Bericht aus London

Tapeten-Trends made in England

Bei den Briten hat die Wohnkultur einen hohen Stellenwert. Dabei ist Wohnen im Brit-Style gar nicht so konservativ und Streublümchen-überladen, wie mancher glaubt; die Bewohner der britischen Inseln pflegen zwar einerseits liebevoll ihre Traditionen und ihr kulturelles Erbe, sind aber anderseits auch experimentierfreudig und offen für Neues. So kommen beispielsweise der edle Kolonial-Stil, der unverwüstliche Country-Chic - hierzulande längst zum Klassiker avanciert - und das Industrial Design allesamt aus dem Vereinigten Königreich. Der britische Lebensstil ist demnach alles andere als verstaubt und steif. Vielmehr zeichnet er sich durch ein lockeres Nebeneinander verschiedener Stilrichtungen der unterschiedlichsten Epochen aus, bis hin zu einem gewissen Hang zu Skurrilitäten und Exzentrik.

Das Herz des britischen Designs schlägt in London. Die Weltmetropole, größte Stadt Europas, pulsiert vor Kreativität und Ideenreichtum. Hier werden Trends geboren - nicht nur in der Mode, sondern eben auch in der Einrichtung. Dabei sind die Grenzen zwischen den verschiedenen gestalterischen Disziplinen fließend. Bildende Künstler entwerfen auch Tapeten, Stoffe und Teppiche. Architekten setzen ihre Vorstellung von modernen Wandbelägen um, Tapetendesigner lassen sich ihrerseits von den Arbeiten der Architekten, Bühnenbilder und Modedesigner anregen. Darunter finden sich verblüffende, mutige Ideen, die man so vorher noch nicht gesehen hat. Das Ergebnis ist eine wunderbare, inspierende, eklektische Mischung zeitgemäßer Wandgestaltung.

Ilona Schulz war für BTH Heimtex in London und hat sich dort speziell über die jüngsten Tapeten-Trends informiert. Außerdem war sie zu Besuch im hippen Einkaufstempel Liberty.

Wandmalereien

Ende September traf sich in London wieder die internationale Interior-Elite zur London Design Week mit zwei Messen, Präsentationen in Showrooms im Chelsea Harbour Design Centre und überall in der Stadt sowie einer Off-Messe junger Designer im hippen Eastend. Die kleine, feine Messe Decorex in einem großen, weißen Zelt im Park des ehrwürdigen Royal Hospitals - Museum und Wohnort für Veteranen -, legte in diesem Jahr - neben Kleinmöbeln, Dekostoffen, Teppichen und Accessoires - ihren speziellen Fokus auf Tapeten. Ein breites Spektrum von japanischen Tapeten, handbedruckt mit jahrhundertealten Modeln bis hin zu modernem Tapetendesign junger Künstler. Auch sie legen Wert auf Handarbeit - Handdrucke, handkolorierte Muster, sogar individuell, selbst per Hand gemischte Farben. Wahre Kunstschätze offenbarten sich, kostbare Unikate. Aber auch originelle, pfiffige Reproduktionen alter Meister und moderner Kunst, selbst Comics.

Das Spezialthema Tapete wurde dem Besucher der Decorex auf besonders charmante Weise verdeutlicht: Louise Body schmückte die Wand des langen Korridors vom Restaurant zu den cloakrooms (Toietten) mit ihrer Loo Wallpaper (Klotapete). Gar nicht anzüglich oder peinlich, sondern entzückend umgesetzt. Diese Wand jedenfalls war das am meisten fotografierte Motiv dieser Messe.

Die Stimmung auf der Messe war gut, "viel besser als noch vor einem Jahr", wie die Aussteller erleichtert bemerkten. Und auch das Interesse an Tapeten sei wieder merklich gestiegen, spürbar positiv.

Traditionelles aus Japan

Biden Designs, Importeur von japanischen Möbeln, Tapeten und Accessoires, lanciert seine exklusive Tapetenkollektion Karakami. Übersetzt bedeutet der Begriff "Papier aus China". Es wird in Japan als Dekorationselement auf Schiebetüren angebracht. Die Tapeten werden mit traditionellen Modeln bedruckt, die ihren Ursprung im 8. Jahrhundert haben und bis heute nicht verändert wurden. Der Vorgang ist sehr arbeitsintensiv und erfordert viel handwerkliches Geschick, um eine ebenmäßige Oberfläche zu erhalten. Auch die Farbe wird nach traditionellen Rezepturen hergestellt: Pulver aus gebackenen Austernschalen wird mit Gelatine gemischt, der sanfte Schimmer kommt durch fein gemahlene Quarzkristalle. Aus Hunderten von Mustern hat Biden fünf Dessins ausgewählt, jedes ist erhältlich in fünf verschiedenen Farben.

Darüber hinaus bietet Biden Designs Tapeten aus hauchdünn geschnittenem Paulownia-Holz an, das gefärbt und gewebt wird, mit raffinierten Matt/Glanz-Effekten. Paulownia-Holz ist wegen seines geringen Gewichts und seiner Feuchtigkeit abweisenden Eigenschaften ein altbewährtes Material in Japan für Möbel, Schuhe und den Hausbau. www.bidendesigns.com

Die Liebe zu kleinen Vögeln

"Ich muss gestehen, ich habe ein Faible für kleine Vögel. Sie sind so zart", sagt Louise Body. Deren Zartheit und Zerbrechlichkeit überträgt sie auf ihre ebenso zart wirkenden Tapeten. Die meisten Dessins sind handkoloriert. Ein sehr arbeitsintensives Verfahren; aber genau das macht die typische Handschrift der Louise Body-Tapeten aus.

Sehr zart sind auch die Dessins, die von der Sammlung gepresster Pflanzen einer ihrer Großmütter inspiriert wurden. Und auch die zweite Großmutter trug in erheblichem Maße zu neuen Tapeten-Dessins bei: durch eine umfangreiche Kollektion alter Spitzen .

Verwendet wird nur hochwertiges Papier, das aus kontrollierten Wäldern stammt, sowie Farben auf Wasserbasis. Abfälle, die durch Randbeschnitt entstehen, werden recycelt.

Louise Body kam erst vor einigen Jahren zum Tapeten-Design. Sie studierte Kunst in Nottingham, dann Malerei in Brighton, ihrer Heimatstadt. Erst die begeisterte Reaktion auf eine Tapete mit Teetassen-Design, die sie für eine Ausstellung entworfen hatte, führte sie zu ihrer heutigen Profession. www.louisebodywallprint.com

Die Haute Couture der Tapete

Beim jungen Unternehmen Fromental, erst 2005 gegründet, wird die Tapete zur Kunst. Die aufwendigen handgemalten oder bestickten Entwürfe verkörpern Haute Couture für die Wand und schmücken mondäne Privatresidenzen und anspruchsvolle Objekte in der ganzen Welt.

Eine Spezialität der Briten sind reiche, Panorama-artige Bildtapeten. Davon haben sie sich in der neuen Kollektion verabschiedet und bringen in ihrer Linie 20th Century mit zeitgenössischem Design unter anderem eine Hommage an den italienischen Architekten Gio Ponti. Dafür erscheinen ausgestanzte Seidenblumen mit Metallisé-Effekt oder leicht marmoriert auf einem Fond in Travertin-Opitik in typisch italienischen, eleganten Creme- und Brauntönen.

Neu ist die Zusammenarbeit mit US-Designer Roger Thomas. Er war der kreative Kopf bei der Einrichtung mehrerer Hotels in Las Vegas, unter anderem dem berühmten Bellagio. Von seinen Reisen nach Dresden brachte er dekorative Medaillions und stilisierte Zweige in prächtigem Gold mit.

Bérard - feine Stickereien auf Samt - wurde inspiriert von den kunstvoll bemalten Wandschirmen von Christian Bérard. Der jung verstorbene (1902 bis 1949) französische Illustrator und Designer entwarf Mode für Coco Chanel und Elsa Schiaparelli genauso wie Bühnenbilder für das Ballet Russe.

Neben den eigenständigen zeitgenössischen Designs ist Fromental sehr erfolgreich mit seiner Chinoiserie-Tapeten, die virtuos Elemente der Chinoiserie des 18. Jahrhunderts mit heutigen, westlichen Einflüssen und trendigen Kolorierungen verbinden und dadurch eine ganz eigene Ästhetik entwickeln. Auf Seiden-, Lack-, Fresko- oder Metallicfonds wirken die zierlichen Blüten, anmutigen Vögel, graziösen Schmetterlinge und fragilen Zweige jedes mal unterschiedlich. Eines der populärsten Motive sind die Cherry Blossoms. www.fromental.co.uk

Moderne und Belle Epoque

De Gournay legt in der neuen Kollektion den Fokus auf Seidendamaste und Rohseide für Wandbespannungen und bringt als einziger Anbieter Seidentapeten mit Papierrücken. Inspirationen aus dem 16. Jahrhundert zeigen tiefe, kräftige Farben mit dem seidentypischen Glanz.

Historische Chinoiserie-Designs von chinesischen Pavillons des 19. Jahrhunderts wurden reproduziert. Neue Dessins und Farben dominieren die Japan- und die Korea-Kollektion. Die Eclectic Collection hingegen vereint zeitgenössische mit Belle Epoche-Mustern.

Großer Wert wird nach wie vor auf handwerkliche Verarbeitung gelegt. Kleine Unregelmäßigkeiten werden dabei nicht als Makel gesehen, sondern sollen den berühmten "human touch" und den Geist des Herstellers vermitteln. www.degournay.com

Tanzende Hummer und lockende Blüten

Nach einem gelungenen Start ihrer The One Collection im Jahr 2009 präsentiert die britische Künstlerin Georgia Horton nun Ergänzungen unter dem Motto New Naturals. Sie beschreibt ihre Designs als "irgendwo zwischen Natur und Architektur". Ein Spiel mit Licht und Struktur, mit Symmetrie und gleichzeitig Raumillusion. Das zeigen die filigranen Zweige der Tapete Mikada und die prächtigen Pavilion Palms. Die vermeintlichen Ornamentics der Tapete Lobster Quadrille erweisen sich beim genauen Hinsehen als eine pfiffige Formation tanzender Hummer. Der Name New Naturals bezieht sich sowohl auf die Motive - Blätter und Blüten - als auch auf die Farbgebung in einer breiten Palette von Naturtönen von zartem Salbeigrün und hellem Grau bis Buttermilch-Weiß und - als Kontrast - Ebenholz.

Alle Tapeten werden in England per Hand bedruckt, die Farben individuell per Hand gemischt und auf die Wünsche der Kunden abgestimmt.

Georgia Horton wuchs in Südafrika auf. Sie studierte Kunst in Italien - Zeichnen, Restauration, Fresken- und Trompe loeil-Malerei. Zurück in Afrika beschäftigte sie sich mit traditionellen und modernen Textilien. Heute lebt und arbeitet sie in London, ist bekannt für ihre großformatigen Wandgemälde und Restaurationen. Die Tapetenkollektion wird nun mit einigen Teppichen und Dekostoffen ergänzt - inspiriert von den Mustern der Tapeten. www.georgiahorton.com

Die moderne Fototapete

Ein Revival der guten, alten Bildtapete bringt Surface View mit einer Vielfalt an Reproduktionen von Kunstwerken aus den berühmtesten Museen und Gallerien wie dem Victoria & Albert Museum, The National Gallery, The Natural History Museum oder der Getty Image Gallery. Dazu kommen Bilder des Fotografen Nic Miller, Marvel Comics, der Designer Rana Salem und Ella Doran. Brandneu sind Vorlagen der französischen Textildesignerin der 1950er Jahre, Zina de Plagny. Nach über 60 Jahren wurden einige ihrer Designs von de Plagnys Tochter Marie-Terese aus dem Archiv geholt und zur exklusiven Verwendung an Surface View übergeben.

Die zweite neue Akqusition umfassen Landkarten des Bartholomew Physical Atlas von 1899 und The Times Atlas of the World von 1957. Diese Landkarten reflektieren den Geist und die Erkenntnisse von der Welt aus der jeweiligen Zeit. Seine Wände kann man sich aber auch mit aktuellen Stadtplänen verzieren. www.surfaceview.co.uk

Die Tapete wird dreidimensional

"Ich glaube, meine Tapeten unterscheiden sich von anderen, weil ich ihnen zwar ein prägnantes Design gebe, andererseits aber auf keinen Fall möchte, dass sie einen Raum so dominieren, dass kein Platz mehr für etwas anderes ist", lautet Tracy Kendalls eigene Interpretation ihrer Tapetenkollektion. Alles begann 1996, als Kendall eine Tapete per Hand bedruckte, ein überdimensional großes Besteck - Messer, Gabel, Löffel - für ihre eigene Küche. Danach kam die Pusteblume und auf beide Designs wurde die britische Presse aufmerksam.

Seither ist die Kollektion merklich gewachsen. Pfauenfedern und Pflanzenstengel wachsen mannshoch an der Wand hoch. Besonders gern spielt Tracy Kendall mit Texten. Sie druckt Rezepte, Bücher, Zeitschriften, ganze Zeitungsseiten mit provozierenden oder mahnenden Texten auf Tapete; eine moderne Interpretation von Trompe lOeil. Alles kann auf Kundenwunsch in anderen Farben oder mit anderen Inhalten geliefert werden. Und dann geht die Britin mit ihren Tapeten auch noch in die dritte Dimension. Sie hat die Technik der Applikation für sich entdeckt, näht überdimensionale Pailletten oder Papierschnipsel mit feinen Stichen auf den Untergrund. Besonders schön und sehr edel: The White Room, ein Mosaik aus weißem Papier. Das hat Klassiker-Qualität. www.tracykendall.com

Von Königin Seramis bis Zaha Hadid

Brian Yates präsentiert ein breites Spektrum an Tapeten: Die Kollektion Saga II zeigt in der Serie Back to ... baroque extravagantes Design mit Pfauen, Palmen, opulenten Blumenmustern auf glänzendem, strukturierten Papier, in einer breiten Farbpalette; immer kombinierbar mit Unis und Streifen. Seramis war eine legendäre assyrische Königin, der die Hängenden Gärten von Babylon zugeschrieben werden. Sie stand Pate für luxuriöse Jacquardgewebe, laminiert auf Non-wovens. Stilisierte Blumen und Streifen haben einen verblüffenden Shantung-Effekt. Elegante Bronze-Töne, Gold, Eisweiß, Sand, Bernstein und Perlmutt werden mit einem dynamischen Scharlachrot kontrastiert. Die Karte Lotus - Cool elegance wurde von Art Nouveau inspiriert. Die Lotusblüte war ein typisches dekoratives Element dieses Stils. Leinen-Strukturen in frischem Weiß und Türkis, Orange und Grau werden mit einer Metallfolie in Silber, Kupfer oder Platin überzogen.

Metropolian zeigt - der Name deutet es an - modernes, urbanes Design in coolen, frischen Farben, mit leichten Glanzeffekten für einen eleganten Wohnstil. Zaha Hadid, die renommierte Architektin, entwarf eine Tapetenkollektion in ihrer typischen Handschrift, mit dynamischen Linien und Kurven, Struktur und Matt/Glanz-Effekten für eine neue räumliche Dimension. www.brian-yates.co.uk
aus BTH Heimtex 04/11 (Tapeten, Wandbeschichtungen)