Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Es ist zwar wichtig, auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner" möglichst mit Ja antworten zu können. Doch alles kann man gar nicht wissen. Etliches muss auch der versierte Fachmann nachschlagen, zum Beispiel im Orientteppich-Kompass mit seiner umfangreichen Fachterminologie. Diese Ratespiel dient also allen dazu, sich ständig weiterzubilden. Wohl auch, sich mal ein wenig selbst zu prüfen. Ein Fachwissen ohne Lücken gibt es nun mal nicht. Daher sind diese -Fragen und Antworten ein guter und vor allem ein amüsanter Meilenstein. Wie immer versuchen wir ein Mix anzubieten zwischen Zeitgenössischem, Neuem und historischem Teppichwissen. Auch da gibt es hin uns wieder neue Erkenntnisse, die zu berücksichtigen sind. Schließlich ist der Orientteppich ein Produkt das lebt und das zugleich auf eine ungeheuer lange Historie und Tradition verweisen kann. In dieser Hinsicht gibt es weltweit keine annähernd vergleichbare Handarbeit. Eine, die zudem prägend für die jeweilige Einrichtung ist und dort meist sogar die Führung übernimmt.

Anilin
synthetischer Farbstoff

Die Anilin-Farbstoffe wurden 1856 zufällig von dem engl. Chemiker Sir William Henry Perkin entdeckt bei dem Versuch, Chinin synthetisch herzustellen.

Anilin ist somit der zweite, synthetisch aus Steinkohlenteer gewonnener Farbstoff. Bereits um 1860/70 erstmalig im Orient eingesetzt. Damals sehr beliebt, weil leuchtend und klar.

Für die Teppichherstellung von Bedeutung sind die Grundfarben Rot, Blau und Purpur. Zu Beginn war Anilin noch wenig farbstabil gegen Lichteinfluss und auch abfärbend. Die heutigen, synthetischen Farbstoffe sind den Pflanzenfarben ebenbürtig, ja größtenteils überlegen. Sie lassen sich in allen Farbabstufungen herstellen. Die Patina der Naturfarbstoffe, das besondere Schillern, aber insbesondere auch ihre Unvollkommenheit lassen sich auf synthetischem Wege so raffiniert nachahmen, dass kein Betrachter in der Lage ist, allein durch den visuellen Aspekt auf die Herkunft des Farbstoffs zu schließen. Unterschiede sind nur durch Labortests nachweisbar.

Der erste künstliche Farbstoff war übrigens Mauven, das sich wegen seiner leuchtenden Farbbrillianz seinerzeit weltweit größter Beliebtheit erfreute.


Ghoutschan
Orientteppichprovenienz aus Nordost-Iran

Zwar hat es sich eingebürgert, diese aus Nordost-Persien stammenden Teppiche als Ghoutschan zu handeln. Diese inzwischen fest etablierte Provenienzbezeichnung ist jedoch ebenso falsch wie beispielsweise der Name Buchara für die bekannten Turkmenenteppiche. In der kleinen Distrikt-Hauptstadt Ghoutschan selbst wird so gut wie nichts produziert. Auch werden auf ihrem Bazar nur wenige Teppiche gehandelt. Die meisten gehen direkt von den Dörfern nach Mesched, dem Haupthandelsplatz für diese Teppichgruppe, oder nach Teheran, dem Hauptbazar für den Export.

Einige Provenienznamen wurden im Laufe der Zeit durch den Handel bestimmt und geben mehr einen Gattungsnamen wieder als im eigentlichen Sinn die Herkunft. Zudem ist die Provenienz Ghoutschan derart heterogen, dass man nicht von einem Teppich mit identischen Merkmalen sprechen kann. Die Ghoutschans reichen vom belutschartigen Dessins bis neuerdings zu floralen und auch kaukasisch nachempfundenen Mustern (s. Abb 2.), die bisweilen schon in Kleinateliers, also arbeitsteilig, hergestellt werden.

Allen klassischen Kordi-Ghoutschans ist jedoch gemein, dass sie stark von turkmenischen, aber auch kaukasischen Musterdetails geprägt sind. Dies ist erklärlich aus der Nähe zu den im Norden sich anschließenden Siedlungs- und Wandergebieten der Turkmenen, denen wir den so genannten "Buchara" verdanken. Viele in Chorassan bereits seit Jahrhunderten ansässige Kurden-Clans kamen ursprünglich aus dem südlichen Kaukasus.

Durch den Einfluß der iranischen Teppichexporteure, beziehungsweise deren Exportmärkte wie zum Beispiel Deutschland, verlassen die heutigen Ghoutschans immer mehr ihre eigenständigen Mustertraditionen und passen sich dem Marktgeschehen an. Neuerdings werden sogar kaukasische Dessins gestaltete, in der Motivform, wie sie Abb. 1 als eines der vielen Beispiele wiedergibt. Diese Knüpfungen werden sinnigerweise als Nobaff, persisch für Neuknüpfung, gehandelt.

Das Gebiet zwischen Bodjnurd, Esfarayen, Ghoutschan, Kalat-i-Nadir und Darreh Gaz ist überwiegend von Kurden der Stämme der Baikanlou, Bravanlou, Karamanlou, Mahlwanlou, Milanlou, Raschwanlou, Rudkanlou, Tupkanlou und Waranlou besiedelt. Ihre Vorfahren wurden dort zu Zeiten der Safawiden (1501-1722) teils freiwillig, teils zwangsangesiedelt. Ursprünglich kommen sie alle aus den kurdischen Stammlanden zwischen der Ost-Türkei, dem Süden des Kaukasus, West-Persien, Nord-Syrien und dem Nord-Irak. In ein und dem selben Dorf können jedoch auch Afscharen, angesiedelt zu Zeiten Shah Abbas des Großen (1587-1628), Luren von Nadir Shah (1722-1747) hierher deportiert, Turkmenen und andere Volkszugehörigkeiten zusammen leben. Trotz enger und friedvoller Nachbarschaft unterscheiden sich die Dessins ihrer textilen Erzeugnisse jedoch deutlich von einander.

Als sehr kriegerisches Volk wurden die westlichen Kurden einst als eine Art Wehrbauern und als kämpferische Nomaden eingesetzt, um die noch heute von ihnen besiedelte Region in Nord-Ost-Iran, die in alten Zeiten als Einfallstor in das iranische Hochland galt, gegen die immer wieder anbrandenden Steppenvölker Innerasiens zu verteidigen. Wegen ihrer militärischen Bedeutung waren sie zeitweise sogar von Steuern befreit und gelangten zu einer gewissen Eigenständigkeit gegenüber den Zentralregierungen.

Ihre früher stark ethnisch geprägten Muster und die Verwendung ihrer Knüpf- und Webarbeiten als Balisht, Chantehs, Chordjins, Kapans, Namakdans, Pferdedecken, Soffrehs, Tubrehs, Zeltbänder und so weiter, haben in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts etliche, volkskundlich interessante Privatsammlungen entstehen lassen.

Außer den Kurden sind noch zahlreiche andere Stämme im Nordosten der Provinz Chorassan ansässig. Deren Knüpfarbeiten werden jedoch ebenfalls als Kordi, bzw. Ghoutschan gehandelt.

Noch ein praktischer Hinweis: Goutschans sollten immer auf einer Teppichunterlage verlegt werden.


Baharistan
Persisch: Frühling, Dessinbezeichnung in Orientteppichen

Auf persisch bedeutet Baharistan in etwa Frühlingsland, Frühlingsgarten poetisch am treffendsten ausgedrückt: Frühlingsgefilde.

Baharistan ist aber auch die Bezeichnung für den legendären Teppich aus dem Sassanidenpalast Taq-i-Kisra in Ktesiphon (pers. Tisfun). In der Literatur wird dieser Teppich der "Frühling des Chosrau" genannt.


Bidmadjnun
Musterdetail, eine Trauerweide darstellend

Ein weit verbreitetes Musterdetail in Orientteppichen. Wörtlich übersetzt bedeutet es so viel wie "verrückte Weide". Es zeigt deutlich erkennbar die hängenden Zweige der Trauerweide und taucht regelmäßig als Musterdetail auf in den sog. Garten-Teppichen wie Bachiar, Moudh, Sarough und anderen.


Oktogon
sternförmiges, achtstrahliges Musterelement

Oktogon ist das griechische Wort für Achteck. Die Umrisse beziehungsweise äussere Gestaltung präzisierend kommt häufig als Musterdetail in Orientteppichen vor, insbesondere in der Gestaltung der Gülls der Turkmenen oder der Knüpfvölker, die von Ihnen diese Mustergrundkonzeption übernommen haben.


Moharamati
Streifenmuster, beispielsweise im Abadeh

Das Mohamarati-Dessin ist ein spezielles und unverwechselbares Orientteppichmuster, dessen Primärornament von parallel und senkrecht von oben nach unten, aneinander gereihter Streifen gebildet wird. Es ist nur selten mit einem oder mehreren Mittelmedaillons gestaltet.

Ursprünglich fand sich das das Moharamati vorwiegend in Abadeh- und Ghaschghai-Knüpfungen. Sein geraumer Zeit taucht es aber auch auf in den Provenienzen Ghoum und Täbriz, selten im Sarough und in den Knüpfungen der Kurden West-Persiens. Die hier abgebildete Brücke mit ihren farbfrohen Streifen ist ein um die fünfzig bis siebzig Jahre alter Gabbeh, also einer Provenienz aus dem Farsgebiet, woher auch der Ghaschghai stammt.

Der Ursprung dieses recht simpel strukturierten Dessins ist unbekannt. Man vermutet, daß es einfach aneinander gereihte Einzelbordüren sind. In der Fachliteratur ist es nirgends erschöpfend beschrieben. Über die Bedeutung schreibt Margit Bronnold-Irouschek in "Die Sprache der Orientteppiche", dass es das Göttliche und die Mutter Erde symbolisiere.

Sotheby; Abb. 365, Wooley, S. 6, Nagel 11/02, S. 97 (DW) Ghaschghai


Mustowfi
Dessinname mit Ursprung im frühen 19. Jahrhundert

Das Mustowfi-Dessin, das hauptsächlich in Bidjars, Saroughs und Ferahans, selten auch mal im Täbriz auftaucht, ist ein sehr prägnantes und demzufolge leicht erkennbares Orientteppich-Dessins. Immer allover, also ohne Mittelmedaillon und meist auch einseitig-längssymmetrisch gestaltet, ist es sichtlich floralen Ursprungs. Besonders auffällig sind die überproportionalen, stark geometrisierten Spiralranken, die aus dem Eslim-Dessin entwickelt sein könnten.

Die Namensgebung ist nicht ganz eindeutig. Sehr wahrscheinlich aber wurde es nach einem kunstsinnigen, persischen Ministerpräsidenten, einem Wesir, mit Namen Mustowfi-el-Mamelek benannt, der unter dem Kadjaren Fath Ali Shah (1797-1834) der Regierung vorstand.

Ob der Wesir Mustowfi der Auftraggeber oder sogar der Entwerfer war oder ihm dieses Dessin nur in Anerkennung seiner Förderungen der Kunst verehrt wurde, ist unklar. Auch über Bedeutung und Inhalte des immer auf sürmeyfarbenem Grund in der Primärfarbe Rot gestaltete Dessin kann nichts gesagt werden.


Numdah
indischer Filzteppich mit Musterapplikationen

Der Numdah ist ein preiswerter Filzteppich aus Indien, dessen Dessin von aufgenähten Musterapplikationenen gebildet wird. Eigentöich mehr für den heimischen Mrkt konzipiert, taucht er in jüngster Zeit auch wieder in Europa auf. Maße über drei Quadratmeter Größe sind allerdings sehr selten.


Nimbaff
teilweise geknüpfter und gewebter Orientteppich

Das persische Wort Nimbaff setzt sich zusammen aus sen Silben nim = halb und baf = Teppichknoten/geknüpft, bedeutet also soviel wie "Halbgeknüpft(er)" Orientteppich.

Unter der Bezeichnung Nimbaff sind orientalische Teppich zu verstehen, die teilweise geknüpft und gewebt sind. Die Webanteile sind meist in Kelim- oder Soumachtechnik gearbeitet. Im Iran wird der Begriff Nimbaff auch für geschlungene Teppiche verwendet, also Handarbeiten, deren Flor aus W- und V-Schlingen gebildet wird. Vergleichbare Knüpf-Webkombinationen werden in Afghanistan als Go(ü)lbadjeste bezeichnet.
aus Heimtex Orient 03/05 (Teppiche)