Mehrwertsteuer-Erhöhung

Sind die 19 Prozent doch kein Konjunktur-Schock?

Für die Opposition ist es Steuer-Irrsinn, Handel und Industrie befürchten ein Abwürgen der gerade anspringenden Konjunktur, für die Bundesregierung ist es die größte Steuererhöhung aller BRD-Zeiten, und bei den Verbrauchern regen sich Konsumträume. Sie haben richtig gelesen: Ein bedeutendes Konsumforschungs-Unternehmen hat jüngst festgestellt, dass die Anschaffungs-Neigung der Konsumenten den höchsten Wert seit vielen Jahren erreicht hat. Noch größer ist der Optimismus der Käufer, wenn es um das persönliche Einkommen geht.

Kein Konjunktur-Schock? Nach Einschätzung der OECD wird die kräftige MwSt.-Erhöhung die Wachstums-Dynamik in unserem Land nicht brechen. Der Grund: Die Bundesregierung hat mit ihrer Mischung ein am wenigsten wachstumsschädliches Paket zur Haushalts-Konsolidierung geschnürt. Damit sieht die OECD 2006 den erwarteten Konjunktur-Dämpfer deutlich weniger kritisch als noch im Herbst 2005. Die MwSt.-Erhöhung von 16 auf 19 Prozent wird das deutsche Wirtschafts-Wachstum nur um ca. 0,3 Prozent drücken. Als Hintergrund werden der breiter werdende Aufschwung und die steigende Beschäftigung genannt: Modernisierungen finden allerorten statt, um die Wettbewerbs-Fähigkeit nicht zu gefährden, die Weltmeisterschaft hat für außerordentliche Investitionen gesorgt, der Stolz der Bundesbürger auf das eigene Land wird größer. Ein weiterer Lichtblick ist das Frühjahrs-Gutachten der sechs führenden Institute.

"So schmerzlich es auch ist": Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hält angesichts der Finanzlage des Staates die MwSt.-Erhöhung für unverzichtbar, und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber nannte die große Koalition ein Bündnis der Haushalts-Konsolidierung. Die Opposition kritisiert die Anhebung als unsozial und konjunkturfeindlich. "Gift für unser Land": Verschiedene Wirtschaftsverbände vertreten die Meinung: "Die Kaufkraft sinkt, die Konkurrenz durch Schwarzarbeit steigt, der harte Wettbewerb verhindert die Erhöhungs-Weitergabe an den Kunden". Milliarden-Segen? Die MwSt.-Anhebung kann schätzungsweise 20 Mrd. Euro auf das Konto des Bundesfinanzministers spülen. Was Peer Steinbrück mit dem Geld konkret anfangen will, wird sich bald zeigen: Haushalt-Sanierungen? Rentenbeiträge senken? Mit einem Teil der MwSt.-Mehreinnahmen will die Regierung die Beiträge zur Arbeitslosen-Versicherung senken.

Ungeschoren bleibt keiner

Zwischen 118 und 856 Euro zahlen Privathaushalte pro Monat an Mehrwertsteuer. Das von der Koalition beschlossene Reformpaket dürfte längerfristig zu Mehrbelastungen für Familien von insgesamt ca. 0.8 - 0,9 Prozent des verfügbaren Einkommens führen. Aufgrund der größeren Rücklagen bei höheren Einkommen werden einkommensschwache Haushalte stärker betroffen. Den Textilhandel wird es wahrscheinlich mit mehr als ca. 1,3Mrd. Euro treffen. "Geiz ist ...": Unternehmen mit niedrigpreisigen Produkten ohne Möglichkeiten der Mischkalkulation (7%- und 19 %-MwSt.-Vollsortiment) werden überproportional leiden, denn 60 Prozent der Käufer orientieren sich inzwischen am Preis. Was heute 99 Cent kostet, müsste nach der Erhöhung 1,015 Euro kosten. Aus 2,99 wird 3,08, und 3,99 wären dann 4,10 Euro. Solche Preise sind aber am POS nicht durchzusetzen. "Die Preishoheit liegt beim Handel, nicht bei der Industrie": Ob sich die Hersteller bei den anstehenden Preisverhandlungen gegen die Einkäufer durchsetzen können, bleibt abzuwarten. Aber was passiert, wenn der Konsument ab Januar 2007 einfach weniger kauft? Können heute bereits Panik-Preissenkungen ausgeschlossen werden? Wohl kaum!

Hamster-Bestellungen vor der Erhöhung?

Experten rechnen damit, dass der 2007-Vorzieheffekt zusätzliche Konsumausgaben von 3 Mrd. Euro bringen wird. Allerdings gibt es breit gestreute Zweifel, ob sich mit dem vorgezogenen Einkauf auch wirklich Geld sparen lässt. Hamster-Bestellungen beim Lieferanten lohnen sich nur dann, wenn es das Produkt zukünftig nicht mehr gibt, oder wenn der Preis nach dem Kauf steigt. Wenn Wiederverkäufer glauben, dass ihre Einkaufspreise erst ab dem 1.1.2007 steigen werden, haben sie ohne die Hersteller geplant. Einkäufer und Verkaufsleiter werden wahrscheinlich feststellen, dass die Lieferanten in den nächsten Monaten erheblich an der Preisschraube drehen werden. Ein zweites Argument gegen Hamsterkäufe: Herrscht in der eigenen Branche starker Wettbewerb, werden die 3 % "Mehr-Wert" nicht auf den Endverbraucher abgewälzt werden können. Und ein drittes Argument gegen außerordentliche Bevorratung: Der Wertverlust über mehrere Monate bei hochpreisigen Waren darf nicht unterschätzt werden. Allein bei vorgezogenen Dienstleistungen (Renovierung, Umbau, Beratung, Wartung) könnte sich die Noch-2006-Bestellung lohnen: Dienstleistungen haben einen geringen Wertverlust.

Machen Sie sich nicht verrückt

Der Weg aus der MwSt.-Falle ist das professionelle Preismanagement. "Wie teuer dürfen unsere Betten werden?" Wer nicht spätestens jetzt eine Arbeitsgruppe zur Absturz-Minimierung einsetzt, wird im nächsten Januar vom Wettbewerb zu Preis-Schnellschüssen gezwungen. Wer meint, seine Preise pauschal um 3 Prozent erhöhen zu können, wird vom kritischen Käufer abgestraft. Wenn Firmen-Chefs auf die Entscheidungen der stärksten Wettbewerber warten, können sie nur ohnmächtig reagieren. Nicht neu: Mittelfristig entscheiden die Normalpreise über den Fortbestand des Unternehmens. Wer 2007 mit Niedrigpreisen um sich schmeißen will, hängt daher schnell in den Seilen. Wenn Entscheider Preise unverändert lassen, steigen im nächsten Jahr die Firmenkosten um etwa 2,2 Prozent. "Dauerniedrigpreise für Standard-Frottierwaren?" Bei der Erhöhung werden die preistransparenten Artikel eine hervorragende Rolle spielen, weil der Käufer diese Preise kennt. Werden die Schnelldreher-Preise erhöht, wird das ganze Sortiment als zu teuer wahrgenommen. Ein Weg aus der MwSt.-Falle kann die rechtzeitige, individuelle Erhöhung der VKs bereits ab Mitte 2006 sein.

Was ist mit individueller Preiserhöhung gemeint? Pricing! Der Kunde ist durchaus bereit, erhöhte Preise zu zahlen. 1. Mit der zeitlichen Preis-Differenzierung (Design, Werbung, Marke, Kälte, Hitze) wird die aktuelle Zahlungs-Bereitschaft abgeschöpft. 2. Die Prestige-Preisgestaltung nutzt das Kunden-Einverständnis, bei gewissen Produkten zum Beispiel nach einer Messe einen höheren Preis zu zahlen, um in den Besitz zu kommen. 3. "Wohlig weicher gesunder Schlaf" statt "Edelstahl-Federkern": Bei der Nutzen-Preisgestaltung rücken die technischen Informationen in den Hintergrund, weil beim Verkaufsgespräch die Kundenvorteile dominieren.

Preise und Warenwert erhöhen

Mehr trotz Preiserhöhung zu erhalten reizt jeden Verbraucher. Ist die MwSt.-Anhebung der richtige Zeitpunkt, den wichtigsten Firmen-Leistungen einen Mehrwert zu geben? Wie wäre es zum Beispiel mit dem Mehrwert Sicherheit? Kündigungen, Krieg, gerade überstandene Vogelgrippe: Dem Konsumenten reicht es. Ihn quält die Angst, denn in der industriellen Gesellschaft ist die Furcht unfassbar und unheimlich geworden. Der erfolgreiche Entscheider verspricht seinen Kunden Sicherheit, Ehrlichkeit und Berechenbarkeit. Mehrwert Klassik: "Sanfte Johanneskraut-Vergütung". In der Krise kauft der Kunde traditionell. Wenn der Euro zweimal umgedreht werden muss, besinnt sich der Verbraucher auf Bekanntes und Vertrautes. Am POS wird das klassische Angebot mit traditionellen Werten aus dem regionalen Umfeld aufgewertet.

Mehrwert Entspannung: Über 50 Millionen Deutsche fühlen sich gestresst. Jeden Dritten belasten gesundheitliche Probleme, und jeder Vierte leidet unter zu viel Arbeit. Wie ist diesen kranken Kunden zu helfen? Beim Kundenkontakt kommt keine Hektik auf, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermitteln innere Ruhe. "Bitte entspannen Sie sich". Der Verkaufspunkt wird zur Wohlfühl-Oase mit traumhafter Musik, lebendem Grün, Tageslicht- und Rückzugszonen. Mehrwert Kulanz. In kritischen Situationen zeigt sich, ob eine Firma als Kunden orientiert bezeichnet werden kann. Gelingt es dem eigenen Unternehmen, Probleme in sachlicher Form und in einem akzeptablen Zeitraum zu lösen? Empfindet der Kunde seine Beschwerde-Bearbeitung als kulant, wird er seine positive Erfahrung gerne an Freunde und Bekannte weitergeben. Mehrwert Selbstverwirklichung. Gesättigte Märkte sind bevölkert mit gut genährten, gut gekleideten, aber oft unglücklichen und irritierten Verbrauchern. Der Grund für diese Dramatik: Der Mensch will raus aus der Herde. Die Nachfrage wird immer mehr vom Wunsch nach individuellen Problemlösungen bestimmt. "Bezahlbare Maßanfertigung": Das Ich wird zum bestimmenden Faktor. Die Verbraucher betreiben eine Inszenierung ihrer selbst, und erwarten selbstverständlich die Erfüllung ihrer persönlichen Wünsche und Bedürfnisse.

MwSt.-Kummer lohnt sich nicht, werden die Mitarbeiter/innen rechtzeitig geschult. Die Gefahr: Preis-Erhöhungen gehen nach hinten los, fehlt die sprachliche Kompetenz. "Im Dezember habe ich neun Euro weniger gezahlt". Höflichkeit gebietet es, jede Kundenfrage nach den Erhöhungsgründen zu beantworten. Die entsprechenden Argumente werden von den Kollegen im Verkauf erarbeitet. Schwierig wird es, wenn Kunden unangenehme (unfaire, polemische) Fragen stellen. Da hilft nur eines - Schlagfertigkeit. 1. Adressieren, Delegieren: "Diese Frage geht an die falsche Adresse. Stellen Sie die bitte unserem Herrn Mustermann". 2. Interpretieren: "Ihre Frage bezieht sich auf ein ganz anderes Thema...". Ignorieren: "Das ist eine interessante Frage aus Ihrer Warte. Aus Sicht unserer Firma lautet die Antwort...". Verdeckt kritisieren: "Was beabsichtigen Sie mit dieser Frage?"

Auf Nummer sicher gehen

Nach ein paar schlimmen Jahren ist das gute alte Radio wieder im Aufwind. Es gilt nach wie vor als schnelle, regional steuerbare Verkaufsförderung. Intensive und individuelle Kundenansprache hat zu einem Zuwachs von knapp 18 Prozent bei den Werbeeinnahmen geführt. Nicht nur der Mittelstand, auch die Großunternehmen entdecken immer öfter das Radio, das den Vergleich mit Print und TV nicht scheuen muss. "Endspurt 2006": Soll nach dem Urlaub der Käufer schnell und ohne Umwege erreicht werden, ist der Verkaufsförderer Hörfunk mit Sicherheit verlässlich.

Digitaler Heißhunger? Auf keinen Fall! Das Faxgerät piepst andauernd, der E-Mail-Briefkasten quillt über, und das Handy klingelt ständig. Diese elektronische Flutwelle nennt sich Spamming (Suchmaschinen-Spamming = nicht gewollte Informationen auf eine Internetseite zwingen). Millionen Konsumenten hassen das Unterbrechungs-Marketing, und nutzen die TV-Werbepause für den Getränke-Nachschub. Sie wechseln bei Zwangspausen den Auto-Radiosender, und überblättern gedankenlos ganzseitige Magazin-Inserate. Die Problemlösung: Wenn Kunden um Erlaubnis für die Übersendung von Werbung gefragt werden, bevorzugt der Empfänger diese Informationen. Er wird nicht mehr mit irgendwelchen Botschaften überfallen, sondern er hat sich seine Werbung selbst herausgesucht. Der große Permissions-Vorteil: Die traditionelle Werbung schafft es trotz aller Kosten nicht, aus Fremden Freunde zu machen. Erlaubnis-Werbemittel werden verlässlich personalisiert, und Serienbriefe werden nicht als solche erkannt.

Nicht umfallen, sondern auffallen

Die heutige Gesellschaft zeichnet sich durch Mobilität aus, denn ein großer Teil der Zeit wird nicht mehr zu Hause verbracht. Wie werden diese modernen Nomaden erreicht, die immer seltener Zeitung lesen? Nicht mit den traditionellen Medien, sondern auf der Straße. Studien wollen festgestellt haben, dass ein Großteil der Einkäufe auf dem Weg zur oder von der Arbeit erledig wird. Wasserbetten-Plakate in der Auto-Waschstraße, und himmelblaue Sommerbetten auf Großbildschirmen neben Verkehrs-Knoten: Außenwerbung ist daher eines der Medien, mit denen diese Verbraucher am meisten Kontakt haben. Hat das eigene Unternehmen rechtzeitig in diesem Jahr die Preise erhöht, können Anfang 2007 einzelnen Preise gesenkt (!) werden. Das gibt beim Verbraucher unübersehbare Outdoor-Pluspunkte.

Frauen bestimmen, ob Preiserhöhungen akzeptiert werden. Sie sind die Hüter der Haushaltskassen, und bestimmen, was finanziell läuft. Hausfrauen, Golfspielerinnen, Studentinnen & Co. entscheiden über 70 Prozent fast aller Konsumgüter, und verfügen zusätzlich über den größten Teil des frei verfügbaren Einkommens in privaten Haushalten. 20 Prozent der Unternehmen werden von Frauen geführt, das sind 520.000 eigenständige Unternehmerinnen. Steht die Frau in der Werbung ihren "Mann"? Nein. Es ist nicht zu verstehen, warum die Werbewelt mehrheitlich von männlichen Abbildungen bevölkert wird. Auf den Abbildungen überragen fast alle Männer die Frauen. Menschen in der Werbung sind jenseits der 50 Lebensjahre immer männlich, die Lebenserwartung der weiblichen Werbefiguren liegt bei ca. 40 Jahren. "Matratzenpreise bis zum 23.12.2006": Unternehmer/innen sind aufgrund der Einkaufsmacht Frau gut beraten, wenn sie bei Preiserhöhungs-Informationen den wichtigsten Entscheider Frau häufiger, älter und mindestens so groß wie den Mann abbilden.
aus Haustex 09/06 (Handel)