22 Tonnen Knüpfgigant mit 4.343 Quadratmetern

Der größte Teppich der Welt

Der größte bisher geknüpfte Teppich misst unglaubliche 70,5 x 60.9 Meter, also knapp 4.300 qm. Das Knüpfen von Orientteppichen in derartigen Dimensionen scheint a priori unmöglich, denn die Abmessungen auch der gewaltigsten Knüpfstühle und Werkhallen setzen in Länge Breite und Höhe technische Grenzen. Trotzdem schmückt dieser Gigant die Sultan-Kabuhs-Moschee von Muskat im Oman.

Der Sultan von Oman erteilte der staatlichen Iran Carpet Company (Scherkate Schahimi Farsch) 1996 den Auftrag, für die neu errichtete Zentralmoschee seines Landes einen handgeknüpften Teppich in den Riesenmaßen von 70,50 m x 60,90 m = 4.293,45 qm zu liefern. Schon vom rein Technisch-Organisatorischen, jedoch auch vom Handwerklichen, sowie vom Künstlerischen her eine Vorgabe, die nur ganz wenige Orientteppich-Manufakturen erfüllen können.

Da derart immense Knüpfstühle nirgends existieren, auch gar nicht zu handhaben wären, bot sich nur die eine handwerkliche Lösung: Der Teppich musste in mehreren, musterkonformen Einzelteilen gefertigt werden, die natürlich auf den Millimeter passgenau aufeinander abzustimmen waren. Ein außerordentlich komplexes Riesenpuzzle, das der Manufaktur jedoch bravourös gelang. Die fertigen Teppicheinzelteile wurden dann vor Ort in der Sultan-Kabuhs-Moschee zum kompletten Gesamtkunstwerk zusammengefügt. Dieses schwierige und aufwendige Großpuzzle direkt in der Moschee zu vollenden - weder durften die Nähte zu sehen, noch zu ertasten sein - nahm dann nochmals fast vier Monate in Anspruch.

Geknüpft wurde das Prachtstück in Nischapur (Ney Shabur), einer aufstrebenden Stadt in der ostiranischen Großprovinz Chorassan, etwa achtzig Kilometer westlich von Mesched gelegen. In etlichen der dortigen Knüpfereien entstehen derzeit unter anderem viele Nain-Dessins. Sechshundert Knüpferinnen arbeiteten drei lange Jahre lang in jeweils zwei Schichten mit zusammen genommen zwölf Millionen Arbeitsstunden an diesem Teppichgiganten. Dabei schürzten sie insgesamt 1.7 Milliarden wollene Senneh-Knoten um die Baumwollketten. Die Knotendichte liegt rechnerisch demnach bei nicht ganz vierhunderttausend Knoten pro Quadratmeter. Als alle Einzelteile des Meisterwerks endlich lückenlos zur Verschiffung bereit lag, wog der Teppich immerhin zweiundzwanzig Tonnen.

Die iranischen Teppichdessinateure entwarfen ein in der klassischen Ornamentik der Safawidenepoche (1501-1722) verankertes Muster, dass sich gleichfalls am Duktus heutiger Isfahan-Knüpfungen orientiert. Dies offenbart sich in zahlreichen Details, besonders jedoch in der Gestaltung des Rundmedaillons, das von der Innenkuppel der Scheich-Lotfollah-Moschee in der alten, persischen Königsstadt Isfahan inspiriert ist.

Der Oman-Teppich ist so geschickt konzipiert, dass das plastisch-konkav, nahezu dreidimensional wirkende Rundmedaillon mit dem sich in mehreren Kreisen nach innen hin verjüngenden Gitternetz passgenau unter dem Rund der Moscheekuppel liegt und deren Deckendekor in den gleichen Farbnuancen, sowie in analoger Anordnung am Fußboden widerspiegelt. Ein überwältigender Eindruck. Achtundzwanzig subtil aufeinander abgestimmte Pflanzenfarbtöne schaffen ein lebhaft-ausgewogenes und dennoch ruhiges Kolorit.

Das annähernd quadratische Gesamtbild zeigt ein das Innenfeld beherrschendes, kreisrundes Zentralmedaillon auf hellblauem Fond, umrahmt von einer raumgreifenden, mittelblauen Hauptbordüre und zwei unterschiedlich breiten, elfenbeinfarbenen Nebenbordüren, die vier rotbraune Mitläuferborten flankieren. Sowohl die Hauptbordüre, als auch die dominierendere der beiden Nebenbordüren sind isfahantypisch mit Arabesken und Gabelranken verziert, nehmen also den im Orient beliebten, weit verbreiteten Eslimi-Stil auf.

Während letztere mit blütenartigen, rot blau alternierend angeordneten Kartuschen dekoriert ist, wird die schlankere von einer traditionellen Endloswellenranke durchzogen, Symbol für Wasser und immerwährende Fruchtbarkeit. Einzig der oberhalb mittig plazierte, die Bordüren überlagernde Spitzgiebel mit seinem über die Teppichkante hinauskragenden Gipfeldreieck demonstriert, dass dieser Orientteppich einem sakralen Zweck dient. Mit diesem betont mihrabartigen Ornament ist die Auflage verbunden, den Moscheeteppich in Richtung Mekka auszurichten, um so die Kibla, die zwingend vorgeschriebene Gebetsrichtung einzuhalten.

In einem feierlichen Festakt weihte Sultan Kabuhs ibn Sa'id Al Sa'id am 4. Mai 2001 die von ihm gestiftete Moschee samt Teppichgigant ein. Seitdem schmückt dieser faszinierende Größenweltrekord den Fußboden der zentralen Gebetshalle der gleichnamigen Moschee und ist Augenweide und Stolz aller Gläubigen.

Über den sicher in höchsten Regionen schwebenden Stückpreis war leider nichts in Erfahrung zu bringen.
aus Heimtex Orient 06/04 (Teppiche)