BTH diskutiert mit der ZGV-Fachgruppe Heimtextilien / Tapeten / Farben

Wie geht es im Handel weiter?

Der Handel konzentriert sich, Meldungen über Akquisitionen und Fusionen reißen nicht ab. Beispiele, die für Unruhe sorgen: Großhändler Jordan kauft weiter zu, Headlam drängt auf den deutschen Markt und Carpetland hat nach Teppich-Frick jetzt auch Top-Wert geschluckt. Wir beurteilen die Einzelhandelskooperationen diese Entwicklung und wie reagieren sie? BTH Raum + Textil hat die Geschäftsführer der führenden Kooperationen nach der Zukunft des Handels gefragt.

BTH: Die Konzentration im Handel nimmt weiter zu: Carpetland ist soeben bei Teppich-Frick eingestiegen und in der Branche kursieren Gerüchte über Kaufabsichten der britischen Headlam-Gruppe. Herr Ruf, die Inku gehört zur internationalen Großhandelsgruppe Homedecor, in der auch Headlam Mitglied ist. Haben Sie Einblick? Wie schätzen Sie die Situation ein?

Siegfried Ruf: Headlam ist wirklich ein Phänomen. Inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise hat die Gruppe in England einen Großhändler nach dem anderen übernommen - eine beachtliche Leistung. Erstes Standbein auf dem europäischen Kontinent war ein hochprofitabler niederländischer Großhändler, dann folgte ein allerdings angeschlagenes französisches Unternehmen und zuletzt den renommierten Schweizer Grossist Belcolor. Jetzt ist die Erfolgsgeschichte erstmals ins Stocken geraten: Headlam hat sich im Bereich Sonnenschutz engagiert und war dabei offenbar zu risikofreudig; der Vorstandsvorsitzende hat die Gruppe verlassen.

Dennoch ist nicht auszuschließen, dass Headlam in absehbarer Zeit auch nach Deutschland kommen wird. Gegenwärtig führt die Gruppe hierzulande Gespräche mit mehreren Großhändlern. Die Gerüchteküche brodelt: Es wurde gemutmaßt, dass Inku und Headlam fusionieren - zu Unrecht.

Die Briten haben jedoch feststellen müssen, dass der deutsche Markt äußerst komplex ist - das Durcheinander bei der Vermarktung von Produkten ist für ausländische Manager nicht nachvollziehbar. In England arbeitet Headlam nur mit wenigen Herstellern zusammen und übernimmt von ihnen das Marketing - sehr kostenbewusst. Ebenso können wir über die Zahlungsziele bei der Industrie nur staunen. Vieles ist also nicht übertragbar.

Eine weitere Konzentration im deutschen Handel könnte mehr Ordnung in den Markt bringen und wäre deshalb sinnvoll. Der derzeit massive Preiskampf ruiniert eher die Branche.

Enno Kramer: Auch der amerikanische Riese Home Depot wird wahrscheinlich nach Europa kommen, was zu einer massiven Belebung des Marktes führen wird.

Unsere Antwort kann nur sein: Wir Einkaufskooperationen müssen unsere finanziellen Ressourcen poolen und künftig in bestimmten Bereichen kooperationsübergreifend zusammenarbeiten.

Ich würde es als bedenklich empfinden, wenn es in Deutschland auf Einzelhandelsebene nur noch einen Filialisten geben würde. Ich sehe eine Gefahr darin, dass sich ein solches Unternehmen die erfolgreichsten Marktteilnehmer heraussucht und einverleibt. Ich sehe eine Gefahr für den mittelständischen Einzelhandel. Der Markt polarisiert sich.

BTH: Wie groß muss der Druck noch werden, bevor die Kooperationen ihre Berührungsängste ablegen und gemeinsam agieren?

Enno Kramer: Der Druck kann nicht mehr viel größer werden. Wenn wir es in den nächsten drei Jahren nicht schaffen, über Kooperationsgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten, wird es zu einer deutlichen Abschmelzung der Mitgliederzahlen kommen.

Jörg Glaser: Den Puls der Zeit zu spüren, gehört zu den grundsätzlichen Aufgaben einer Kooperation. Hinzu kommen Marketingkonzepte, die es erforderlich machen, Kernsortimente zu bilden, die wiederum den Lieferanten unterstützen. In diesem Bereich bietet das Kartellrecht neue Möglichkeiten für Einkaufsverbände, beispielsweise die Bildung eines Systemverbundes: Die Marktteile werden analysiert, die Big Player ermittelt und man bietet Mitbewerbern in Teilbereichen eine Zusammenarbeit an.

BTH: Herr Maas, die strategische Neuausrichtung der P/E/P ist gescheitert, die Dreierkooperation löst sich auf. Ist der Farbengroßhandel unfähig zu einer engen Zusammenarbeit?

Jan-Dirk Maas: Im Bereich Farbengroßhandel sieht die Situation momentan so aus, dass Marktteilnehmer verschwinden, indem sie von Unternehmen aufgefangen werden, die wohl über ein gewisses Marktpotential, aber nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um aktiv expansiv tätig zu werden.

Eine horizontale Zusammenarbeit, die zwingend notwendig wäre für die Entwicklung kraftvoller Konzepte in beide Richtungen des Marktes - Beschaffungs- und Absatzmarkt - scheint im Farbengroßhandel nicht denkbar. Alle farben-orientierten Gruppen kämpfen derzeit ums Überleben. Einige haben vielleicht eine längere Halbwertzeit, überwinden aber offenbar nicht die Klippe, unternehmerische Freiheiten und Eigenständigkeiten abzugeben. Man muss begreifen, dass es nicht nur darum geht, lokale oder regionale Strukturen zu organisieren, sondern national oder europäisch zu denken. Wenn man sich außerhalb Deutschlands umschaut, wird man feststellen, dass es dort ganz anders aussieht: In den westeuropäischen Nachbarländern gibt es im Grunde keinen selbstständigen, freien Großhandel mehr, sondern nur noch Vertriebsorganisationen. Ähnliches versuchen die Big Player Caparol und Akzo auch in Deutschland. Diese Bewegung wird Auswirkungen auf die Funktion des Großhandels haben.

Wenn es nicht kurzfristig gelingt, eine schlagkräftige Formation in den jeweiligen Kooperationen auf Großhandelsebene zu erreichen, wird das Zerfleddern der Kooperationen durch die Bewegung des Marktes weitergehen. Insofern zeichne ich ein düsteres Bild für den farbengeprägten Großhandel, der im Grunde nur reaktiv und in vielen Fällen sogar passiv ist. Es wird sicherlich Ausnahmen geben. Es gibt auch heute schon potente Großhandelsunternehmen, die längerfristige Strategien verfolgen. Die Partitur an sich ist schon geschrieben, jetzt geht es eigentlich nur noch darum, wer in Zukunft was spielen wird.

BTH: Herr Kleinherne, wie sehen Sie als Geschäftsführer der VFG die Situation im Farbengroßhandel?

Kurt Kleinherne: Ich würde ein weniger düsteres Bild zeichnen, weil ich über andere Erfahrungswerte verfüge. Wir haben kürzlich alle Wettbewerbsgruppen im Markt angeschrieben und um ein Round Table-Gespräch gebeten. Es hat sich herausgestellt, dass man heute viel kooperativer denkt als in der Vergangenheit und zusammenrücken will. Es gibt also doch eine Entwicklung hin zu einem starken mittelständischen Großhandelsverbund im Bereich Farben und Lacke. Die Gespräche werden fortgesetzt . Die VFG ist außerdem gerade dabei, neue Strategien zur Stärkung des mittelständischen Großhandels zu entwickeln. Unsere Überlegungen gehen dahin, Systeme anzubieten, die auch der Industrie Absatzgarantien bieten. Ich bin überzeugt, dass die VFG mit diesem Weg Erfolg haben wird.

BTH: Herr Müller, der Südbund ist besonders stark im Bereich des klassischen Facheinzelhandels. Wie beurteilen Sie aus dieser Perspektive die Konzentration im Handel?

Thomas Müller: Die Aktivitäten von Unternehmen wie Topwert oder Hammer wiegen schwer. In Zukunft müssen wir unsere Produkte noch extremer als heute in zwei Kategorien teilen: in Handwerks- oder Verarbeitungsprodukte auf der einen und Handelsprodukte auf der anderen Seite. Wir beobachten kritisch, womit sich Unternehmen wir Topwert, Hammer oder Aro befassen, ebenso Organisationen, die in der Lage sind, Fertigprodukte noch schneller, effektiver und gewinnbringender zu vermarkten, beispielsweise Tchibo, Aldi oder Versender. An diese Unternehmen haben wir mittlerweile ein großes Potential unseres Marktes abgegeben, wie es in den USA und einigen europäischen Ländern schon lange der Fall ist. Der klassische Facheinzelhandel muss also analysieren, welche Handelsschiene welches Produkt am effektivsten vermarkten kann. Wenn er Verarbeitung, Service und Individualität bietet, wird er gewinnen.

Eine Zusammenarbeit der Einzelhandelskooperationen birgt gewisse Gefahren, aber auch große Chancen. Besonders interessant sind sicherlich die Bereiche Kapital, Logistik und Service.

Enno Kramer: Wenn wir über Möglichkeiten der Zusammenarbeit reden, müssen wir vor allem das immer wichtiger werdende Rating-Verfahren der Banken berücksichtigen. Es ist extrem, wie der Handel derzeit von den Banken in die Ecke getrieben wird. Das Rating beeinflusst vielfach die Entscheidung, ein Unternehmen weiterzuführen oder aufzugeben.

BTH: In der Sofatex sind in erster Linie Handwerker organisiert. Herr Türk, wie schätzen Sie den Markt ein?

Wolfgang Türk: Die gegenwärtige Situation, die geprägt ist von einer massiven Konkurrenz seitens der Baumärkte und Fachmärkte, müssen wir uns selbst auf die Fahne schreiben, denn wir haben uns lange Zeit nur Gedanken über den Wareneinkauf, nicht aber über den Verkauf gemacht. Wir müssen künftig unsere Mitglieder intensiver betreuen, insbesondere im Bereich Marketing. Nicht allein die Nachfolgeregelung, sondern vor allem finanzielle Probleme, unter anderem durch das Ranking, beschäftigen heute unsere Mitglieder.

BTH: Frau Hebbeln-Röttger, auch Sie beobachten sicherlich äußerst kritisch die Konzentrationswelle im Handel. Was sind derzeit die zentralen Probleme der NRC-Mitglieder?

Regina Hebbeln-Röttger: Die NRC-Mitgliederstruktur ist sehr heterogen, deshalb tauchen unterschiedliche Probleme auf. Insgesamt kann ich von durchweg sehr guten Unternehmenskulturen berichten. Ein Problem beschäftigt momentan allerdings nahezu alle unsere Mitglieder, nämlich qualifiziertes Personal zu finden.

Stefan Heine: Die Diskussionsrunde hat wieder einmal gezeigt, dass wir lediglich reagieren statt selbst zu agieren. Hinsichtlich Finanzkraft und Größe mögen uns andere überlegen sein, aber wir haben gemeinsam das Potential, den Markt in vorderster Reihe zu beeinflussen. Wir müssen nur unsere angestammten Positionen verlassen.

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Über die Zukunft des Handels befragte BTH Raum + Textil:
Regina Hebbeln-Röttjer (NRC), Stefan Heine (FHG), Kurt Kleinherne (VFG), Enno Kramer (Decor-Union), Jan-Dirk Maas (P/E/P), Thomas Müller (Südbund), Siegfried Ruf (Inku), Henning Ruf (Inku), Wolfgang Türk (Coratex, Sofatex), Astrid Magerkohl (ZGV), Jörg Glaser (ZGV) und Peter Schäfer (ZGV).
aus BTH Heimtex 01/01 (Großhandel)