Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Es ist zwar wichtig, auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner" möglichst mit Ja antworten zu können. Doch alles kann man gar nicht wissen. Etliches muss auch der versierte Fachmann nachschlagen, zum Beispiel im Orientteppich-Kompass mit seiner umfangreichen Fachterminologie. Diese Ratespiel dient also allen dazu, sich ständig weiterzubilden. Wohl auch, sich mal ein wenig selbst zu prüfen. Ein Fachwissen ohne Lücken gibt es nun mal nicht. Daher sind diese Fragen und Antworten ein guter und vor allem ein amüsanter Meilenstein. Wie immer versuchen wir ein Mix anzubieten zwischen Zeitgenössischem, Neuem und historischem Teppichwissen. Auch da gibt es hin uns wieder neue Erkenntnisse, die zu berücksichtigen sind. Schließlich ist der Orientteppich ein Produkt das lebt und das zugleich auf eine ungeheuer lange Historie und Tradition verweisen kann. In dieser Hinsicht gibt es weltweit keine annähernd vergleichbare Handarbeit. Eine, die zudem prägend für die jeweilige Einrichtung ist und dort meist sogar die Führung übernimmt.

Tugra - Kalligraphisches Siegel der osmanischen Sultane

Die Tugra ist eine äusserst kunstvoll gestaltetes, kalligraphisches Emblem, das den osmanischen Sultanen als persönliches Siegel diente. Anfänglich war es wohl das Stammeszeichen des Großseldschuken Melik-Schah (1072-1092) und wurde später von den nachfolgenden Osmanen als Herrscheremblem übernommen. Jeder osmanische Sultan aus dieser lang andauernden Dynastie von 1290-1924 hatte seine spezielle, unverkennbar für ihn geschaffene Tugra, in der übrigens oft mehrere Lesarten möglich sind. Mit seiner Tugra siegelte der Sultan alle Erlasse, die so genannten Fermane.

Am Top-Kapi-Serail wurde dafür eigens das verantwortungsvolle Amt des Tugra-Kesch, des Tugra-Kalligraphen geschaffen. Er legte jede neue Tugra bewusst derart verschnörkelt an, denn so sollte jede Fälschung oder Nachahmung unmöglich gemacht, zumindest aber erschwert werden. Die komplizierte, filigrane Linienführung ist auch der Grund, weshalb die Tugra kaum in Orientteppichen vorkommt. Sie erscheint aber auch auf Münzen und kennzeichnet hin und wieder Gebäude, die der jeweilige Sultan errichten ließ.

Die Ursprünge der Tugra sind nicht ganz klar. Angenommen wird, das ihre Vorstufe einst ein Totem war und auf ein Fabeltier, möglicherweise einen legendären, Sieg verheissenden Vogel zurückgeht. Später wandelte sie sich zum Brandzeichen, das Tamga innerasiatischer Nomaden.

Touristen können sich heute von türkischen Kalligraphen ihre persönliche Tugra zeichnen lassen. Ein reizvolles, absolut persönliches Souvenier, das viele für sich zeichnen lassen.


Torba - Geknüpfte oder gewebte Packtasche der Turkmenen

Torba ist die von die Turkmenen gebrauchte Bezeichnung für kleine Packtaschen mit Abmessungen von etwa 0,25-0,45 m x 0,80-1,10 m. Er wurde zu einem Fachausdruck, der weltweit auch bei Sammlern und Kennern gebräuchlich ist.

Das Knüpfen und Weben von kleinen und großen Taschen wie zum Beispiel Sattel- und Packtaschen ist im Orient besonders unter den Nomaden, aber auch bei der Landbevölkerung weit verbreitet. Auch bei geknüpften Vorderseiten wird die Rückseite grundsätzlich von den auslaufenden Ketten gebildet. Diese sind immer in Leinwandbindung gewebt und haben meist nur ein simples Streifenmuster. Die gewebten oder geknüpften Vorderseiten können äusserst kunstvoll gestaltet sein. Oftmals sind Torbas Teile der Aussteuer und wurden von den jungen Frauen schon von daher mit besonderer Sorgfalt gefertigt. Diese besondere volkskundliche Bedeutung ist einer der Gründe, weshalb Nomaden-Taschen bei Sammlern so großen Anklang finden. Im Abendland sind sie aber auch begehrt als Dekorationsstücke für die Wände oder zum Beispiel als Zeitungsbehälter.

Da die Nomaden keine Möbel kennen, verwenden sie geknüpfte oder gewebte Taschen ähnlich wie wir Schubladen brauchen, um darin alles Mögliche zu verstauen. So gibt es spezielle Taschen für Löffel und Küchengerätschaften (Tschemtsche-Torba), für Kämme und Haarnadeln, für Salz (Namakdan), etc. Je nach Landstrich und Hersteller tragen sie sehr unterschiedliche Namen wie: Ala Tschuval, At Torba, Balischt, Baschtük, Beschek, Chanteh, Chavadan, Galeh, Hartsch, Igsalik, Kiff, Mafrasch, Namakdan, Napramach, Pol donneh, Poschdi, Kalyandan, Kaschokdan, Rachat, Tarhalt, Torbak, Tschuval (auch Chuval oder Djoval geschr.) und Turbeh.


Zeugbaum - Unteres Querholz am Web- bzw. Knüpfstuhl
Zeugbaum oder Warenbaum ist eine Bezeichnung, die aus dem Weberhandwerk stammt. Da der Knüpfstuhl in seinen technischen Gegebenheiten und handwerklichen Abläufen genau wie ein Webstuhl aufgebaut ist und funktioniert, wird auch hier das untere Querholz, Zeug- oder Warenbaum genannt. Bei modernen Knüpfstühlen ist dieses Konstruktionselement heutzutage meist aus Eisenrohr.

Über diese, bei einigen Knüpfstühlen bewegliche Querwalze in Teppichbreite wird das fertig gewebte, bzw. geknüpfte Werkstück - fachlich auch Zeug genannt - am unteren Knüpfstuhlende aufgerollt. Dies ist insbesondere der Fall beim Knüpfen von langen Läufern. Bewegliche Zeugbäume sind bei Knüpfstühlen jedoch relativ selten, denn es ist dann sehr schwierig, die für das Knüpfen besonders wichtige, starke Kettvorspannung aufrecht zu erhalten. Zeugbäume gibt es ausschließlich an vertikalen Knüpfstühlen. Der obere Querbalken wird Kettbaum genannt.


Özipek - Renommierte Knüpferei in der Türkei

Die Orientteppichmanufaktur der Familie Özipek ist eine der bedeutendsten in Hereke, Türkei (West-Anatolien). Man knüpft ausschließlich sehr hochwertige Seidenteppiche der Provenienz Hereke, West-Anatolien, und ausschließlich nur in herausragender Qualität.

Anfang der 1980er Jahre war Özipek die erste Knüpferei, die sich an die damals noch für unmöglich gehaltene Knüpfeinstellung von 24 x 24 Knoten/cm wagte. Das entspricht immerhin einer Quadratmeterknotenfeinheit von ca. 5.760.000 Knoten. 2004 entstand ein kleiner Teppich von ca. 0,20 qm mit der Einstellung 30 x 30 Knoten pro Zentimeter, was einer Quadratmeterknüpfdichte von 9 Millionen entspricht.

Zwei Merkmale kennzeichnen die Özipek-Knüpfungen: ein Namenszug in arabischer Schrift, der in einer Kartusche in der Mitte der äusseren Ponpon-Bordüre eingeknüpft ist und oben und unten im Kelimansatz zwei zusätzliche Querbordüren mit geknüpften Seidenponpons. Letztere sind zwar eine "Erfindung" von Özipek, werden mittlerweile aber auch von anderen Seidenknüpfereien nachgeahmt, auch in China-Herekes.

In der Türkei steht der Name Özipek für Spitzenqualität und wird in einem Atemzug genannt mit _irinyan, inar und Mehmet Derin, die derzeit ebenfalls die hochwertigsten Seidenknüpfungen der Türkei knüpfen.


No-lah - Qualitätsrichtschnur für Nain-Knüpfungen

No-lah oder Deutsch Neun-Lah ist eine Qualitätsbezeichnung für mittelfeingeknüpfte Nain-Teppiche mit Knüpfdichten zwischen 300.000 und 400.000 Knoten/qm

Lah bezeichnet die einzelnen Fäden in einem gezwirnten Kettgarn, das immer aus mehreren zusammengedrehten Garnen besteht und deren Ausgangsstärke festgelegt ist. Diese Grundstärke wird beim Handarbeitsprodukt Knüpfteppich gewöhnlicherweise nicht genormt. In den einzelnen Knüpfregionen tragen die Garnstärken zudem unterschiedliche Bezeichnungen. In Nain nennt man diese einzelnen "Seelen" Lah. Je mehr Lah-Garne nun zusammengedrillt werden, um so dicker wird das Garn, und je dicker das Kettgarn ist, um so gröber wird der dieses Garn umschlingende Teppichknüpfknoten.

Die Bezeichnung der Knüpfdichte über den Fachausdruck Lah ist nur üblich bei Nain-Dessins, also auch bei Nain-Knüpfungen aus Bardaskan, Kaschmar, Neyschapour, Sabsewar, Tabas, u.a. Letztendlich sagt sie aber nichts Genaues aus über die tatsächliche Knüpfdichte, sondern ist ausschließlich einen Anhaltspunkt, beziehungsweise eine Grobeinteilung der verschiedenen Qualitätsstufen.

Es beginnend mit der gröbsten Nain-Knüpfung, die 12-Lah (davosda-lah) heisst, führt dann weiter zu 9-Lah (no-lah), der Mittelqualität, bis hinauf zu 6-Lah (schisch-lah), 4-Lah (tschahar-la) und auch der äußerst seltenen 2-Lah-Feinheit (do-lah), dem dünsten Kettgarn. Die letzten drei Lah-Bezeichnungen (6, 4 und 2) stehen für die Spitzenqualitäten der Provenienz Nain.

Natürlich kann man die Lahstärken auch Deutsch benennen, also Zwölf-Lah, Neun-Lah, Sechs-Lah, Vier-Lah und Zwei-Lah. Es hat sich jedoch eingebürgert, die Lah-Zahlen original auf Persisch zu belassen. Abweichend liefert die VR China Nain-Dessins, deren Qualität in lines ausgelobt werden.


Pile - International übliches, englisches Wort für Flor

Pile ist nichts weiter als das englische Wort für Teppichflor. Der Fachausdruck gilt für sämtliche Florteppiche, ist also nicht auf Handarbeiten beschränkt.

China-Teppichqualitäten werden teilweise nach Florhöheneinteilungen gehandelt, beispielsweise 5/8" pile = 16 mm. Bisweilen findet sich die Bezeichnung Pile auch in deutscher Fachliteratur.


Muska - Amulett, teilweise auch in Orientteppichen

Muska ist die türkische Bezeichnung für Amulett, Zauberspruch oder Talisman. Um das Werk und seinen Besitzer vor Unheil zu bewahren, werden insbesondere von Bauern und Nomaden sehr oft Muskas in orientalische Knüpf- und Webteppiche des Orients eingearbeitet. Teils sind diese versteckt und kaum auszumachen, aber auch ganz offen dargestellt, um so den Schutz für Jedermann zu dokumentieren. Manchmal sogar im Kelimansatz. Geknüpfte Muskas, in der sich eine Koransure befindet, werden von heimkehrenden Mekka-Pilgern, den Hadjis, auf der Brust getragen.


Tabatabai - Knüpfteppichmanufaktur in Täbris

Tabatabai ist eigentlich eine aus dem Arabischen herrührende Bezeichnung für Nachkommen, die als Abkömmlinge ihren Stammbaum sowohl väterlicher-, als auch mütterlicherseits auf den Propheten Mohammed zurückführen können. Tabatabai wird aber auch als Familienname geführt. Abkömmlinge mit nur einem vom Propheten abstammenden Elternteil werden in Persien als Seyyeds bezeichnet.

In Täbris fertigte eine Teppichmanufaktur mit Namen Tabatabai Orientteppiche mit einem sehr eigenständigen und typischen Dessin, dessen Duktus verhalten floral geprägt und meist beigegrundig ist. Die Knüpfdichte liegt zwischen 180.000 und 280.000 Knoten/qm. Die Original-Tabatabai-Knüpfungen sind alle mit einer persisch geschriebenen Namenskartusche gekennzeichnet.

Tabatabai-Dessins wurden aber auch von anderen Knüpfereien in Täbris und Umgebung nachgeahmt, oft in weitaus geringeren Knüpfdichten. In den 1970-1980er Jahren war das Tabatabai-Dessin sehr beliebt. Heute ist dieses Dessin im Handel nicht mehr präsent.


Moschkabad - iranische Orientteppichprovenienz

In den 1950er/60er Jahren war die Provenienzbezeichnung Moschkabad im Handel eher ein abfällig gemeintes Synonym für grob geknüpfte Teppiche aus dem Sarough-Arak-Gebiet West-Persiens. Dies ist insofern auch verständlich, weil die Knotendichten der seinerzeitigen Moschkabads zwischen 120.000 und maximal 160.000 Knoten pro Quadratmeter lagen, also mit den aus der gleichen Gegend stammenden, nur geringfügig besseren Mahals vergleichbar waren. Zudem wurde recht viel Gerberwolle verknüpft.

Zurückzuführen sind diese Knüpfdichte und das bedenkliche Flormaterial auf die im letzten Viertel des 19. Jahrhundert angelaufene Produktion von Exportware, bei der die Moschkabads wegen ihres geringen Preises zu den gesuchten Provenienzen gehörten. Auftraggeber seinerzeit waren so berühmte Firmen wie Ziegler & Co., Hotz and Son und später auch die in Berlin beheimatete PETAG. Laut A. Cecil Edwards (The Persian Carpet) kann Moschkabad dennoch auf eine stolze Teppichtradition verweisen, denn ohne Zweifel wurden in dieser Stadt und ihrer Umgebung zuvor einst die in viktorianischen Zeiten in England so beliebten, dunkelblaugrundigen Ferahans geknüpft.

In Folge der heute immer noch andauernden Renaissance der Ziegler-Dessins, taucht seit einigen Jahren auch der Moschkabad im traditionellen Gewand wieder auf. In Anlehnung an die damalige Farbgebung sind die heutigen Knüpfungen ebenfalls hellgrundig und zeigen einen großzügigen, den Sarough-Dessins entsprechenden Duktus, allerdings nach wie vor meist ohne Medaillon. Die heutige Knüpfung und handwerkliche Verarbeitung ist allerdings fester und auch erheblich feiner als die der historischen Ziegler-Moschkabads. Sie liegt zwischen 180.000 und 250.000 Knoten pro Quadratmeter. Ausserdem ist die heutige Florwolle von sehr guter Strapazierqualität.

In der jüngeren Geschichte nimmt Moschkabad eine unrühmliche Stellung ein. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ließ der Kadjaren-Schah Fath Ali (1797-1834) die Stadt wegen der rebellischen Bürger, die ihm die Steuern verweigerten, von seinem Militär zusammenkartätschen. Im Anschluss ließ er dann in etwa dreißig Kilometern Entfernung die Stadt Sultanabad (seit 1936 Arak) errichten. Damit wollte der Kadjaren-Schah erreichen, dass die einstmals blühende Provinzmetropole nie wieder ihre vorherige Bedeutung zurückgewinnt. So kam es dann auch.
aus Heimtex Orient 01/05 (Teppiche)