Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

In der vorherigen Ausgabe stellten wir Ihnen üblich zehn Fachbegriffe vor und haben Ihnen dazu vier verschiedene Lösungen angeboten, von denen allerdings nur eine gilt. Haben Sie die richtige angekreuzt? Hier sind die korrekten Antworten mit den entsprechenden Erläuterungen dazu. Jede richtige Antwort ist für den Rater ein weiterer Schritt zum Fachmann. Sollten Sie in der vorangegangenen Ausgabe noch nicht alles richtig geraten gehabt haben, so haben Sie jetzt wieder eine neue Chance in diesem Heft.

10/4, 12/4, 16/4 - Altdeutsche Größenbezeichnungen für Teppiche

Abgeleitet von den abgepassten Industrieteppichen, sind in Deutschland immer noch die herkömmliche Maßbezeichnungen nach sog. "Vierteln" in Gebrauch. Sie richten sich an der "Altpreußischen Elle" aus, die einer Länge von 0,6669 m entspricht. Geteilt durch vier ergibt das 0,1667 cm. Mit der ersten Ziffer - 4/, 6/, 8/, 10/, 11/, 12/, 14/, 15/, 16/, 18/ - wird die Breite angegeben, die mit 0,1667 m zu multiplizieren ist. Auf diese Weise erhält man in etwa die Breite als Richtwert. Die daraus abgeleiteten Maßbezeichnungen lauten dann wie folgt und entsprechen:

MaßbezeichnungTeppichmaß
4/4telca. 0,70 x 1,40 m
6/4telca. 1,00 x 1,50 m
8/4telca. 1,30 x 2,00 m
10/4telca. 1,70 x 2,40 m
11/4telca. 2,00 x 2,50 m (kurz: 2 x 2?)
12/4telca. 2,00 x 3,00 m (kurz: 2 x 3)
14/4telca. 2,25 x 3,25 m
15/4telca. 2,50 x 3,00 m (kurz: 2? x 3)
16/4telca. 2,50 x 3,50 m (kurz: 2? x 3?)
18/4telca. 3,00 x 4,00 m (kurz: 3 x 4)


embossed - Auch Reliefschur genannt

Besonders chinesische, nepalesische, aber auch vietnamesische und einige indischen Knüpfteppiche im China-Stil fallen durch ihre Reliefschur auf. Sie wird im Englischen mit "embossed" bezeichnet. Diese Fremdwort hat Eingang in die deutsche Fachterminologie gefunden.

Während man in nichtchinesischen Florteppichen die Musterkonturen farblich konturiert und dadurch gegen die Farbe des Fonds abgesetzt, werden diese bei den China-, Nepal-, Indo-Nepal und Vietnam-Teppichen mit Spezialscheren vertieft eingeschnitten und bilden dadurch ein Art Flachrelief aus. Der Vorgang dieses handwerklichen Scherens wird auch als "clipping" bezeichnet.


Kabul - Hauptstadt von Afghanistan

Kabul, die Hauptstadt Afghanistans mit circa einer Millionen Menschen, liegt am gleichnamigen Fluss im Osten des Landes, unweit des Hindukusch und auf einer durchschnittlichen Höhe von 1.800 m über NN. Damit ist sie eine der höchstgelegensten Großstädte der Welt. Kabul ist sowohl politische und wissenschaftliche - die Universität wurde 1932 gegründet -, als auch wirtschaftliche und kulturelle Metropole dieses Vielvölkerstaates. Mit ihrer Lage nicht weit zum Khyber-Pass, dem einzigen größeren Übergang nach Pakistan-Indien ist auch ihr strategischer Rang von Bedeutung. Den Haupteinwohneranteil Kabuls stellen die Tadjiken, gefolgt von der bedeutenden Minderheit der Paschtunen (Pathanen).

Erstmalig taucht Kabul vor gut dreitausend Jahren in den Gesängen der Rigveda als Vigarute, die Gegend als Oase Kabuha oder Kabukha auf. Alexander d. Gr. erwähnt es 328 v. Chr. Der chinesische Reisende Xian Teseang berichtet 607 von der Stadt Koofu. Babur d. Gr. (1501-1530), Gründer der Mogul-Dynastie (1526 - 1857), machte Kabul 1504 zu seiner Hauptstadt. 1738 eroberte Nadir Shah (1722-1747) mit seinen persischen Truppen Stadt und Festung. Erst 1747 wurde Kabul dann Teil und Hauptstadt des seitdem unabhängigen Staates Afghanistan.

Während der Kämpfe gegen die Sowjetunion verloren über fünfzigtausend Moudjarheddin ihr Leben in den Straßen Kabuls, das von 1996 bis 2001 von den inzwischen vertriebenen Taliban beherrscht wurde. Wenn man derzeit auch noch kaum von Normalität sprechen kann, so ist Kabul und Umgebung eins der wenigen befriedeten Gebiete Afghanistans. Die Uno und zahlreiche Hilfsorganisationen arbeiten mit Hochdruck am Wiederaufbau, insbesondere an der Wiederherstellung der vom Krieg weitgehend zerstörten Infrastuktur, dem Straßenbau, der Telefon-, Elektro- und Wasserversorgung, sowie der Beseitigung der Kriegsschäden.

Inzwischen wurden bereits wieder zahlreiche Teppichknüpfmanufakturen in Betrieb genommen, die die Fertigung aus den inzwischen verlassenen nordpakistanischen Flüchtlingslägern übernommen haben. Die Branche rechnet deshalb schon bald wieder mit einem regelmäßigen Warenfluss aus Afghanistan, dessen Hauptbasar für Teppiche traditionell in Kabul ist. Hier werden auch Seidenbrücken gefertigt, die als Kabulibaff (Deutsch etwa: Kabulknüpfung) auf den Markt kommen. Zwei Brücken sind auf Seite 85 des Werth-Index abgebildet.


Werth-Index - Preisrichtschnur für Orientteppiche

Erstmalig 2002 in diesem Verlag herausgegeben, wurde diese bahnbrechende Preisrichtschnur für Orientteppiche von Handel und Verbraucher freudig begrüßt. Mit seinen Schätzpreisen bietet der Werth-Index Vergleichsmöglichkeiten an denen sich alle orientieren können. Qualitativ aufgeteilt nach Knüpfdichten, erteilt er alphabetisch geordnet Provenienz für Provenienz Auskunft. Die leicht verständlich und übersichtlich gegliederten Kurzerläuterungen, sowie die zahlreichen Abbildungen spiegeln zudem die Vielfalt des heutigen Orientteppichangebots wieder. So hilft der Werth-Index dem Verbraucher, die verwirrende Vielfalt auf einen Blick zu überschauen und dient ihm als willkommener Einkaufsberater. Auf diese Weise bringt der Werth-Index Klarheit und führt Käufer und Verkäufer zusammen. Der eine ist froh, nun endlich über einen neutralen Preis- und Sortimentsindikator zu verfügen, den anderen freut, daß gut informierte Kunden bessere Partner sind. Erforderlichenfalls kann der Werth-Index auch als Beweis für die Preiswürdigkeit eines Anbieters dienen.


Saf (Saph) - anatolischer Reihengebetsteppich

Der Saf (Deutsch: Reihe), auch Familien- oder Reihengebetsteppich genannt, ist heutzutage ein reines Touristenprodukt. Die Bezeichnung Saf steht für das im Querformat gestaltete Dessin, das in verschiedenen anatolischen Provenienzen auftaucht, wie beispielsweise im Muur, Kirschehir, Bergama, Uschak und Taschpinar. Die Kurden Ostanatoliens weben auch Klelims mit Saf-Dessins. Heute kommen die Saf meist aus den Knüpfereien von Kayserie, bisweilen auch als reinseidene Knüpfungen aus Hereke. Besonders gelungene Seidenknüpfungen aus Kayserie werden im Handel als Istanbul angeboten.

Es sind mehrere antike Saf bekannt, die den Provenienzen Bergama und Konya zugeordnet werden und in der Orienteppichwissenschaft eine bedeutende Rolle spielen. Der älteste stammt wohl aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts und wird der Region von Bergama, West-Anatolien, zugeordnet.

Ausgenommen die Safs sind für Moscheen gefertigt, wird auf ihnen jedoch nicht gebetet, schon gar nicht gemeinsam mit der Familie. Wie früher auch im Abendland üblich, beten die Muslime nach wie vor nach Geschlechtern getrennt. Die Mädchen meist mir den Müttern zusammen.
Reihengebetsteppiche werden wegen ihrer hoch dekorativen Wirkung besonders als Wandschmuck geschätzt. Da der Flor heutiger Kayserie-Saf meist aus einem empfindlichen Mischgarn, bestehend aus Merzerisierter Baumwolle und Schappseide oder so genannter Kunstseide (Filamentendlosgarn), ist von der belastenden Verwendung am Fußboden abzuraten.

Ein besonders schöner Saph ist abgebildet in "Der anatolische Teppich", Seite 261.


Pardeh - Teppichgrößenbezeichnung in Persien

Im Gegensatz zum 10/4 (1,70 m x 2,40 m) misst der Pardeh gewöhnlicherweise 2,50 m x 1,50 m. In Täbris spricht man bisweilen auch bei der Abmessung 2,00 m x 3,00 m von Pardeh. In jedem Fall rechnet der Pardeh nach hiesigem Verständnis zu den übergrossen Brückenformaten ab ca. 4,00 m?.

Das Wort Pardeh bedeutet auf Persisch "Vorhang, Gardine". Da es auch für die Größenbezeichnung von Grossbrücken herangezogen wird, mag als Erklärung dienen, dass diese Bezeichnung aus der Zeltkultur der Nomaden übernommen wurde. In den Zelten werden die Funktionsbereiche wie Knüpfen/Arbeiten, Kleinvieh, Küche, Schlafen, Gastraum, etc. mit geknüpften oder gewebten Teppichen dieser Abmessungen abgeteilt.

Zum Überblick geben wir hier die im Vorderen Orient gebräuchlichen Maßbezeichnungen wieder. Sie richten sich teilweise am altpersischen Längenmaß, dem "Sar" aus, der sich in vielen Größenbezeichnungen als Silbe wiederfindet:

Orientalische Teppich-größenbezeichnungen mit ca.-Maßen

Baby - ca. 40 x 60 cm, auch ca. 0,25 qm
Poschti (persisch Kissen) - ca. 60 x 80 cm, auch ca. 0,50 qm
Yastik (türkisch Kissen) - ca. 50 x 100 cm
Strip (Runner) - Streifen; kleiner, schmaler Läufer
Sartcharak (pers.), Pandjerek
Saroquart (pers.) - ca. 80 x 130 cm
Charak (pers.) - ca. 50 x 150 cm
Charakbuland (pers.) - ca. 80 x 200 cm
Saronim, Metreonim (pers.) - ca. 110 x 160 cm
eyrek (türkisch) - ca. 90 x 140 cm
Barik (persisch schlank) - ca. 100 x 200 cm
Dosar, Ghalitcheh (pers.) - ca. 130 x 200 cm
edjahdeh (türkisch) - ca. 120 x 190 cm
Kenare (persisch) - ab ca. 250 x 80 cm
Pardeh, Kelleyghi (persisch) - ca. 150 x 250 cm
Exote (meist doppelt so lang wie breit) - ca. 130/ 150 x 260/ 350 cm
Hali (türkisch), Ghali (persisch) - ca. 200 x 300 cm
Übermaß - Teppiche mit mehr als 14 qm

Habibian - Orientteppichmanufaktur in Nain

Die Orientteppich-Manufaktur Habibian machte sich von Anfang an sehr um die Provenienz Nain verdient. Auf Grund ihrer hochwertigen Qualität und der gefälligen Dessins erreichte sie bald ein herausragendes Renommee. Echte Habibian-Nains sind relativ selten und recht gut herauszukennen, denn ihr Duktus ist kurviger' als die Linienführung der anderen Knüpfungen. Der Gründer der gleichnamigen Manufaktur ist vor einigen Jahren in hohem Alter verstorben.

Den zugkräftigen Nimbus des ungeschützten Manufakturnamens machen sich seit geraumer Zeit auch andere Hersteller zunutze und knüpfen ebenfalls den Namen Habibian auf Persisch in die Bordüren ihrer Produktionen ein. Das geht bisweilen so weit, dass in bereits fertige Nain-Teppiche Schriftkartuschen auch noch im Nachhinein in die Bordüre aufwendig eingepasst werden. Bei genauem Hinsehen ist diese "aufwertende" Manipulation jedoch sichtbar, zumindest ertastbar: Die Anschlußseiten zur vorhandenen Knüpfung sind etwas verhärtet. Zieht man Florfäden heraus, ist erkennbar , daß beim Nachknüpfen oft nur V- und W-Schlingen, also keine Knüpfknoten gesetzt werden.


Kaschmar - ostiranische Teppichprovenienz

Die Stadt Kaschmar liegt in Ost-Persien in der Provinz Chorassan und ist die Hauptstadt des gleichnamigen Verwaltungsbezirks. Sie hieß ursprünglich Turschis und wurde zu Zeiten Schah Resa in Kaschmar umbenannt. Manchmal gelangen die Kaschmar-Teppiche daher auch unter ihrem alten Namen als Turschis in den Handel.

Bis vor gut zwanzig Jahren wurde hier vorwiegend das Herati-Muster geknüpft, das dann vornehmlich von den nicht weit entfernten Provenienzen Moud und Birdjand übernommen wurde. Heutzutage überwiegt das so genannte Sirchaki-Dessin. Seine Besonderheit liegt in der Wiedergabe antiker Ausgrabungsgegenstände wie Vasen, Waffen, Krügen, Schalen, usw., meist auf blauem oder beigefarbenem Fond. Die Anordnung ist fast ausschließlich vierersymmetrisch mit zentralem Medaillon, das ab und zu mit einem kleinen Bild geschmückt ist. Umrahmt wird alles von einer sehr ausgeprägten Hauptbordüre. Die Medaillons sind manchmal asymmetrisch und geben Landschaften wieder. In neuester Zeit kommen aber auch Allover-Designs vom Knüpfstuhl.

Die Knüpfung ist insgesamt voluminös, grobkörnig, der Flor relativ hoch, so daß die besseren Qualitäten als sehr robuste, strapazierfähige Teppiche gelten und aufgrund ihrer Preisstruktur ein verbraucherfreundliches Preis-Leistungsverhältnis haben.

Seit einiger Zeit werden in Kaschmar und Umgebung Nain-Dessins in den provenienztypischen Farbkombinationen Beige-Blau geknüpft, allerdings in den für Kaschmar üblichen Knotendichten und mit dortigen Wollsorten. Die Kaschmar-Nains sind an ihrer hohen Schur sowie an der andersartigen Wolle relativ sicher herauszukennen. Diese Nain-Kopien sind preiswerter als die Originale. Sie werden als Nains allerdings nur selten mit dem an sich erforderlichen Zusatz Kaschmar-Nain im Handel angeboten. Schätzpreise s. Werth-Index, S. 89.


Lori, Luri - Volksstamm in Südwest-Persien

Die Luren oder Lori (in Persien wird das R stärker betont wie: Lorri) sind ein indoiranisches, einen altpersischen Dialekt sprechendes Nomadenvolk, das seit Jahrtausenden in einer auch heute noch recht isoliert gelegenen Bergregion Südwest-Persiens siedelt und wandert. Sie selbst führen ihre Abkunft auf das antike Volk der Meder zurück, das einst von Kyros dem Großen (559-529 v.Chr.) zusammen mit dem Stamm der Perser zu einem staatstragenden Gesamtvolk vereint wurde. Stammesgeschichtlich und ethnisch sind die Luren mit den Bachtiaren verwandt. Letztere werden deshalb auch als Groß-Luren bezeichnet. Die seit dem Altertum bekannte, künstlerische Ausdruckskraft der Luren ist dokumentiert durch die bei archäologischen Ausgrabungen aufgefundenen Luristan-Bronzen, vorwiegend abstrahierte, auch unserem Zeitgeschmack gefällige Tiermotive, die vor weit über zweitausendfünfhundert Jahren in eben dieser Region gegossen wurden.

Die geometrischen, in dunklen Rot- und Blautönen gehaltenen, äusserst charakteristischen und vielfach noch wenig beeinflußt von Exporttendenzen erscheinenden Teppiche der Luren werden auch Kuhi (Persisch: vom Berg) genannt. Lori-Knüpfungen sind recht günstig im Preis, s. auch Werth-Index, S. 103. Diese Bezeichnung weist darauf hin, daß das heute überwiegend seßhafte Nomadenvolk seine Herden auch in höheren Gebirgsregionen weidet. Bezogen auf europäische Verhältnisse entspricht ihre Viehzucht in etwa der bei uns üblichen Almwirtschaft.

Eine große Anzahl der "modernen" Gabbehs wird von Luren geknüpft. Die als Loribaff (frei übersetzt: Luren-Knüpfung) bezeichneten, weiter entwickelten Knüpfteppiche stammen allerdings nur in geringem Umfang von ihnen, denn sie werden hauptsächlich von den Gaschghais gefertigt. Diese Teppiche kommen auch als Risbaff (etwa: Feinknüpfung) oder Kaschghulibaff in den Handel.
aus Heimtex Orient 01/03 (Teppiche)