Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Wir sind gespannt, wer diesmal alles gelöst hat. Einge Begriffe waren sicher nicht einfach zu knacken, aber wer aufmerksam Heimtex-Orient-Teppich ließt, wird in den Fachartikeln auf etliche Lösungen soßen. Und wenn nicht, schaue man in die Fachliteratur oder man rätselt gemeinsam im Kollegenkreis. Jede der nachfolgenden Erläuterungen der im vorigen Heft zur Lösung angeboteten Fachbegriffe ist ein weiterer Baustein auf dem Wege zum Fachmann. Und die braucht die Branche ganz besonders.

Cheft - Qualitätseinteilung bei feinen Isfahan-Teppichen

Auf der unteren Querwebkante (Anfangskelim) feiner Isfahans mit Seidengrundgewebe (Kette und Schuss) sind meist senkrechte Striche eingezeichnet. Diese dunkelblauen Linien teilen die Kelimleiste in mehrere, gleichgroße Längsspalten. Sie werden im Persischen cheft genannt. Zusätzlich wird die Mitte mit einem meist stärkeren Strich markiert.

Ein cheft, also eine Webspalte, beinhaltet immer die gleiche Anzahl Knüpfknoten. Je feiner also die Knüpfknoten in Schussrichtung nebeneinander stehen, um so schmaler ist das cheft. - oder je gröber, um so breiter. Da die Knüpfmaße seit alters her standardisiert sind, beispielsweise in Sartscharak, Saronim und Dosar, was wiederum auf die vorgegebenen Breiten der Knüpfstühle zurück geht -, kann der Fachkundige über die Anzahlt der cheft-Spalten auf die Knüpffeinheit des Teppichs schließen. Im Iran, insbesondere im Knüpfgebiet selbst, werden feine Isfahans deshalb in Verbindung von Größenangabe und cheft-Anzahl gehandelt.

Da die Einteilungsstriche waschfest sind, kann die cheft-Anzahl jederzeit überprüft werden. Zugleich dienen die cheft auch als Maßeinheit der Arbeitsleistung der Knüpferinnen.


Kaschghuli - Nomadenstamm in Süd-Persien

Im Süden Irans, in der Provinz Fars siedelt und nomadisiert seit Jahrhunderten das bedeutende Volk der Ghaschghai. Ausser den Kaschghuli gehören ihnen sieben weitere Unterstämme an: die Schisch-Buluki, Daraschuri, Farsi Madan, Gallesan, Iqdar, Rahimi und Safi Khani.

Ihr bedeutendster Gliedstamm - auch hinsichtlich der Teppichproduktion - sind jedoch die Kaschghuli, deren Knüpfungen seit alters her den renommiertesten Ruf unter den Ghaschghai-Teppichen genießen. Sie sind hochflorig, mit Türkischem Knoten geknüpft und aus hervorragend robuster Wolle ihrer Fettschwanzschafrassen. Alt- und Antikteppiche der Gaschghai sind begehrte Sammlerobjekte.

Die genaue Herkunft dieses Turkvolks ist bis heute ungeklärt. Erkenntnisse legen nahe, daß sie wahrscheinlich ein Unterstamm der türkischen Seldschuken waren, das ursprünglich östlich des Aralsees nomadisierte. Nach der Westwanderung wichen sie unter dem Druck der Mongolenstürme nach Südpersien aus. Einst reine Viehzüchternomaden, sind die meisten Ghaschghaisippen inzwischen sesshaft und uns gut bekannt als die Hauptproduzenten der modernen Gabbeh-Teppiche.

Angeregt durch deren guten Absatz, knüpfen die Kaschghuli seit einiger Zeit nun auch wieder ihre ureigenen Stammesdessins, reichern diese aber mit neuen Ideen und mit größerer Farbvielfalt an. Die sesshaften Stammesteile können auch Großformate herstellen. Diese neuen Kaschghuli-Knüpfungen werden jedoch nicht ausschließlich von ihnen, sondern auch von anderen Stammesteilen geknüpft.

Die noch nomadisierenden Sippen wandern zweimal im Jahr mit Sack und Pack hinauf zu den Yailas, den Sommerweiden im Zagrosgebirge. Im Herbst kehren sie zurück ins Tiefland, in die klimatisch milderen Winterquartiere. Die Ghaschghais gelten als stolz, fleissig, ehrenhaft und außerordentlich gastfrei. Sie sind wohl die letzten Freien, die ihr entbehrungsreiches Wanderdasein dem Seßhaftwerden vorziehen. Die Zeiten in denen sie als ungebärdet und kriegerisch auftraten, sind zwar längst vorbei, doch nach wie vor sprechen ihre Fürsten, die Khans, ein gewichtiges Wort in der iranischen Innenpolitik mit.


Numdah - Applizierter Filzteppich aus Indien

Der Numdah ist ein sehr preiswerter, bis zu zwei Quadratmeter großer Filzteppich mit aufgenähten Musterapplikationen. Sie werden ausschließlich im nordindischen Uninonsstaat Kaschmir hergestellt und über Srinagar und New Delhi gehandelt.

Auf weißen Filzgrund werden per Hand Muster aufgenäht. Die Dessins sind deutlich indisch geprägt. Hin und wieder werden diese sehr preiswerten Filzteppich auch exportiert und dann meist als Sonderangebote zu bestimmten Verkaufsaktionen in Deutschlands angeboten


Lines - Knüpfknoteneinteilung bei China-Teppichen

Knüpfdichteneinteilung für chinesische Teppiche werden im englischen Wort Lines, Knotenanzahl pro Fuß (= 30,5 cm) in Schußrichtung ausgedrückt. Linesangaben sind mittlerweile auch auf den Exportmärkten, ja sogar gegenüber dem Verbraucher gebräuchlich.

Da es in Deutschland üblich ist, die Knotendichte per Quadratmeter anzugeben, wird es erforderlich von Lines auf Quadratmeter umzurechnen. Hierzu bedient man sich folgender Formel (verdeutlicht am Beispiels einer 70-lines-Einstellung):
70 x 70 = 4.900 x Faktor 10,764 = 52.744 Knoten/qm.

Nachstehend die Umrechnungen der geläufigsten China-Qualitäten
Qualität ca. Knotenanzahl/qm
70 lines= 53.000
80 "= 69.000
90"= 87.000
120"= 155.000
130"= 182.000
150"= 242.000
200"= 430.000
230"= 569.000
250"= 673.000*
300"= 969.000*
400"= 1.722.000*
500"= 2.650.000*
600"= 3.900.000*
700"= 5.300.000*
800"= 6.900.000*
*gewöhnlicherweise nur in Seide


Polenteppiche - Bezeichnung für eine Gruppe Antik-Teppiche

Da die Dessins dieser Antikknüpfungen von polnischen Auftraggebern nicht nur geordert, sondern die Dessins auch nachhaltig beeinflusst wurden, werden sie fachlich als Polenteppiche bezeichnet. Sie entstanden überwiegend im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts, zählen also kunsthistorisch zu den Knüpfungen der safawidischen Epoche. Sehr wahrscheinlich wurden sie in den kaiserlichen Manufakturen von Yasd, Keschan oder Isfahan geknüpft.

Anlässlich der Pariser Weltausstellung 1878 nahm Westeuropa erstmalig Kenntnis von diesen zum Teil mit Gold- und Silberfäden durchwirkten, großformatigen Luxusteppichen. Die damals gezeigte Kollektion stammte sämtlich aus Beständen polnischer Fürstenhäuser und war eine Leihgabe des Grafen Czartorski. Bekannt ist auch, dass vergleichbare, mit Edelmetall verzierte Teppiche von den safawidischen Schahs hochrangigen Diplomaten als Gastgeschenke offeriert wurden.


Provenienz - Herkunftsbezeichnung

Das aus dem Lateinischen stammende Fremdwort Provenienz bedeutet Herkunft, Ursprung und wird ausschließlich für Waren angewendet. Zum Beispiel auch für Weine und Tabake. Im Orientteppichbereich wird das schier unübersichtliche Feld der verschiedenen Knüpfungen in Provenienzen eingeteilt. Sie sind somit ein klarer Hinweis auf den Ursprung eines handgeknüpften Teppichs und müssen auch entsprechend genau etikettiert werden. Insbesondere das Ursprungsland muss hundertprozentig stimmen.

Die Provenienz eines Orientteppichs richtet sich nach Knüpforten - Beispiele in Klammern - (Weramin, Lilian), Haupthandelsplätzen (Hamadan, Arak), Ländern (Kaschmir, Afghan), Landstrichen (Halva-i-Bidjar, Kelardascht), Provinzen (Chorassan, Fars), Völkern (Bachtiar, Ghaschghai), sowie Stämmen und Stammesföderationen (Kaschghuli, Chamseh). Gebräuchlich sind auch Qualitäts- (Kork-Isfahan, Seiden-Ghoum) und Größenangaben (Kenareh, Mussel), sowie Musteraussagen (Mahi-Täbris, Gobelin-Kirman), Traditionsnamen (Polenteppich, Savonnerie), Fundort (Pazyryk, Chelsea), Verwendungszweck (Soffreh, Rukorssi), Machart (Kelim, Gülbadjeste), Manufakturen (Mohtascham, Amoghli) und Neuschöpfungen (Amerikanischer Sarough, Loribaff). Provenienzbezeichnungen können auch Kombinationen aus vorgenannten Namen sein, wie beispielsweise Ardjumand-Kirman. Allgemein werden traditionelle Bezeichnungen bevorzugt (Senneh, Ravar), besonders bei Ortsnamen, die im Laufe der Geschichte geändert wurden (Turschis, Sutanabad).


Rafsandjan - Orientteppichprovenienz aus Persien

Der Ort Rafsandjan liegt etwa hundert Kilometer westlich von Kirman an der Straße nach Yasd. Den sehr gedrängten, floralen Dessins ist deutlich die Verwandschaft zur bedeutenden Nachbarprovenienz anzusehen. Ein Grund, weshalb die Rafsandjans ständig mit den Kirman-Knüpfungen verwechselt werden. Der Unterschied ist zudem nur marginal. Allerdings ist der Flor steiler als beim Kirman, die Muster sind immer sehr viel fülliger als beim Kirman. Die Farben heutiger Rafsandjans sind eher ruhig und zurückhaltend und damit marktangepasster. Duktus, Material und handwerkliche Verarbeitung blieben hingegen sehr "kirmantreu". Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die heutigen, meist hervorragend gearbeiteten Rafsanjans mittlerweile die Position der besseren Kirman-Knüpfungen vereinnahmt, denn leider wurde dort in den vergangenen Jahren sehr viel Ware unteren Qualitätsniveaus produziert. Nicht nur geknüpft, sondern auch mit W- und V-Schlingen gearbeitet. Geschlungene Rafsandjans sind bisher nicht bekannt.


Seldschuken - Turkstämmige Invasoren Kleinasiens

Die Seldschuken, eine Fürstendynastie des 11. bis 14. Jahrhunderts, benannten sich nach ihrem Stammesführer Seldschuk, der um 1.000 lebte. Sie waren ein Hauptstamm der Oghusen, die aus der Gegend östlich des Aralsees nach Westen aufgebrochen waren. Sie herrschten sie über weite Teile des schiitischen Persiens, und erklärten sich als Sunniten 1005 zur Schutzmacht über das Abbasiden-Kalifat in Bagdad. Ihre Sultane eroberten den Irak und Teile Syriens mit Jerusalem (1076), das ihnen die Kreuzfahrer zu Beginn des 12. Jahrhunderts wieder abnahmen. Die Bedrohungen durch die Seldschuken war übrigens der Hauptgrund für den ersten Kreuzzug.

In der für das Abendland historisch bedeutenden Schlacht von Mantzikert (1071) siegten sie unter Arp Aslan (1063-1072) über Byzanz und verdrängten damit gleichzeitig das Christentum aus Kleinasien. Dieses Jahr wird zugleich auch als Beginn des türkischen und des moslemischen Anatoliens betrachtet. Ein Zweig der Dynastie, die Rum-Seldschuken, gründete ihr Reich in Anatolien mit der Hauptstadt Konya. 1243 wurden sie von den Mongolen Djingis Chans bezwungen. Nicht nur kriegerisch auftretend, maßen die Seldschuken auch der Kunst und den Wissenschaften, insbesondere den medizinischen große Bedeutung zu und errichteten in nahezu allen ihren Städten medizinische Institutionen und Krankenhäuser.

Orientteppiche, die auf ihre Epoche zurückgehen wurden aufgefunden in Konya, Beyschehir und Fostat (Kairo).


Handtufting - Spezielles Verfahren zur Florteppichherstellung

Bei diesem halbmanuellen Teppichherstellungsverfahren werden mit Hilfe einer Einnadelmaschine von der Rückseite eines bestehenden Trägergewebes her Garnbüschel (Engl. tuft = Haarbüschel) als Florgan eingetragen. Es sind also keine Knoten; sondern nur Schlaufen. Auf diese Weise entsteht ein beliebiges Muster. Dieses kann später entsprechend getrimmt, aber auch mit Reliefschur versehen werden.

Im Gegensatz zu einem Knüpfteppichaufbau, der Querreihe für Querreihe entsteht, wobei sich zugleich das Grundgewebe mit aufbaut, kann beim Tunftings partiell und damit musterkonform auf einem bereits fertigen Gewebefundament gearbeitet werden. Abweichend vom Knüpfen, das dies nicht erlaubt, können bei gröberen Einstellungen problemlos auch Rundungen gearbeitet werden. Die Variationsmöglichkeiten der Muster- und Farbgestaltung sind somit unbegrenzt.

Der Flor besteht Kunstfasergarnen wie Polyacryl oder Wolle. Um den Schlingenbögen festen Halt zu verleihen, werden sie nach Fertigstellung des Stücks an der Teppichrückseite mit flüssigem Latex oder anderen Bindemitteln kaschiert, verleimt. In diesem Fall bezeichnet man sie dann als (Latex)-back-Tuftings. Anschließend wird ein Deckgewebe hinternäht.

Da das Handtufting handwerklich relativ schnell zu bewerkstelligen ist, sind die so gefertigten Teppiche sehr preiswert. Der Hauptgrund, weshalb sich die Tuftings in neuester Zeit breite Käuferschichten erobert haben.

Hauptproduktionsländer sind derzeit China (Tientsin) mit Hongkong, Singapur und Indien. Tuftings werden aber auch in Deutschland produziert, wo man teils hochwertige Designerteppiche nach diesem Verfahren in Kleinstmengen herstellt.
aus Heimtex Orient 06/03 (Teppiche)