Stilwerk Trendstudie

Wie wohnen wir morgen?

Hamburg - "Ablenken lautet die neue Wohndevise!" Zwei Jahre nach der 1. stilwerk Trendstudie veröffentlicht das Themencenter für Einrichtung, Design und Lifestyle jetzt die zweite Ausgabe der Wohnweltuntersuchung, die das Hamburger Trendbüro unter Federführung von Prof. Peter Wippermann erstellt hat. Darin werden sowohl vergangene als auch neue Sehnsüchte untersucht: Ist das Morgen von gestern wahr geworden? Auf welchem Weg bewegen sich die heutigen Trends? Und warum ist das Wohnen von heute so und nicht anders? Herauskristallisiert haben sich dabei vier neue Trends, die unter die Begriffe "Neo-Barock", "High-Tech-Jugendstil", "Modern Drearn" und "Biedermeier-Glam" gestellt wurden.

Die 1. stilwerk Trendstudie fragte vor zwei Jahren: "Wie schön wohnt die Zukunft?" Dabei wurden vier Sehnsuchtsfelder definiert: "Privacy", "Soziotainment", "Optionismus" und "Simplicity" waren die Schlagworte für wohnliche Lösungsansätze und siedelten sich zwischen regenerierendem Rückzug, Unterhaltung, Beweglichkeit und dem Luxus der Reduktion an. Alle vier Trends folgten der Maxime "design follows desire" - die Einrichtung gemäß unserer ganz persönlichen Bedürfnisse und Wünsche.

Das wohl wichtigste Stichwort im Zusammenhang mit der Studie ist "Eskapismus" - die Flucht vor den allgegenwärtigen und weiter gestiegenen Anforderungen der Alltags- und Berufswelt. Prof. Peter Wippermann beschreibt diese Entwicklung als "Rückfall in Wunschtraumweiten", die aus der "Verarmung der Mittelschicht, einem gefühltem Werteverfall und Zukunftsangst" resultieren. Aus dieser Entwicklung folgt eine Sehnsucht nach gelernten Werten und nach gelernter Stilsicherheit. Das Neue muss nicht unbedingt neu sein - aber es muss sich gut anfühlen. Die durchaus romantisierte Vergangenheit lenkt von aktuellen Problemen ab, Tradition verspricht Halt.

Die 2. stilwerk Trendstudie spiegelt in ihren vier Trends die Sehnsucht nach Orientierung und Verbindlichkeit wider. Das Wort "Trend" beschreibt dabei nicht nur eine Zukunftsperspektive, sondern ist auch immer fest in Historie und Tradition verankert. Die Visionen entstammen vergangenen Epochen: klassisch-modern, futuristisch-fiktiv oder romantisch-verträumt. Die Trends formulieren so zwar in die Zukunft gerichtete Wunschtraumwelten, doch jedes Mal entstammen die Visionen der Vergangenheit.

Neo-Barock

Der Trend Neo-Barock spiegelt eine lustvolle Opulenz wider. Moderne Architektur- und Designstile erscheinen dem Neo-Barock-Anhänger zu profan - er strebt nach einer erhabeneren und feierlicheren Ausdruckskraft. Hier reiben sich angestaubte Luxusmarken den Schlaf aus den Augen und besinnen sich mit einer neuen Generation von Designern wieder auf ihre alten Kunstfertigkeiten. In der Möbelbranche gab es für eine gewisse Klientel schon immer den Neo-Barock. Neu aber ist, dass Pionierfirmen des Industrial Design plötzlich dem Rausch der Vergangenheit erliegen. Zeitgenössische Designer interpretieren so z.B. Kronleuchter und bringen dabei eine für sie ungewöhnliche Opulenz an den Tag. Neo-Barock in wenigen Stichworten: Ein klares Bekenntnis zu lustvoller Opulenz, ein feierlicher, klassischer Stil wird ausgelebt. Plastische Zierelemente (Stuck, Posamenten usw.) sind hier stark vertreten. Üppigkeit und Prunk ist angesagt. Die Farben sind dunkel und schwer.

Hightech-Jugendstil

Dieser Trend ist geprägt vom eindeutigen Verlangen nach nicht industriell erscheinenden Formen, die paradoxerweise meist Computer gestützt hergestellt werden. Laserschnitte, CNC- oder Rapid-Prototyping-Verfahren ermöglichen die neue "Just-for-me-Verzauberung". Sie machen das Ornament für den Massenmarkt endlich bezahlbar. Hightech-Jugendstil ist der Gegentrend zum reduzierten Industrial Chic - Ornamente sind keine Verbrechen mehr, die "gute Form" nicht mehr dogmatisch funktional. In wenigen Worten: ein romantischer, märchenhafter individueller Lifestyle, der zwar Computer gestützt produziert wird, aber nicht so aussieht.

Modern Dream

"Comeback der Visionen" könnte man diesen Trend umschreiben. So lange uns Bilder zur "neuen Zukunft" fehlen, begnügen wir uns mit den alten Visionen. Im Modern Dream sind alle Designströmungen des 20. Jahrhunderts vertreten, deren Ziel es war, die Gesellschaft durch eine neue Gestaltung zu verbessern. Dafür standen vor allem Bauhaus, Rationalismus und Science Fiction. Dieser Stil ist geprägt durch klare Farben, organische Polsterformen, große Variabilität der Möbel, Edelstahl und Aluminium, eine selbst erklärende Funktionalität und formale wie funktionale Zeitlosigkeit.

Biedermeier-Glam

Angesichts der deprimierenden Statistiken bei Arbeitslosigkeit, Scheidungsrate u.ä. suchen viele Menschen das Glück wieder im Kleinen - ähnlich wie es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschah. Der Biedermeier-Glam ist die moderne Variante der heilen Welt samt humanistischen Werten und glamourösen Vorbildern. Die Wohnung erfährt dabei eine immense Bedeutung. Alles Häusliche, was noch vor Jahren als "omahaft" oder spießbürgerlich galt, wird zum gefeierten Symbol: Geerbte Tischwäsche, bestickte Kissen gleich Familienglück und Tischkultur. Das Beiwort "Glam" bezeugt, dass es nicht um Bescheidenheit, sondern um Selbstverwöhnung geht. Im Biedermeier-Glam liegt die Betonung auf dem Ausschmücken und Überhöhen der Wohnkultur und damit des eigenen Glücks, versehen mit einer Portion Hollywood-Zuckerguss, Kissenopulenz, pastelligen Farben, Tapeten und Vorhängen.

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aus Haustex 06/05 (Wirtschaft)