Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Orient-Warenkunde

Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner ?" mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserer Orient-Warenkunde in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln.

Radj - Iranische Maßeinheit für Knüpfdichten


In einigen Teilen des Iran wird die Knüpfdichte von Teppichen in Radj angegeben. Vor allem im Nordwesten des Landes ist diese Maßeinheit verbreitet. Die Feinheit von Täbris zum Beispiel wird auf dem Basar ausschließlich in Radj angegeben. Bei dieser "Maßeinheit" wird davon ausgegangen, dass die Anzahl der Knoten in Kettrichtung (also parallel zu den Fransen) genauso hoch ist, wie die Anzahl der Knoten in Schussrichtung. Die Radj geben an, wie viele Knoten pro Gireh in Kettrichtung geknüpft sind. Im Iran basieren Angaben zur Knüpfdichte in der Regel auf der Einheit Gireh. Um gleich noch ein in Europa unbekanntes Maß ins Spiel zu bringen: Ein Gireh entspricht der Länge von 1/16 Sar. Die Länge eines Sar, variiert von Provenienz zu Provenienz leicht:

Teheran: 1 Sar = 1,04 m 1 Gireh = 6,5 cm
Täbris: 1 Sar = 1,07 m 1 Gireh = 6,7 cm
Kirman: 1 Sar = 1,12 m 1 Gireh = 7,0 cm

1 Gireh entspricht also einer Länge zwischen 6,5 und 7 cm. In der Regel werden heute 7 cm angenommen. Ein Radj entspricht also einem Knoten pro 7 cm. Umgerechnet auf die bei Täbris beliebte Knüpfdichte von 50 Radj bedeutet das, dass auf 7 cm 50 Knoten in Kettrichtung kommen und 50 Knoten in Schussrichtung. Umrechnet auf europäische Angaben hat ein 50 Radj feiner Täbris demnach 510.000 Knoten pro Quadratmeter.


Salor - Turkmenischer Nomadenstamm


Die Salor waren einer der angesehensten Stämme der Turkmenen und ebenso hoch angesehen sind noch heute ihre Teppiche und geknüpften Schmuck- und Gebrauchstextilien. Aufgrund ihres Reichtums kamen in ihren Arbeiten nur die besten Wollen und kostbare Seide zur Verwendung. Wie alle Turkmenen haben auch die Salor ein Stammeszeichen, ein Göl, das ihre Knüpfungen ziert. Das Salor-Göl ist mit Hakenornamenten versehen und daran leicht zu erkennen.

Neben den Salor sind die Tekke, Yomut, Saryk, Tschodor und Ersari weitere bekannte, teppichproduzierende Stämme. Die Turkmenen waren begnadete Teppichknüpfer und lebten über Jahrhunderte als Nomaden in den Steppen Zentralasien. Mit der Eingliederung der zentralasiatischen Gebiete in die Sowjetunion ging ein Großteil der turkmenischen Stammestradition unter.

Das Ende der großen Salor kam aber schon 100 Jahre vor den Eroberungen der Russen. In einer Schlacht gegen das Kadscharische Persien im 1831 wurde der bis dahin mächtige Stamm geschlagen. Derart geschwächt konnten die Salor nicht mehr zu alter Stärke gelangen. Darauf folgende Kämpfe mit den ebenfalls turkmenischen Stämme Tekke und Saryk besiegelten das Ende der Salor. Die wenigen Überlebenden siedelten in der Oase Merv an. Dieses frühe Ende der salorischen Knüpfkunst machte ihre Erzeugnisse zu raren und aufgrund der hohen Qualität zu besonders gesuchten Stücken. Sammler zahlen Höchstpreise für gut erhaltene Arbeiten der Salor.


Verneh - Kaukasisches Flachgewebe


Die Verneh gehören zu den Flachgeweben, deren Musterung durch das Umwickeln der Kettfäden entsteht. Damit ähneln sie stark den Soumakh. Gewoben, oder korrekter gewirkt, werden sie in den meisten Provenienzen des südlichen Kaukasus und im iranischen Teil der Moghan-Steppe von Kaukasen und Schasawan. Der Mustervielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Sehr beliebt sind alle erdenklichen Tier- und Pflanzenmotive, wie Pfauen oder Blumen. In keiner anderen Art von Flachgewebe werden nach Tanavoli mehr Lebensformen abgebildet. Häufig verwandte Grundfarben sind ein kräftiges Blau und ein warmes Rot. Die Muster heben sich mit kontrastreichen Farben ab. Eine bekannte Gruppe der Verneh ist als Sileh bekannt. Sie zeigen große S- bzw. Z- förmige Motive, die einen Drachen darstellen.

Keine festen Regeln gibt es auch bei den Größen und Formaten. Verneh können quadratisch oder rechteckig sein, aus einem Stück bestehen, oder aus mehreren zusammengenäht sein. Eher quadratische, aus zwei Bahnen bestehende Stücke dürften aber am häufigsten gefertigt worden sein.


Yürük - Sammelbegriff für Nomaden Anatoliens


Das Wort "yürümek" ist türkisch und bedeutet so viel wie Wandern oder Marschieren. So fasst man die Nomaden der Türkei gern unter dem Sammelbegriff Yürück zusammen. Gleiches gilt für die von den türkischen Nomaden und Halbnomaden hergestellten Teppiche. Eine Ausnahme sind die kurdischen Nomaden des Landes, deren Teppiche als eigenständige Provenienz zählen.

Das Taurus-Gebirge, das durch den Osten bis Südosten der Türkei verläuft, ist heute das wichtigste Siedelgebiet der Yürücken. Der gesamte Osten Anatoliens liegt auf einem Hochplateau, an dessen Süden sich das Taurus anschließt. Die Yürük leben folglich in einer Region, die im Winter empfindlich kalt wird. Ihre Teppiche knüpfen sie vor allem für den Eigenbedarf, sie werden als Schutz vor der Kälte benötigt. So erstaunt es wenig, dass es Stücke mit einem Flor gibt, der eher einem Fell als einem Teppich gleicht. Obwohl die Arbeiten der Yürück eine grobe Knüpfeinteilung haben, sind sie doch von guter Qualität. Die Wolle ist hochwertig, die Knüpfung fest. Folglich können die Muster nicht zu fein sein. Einfache geometrische Dessins in kräftigen Farben sind verbreitet.
aus Carpet Magazin 01/12 (Teppiche)