Hermann Frese über die Zukunftsaussichten des Fachhandels

10 Gebote zum Überleben

Vorträge wie den von Hermann Frese wünscht man sich öfter: Auf der diesjährigen Tagung des FDTB brillierte der eloquente Freiburger mit einer vielschichtigen Analyse der aktuellen und künftigen Situation des Fachhandels. Sein Fazit: Der Fachhandel hat Zukunft - trotz schwieriger Rahmenbedingungen, trotz struktureller Probleme der Branche. Dazu muss er allerdings Freses 10 Gebote zum Überleben beherzigen.

Die "Zukunftsaussichten des Fachhandels" sind sicher eines der Themen, die in der Branche am meisten diskutiert werden. Immer wieder heißt es, der klassische Fachhandel habe angesichts der immer stärker werdenden Großvertriebsformen langfristig keine Chance. Ist der Fachhandel wirklich zum Sterben verurteilt?

Wir glauben das nicht. Hermann Frese glaubt das auch nicht. Und der Freiburger weiß, wovon er spricht. Er gehört zu den prominentesten Köpfen im deutschen Fachhandel - nicht nur, weil er ein weit über die Region bekanntes hochgenriges Fachgeschäft und zudem eine Bettenfachmarkt-Kette aufgebaut hat, sondern auch, weil er sich in vielen Ehrenämtern für den Fachhandel engagiert und manche Schneise geschlagen hat. Unter anderem auch lange Jahre im Vorstand des FDTB.

Was ist überhaupt ein Fachhandel?

Für Frese ist schnell definiert, was ein "Fachhandel" ist: "Jenes Geschäft, in dem das Inhaberehepaar die wichtigste Rolle spielt, vorwiegend in Innenstadtlagen, das sich mit Handel an Endverbraucher - von einem Auch-Großhandel im Tapetenbereich abgesehen - mit Tapeten, Bodenbelägen, Gardinen, Teppichen und einschlägiger Verarbeitung befaßt, in unterschiedlichen Größenordnungen, kann auch Marktcharakter haben.

Wo steht der Fachhandel?

Der Einzelhandel im engeren Sinne dümpelte zwischen 1991 und 1999 bei einem Umsatz um die 720 Mrd DM herum. Im Jahr 2000 waren es mit 735 Mrd. DM etwas mehr, aber schon im ersten Quartal 2001 ging es wieder abwärts. "Aber - während der Einzelhandels-Umsatz um 720 Mrd. DM stagnierte, wuchst das verfügbare Einkommen um 400 Mrd. DM, von denen nicht eine einzige Mark dem Einzelhandel zu Gute kam."

Noch stärker als andere Segmente wurde dabei de Fachhandel unserer Branche gebeutelt. Nach einer Statistik von BDTG-Geschäftsführer Peter Engmann ist der Umsatz mit Teppichen und Heimtextilien von 1995 bis 2000 um 19,2 % geschrumpft, der mit Tapeten und Bodenbelägen um 18,4 % und der mit Farben und Lacken gar um 22 %.

Frese nüchtern: "König in den letzten fünf Jahren war, wer vom Geschäft leben konnte und Miete und Abschreibungen verdient hat. Es gibt Ausnahmen nach oben, aber vor allem nach unten."

Die Konjunktur sei in den letzten Jahre nicht schlecht gewesen, aber am Handel vorbeigegangen. "Wir leben in guten Zeiten", betont Frese - auch auf die Gefahr hin, "dass mir ein Kollege, dem das Wasser bis zum Hals steht, Prügel androht." Das Problem sei zum einen, dass "wir es schaffen, ein Viertel des Einzelhandelsumsatzes nicht für dringend gebrauchte notwendige Güter, sondern für Urlaubsreisen auszugeben" und zum anderen, dass sich die Branche in einem schrumpfenden Markt bewege.

"Aber - schrumpfende Märkte gab und gibt es in der Wirtschaft immer, die Strukturen verändern sich", gibt Frese zu bedenken und nannte als Beispiele die Brauereien, die Bauwirtschaft und auch verwandte Einzelhandelsbranchen wie GPK, Bekleidung.

Die Folge seien Überkapazitäten in Industrie und Handel mit entsprechendem Marktdruck. Äußeres Zeichen sind für ihn Pleiten auf allen Wirtschaftsstufen und Betriebsaufgaben. Große alte Namen verschwänden von heute auf morgen. "Indizien sind aber auch Sortimentsausweitungen durch Nebenartikel, die noch weiteren Umsatz bringen sollen, oft relativ viel Betriebskapital binden und von der Kernkompetenz ablenken."

Es gebe aber auch Firmen, die gegen den Trend schwimmen und Erfolg unter den gegebenen schwierigen Marktverhältnissen hätten. Als Beispiel nannte er aus der Branche die Tapetenfabrik AS Création. "Wenn ich nur diese erwähne, dann deshalb, weil wir ihre Zahlen als börsennotierte AG kennen, während die anderen Tapetenfabriken immer verschämt geschwiegen haben."

Problem: Tapeten sind nicht in Mode. Heimtextilien sind nicht in Mode

Als wichtigste Ursachen des schrumpfenden Marktes sieht Frese den Rückgang der Wohnbautätigkeit und vor allem die Mode. "Tapeten sind nicht in Mode. Heimtextilien sind nicht in Mode." Und was bei Orientteppiche los sei, wisse jeder, der damit Handel treibt. Ein Versicherungsmann verriet Frese unlängst, dass Orientteppiche bei Einbrüchen nicht einmal mehr mitgenommen würden.

Minimalismus sei angesagt, Purismus ohne Quasten, weiß er und verwies dazu auf das "hervorragende Büchlein von Zimmer & Rohde, das vorhanglose Fenster zeigt, wo edle Textilien aber punktuell eingesetzt werden." Dabei konnte sich der Tapetenliebhaber einen Seitenhieb auf die Tapetenindustrie nicht verkneifen: "Vergleichen Sie die Ästhetik der Zimmer & Rohde-Publikation mit der Werbung des Deutschen Tapeteninstituts 'Tapeten My home" - an Antiquiertheit und Trivialität nicht zu übertreffen."

Frese appellierte an seine Zuhörer: "Gehen Sie abends durch die Neubaugebiete und sehen Sie sich den sparsamen Einsatz von Gardinen an zu weißgestrichener Rauhfaser, Dekor bringt die Palme vor dem Fenster. Den Parkettboden kann man nicht sehen, aber er ist da. Es liegt kein Teppich unter den Korbmöbel oder der Ledergamitur. Und das Schlimmste ist: es ist geschmacklich nicht schlecht."

Die künftige Entwicklung der Nachfrage hängt für Frese im wesentlichen von fünf Faktoren ab:

1. Der Verbraucher. Hier befürchtet Frese große Veränderungen. 'Die Grundwerte unserer Gesellschaft verrutschen. An die Stelle der großen Leidenschaften treten als treibende Kräfte Bequemlichkeit, St. Floriansprinzip, Hedonismus, Fun." Nur Neid und Eitelkeit behielten ihren Stellenwert. Die Devise laute: Sparen beim Einkauf, Prassen im Urlaub. Favoriten seien Güter, die man nicht sieht oder nicht braucht. 'Der private Konsum war in den letzten Jahren Konjunkturmotor in Frankreich, den USA und auch in der Schweiz - nicht in Deutschland.

2. Die Mode. 'Im wesentlichen geht es von hell zu dunkel zu hell. Das dauert 25 Jahre. Kürzere Amplituden haben die Gegensatzpaare grob / fein, glänzend / matt, Kontraste / Ton in Ton, uni / gemustert, noch kürzer laufen die Farbpaletten. Sogar der Kunde merkt, wenn eine Farbskala acht Jahre alt ist. Noch längere Zeit werden Minimalismus und Purismus vorherrschen, d.h. sparsamer Einsatz durchaus hochwertiger Materialien. Darin beschränkt sich in Deutschland die herbeigeredete neue Prächtigkeit. Gemusterte Wände werden wir in größerem Umfang nicht erleben."

3. Die Bevölkerungsentwicklung. Zuwanderung werde künftig nötig sein, um die Bevölkerungszahl in Deutschland zu halten. 'Die spannende Frage ist doch für uns, wie das Käuferverhalten der Neubürger ist?"

4. Rating. Ab 2004 werden alle gewerblichen Kunden geratet sein müssen. Dazu werden Bewertungskriterien festgelegt, die benotet werden: Vermögenslage, Eigenkapital, Beurteilung der Unternehmensführung, Zeitpunkt der Bilanzabgabe, Umfang und Qualität der laufenden Informationen an die Bank. Die Kosten für Kredite richten sich nach diesem Rating, weil nach nach Sicherheitslage der Bank mehr Eigenkapital unterlegt werden muss. Des wird von den Prüfungsverbänden streng kontrolliert. Frese warnt seine Kollegen: 'Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihre Kredite wesentlich teurer werden oder Sie Ihre Kredite sogar gekündigt bekommen."

Ganz falsch findet der Dipl.-Volkswirt das Rating nicht angesichts der Verluste im Firmenkundengeschäft. Sorgen bereitet ihm allerdings 'die enge Sicht der Wirtschaftsprüfer in den Prüfungsverbänden, die überall in den Einzelfall hineinregieren und die Veränderung in den Köpfen der Banker". Er weist zudem darauf hin, dass Mittelstandskredite künftig nur noch von Genossenschaftsbanken und Sparkassen gegeben werden.

5. Vertragsrecht. Nicht zuletzt macht Frese darauf aufmerksam, dass eine Veränderung des Vertragsrechts vor der Tür steht. Die Grundtendenz sei, die Vertragsstrenge abzumildern. 'Das heißt, wer einen Vertrag nicht einhält, soll künftig nur unter erschwerten Bedingungen oder im verminderten Umfang haftbar gemacht werden." Zugleich solle es für einen enttäuschten Vertragspartner erheblich leichter werden, sich ganz vom Vertrag zu lösen. 'Hierzu fällt mir auf, dass in letzter Zeit vermehrt der Vorwurf des Beratungsfehlers erhoben wird, wenn etwas nicht gefällt oder Kaufreue besteht. Bald werden wir dann völlig unberechtigt wieder eine komplette Wohnungsausstattung zurück im Laden haben".

Obgleich die Zeiten für den Fachhandel auch künftig nicht einfacher werden, sieht Frese eindeutig gute Überlebenschancen - wenn seine '10 Gebote für das Bestehen der Zukunft" berücksichtigt werden.

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Die 10 Gebote zum Überleben eines Fachhandels

1. Im Ausleseprozeß der Marktschrumpfung müssen Sie sich zur Maxime machen: ich will übrig bleiben. Das ist eine Sache der Nerven und der Finanzierung.

2. Verlieren Sie das Ziel Ihres Unternehmerseins nie aus den Augen: Geld verdienen. Sie müssen nicht nur Ihren Lebensunterhalt erwirtschaften, sondern auch Ihre Miete, falls Sie das Geschäft im eigenen Haus betreiben, Ihre Abschreibungen und Ihre Alterssicherung. Das ist Ihre Pflicht. Ihre Aufgabe ist nicht die einer Verbraucherzentrale, eines Erziehungsinstituts oder einer Weltverbesserungsanstalt.

3. Erarbeiten Sie sich ein klares Profil, suchen Sie sich Ihr Nachfragesegment aus, das Sie bedienen wollen. Und richten Sie Ihren Kosteneinsatz und Ihr Sortiment konsequent darauf aus. Nachbesserungen werden immer nötig sein, aber vermeiden Sie Zerfaserung Ihres Sortiments, um rechts und links davon doch noch etwas mitzunehmen. Das Nachfragesegment ist natürlich unterschiedlich je nachdem, wo man sein Geschäft betreibt - in ländlichen Gebieten, in Vorstädten, in der City einer Großstadt, in einkommenschwachen Gebieten oder dort, wo echt Geld sitzt.

4. Achten Sie verstärkt auf Produktivität. Dies gilt in erster Linie für den Faktor Personaleinsatz. Wenn Sie kaum noch Personal haben oder dieses enorm teuer ist - Sie inbegriffen -, müssen Sie sich überlegen, wen oder was Sie bedienen. Wenn Sie zwei Kunden nebeneinander her bedienen, werden Sie Ihre Aufmerksamkeit automatisch verstärkt dem zuwenden, der für Sie interessanter ist. Da kann man natürlich gewaltig daneben liegen.

Aber überlassen Sie das anzufertigende Brokatdeckchen Ihrem Wettbewerber - falls es noch einen gibt. Oder das Zubehörteil eines Systems, das es seit 30 Jahren nicht mehr gibt und das Sie nie hatten.

Klar ist, daß Sie das von Ihnen ausgesuchte Marktsegment hervorragend bedienen müssen. Es versteht sich, daß die Arbeitsabläufe gestrafft werden, auch durch Einsatz moderner Elektronik. Liebgewordene Umständlichkeiten müssen aufgegeben werden.

Auch die Raumproduktivität muß unter Beobachtung bleiben. Wenn Ihr Umsatz sinkt oder Sie Ihr Sortiment straffen, dann benötigen Sie weniger oder anderen Raum. Das Innenstadtfachgeschäft mit 1200 qm Verkaufsfläche oder mehr ist passé.

5. Achten Sie auf Ihren Eigenkapitalanteil, aber setzen Sie nicht Ihr ganzes Vermögen aufs Spiel. Eine Schließung ist oft die größere unternehmerische Leistung als die Eröffnung. Wählen Sie unter diesem Aspekt Ihre Rechtsform und halten Sie sich vor Augen, daß Sie aus Personal- und Mietverträgen nur durch Insolvenz herauskommen. Dadurch darf aber ihr übriges Vermögen nicht gefährdet werden.

6. Betreiben Sie ein eigenes Zeitmanagement. Ohne Fleiß kein Preis gilt immer, aber beuten Sie sich selbst nicht aus. Wir hören neuerdings wieder von der Muße der Faulheit und der neuen Langsamkeit, die nicht Vorbild sein sollte, aber eines gilt sicher: daß es Leute gibt, die keine Zeit zum Geldverdienen haben.

7. Überprüfen Sie ständig Ihr Sortiment. Wenn Sie mit Ihren Kunden alt werden, aber keine jungen Kunden gewinnen, so machen Sie etwas falsch. Dahinter steht die Anmaßung des Erziehungsauftrags: die Jungen sind selbst Schuld, wenn sie nicht bei mir kaufen, die haben halt keinen Geschmack. Insofern schrillt eine Alarmglocke, wenn Sie die jüngere Generation, oft gut ausgebildet und in guten Verhältnissen lebend, mit Ihrer Geschäftspolitik nicht erreichen.

8. Beschränken Sie Ihr Sortiment und schaffen Sie sich ein klares Profil. Wir alten Tapetenhändler hatten früher immer gemeint, wir müßten jede Kollektion haben, die am Markt ist, um auch wirklich jeden Wunsch bedienen zu können. Der Slogan des Kaufhofs war früher: Tausendfach alles unter einem Dach. Von dieser Philosophie hat er sich schon vor 20 Jahren verabschiedet. Es kommt dazu, daß Muster teuer sind, ebenso die Verwaltung eines Musterlagers, die auch gemacht sein will.

9. Halten Sie Ihre Bank auf dem Laufenden, auch wenn Sie einmal nichts Positives zu berichten haben. Sie zwingen sich dadurch, selbst Ihre Position zu verbessern, die neue Transparenz, die zunächst unbequem ist, läßt Ihnen keinen anderen Raum.

10. Engagieren Sie sich in der Gesellschaft. Das ist mit all dem, was ich zuvor gesagt habe, vereinbar. Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann nicht im eigenen Saft kochen. Der Freizeitanspruch eines manchen Unternehmers ist übertrieben und unproduktiv. Es gehört auch zum Beruf des Unternehmers, seine Interessen ins Spiel zu bringen und sich auf lokaler Ebene für die Infrastruktur einzusetzen. Um dies und anderes zu tun, muß er informiert sein. Stammtischgerede genügt nicht. Wenn wir eine Benachteiligung des Mittelstandes feststellen, dann sind das nicht die 'bösen Roten", sondern das Vakuum, das der Mittelstand hinterläßt, und keinen Populisten veranlassen wird, für ein Vakuum Politik zu betreiben.

Wenn Sie nun der Ansicht sind, das seien alles kluge Sprüche, die Sie schon hundertmal gehört haben, dann antworte ich Ihnen, daß sich im Umfeld vieles geändert und und sich noch ändern wird. Die vielen Kollegen, die ihr Geschäft aufgeben mußten, sprechen eine beredte Sprache. Der Unternehmensberater Roland Berger ruft dazu auf, aus Krisen zu lernen. Das habe ich versucht anzuregen.

Wir stehen also vor enormen Veränderungen. Aber es gibt Rezepte, diese Veränderungen zu bestehen. Die Frage, die uns bewegt und die mir mit diesem Thema gestellt wurde, kann nur heißen: hat der Fachhandel Zukunftsaussichten? Ich sage eindeutig ja.
aus BTH Heimtex 10/01 (Handel)