Kommentar von Günther Kelm

Schluss mit dem Muster-Unwesen


Nationale Grenzen haben in der Euro-Zone bereits keine Bedeutung mehr, nationale Währungen verlieren Anfang 2002 ihre Gültigkeit und werden durch den Euro ersetzt. Industrie, Handel, Handwerk und Konsumenten befinden sich in einem gemeinsamen Markt mit gleicher Währung. Das heißt: Wir werden uns mehr und mehr mit Angeboten der Wettbewerber aus den europäischen Partnerländern auseinander zu setzen haben.

Dabei haben die deutschen Bodenbelagsunternehmen - ich denke hier besonders an die Industrie und den Großhandel - in den letzten Jahren erheblich an finanzieller Substanz verloren. Umsatz um jeden Preis, Service ohne Beschränkung und unkontrollierbare Kosten wurden in Kauf genommen. Das schlug auf die Liquidität. Insolvenzen und Übernahmen waren die Folge.

Man kann das nicht mit der Wettbewerbssituation begründen; die wird sich nach Einführung des Euro in der Euro-Zone noch weiter verschärfen.

Wenn die deutschen Unternehmen im Wettbewerb der Zukunft bestehen wollen, müssen sie mit allen Konsequenzen ihre Kostensituation verbessern und sich auf die neue Herausforderung einstellen. Ziel muss sein,mit marktorientierten, konzeptfähigen Partnern eine bessere Wertschöpfung zu erreichen.

Wobei es natürlich auch Ausnahmen gibt: Einige Industrie- und Großhandels-unternehmen haben die Marktentwicklung richtig eingeschätzt und ihre Vertriebsstrategie bereis entsprechend ausgerichtet .

Vor allem sollten Industrie und Großhandel einem erheblichen Kostenfaktor mehr Aufmerksamkeit widmen: Den Verkaufsförderungs- und Musterkosten.

Ich will dazu nur zwei Beispiele aus einer POS-Analyse nennen, die fast erschreckende Ergebnisse brachte.

1. Bei einem Malerbetrieb machten die Kosten für die Musterkollektionen 56 % vom Umsatz aus.

2. Bei einem Raumausstatter teilten sich 2 Hersteller und 9 Großhändler 16,5 % der Musterkosten im Verhältnis zum Umsatz des Unternehmens. Erwähnenswert ist hier noch, dass der Hauptumsatz mit einem Hersteller und 3 Großhändlern getätigt wurde.

An beiden Beispielen ist deutlich zu erkennen, dass sich die Lieferanten keine Gedanken über die Bedeutung und die Umsatzpotenziale ihrer Abnehmer gemacht haben.

In Deutschland soll es über 50.000 Verkaufspunkte für Bodenbeläge geben - aber bei maximal 4.000 davon ist es sinnvoll, eine Komplettausstattung aus den verschiedenen Produktgruppen zu platzieren.

Bei weiteren ca. 8.000 Unternehmen sollte man selektieren und nur die Produkte bemustern, die firmenspezifisch Aussicht auf Erfolg haben.

Alle anderen Unternehmen haben nur eine sehr geringe Bedeutung für den Bodenbelagsabsatz und sollten daher nur bei konkretem Bedarf bemustert werden.

Meine dringende an die Verantwortlichen in Industrie und den Großhandel:

- Kollektionen nicht nach dem Gießkannenprinzip platzieren. Masse ist nicht Klasse.
- Mit dem Außendienst exakt das Bedarfspotenzial des Kunden in den verschiedenen Produktgruppe ermitteln.
- Nur Produkte bemusterten, bei denen der Kunde den Nutzen für sein Unternehmen erkennt. Er wird Kollektionen, mit denen er sich identifiziert, in seinem Angebot bevorzugt berücksichtigen.

Die meisten Unternehmen ergänzen ihre Kollektionen 2002 noch mit den Messe-Neuheiten der Domotex, so dass die Gelegenheit für eine kostengünstigere und differenzierte Kollektionsgestaltung noch nicht versäumt ist.

Ich meine auch, dass im Großhandel einige Serviceleistungen und damit verbundene Kosten auf den Prüfstand gehören. Ist es wirklich notwendig, dass jeder Auftrag innerhalb von 24 Stunden ausgeliefert wird? Die Lieferung im Rahmen eines exakten Tourenplanes - zweimal wöchentlich - wird nach einer repräsentativen Befragung von den meisten Kunden akzeptiert.

Auch wenn der Wettbewerber schneller ist: Service ist nicht Schnelligkeit, sondern Verlässlichkeit. Ein schneller Mitbewerber muss nicht immer ein verlässlicher Mitbewerber sein. Und: Der Kunde wird den Unterschied spüren, wenn die Wertschöpfung aus der Geschäftsverbindung durch andere Vorteile zu erkennen ist.
aus BTH Heimtex 01/02 (Bodenbeläge)