Dr. Wolfgang Zeyringer, Geschäftsführer des Fachverbandes der Textilindustrie Österreichs

Rasches Reagieren auf modische Trends


Die österreichische Textilindustrie ist - das dürfte allen bewusst sein - nicht nur praktisch die älteste Produktionssparte, sie ist auch jene, die sich gerade in den letzten zwei Jahrzehnten enorm gewandelt hat. Heute stellt sie einen hochmodernen und innovativen Wirtschaftszweig dar, der gegenwärtig 240 Industriebetriebe mit fast 19.000 Beschäftigten umfasst. Der Gesamtumsatz betrug im letzten Jahr 3 Mrd. Euro. Schon seit vielen Jahren ist ein Kennzeichen die hohe Exportintensität. Der Exportanteil liegt konstant bei ca. 80 Prozent. Etwa zwei Drittel der Exporte gehen in die EU-Länder, 6 Prozent in die Schweiz und 18 Prozent der österreichischen Textilien werden nach Osteuropa geliefert. Europa ist somit der weitaus wichtigste Markt. Darüber hinaus sind praktisch alle anderen Länder der Erde Abnehmer österreichischer Textilien.

Schon sehr früh hat die österreichische Textilindustrie hinaus in den Export gedrängt. Umgekehrt sind auch die Importe seit langem sehr intensiv. Der Textilmarkt ist jener, der als einer der ersten von der Globalisierung erfasst worden ist - lange bevor dieses Wort zu einem Phänomen wurde, das in aller Munde ist. Produktionskapazitäten standen früh weltweit zur Verfügung und werden vor allem in Asien seit Jahren massiv ausgebaut. Der Handelsverkehr mit Textilien ist äußerst intensiv und globale Themen der Handelspolitik spielen daher für die Textilindustrie eine viel größere Rolle als für andere Branchen.

Die Geschichte der österreichischen Textilindustrie ist durch große Umstrukturierungen gekennzeichnet: Der größte Umbruch erfolgte in den 60er und zu Beginn der 70er Jahre, als große Produktionskapazitäten in Österreich schließen mussten und bedeutende Namen mit langer Tradition verschwanden. Für die Textilindustrie mussten neue Strategien gefunden werden:

Eine starke Forcierung modischer Innovationen, verbunden mit schnellster Liefermöglichkeit und umfassendem Service für den Kunden. Modernste Maschinenausstattung. Dies erfordert zwar laufend hohe Investitionen. Dadurch kann aber vor allem die Produktivität immer weiter erhöht und damit der Nachteil der hohen Lohnkosten zum Teil kompensiert werden. Speziell im Bereich der Spinnerei und Weberei wurde die Automatisierung dadurch extrem voran getrieben und die Lohntangente an den gesamten Produktionskosten konnte stark heruntergeschraubt werden.

Die Konzentration auf Marktnischen, in denen die Konkurrenz aus Billiglohnländern viel geringer ist. Eine derartige Strategie kann auch von kleinen Unternehmen genützt werden, die charakteristisch für einen großen Teil der österreichischen Textilindustrie ist. Die Produktion von Massenware ist schon lange passé.

High-Tech bestimmt immer mehr unsere Branche. Einerseits ist es der neue Bereich der "Technischen Textilien", die eine äußerst breite Palette unterschiedlichster Produkte darstellen und die jeweils eigene Märkte und Anwendungsbereiche haben. Es ist ein faszinierender Bereich mit ständig neu entwickelten Produkten. Die Gruppe der technischen Textilien macht am Gesamtumsatz der österreichischen Textilindustrie bereits einen Anteil von über 40 Prozent aus! Notwendig für Erfolge in diesem Sektor ist das ständige Weiterentwickeln von Produkten und das Anpassen der Produkte an die ganz speziellen Bedürfnisse des Kunden. Gefragt sind Systemlösungen und immer komplexere Kombinationen.

Andererseits sind aber auch die "klassischen" Textilien, wie Bekleidungs-, Heim- und Haustextilien seit einigen Jahren mit Mehrfachnutzen ausgestattet. Bekleidungs- und Heimtextilien machen wertmäßig je ca. 30 Prozent der österreichischen Textilindustrie aus. Sie sind gleichfalls keine einfachen Produkte, sondern das Ergebnis einer hochkomplexen Produktionskette. Sie beginnt mit der Stufe der Spinnerei, die extrem automatisiert ist, und setzt sich fort beim Verarbeiten der Garne zu Gewebe.. Eine ganz zentrale Bedeutung dieser Produktionskette hat die Textilveredlung. Dort erhalten die Textilien die meist von der aktuellen Mode gewünschte Optik, das ausgesuchte Design und durch ausgeklügelte Veredlungsverfahren ganz spezielle Eigenschaften. Die Funktionalität wird immer wichtiger, die Veredlung trägt damit sehr viel zur Entwicklung von Hochtechnologie-Textilien bei. Klarerweise erfordert die Textilveredlung sehr viel Know-how und hohe Flexibilität in der Produktion. Höchst erfolgreich in Österreich sind auch ganz spezielle Sektoren wie die Stickereiindustrie. Sie besteht aus sehr vielen kleinen Betrieben, die aber sehr innovativ sind und immer wieder kleine Marktnischen im hochmodischen Bereich finden. Rasches Reagieren auf modische Trends, ein hoch entwickeltes Design und eine unverwechselbare Identität der Produkte sind generell die Erfolgsfaktoren für die österreichische Textilindustrie.

Die nächsten drei Jahre bringen jedoch gewaltige neue Herausforderungen. Der textile Welthandel ist derzeit noch zum Teil durch ein Quotensystem geregelt. Dieses gibt auch kleinen Entwicklungsländern Liefermöglichkeiten am europäischen Markt und in die USA und verhindert, dass sie von der Marktmacht der ganz großen Lieferländer wie China überrollt werden. Dieses Quotensystem - das eine Sonderregelung im Rahmen der WTO ist - wird Ende 2004 mit einem Schlag restlos wegfallen. Es ist zu erwarten, dass dann einige wenige der größten asiatischen Länder vom Wegfall der Quoten massiv profitieren und ihre Textilexporte in die EU stark steigern werden. Hauptnutznießer wird China sein. Dieses Land hat seine Produktionskapazitäten in den letzten Jahren mit enormen Mitteln groß ausgebaut und ist dabei, die Anlagen auch technisch auf den modernsten Stand zu bringen. China will seinen Anteil am weltweiten Textilmarkt deutlich ausbauen. Um in diesem Umfeld erfolgreich zu bestehen, muss unsere Textilindustrie vermehrt in die allerneueste Technologie investieren und sich noch mehr auf jene Produktbereiche konzentrieren, die der Fernostkonkurrenz nicht direkt ausgesetzt sind. Zudem müssen wir noch besser von unseren Stärken Gebrauch machen: kurze Lieferwege, Flexibilität, auch Lieferung kleinerer Losgrößen, Service und Zusammenarbeit mit den Kunden. Kreativität, hohes technisches Niveau, gut ausgebildete Fachkräfte. So kann auch die Zukunft der österreichischen Textilindustrie gesichert werden.
aus Haustex 12/03 (Wirtschaft)