Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Es ist zwar wichtig, auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner" möglichst mit Ja antworten zu können. Doch alles kann man gar nicht wissen. Etliches muss auch der versierte Fachmann nachschlagen, zum Beispiel im Orientteppich-Kompass mit seiner umfangreichen Fachterminologie. Diese Ratespiel dient also allen dazu, sich ständig weiterzubilden. Wohl auch, sich mal ein wenig selbst zu prüfen. Ein Fachwissen ohne Lücken gibt es nun mal nicht. Daher sind diese Fragen und Antworten ein guter und vor allem ein amüsanter Meilenstein. Wie immer versuchen wir ein Mix anzubieten zwischen Zeitgenössischem, Neuem und historischem Teppichwissen. Auch da gibt es hin uns wieder neue Erkenntnisse, die zu berücksichtigen sind. Schließlich ist der Orientteppich ein Produkt das lebt und das zugleich auf eine ungeheuer lange Historie und Tradition verweisen kann. In dieser Hinsicht gibt es weltweit keine annähernd vergleichbare Handarbeit. Eine, die zudem prägend für die jeweilige Einrichtung ist und dort meist sogar die Führung übernimmt.

Tafresch - persische Orientteppich-Provenienz

Der kleine Ort Tafresch - auch Tafrisch oder Tahfresh geschrieben - liegt ca. hundert Kilometer östlich der westiranischen Stadt Hamadan an der Flanke des gleichnamigen Berges Kuh-i-Tafresch. Hier werden sehr eigenständige Knüpfungen im Dosar- und Saronim-Format am vertikalen Knüpfstuhl produziert, deren signifikantes Dessin leicht als Tafresch zu erkennen ist Sie zählen zur bedeutenden Gruppe der Hamadan-Teppiche, unter denen sie als Knüpfungen der bäuerlich geprägten Bevölkerung qualitätsmäßig und der Knüpfdichte nach eine Spitzenposition einnehmen.

Das Produktionsaufkommen ist nicht umfangreich, ein Grund, weshalb man diesen außergewöhnlichen Teppich nur recht selten in den Sortimenten findet. Geknüpft mit dem Türkischen Knoten, ist der Tafresch ein Teppich der oberen Mittelklasse, sehr gut im Gebrauchswert und mit einem verbraucherfreundlichen Preis-Leistungsverhältnis.

Da das sehr provenienztypische Traditionsdessin nirgends kopiert wird, ist die Provenienz Tafresch relativ leicht zu bestimmen. Er ist grundsätzlich vierersymmetrisch floral gezeichnet und im Detail fein ziseliert. Das zentrale Medaillon wird zu je einem Viertel in den Innenecken wiederholt. Typisch ist die sechzehner Teilung der Strahlen des Mittelmotivs, auffällig die freien Fondsflächen. Bei Altknüpfungen findet man auch ein längssymmetrisches Pflanzen-Vogel-Dessin, wie es A. Cecil Edward in seinem Buch "The Persian Carpet" auf Seite 110 abbildet.

Die Knüpfung ist fest, für die Hamadan-Provenienzen ungewöhnlich fein und von erlesener handwerklicher Ausführung. Obwohl recht fein geknüpft, schlägt sich dieser Vorteil eher unwesentlich im Preis nieder. Um das Muster deutlich und akzentuiert hervortreten zu lassen, ist die Schur niedrig und der Strich entsprechend stark geneigt, was dem Flor eine gewisse Dichte verleiht. Die meist rote Farbgebung ist licht und freundlich, was unter den Hamadan-Teppichen eher eine Ausnahme ist.


Abrasche - Fachausdruck für orientteppichspezifische Farbsprünge

Abraschen sind Hell-Dunkel-Farbschattierungen, also gering bis deutlich abweichenden Farbtonänderungen des Florgarns, die in Orientteppichen immer quer zur Längsrichtung verlaufen. Auf Deutsch werden sie auch Farbsprung genannt.

Das Wort Abrasche bedeutet im Türkischen so viel wie scheckig, Schattierung. Sie fallen besonders auf flächigen Farbbereichen auf und sind ein Phänomen, das in Orientteppichen recht häufig anzutreffen ist. Demzufolge gelten sie als orienttypische Eigenart.

Insbesondere bei Nomaden- und Bauernteppichen gehören sie quasi dazu, werden zumindest - je nach Standpunkt des Interessenten - weitestgehend toleriert oder sind sogar erwünscht. Hochfeine Manufakturteppiche sollten jedoch frei von Abraschen sein.
Die Ursachen von Abraschen sind vielfältig: Beim Einfärben per Hand weichen die Farbstoffmengen gegenüber der nächst folgenden Färbecharge geringfügig ab und verändern so den Farbton.

Auch unterschiedliche Naturwollfarben, die von Beige über Braun bis Schwarz reichen, können die Ursache sein, denn die Farben decken darauf anders. Ausschlaggebend sind ferner die unterschiedlichen Temperaturen der Farbflotte, differierende Konsistenz des Farbstoffs - insbesondere bei Naturfarbstoffen -, intensiveres oder kürzeres Kochen, Sonnentrocknung des Färbegutes, verschiedenartige Beizen zum Aufschließen des Keratins (Protein der Wolle), Restfettgehalt der Wolle, Mineralgehalt und ph-Wert des Wassers, Farbreaktionen bei einer Veredelungswäsche, usw.

Eventuell vorhandene Abraschen von Atelier- und Manufakturteppichen werden im Nachhinein meist farblich angeglichen. Mangelhaft ausgeführtes Abtönen kann dennoch dazu führen, dass nach einer späteren Wäsche eine vorhandene, vorher nicht wahrnehmbare Abrasche plötzlich wieder hervortritt. Nochmaliges Nachfärben kann Abhilfe schaffen.

Andererseits sind Abraschen ein so spezifisches, teils auch musterbelebendes Orientteppichmerkmal, dass sie in industriell gefertigten Teppichen sogar als produktspezifisches Schmuckelement imitiert und künstlich nachgeahmt werden.


Doppelknoten - Phantasiebezeichnung für Symmetrischer Teppichknoten

Der Begriff Doppelknoten ist eine Phantasiebezeichnung, einen wirklichen Doppelknoten gibt es nicht. Oft benutzt wird diese Bezeichnung aber in der Türkei. Hier wird den touristischen Orientteppichkäufern immer wieder etwas vom "Doppelknoten" vorgeschwärmt. Gemeint ist aber der übliche Türkische Knoten. Seine Florfäden umfassen jeweils zwei Kettfäden, einen pro Knotenbogen. Auch wenn wohl der Eindruck erweckt werden soll, der türkische "Doppel"knoten sei haltbarer oder auf andere Weise kräftiger, massiver als sein Bruder, der persische Senneh-Knoten, so ist das nicht der Fall.

Genauso irritierend ist der Zusatz "doppelt" bei den Double-Knot Teppichen aus dem Kaschmirgebiet. Hier ist der material- und arbeitszeitsparende Djufitknoten gemeint. Auch die Berber mit ihrer Double-Knüpfung sind keine Teppiche mit doppelten Knoten, sondern sind mit doppelt gelegten Knpffden hergestellt.


Gabelranke - besonderes Musterdetail in Floraldessins

Die Gabelranke ist eines der ältesten Ornamente in der gestaltenden Kunst und findet sich in fast jedem Teppich mit floralem Dessin. Vorbild für dieses Ornament ist der verzweigte Ast von Bäumen, Büschen und anderen Pflanzen. Entlehnt für die textile Kunst wurde von den safawidischen Fayencen, wie sie beispielsweise auf den berühmten Kuppeln der Moscheen von Isfahan zu finden ist.

Meist ist die Gabelranke an ihrer Verzweigung auffällig verdickt. Oft läuft sie in Spiralen aus und ist ein Hauptstilelement des Eslimi-Dessins mit seinen Arabasken. Sie gilt allgemein auch als deren Vorläufer und findet sich beispielsweise schon in der im 6. Jhd. erbauten Haghia Sophia, damals noch Konstantinopel geheißen, seit 1453 Istanbul.


Filamentendlosgarn - korrekte Materialbezeichnung für volkstümlich "Kunstseide"

Joseph Wilson Swan, der gemeinsam mit Thomas Alwar Edison auf der Suche nach einem geeigneten Glühfaden für Glühbirnen war, erfand dabei 1883 eine Faser, die er "artifical silk" nannte. Da er diesen Weg nicht weiter verfolgte, wurde seine Erfindung endgültig in Frankreich in eine Textilfaser umgesetzt. Louis Marie Hilaire, Compte de Chardonnet, startete 1890 die erste, industrielle Chemiefaserproduktion in der südostfranzösischen Stadt Besanon als so genanntes Viskoseverfahren. Wegen ihres strahlenden Glanzes nannte er seine Faser Reyon (Franz.: Strahl), eine immer noch übliche Bezeichnung.
Das Filamentendlosgarn wird grundsätzlich aus dem Naturprodukt Zellulose gewonnen, also letztlich aus dem Rohstoff Holz. In dem recht aufwändigen Industrieverfahren wird die reine, breiige Zellulose, ein Brei, zu einem durchgehenden Textilgarn gezogen. Hierauf beruht die Bezeichnung Filamentendlosgarn.

Fußbodenteppiche aus diesem Garn werden hauptsächlich in China und der Türkei (Provenienzen Bünyan und Kayserie), sowie vereinzelt in Pakistan geknüpft.

Die im Umgangssprachgebrauch üblicherweise verwendete Bezeichnung "Kunstseide" ist nach dem Textilkennzeichnungsgesetz (TKG) nicht statthaft. Es muss Filamentgarn beziehungsweise Filamentendlosgarn am Produkt etikettiert werden.

Die Bezeichnungen Acetatseide, Viscose oder Reyon sind zwar weit verbreitet und auch geläufig, werden aber nur verhalten toleriert und könnten abgemahnt werden. Will das vermeiden, hat die Materialauszeichnung des Teppichflors, der im Gesetz Nutzschicht genannt wird, grundsätzlich streng nach dem TKG zu erfolgen.


Djidjim, Djadjim - überwiegend in Leinenbindung gewebte, farbige Tuche

Djidjims sind feste, im gesamten Orient verbreitete Handwebdecken, meist in einfacher Leinenbindung gewebt und ursprünglich nur für den eigenen Hausgebrauch bestimmt. Diese Tuche werden auch von Völkern und Stämmen hergestellt, die keine Knüpfarbeiten fertigen. In der Türkei nennt man sie Cicim. Es finden sich auch die Schreibweisen Jajim und Djadjim.

Da die Handwebstühle überwiegend nur dreißig bis fünfzig Zentimeter schmal waren, werden anschließend mehrere fertige Webstreifen in Längsrichtung zu einer Decke beliebiger Breite zusammengenäht. Sie werden in den Traditionsfarben und -mustern der jeweiligen Stämme gewebt und bestickt oder auf andere Weise verziert.

Ähnlich den Kelims dienen die Djidjims als Vorhänge, Tisch- und Diwandecken, sowie zum Abdecken von Haushaltsgerätschaften oder sonstigem Sack und Pack. Von denen, die sich keinen Knüpfteppich leisten können, wird der Djidjim bisweilen auch als Gebetsteppich genutzt.

Die derzeit noch volkskundlich unverfälschten Arbeiten wurden inzwischen von Sammlern als interessante Objekten entdeckt. Da nur wenige dieser teils reizvollen Webdecken exportiert werden, ist das Angebot eher bescheiden. Allerdings beginnt derzeit eine deutliche Kommerzialisierung dieses orientalischen Webproduktes.


Detachieren - Fachausdruck für Fleckenentfernen

Der Begriff "Detachieren" kommt aus dem Französischen, wo "détacher" entflecken bedeutet. Detachieren ist der Fachausdruck für das schonende Verfahren zum Entfernen von Flecken aller Art, mit den entsprechenden Reinigungsmitteln.

Die Methoden dafür sind so vielfältig wie es Fleckenursachen gibt. Sie sollten aber sämtlich nur äusserst behutsam durchgeführt werden. Im Handel angebotene Fleckenmittel oder auch altbekannte Hausmittelchen können helfen - meist aber nur, so lange ein Fleck noch frisch ist, und man auch seine Herkunft kennt.

Auf Orientteppichen sollten Flecken umgehend und im ersten Versuch nur mit lauwarmem Wasser und sanften Fleckenmitteln behandelt werden. Dabei darf der Teppich nicht zu nass und auf keinen Fall durchtränkt werden. Zudem ist jedes Reiben gegen den Florstrich zu vermeiden.


Feng-Huang - Sagenvogel in der chinesischen Mythologie

Dieser altchinesische Sagenvogel ist Kaiser und Kaiserin zugeordnet. Er ist ein Fabelwesen, komponiert aus Bestandteilen des Hahns (Kopf), Pfaus (Deckfedern), Storch (Beine) und den Schwanzfedern des Goldfasans. Seit eh und je ist der Feng-Huang ein beliebtes Motiv in chinesischen Teppichen und beispielsweise recht häufig im Pao-tou anzutreffen. In den nahöstlichen und abendländischen Mythologien nimmt der Phönix den Platz des Feng-Hunag ein und wird in einer oft bis zur Unkenntlichkeit abstrahierten Form mit dem Drachen kämpfend dargestellt.


Fischdesign - verbreitetes Musterelement, auch Herati-Dessin genannt

Das Herati- oder Fisch-Dessin ist ein typisches Rapportmuster, das sich seit langem und durchgängig großer Beliebtheit erfreut. Das "i" am Ende ist der Präposition "von" gleichzusetzen, also "von Herat (stammend)".

Die heute in West-Afghanistan liegenden Stadt Herat wurde 328 v. Chr. als Alexandria Areion von Alexander dem Großen gegründet. Unter Shah Rukh (1405-1447), einem Sohn Tamerlans (Timur Leng), war es kurze Zeit Reichshauptstadt der Timuriden-Dynastie.
Bis in die 1920er Jahre wurden in Herat hochwertige Teppiche in persischen Mustern geknüpft - viele nach wie vor mit dem dort beheimateten Dessin. Heute ist die inzwischen zu Afghanistn gehörenden Stadt Herat Hauptumschlagsplatz für die west-afghanischen Herat-Belutsch.

Der lokale Ursprung dieses Musters ist sehr gut möglich, denn nach der von Nadir-Shah (1688-1747) befohlenen Umsiedlung großer Bevölkerungsteile vom heutigen West-Afghanistan nach West-Persien, taucht es vermehrt dort auf.

Das wohl schon uralte Musterensemble setzt sich aus mehreren, interpretierbaren Einzelteilen zusammen.

Dargestellt sind ein auf die Spitze gestellter Rhombus mit einer im Zentrum aufgehängten Blüte - wohl eine Margerite darstellend, möglicherweise aber auch die Erde als Zentrum allen Seins in diesem Quadrat symbolisierend. An den oberen und unteren Spitzen sitzen stilisierte Lotosblüten auf, ein Hinweis auf die Verbindung nach China. Die seitlichen Spitzen laufen aus in Päonien. Diese, auch Bauernrose genannte Blüte, nimmt in China den Platz der Königen der Blumen ein und gelangte über die Seidenstraße nach Westen.

Alle vier Seiten des Ensembles werden von halbmondförmigen, lanzettartigen Blättern flankiert, die auch als Fische (Pers. Mahi) gedeutet werden, daher die persische Bezeichnung Mahi-to-hos, zu Deutsch "Fische im Teich". Bisweilen wird darum gestritten, ob die flankierenden Lanzettblätter möglicherweise stark abstrahierte Bothes sein könnten.

Die sehr bildliche Benennung geht davon aus, dass das Teppichinnenfeld einem Teich gleichzusetzen ist. Als Begriffsbestimmung klingt diese Auffassung auch in Europa an, wo man die Teppichumrandung als Bordüre bezeichnet, ein Wort aus dem Französischen, das Uferrand bedeuten kann.

Der immense Mengen Eier produzierende Fisch war in vielen altorientalischen Naturreligionen ein Symbol für Fruchtbarkeit und fand auf diese Weise Eingang in die von je her religiös geprägte Kunst. Es könnte aber auch ein altiranischer Mythos zu Grunde liegen, nach dem zwei gigantische Wale die Erdscheibe in Rotation halten.

Das Herati-/Fisch-Muster/Mahi-to-hos sicher das derzeit verbreitetste Dessin in persischen Teppichen. Man findet es Innenflächen deckend - allover mit oder ohne Medaillon - vorwiegend in den Provenienzen Ardebil, Bidjar, Birdjend, Ghiassabad, Ferahan, Khoy, Marand, Moudh, Sarab-Madjajechi, Sarough, Senneh/Sanandadj und Täbriz. Doch es taucht auch auf in den süd-persischen Teppichen des Fars-Gebietes, im Hamadan-Gebiet, sowie im Kaukasus und ist als Begleitmuster in fast allen Provenienzen iranweit vertreten. Ausserdem wird es in Indien und China nachgeknüpft. In türkischen Knüpfungen ist jedoch kaum vertreten.
aus Heimtex Orient 02/05 (Teppiche)