Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Es ist zwar wichtig, auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner" möglichst mit Ja antworten zu können. Doch alles kann man gar nicht wissen. Etliches muss auch der versierte Fachmann nachschlagen, zum Beispiel im Orientteppich-Kompass mit seiner umfangreichen Fachterminologie. Diese Ratespiel dient also allen dazu, sich ständig weiterzubilden. Wohl auch, sich mal ein wenig selbst zu prüfen. Ein Fachwissen ohne Lücken gibt es nun mal nicht. Daher sind diese Fragen und Antworten ein guter und vor allem ein amüsanter Meilenstein. Wie immer versuchen wir ein Mix anzubieten zwischen Zeitgenössischem, Neuem und historischem Teppichwissen. Auch da gibt es hin uns wieder neue Erkenntnisse, die zu berücksichtigen sind. Schließlich ist der Orientteppich ein Produkt das lebt und das zugleich auf eine ungeheuer lange Historie und Tradition verweisen kann. In dieser Hinsicht gibt es weltweit keine annähernd vergleichbare Handarbeit. Eine, die zudem prägend für die jeweilige Einrichtung ist und dort meist sogar die Führung übernimmt.

Provenienz - Fremdwort für Herkunft, Ursprung

Das Wort Provenienz kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Herkunft, Abkunft. Im deutschen Sprachgebrauch dient es dazu, die Herkunft von Waren zu lokalisieren. Im Orientteppichbereich zeigt die Provenienzbezeichnung die Herkunft eines Web- oder Knüpfteppichs an.

Diese Bezeichnungen richten sich nach verschiedenen Kriterien wie (jeweils drei Beispiele in Klammern):
Knüpfort (Täbris, Sarough, Kirman, etc.), Haupthandelsplatz (Schiras, Nain, Hamadan, etc.), Landstrich/Provinz (Halvai, Kelardascht, Kaschmir, etc.), Staat und Einwohner als Synonym für die Hersteller (Perser, Kaukase, Afghan, etc.), sowie nach Völkern und Stämmen (Bachtiar, Kordi, Belutsch, etc.) oder Qualitäten (Risbaff, Mussel, Kirman-Laver, etc.), Knüpfmanufakturen (Mohtascham-Keschan, Djamschidi-Ghoum, Amogli-Mesched, etc.), Fundorte (Chelsea, Pazyryk, Fostat, etc.), und Neuentwicklungen (Azerie, Yaila, Kaschghulibaff, etc.).

Ebenfalls gebräuchlich, aber nicht provenienz-, also herkunftsgebunden ist das Hinzuzufügen von Größenangaben (Dosar, Saronim, Poschti, etc.) oder Musteraussagen (Vogel-Uschak, Adler-Kasak, Bachtiar-Gartenteppich), Traditionsnamen (Wiener Jagdteppich, Polenteppich, Portugieserteppich), Verwendungszweck (Gebetsteppich, Chordjin/Packtasche, Soffreh, etc.) oder Machart (Kelim, Soumach, Susani, etc.).

Provenienzbezeichnungen können zudem auch Kombinationen aus mehreren der vorgenannten Zuordnungsmöglichkeiten sein. Allgemein werden traditionelle Bezeichnungen bevorzugt, besonders dann, wenn Ortsnamen gewechselt haben (Senneh/Sanandadj, Sultanabad/Arak, Turschis/Kaschmar, etc.).


Koliai - Orientteppichprovenienz aus Persisch-Kurdistan

Folgende Schreibweisen sind ebenfalls in Gebrauch: Koliay, Kolyay, Q(u)liay.

Der Koliai ist eine bäuerliche Knüpfung der Kurden West-Persiens. Unter diesem Sammelbegriff werden recht unterschiedliche Teppiche der Landbevölkerung dieser Region zusammengefaßt, so daß es schwer fällt, sich auf den typischen Koliai festzulegen. Allerdings sind alle Koliais relativ hochflorig, von massiver, voluminöser Knüpfung mit dem Türkischen Knoten und auch heute hin und wieder noch auf Wollgrundgewebe geknüpft.

Ihr von Innen kommender, aber unbewußter Eklektizismus erlaubt es den Kurden, sich dessinmäßig bei allen Provenienzen zu bedienen. Sie ahmen diese Muster jedoch nicht sklavisch nach, sondern setzen sie auf der ihnen eigenen Weise "kurdentypisch" um, zudem meist in von den Originalen völlig abweichenden Farbstellungen. Bei schwierig zu bestimmenden Orientteppichen weicht die Fachwelt deshalb bisweilen scherzhaft immer mal wieder auf die Bemerkung aus "Das Stück wird wohl kurdisch sein", was dann auch oft zutrifft. So findet man unter den Koliais die unterschiedlichsten Dessins, aber meist in einer eher dunklen Farbgebung.

Der hier gezeigte Teppich im so genannten Kelleghi-Format zeigt das für den Koliai typische Tachte-Djamschid-Dessin. Letzterer ist der altpersische Name für Persepolis und bezieht sich auf den legendären Gründer der Dynastie der Achämeniden (559-330 v. Chr.). Wie das Dessin entstanden ist und wie es den weiten Weg von Süd-Persien in das über tausend Kilometer entfernte Kurdistan gefunden hat, liegt allerdings völlig im Dunkel.


Palas - Einfach gemusterter Handwebteppich

Mit Palas werden einfache, in Leinwandbindung gewebte Textilen bezeichnet. Ihre Dessins erschöpfen sich in simplen, mal schmaleren, mal breiteren Streifen. Die Rückseiten von Packtaschen (Chordjins, Namakdans, etc.) sind meist als Palasgewebe ausgeführt.

Früher war die Bezeichnung Palas nur für kaukasische Webarbeiten üblich. Heutzutage wird dieser Name auch für die Muster und Webtechnik anderer Provenienzen verwendet. Einige Sammler widmen sich diesen speziellen, unverfälschten und damit noch recht urtümlichen Webarbeiten der Landbevölkerung und Nomaden im gesamten Vorderen Orient - also auch in den Regionen wo nicht geknüpft, aber gewebt wird.


Duktus - Ausdruck für Linienführung im Bereich Grafik und Kunst

Das Wort Duktus ist lateinischen Ursprungs und bedeutet schlicht Führung. Ursprünglich war es der Linienführung von Schriftzeichen vorbehalten, fand dann aber auch Eingang in den Bereich der Kunst. Eine Aussage über den Duktus geht speziell auf die Linienführung eines Dessins und bisweilen auch seines Stils ein. Es berücksichtigt also nicht die sonstigen Gestaltungselemente wie Farben, Konzeption, Komposition, Entstehung und Aussage eines Musters.


Aufbäumen - Belegen des Knüpfstuhls mit Kettgarnen

Mit dem Fachausdruck Aufbäumen - auch Bäumen genannt - wird der Vorgang des Auflegens und Herrichtens der um den Knüpf-/Webstuhl gelegten Kettgarne bezeichnet. Dies geschieht auf einem Knüpfstuhl Garn neben Garn, sozusagen in Form einer spiralförmigen, "Endlos"wicklung. Sie erfolgt um das obere Querholz, das Kettbaum genannt wird und den Warenbaum, der den unteren Querabschluss des Webrahmens bildet.

Das Aufbäumen muss sehr sorgfältig erfolgen, denn für das Knüpfen ist eine recht hohe Vorspannung der Kettgarne erforderlich. Da es sehr viel Kraft erfordert, ist diese Webvorbereitung reine Männerarbeit, die zudem von ausgebildeten Arbeitskräften mit entsprechenden Spezialkenntnissen geleistet wird. Beim Einrichten bestimmter Längskanten eines Gewebes spricht man fachlich auch vom Zetteln.


Flokati - Andere Bezeichnung für "Griechischer Hirtenteppich"

Der Flokati ist ein leichter, schaffellähnlicher und flauschiger Langflorteppich. Sein Vorbild ist der einst von den Schäfern Griechenlands zum Schutz gegen Kälte und Wind auf den Hochweiden getragene, ärmellose Umhang. Hier ist also die Ursache für die Bezeichnung "Griechischer Hirtenteppich".

Inspiriert vom einstigen Wetterschutz, wurde später der nun schon seit Jahrzehnten im Handel angebotene Flokati entwickelt. Dieser preiswerte, nicht besonders verschleißfeste Teppichtyp ist einrichtungsmäßig unter das "Junge Wohnen" einzureihen. Hirtenteppiche gelten somit als attraktive und modische Langflorteppichvariante. Normalerweise sind Flokatis reinweiss, werden in jüngster Zeit allerdings auch in allen gewünschten Farbvarianten und den aktuellen Modefarben angeboten.


Jaipur - Stadt und Orientteppichprovenienz in Nordindien

Jaipur (gespr. Djaipur) ist die Hauptstadt des nordindischen Bundesstaates Radjastan und ein ehemals bedeutendes Knüpfzentrum. Nach ihren eindrucksvollen Palästen trägt die 1727 von dem König und Astrologen Sawai Jai Singh II. erbaute "Stadt des Jai" - so die wörtliche Übersetzung - auch das Attribut "die Rosafarbene".

In dieser Stadt werden nachweislich seit dem 17. Jahrhundert Orientteppiche geknüpft. Überliefert ist, dass die damaligen Radjputenherrscher die seinerzeit in Persien regierenden Safawiden (1501-1722) um die Gestellung von Teppichknüpfern baten. Diese persischen Kunsthandwerker, die auch für die Mogulkaiser arbeiteten, sind die Keimzelle der indischen Teppichknüpfkunst.

Im Stadtmuseum von Jaipur befindet sich eine bedeutende Orientteppich-Sammlung, mit Stücken die zum Teil noch aus dem 17. Jahrhundert stammen und früher im Palast des Maharadjas der Radjputen lagen. Es handelt sich meist um so genannte indo-persische Knüpfungen. Weitere Exemplare aus dem 17.Jahrhundert, ebenfalls aus Palastbeständen, sind von hoher kunsthistorischer Bedeutung. Sie befinden sich in europäischen Museen.

Die Produktion des 20. Jahrhunderts mit ihren persisch geprägten Floraldessins und kaukasischen Musterimitationen ist derzeit jedoch eher unbedeutend. Nachteilig ist die relativ trockene Wolle, der man zur Qualitätsverbesserung neuerdings Importwollsorten beimischt.

Gehandelt werden die Qualitäten
10/14 = ca. 217.000 Kn./qm,
10/16 = ca. 248.000 Kn./qm,
12/14 = ca. 260.000 Kn./qm
13/15 = ca. 300.000 Kn./qm).


Antik - Mindestens 100 Jahre alter Orientteppich

Der Begriff "Antik" wird im Sprachgebrauch allgemein sehr unterschiedlich ausgelegt. Ausschlaggebend für diese Einstufung ist daher der Gegenstand, für den er angewendete wird oder eine zurückliegende Epoche . Bei Orientteppiche ist jedoch eine klare Alterszuweisung "Antik" möglich. Sie richtet sich aus an der zolltechnischen Einstufung für antike Textilien, die ein Mindestalter von einhundert Jahren vorschreibt. Erfüllen Orientteppich dieses Kriterium, sind sie zollfrei und werden mit nur 7% MwSt. belegt.

Um den Alterseinstufungen bei Orientteppichen ein gewisse Ordnung zu geben, sind in der Orientteppichbranche mittlerweise folgende Bezeichnungn üblich:

Neuknüpfung: 20 Jahre alt bis heute
Ältere Ware: ca. 20 - 50 Jahre alt
Altware (Semi-Antik): min. 50 Jahre alt
Antik: mindestens 100 Jahre alt

Die Erfahrung zeigt allerdings, daß bei einer Einstufung Alt oder Antik bisweilen erhebliche Unsicherheiten auftreten können. Einige Teppiche sind manchmal älter als angegeben, andere wiederum werden als viel zu alt ausgelobt. In Streitfällen hinzugezogene Sachverständige können ein Lied davon singen. Auch für sie ist eine Alterseinstufung nicht leicht und fordert ihr gesamtes Fachwissen heraus.

Vom Zustand oder gemilderten, also blasseren Farben auf das Alter eines Orientteppichs zu schließen, kann bös" ins Auge gehen. Verschleiß, Alterung und künstlich herbeigeführte Alterspatina der Farben ist mit Hilfe ausgefeilter Waschbehandlungen möglich. Bei diesen, Antikisieren genannten Verfahren, werden gewisse Kunstgriffe angewandt, um vorwegnehmend einen alten bis antiken Ausdruck, das sogenannte Antikfinish, zu erzeugen. Gewissermaßen also eine Art Facelifting im umgekehrten Sinn. Mit Puristen läßt sich über solche Eingriffe zwar vortrefflich streiten, aber der Markt verlangt nach solchen oft sehr apparten Einrichtungsstücken,


Nowrus - Neujahrsfest der Iraner und Kurden

Wörtlich bedeutet Nowrus "neuer Tag". Seit uralten Zeiten ist es der persische Name für den Neujahrsbeginn, dem nach wie vor höchsten Fest im Iran. Von seiner Bedeutung her ist das Nowrusfest durchaus mit dem Weihnachtstagen im Abendlandes vergleichbar. Ähnlich diesem ist es ebenfalls heidnischen Ursprungs und wurde von der nachfolgenden Religion, dem Islam, im Jahresablauf als dreizehntägiges Hauptfest bis heute unverändert beibehalten.

Seit der Antike wird das Neujahrsfest am Frühlingsanfang, also am 21. März gefeiert. Die Legende besagt, daß einst der mythische König Kiumarz an diesem Tag die Zeitrechnung einführte.

Am letzten Abend des alten Jahres wartet die Familie gespannt auf den das Neue Jahr ankündigenden Böller im Radio oder Fernsehen, gratuliert sich dann und feiert an festlicher Tafel mit Musik, Tanz und Geschenken anschließend ins Neue Jahr hinein. Da Nowrus zugleich ein Fest der Versöhnung ist, besucht man sich in den nächsten Tagen und legt alten Hader endgültig bei.

Zum Frühlingsfest werden im Iran und vielen angrenzenden Kulturen kleine, altarartige Nowrus-Ecken aufgebaut, deren Gegenstände Fruchtbarkeit, Wachstum und Prosperität symbolisieren und berufen sollen. Es sind dies die so genannten Sofreyeh-Haft-Sin, die sieben "C-Symbole" (gesprochen mit einem scharfen S, ähnlich wie im Wort Szene):
Szieb: der Apfel steht für einen gesunden Körper,
Szamanuh: ein Sirup aus Weizenkeimlingen, der einen immer reichgedeckten Tisch berufen soll,
Szonbol: die duftende Hyazinthe gilt als Symbol der Schönheit,
Szekkeh talah: Münzen versinnbildlichen und fordern Reichtum ein,
Szabsze (Grün): meist Linsen, Weizen oder Hülsenfrüchte, die bis zum Nowrusdatum keimen und so das lang entbehrte Grün des Frühlings ins Haus holen und mit ihrem Sprießen für eine reiche Ernte sorgen sollen,
Szendjed: die Mehlbeere steht für Freude und Fruchtbarkeit,
Szier: der Knoblauch, ist das Symbol für immerwährende Gesundheit.

Ebenfalls mit aufgebaut werden verschiedene Grundnahrungsmittel wie Mehl, Milch, Käse und ein im Wasser schwimmender Goldfisch (Persisch:: mahi ghermes). Sie alle sollen fürs Neue Jahr Nahrung und Wasser im Überfluß bewirken. Gebäck (baklava) und bunte Eier versinnbildlichen ein glückreiches und fruchttragendes Jahr. Auch ein Spiegel darf nicht fehlen, denn er gilt seit zoroastrischen Zeiten als Symbol des Lichtes und der Reinheit, aber auch der Selbsterkenntnis. Bisweilen wird alles dekorativ abgerundet von einem Bouquet roter Tulpen oder anderen, typischen Frühjahrsblumen.

Das Heilige Buch, der Koran, nimmt seinen zentralen Platz in den Gedanken und im Sofreyeh-Arrangement ein. Auch der Diwan genannte Gedichtband des Hafis wird mit dekoriert. Beide sind so aufgebaut, daß sie den Geist Gottes, der Weisheit und der Poesie im zugeordneten Spiegel widerspiegeln sollen. Aus beiden Büchern wird zur Einstimmung des Neuen Jahres immer wieder vorgelesen. Familien treffen sich zum geselligen Beisammensein beim Picknick im Grünen und tischen bestimmte, traditionell zubereitete Gerichte auf. Heiratswillige Mädchen sondern sich dabei ein wenig ab und knoten Grasbüschel zusammen, mit der Beschwörungsformel "An dieser Stelle im kommenden Jahr mit Baby". Junge Männer, die dieses Treiben beobachten, gehen anschließend gezielt auf Brautwerbung.

Mit dem Entzünden von sieben Reisighaufen und dem reinigenden Feuerspringen beginnt das Nowrusfest. Mit dem Entfernen der welkenden Keimlinge und Blumen am letzten Festtag wird es beendet und so alles Unglück symbolisch gebannt.
aus Heimtex Orient 06/04 (Teppiche)