Teppichfachgeschäft Van Meeuwen in Amsterdam

Teppichbegeisterung auf den Kunden transportiert

"Orientteppiche kann man nicht ohne Emotionen verkaufen", sagt Frans Ruhe, Inhaber von drei Teppich-Fachgeschäften in den Niederlanden. Eines davon liegt in der Amsterdamer Van Baerlestraat. Der weithin bekannte, agile Einzelhändler setzt sich unermüdlich für den traditionellen, wertigen Orientteppich ein, bleibt dabei aber Neuem gegenüber unbedingt aufgeschlossen. Optimistisch und ambitioniert geht er die Zukunft an, wo eine neue Aufgabe auf ihn wartet: Im letzten Jahr legte der 38jährige die Prüfung zum Orientteppich-Sachverständigen ab und wurde damit zum jüngsten seiner Zunft in ganz Europa.

Den Kopf hängen lassen, weil sich Rahmenbedingungen ändern, das ist nicht die Sache von Frans Ruhe. Veränderungen begreift der branchenweit bekannte, agile Einzelhändler aus den Niederlanden vielmehr als Herausforderung und Chance, sich neu zu orientieren, Neues zu wagen.

So auch im Jahr 2003, als gleich mehrere Entscheidungen zu treffen waren. In Amsterdam trennte er sich vom alten Stammhaus in der PC Hooftstraat, das über knapp 700 qm Verkaufsfläche verfügte, und richtete sich quasi um die Ecke in der Van Baerlestraat auf nur noch 100 qm neu ein. Hier ließ er ein kleines, aber exquisites Fachgeschäft mit schlichtem, modernem Habitus und einzigartiger Außenwirkung entstehen. Mit der Umsetzung beauftragte er die bekannte, niederländische Innenarchitektin Evelyne Merkx.

Das Geschäft ist bis ins kleinste Detail durchdacht. Verblüffend die Wirkung der entspiegelten Schaufensterscheiben. Jedes Exponat ist von draußen hervorragend zu sehen. Der Effekt ist so groß, dass schon einmal eine Nachbarin von gegenüber anrief, weil sie meinte, es wäre kein Glas im Fenster. "Wir sind das einzige Geschäft in Amsterdam mit solchen Schaufensterscheiben", sagt Ruhe ein wenig stolz, um sofort zu betonen, dass zwar alles sehr offen, "sehr gemütlich" wirke, aber dennoch unbemerkt optimal gesichert sei.

An den Wänden hängen derzeit - spätestens alle zwei Wochen wird neu dekoriert - neun ausdrucksvolle, überwiegend klassische Einzelstücke, davon ist eines als Sonderangebot ausgezeichnet. Die Teppichstapel halten Maß und in der Mitte des lichtdurchfluteten, tektonischen Raumes steht eine wertige Sitzgruppe vor einem großflächigen Bildschirm, der in wechselnder Folge stimmungsvolle Interieurfotos zeigt. Althergebrachtes, Anspruchvolles wird in einem modernen Kontext gebracht.

Der Umzug vor drei Jahren bedeutete für Ruhe auch einen Abschied von der reinen Einkaufsstraße. Am neuen Standort ist das Straßenbild eher gemischt, Geschäfte wechseln sich ab mit Wohnhäusern, gepflegten Lokalen und öffentlichen Einrichtungen, darunter eine Museumsbibliothek. Für Ruhe ist das kein Nachteil, zumal er seither keinen Kunden verloren, sondern vielmehr neue hinzu gewonnen hat, junge und alte. "Die Umgebung ist fantastisch. Das Viertel zählt zu den gehobenen Stadtteilen, ist sehr international ausgerichtet und liegt außerdem äußerst zentral. Ich benötige nur 15 Minuten zum Flughafen", freut sich der 38jährige.

Das vor 67 Jahren gegründete und bereits in dritter Generation geführte Unternehmen Van Meeuwen verfügt über eine Kundenkartei mit sage und schreibe 22.000 Einträgen, gesammelt in den letzten 43 Jahren. Eine stattliche Zahl, zumal neben Namen und Adressen auch Informationen über die verkauften Teppiche und die zur Auswahl vorgelegten Stücke archiviert sind. Die Kartei wird für Mailings benutzt, eine detaillierte Analyse soll "irgendwann einmal" erfolgen.

In den letzten Jahren war es notwendig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auch bei den Geschäftsfeldern. "Man muss sich heute auf seine Kernkompetenzen konzentrieren", sagt Ruhe. Die Bereiche Teppichreparatur, Großhandel und Lagerhaltung hat er im Rahmen des Umzugs aufgegeben, im Bedarfsfall greift der Branchenkenner auf Spezialisten zurück. Wie zum Beispiel kürzlich, als ein Kunde die Restauration eines Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellten Heriz beauftragte. Die Arbeiten werden insgesamt zwölf Monate dauern, die Kosten werden 36.000 Euro betragen. "Eine derartige Serviceleistung kann man nur anbieten, wenn man weiß, wer Heriz-Teppiche sehr gut reparieren kann", stellt Ruhe klar.

Sein Sortiment hat er, den räumlichen Veränderungen entsprechend, vor drei Jahren vom Umfang her reduziert, nicht aber den Anspruch und die Ausrichtung verändert. Ruhe unterteilt es in drei Segmente: An erster Stelle steht die traditionelle Ware. In diesem Bereich müsse man immer mehr "kämpfen", weil der Endverbraucher durch fingierte Ausverkäufe und Mondpreise völlig irritiert sei. Mit einzelnen Provenienzen, beispielsweise Loribaff, lasse sich aber Kompetenz vermitteln. Hinzu kommt moderne "Innenarchitektur-Ware" und ein gewisses Kontingent an "Aktionsware", womit aber nicht billiger Ramsch, sondern schlecht drehende Artikel aus dem Standardprogramm gemeint sind.

Im Einzelnen gehören zum Sortiment, das insgesamt im mittleren bis hochwertigen Segment angesiedelt ist, überaus wertvolle alte und antike Stücke, bei deren Anblick dem Inhaber sichtlich das Herz aufgeht. In diesen Bereich fallen auch Kissen, die aus alten und antiken Teppich-Fragmenten oder Satteltaschen hergestellt werden.

Außerdem sind Neuknüpfungen vornehmlich aus dem Iran, aber auch aus der Türkei, aus Indien, Pakistan und China im Programm, ebenso Nepal-Bestellware und Berber, beides seit vielen Jahren unverändert wichtige Themen. Das Repertoire an modernen Stücken wird durch Teppiche des Designers Frank Lloyd Wright nach oben hin abgerundet.

Alle Teppiche im Geschäft sind detailliert ausgezeichnet - das sorgt für Transparenz. "Wir stehen für Ehrlichkeit und Verantwortung", betont Ruhe in diesem Zusammenhang. Unermüdlich setzt er sich dafür ein, dem traditionellen, wertigen Orientteppich in der Öffentlichkeit wieder ein besseres Image zu verschaffen, das Interesse für dieses Kulturgut neu zu wecken. Ein Beispiel: Kürzlich hat er verschiedene Museen angeschrieben und darum gebeten, Teppich-Exponate wieder auszustellen, die seit vielen Jahren in den Archiven liegen. Denn derzeit ist Rembrandt-Jahr in den Niederlanden, und die Menschen strömen in die Museen.

Überdurchschnittlich aktiv ist er auch, wenn es um die Zusammenstellung seines Sortimentes geht. "Wir importieren meist noch selbst", sagt er. Seine Reisen führen ihn nicht nur in Ursprungsländer, zu Importeuren nach Hamburg, Zürich oder London, sondern auch zu Auktionshäusern wie Christies in New York.

"Fantastisch" sei sein Beruf, sagt der 38jährige, weil er so vielseitig sei. Man beschäftige sich beispielsweise mit Design, Historie, Reisen und Psychologie. Defizite in der Branche sind für ihn vor allem das Fehlen von Marken sowie das Fehlen von Strukturen, die dem Endverbraucher und in gewissen Bereichen auch dem Teppichexperten ermöglichen, sich zu informieren. Ein bisschen Wehmut klingt mit, wenn er zudem feststellt, dass für den Endverbraucher heute nicht mehr die Herkunft eines Teppichs wichtig ist, sondern sein Aussehen, die Farben - da spricht eben der Liebhaber von erlesenen Sammlerstücken.

Dennoch will er sich der Zukunft nicht verschließen, ganz im Gegegnteil. "Wo das Einzelhandelsunternehmen Van Meeuwen in zehn Jahren stehen wird, kann ich nicht sagen, aber wir werden uns weiterentwickeln. Ich blicke positiv in die Zukunft, weil ich davon überzeugt bin, dass das ehrliche Geschäft überleben wird", sagt er.

Zukunftsgerichtet ist auch seine kürzlich erworbene Mitgliedschaft im Bundesverband der Sachverständigen für orientalische, handgeknüpfte Teppiche und Flachgewebe. Er will weiter lernen und ebenso Wissen weitergeben, beispielsweise an die junge Generation, die derzeit verstärkt in die Branche dränge. Im letzten Jahr legte er zudem die Prüfung zum Orienttepich-Sachverständigen ab und wurde damit zum jüngsten seiner Zunft in ganz Europa.

Ambitionen genug, zumal Ruhe neben dem Geschäft in der Van Baerlestraat in Amsterdam noch zwei weitere Einzelhandels-Dependancen betreibt: ein Haus im Oudkerkhof in Utrecht mit 350 qm Verkaufsfläche, verteilt auf sechs Etagen, sowie ein Haus in der Karel Doormanstraat in Rotterdam, das über rund 300 qm verfügt und im besagten, entscheidungsreichen Jahr 2003 eröffnet wurde.
aus Heimtex Orient 06/06 (Handel)