Wettkampf Verkauf

Nur die Besten machen das Rennen

Spitzensportler und -Verkäufer haben vieles gemeinsam - dieser Auffassung ist Rhetorik- und Verkaufstrainer Ingo Vogel. Der ehemalige Gewichtheber schildert, was Verkäufer von Top-Athleten lernen können.

Monatelang arbeitete Verkäufer Mayer auf den ersehnten Termin hin. Immer wieder rief er den potenziellen Kunden an. Dann ist es endlich soweit. Der umworbene Kunde sagt: "Kommen Sie doch mal vorbei. Vielleicht ..." Verkäufer Müller weiß: Nun gilts, nun muss ich den Kunden für mich gewinnen. Denn wenn ich ihn bei diesem Treffen nicht überzeuge, dann waren alle Vorarbeiten vergebens. Ähnlich wie bei einem Wettkampf im Gewichtheben - aber auch in vielen anderen Sportarten. Zum Beispiel beim Turnen oder Schwimmen oder in der Leichtathletik. Auch hier arbeiten die Sportler oft monate-, teils sogar jahrelang auf einen einzigen Wettbewerb hin. Seien dies die Deutschen Meisterschaften oder die Europameisterschaften. Oder gar die Olympiade. Und wenn sie bei diesem Ereignis nicht ihr Können zeigen, dann war alle Vorbereitung umsonst. Doch nicht nur dies. Sie werden vielfach sogar als Nieten abgestempelt - selbst wenn sie im Training regelmäßig Top-Leistungen zeigen. Was können Verkäufer - ganz gleich, ob sie nun Kapitalanlagen, Immobilien, Haustextilien oder Matratzen verkaufen - also von Profi-Sportlern lernen?

Ein gewisses Talent gehört dazu

Es gibt unterschiedliche Berufe und Sportarten. Wer sich zum Läufer eignet, hat nicht automatisch das Zeug zum guten Schwimmer. Das heißt: Ohne ein gewisses Talent kann man in keiner Sportart absolute Spitze werden, ganz gleich, wie sehr man sich bemüht. Das gilt auch für den Verkauf. Männer und Frauen, die davor zurückschrecken, auf andere Menschen zuzugehen und sich lieber hinterm Schreibtisch verbarrikadieren, sollten nicht den Verkäufer-Beruf wählen. Denn selbst mit hartem Training werden sie maximal gute Verkäufer werden, doch Verkaufs-Asse werden sie nie.

Ohne Fleiß kein Preis

Das heißt aber nicht, dass diejenigen mit dem meisten Talent automatisch die besten werden. Im Gegenteil. Sowohl im Sport als auch im Berufsleben versinken gerade die Top-Talente oft irgendwann im Mittelmaß. Warum? Ihnen fallen am Anfang die Erfolge in den Schoss. Deshalb neigen viele zur Überheblichkeit und Selbstüberschätzung. Sie übersehen, dass das Talent stets nur die Basis für den Erfolg bildet. Wird es nicht gepflegt und ausgebaut, verkümmert es. Und für diese meist jahrlange Plackerei sind sich viele begnadete Talente zu schade. Schließlich ist das tägliche Training oft langweilig und monoton. Doch ohne dieses regelmäßige Sich-mühen kann man weder die eigene Leistung steigern noch dafür sorgen, dass einem gewisse Abläufe in Fleisch und Blut übergehen. So wie zum Beispiel beim Gewichtheben folgender Prozess: Hantel anpacken, auf Brusthöhe wuchten und über den Kopf stoßen. Wer diesen Ablauf nicht automatisiert, wird nie ein guter Gewichtheber.

Ähnlich ist es im Verkauf. Auch hier genügt es beispielsweise nicht zu wissen, wie ich einem Kunden ein Angebot schmackhaft mache: Erst ermitteln, was dem Kunden wichtig ist - und anschließend mit diesen Informationen das Angebot so präsentieren, dass dieser denkt "Genau das muss ich haben". Dieses Übersetzen muss der Verkäufer immer wieder üben - im stillen Kämmerchen und in der "Wettkampfsituation", also im Kontakt mit Kunden.

Jeder Wettbewerb ist anders

Dieses Üben ist auch notwendig, weil kein Wettbewerb dem anderen gleicht. Einfach lässt sich dies am Beispiel eines Langstreckenlaufs erläutern. Manche Wettläufe starten eher langsam, andere schnell. Manche finden bei Regen, andere bei strahlendem Sonnenschein statt. Also muss der Läufer seine Taktik der Situation anpassen. Ähnlich ist es im Verkauf. Auch hier sind die Rahmenbedingungen verschieden. Mal gibt es nur zwei, mal ein Dutzend Mitbewerber. Mal hat der Kunde schon Erfahrung mit dem Produkt, mal nicht. Mal ist die Kontaktperson ein Techniker, mal der Geschäftsführer. Also muss auch der Verkäufer sein Verhalten der Situation anpassen. Das kann er nur, wenn er die Verkaufstechniken sozusagen im Schlaf beherrscht. Denn nur dann ist während des "Wettkampfs" sein Kopf frei, um zum Beispiel das Verhalten des Gegenübers zu beobachten und darauf angemessen zu reagieren.

Sich gezielt vorbereiten

Dies gelingt einem Verkäufer nur, wenn er sich auf jeden einzelnen Wettbewerb gezielt vorbereitet, das heißt im Vorfeld ermittelt: Wer sitzt mir gegenüber? Zum Beispiel der Leiter IT, der sich vor allem für die technischen Details interessiert, oder der Geschäftsführer, der primär wissen möchte: Wie schnell amortisiert sich die Investition? Zudem sollte der Verkäufer wissen: Wie weit ist die Kaufentscheidung beim Kunden fortgeschritten? Möchte er sich nur "ganz allgemein und unverbindlich" informieren oder ist die Investitionsentscheidung schon getroffen? Hat der Kunde schon mit Mitbewerbern gesprochen oder bin ich als erster und eventuell sogar einziger Anbieter eingeladen? Kurz, der Verkäufer sollte wissen: Handelt es sich bei dem Verkaufsgespräch sozusagen um einen Vorlauf, bei dem ich nur andeuten muss, was ich kann, damit ich im Rennen bleibe? Oder ist dies der Endlauf, bei dem ich alle Reserven mobilisieren muss, um am Ende ganz oben auf dem Siegerpodest zu stehen?

Sich mental einstimmen

Denn machen wir uns nichts vor: Im Verkauf ist es oft wie bei einem Wettlauf, bei dem die besten nur Hundertstelsekunden auseinander liegen. Auch die Mitbewerber des eigenen Unternehmens sind nicht schlecht. Deshalb entscheiden im Verkaufsalltag oft Kleinigkeiten darüber, ob Verkäufer A oder Verkäufer B das Rennen um den begehrten Auftrag gewinnt. Entsprechend wichtig ist es, sich auf den Wettstreit mental einzustimmen. Zum Beispiel, indem man gedanklich durchspielt, wie könnte das Verkaufsgespräch verlaufen. Und sich nochmals bewusst macht: Welches Ziel möchte ich erreichen? Denn wer im Wettkampf gedanklich nicht voll bei der Sache ist, der hat meist bereits verloren. Oder er muss sich mit dem zweiten oder dritten Platz zufrieden geben. Was im Verkauf gleichbedeutend mit verlieren ist. Denn anders als im sportlichen Wettkampf gibt es beim Verkauf keine Silber- und Bronzemedaillen - und schon gar keine Ehrenurkunden. Es gibt in der Regel nur einen Auftrag. Also kann es auch nur einen Sieger geben.

Zum richtigen Zeitpunkt topfit sein

Deshalb müssen Verkäufer, wenn sie sich mit wichtigen Kunden treffen, ihr gesamtes Leistungspotenzial abrufen. Dies gelingt ihnen häufig auch, wenn sie sich geistig und körperlich adäquat vorbereitet und auf den Wettkampf mental eingestimmt haben. Dann laufen viele Top-Verkäufer zur absoluten Höchstform auf. Denn sie lieben den Wettstreit. Sie freuen sich darauf, endlich ihr Können zeigen zu dürfen. Und besonders stolz sind sie, wenn sie sich gegen besonders starke Rivalen durchsetzen. Ähnlich wie Spitzensportler. Sie freuen sich zwar auch auf Wettkämpfe mit eher mittelmäßigen Konkurrenten, bei denen sie im Vorfeld schon weitgehend sicher sind: Hier gewinne ich. Ein absolutes Highlight ist es für sie aber, wenn sie sich mit gleich starken oder sogar etwas stärkeren Gegnern messen dürfen. Denn dann wissen sie: Ich muss eine absolute Top-Leistung bringen, um den Sieg zu erringen. Entsprechend steigt der Adrenalinspiegel im Blut. Deshalb ist es kein Zufall, dass Spitzensportler bei Top-Events oft ihre persönlichen Bestmarken brechen. Sie erbringen plötzlich eine Leistung, die ihnen im Vorfeld die Konkurrenz nicht zugetraut hätte. Deshalb steht diese nach dem Wettbewerb mit leeren Händen da.
aus Haustex 01/07 (Handel)