Insolvenzordnung den Rahmen schaffen soll, in dem eine geordnete Verteilung des schuldnerischen Vermögens ermöglicht wird. Bei den häufig zu erwartenden Minimalquoten fühlt sich der Gläubiger eher düpiert. Umso wichtiger erscheint es, dass er von den vorhandenen Sicherungsmitteln effektiv Gebrauch macht. Insbesondere die Poolung der Rechte aus verlängertem Eigentumsvorbehalt hat in den letzten Jahren regelmäßig zu deutlichen Erfolgen geführt. Weiterhin muß immer die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung im Auge behalten werden, damit eine berechtigte Rückforderung des Verwalters - je nach Betrag - nicht zu einer unerwarteten Liquiditätsbelastung führen kann und das Insolvenzverfahren der Kunden für den Verkäufer zur existenzbedrohenden Strafe wird.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass im Rahmen dieses Artikels natürlich nicht auf alle relevanten Aspekte eingegangen werden kann, und die rechtlichen Sachverhalte zum besseren Verständnis zum Teil vereinfacht dargestellt wurden. Weiterhin will der Autor keinesfalls den Eindruck erwecken, alle Schuldner würden sich, nach "kaufmännischen Fehlentscheidungen" des Insolvenzverfahrens bedienen, um sich im Moment der größten Not aus der Verantwortung zu stehlen.

Die Gründe für eine Insolvenz können vielschichtig sein und werden häufig auch von exogenen Faktoren wie der Marktlage mitbestimmt. Das Insolvenzverfahren an sich kann für ein Unternehmen und seine Mitarbeiter auch eine Chance darstellen, indem Arbeitsplätze im Rahmen der Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter erhalten bleiben, und das gesamte Unternehmen bei einer übertragenden Sanierung unter anderer Firma existent bleibt.Martin Auerbach
aus Heimtex Orient 06/04 (Großhandel)