Jahresmitgliederversammlung der Innung Nordost in Templin

Joachim Barth kritisiert Umgang der Politik mit dem Handwerk

Schon fast traditionell ist der Tagungsort Templin in der Schorfheide nördlich von Berlin. Auch das Programm der diesjährigen Jahresmitgliederversammlung war wieder einmal vom Feinsten. Aber: Die Zahl der Innungsmitglieder, die der Einladung ihres Obermeisters gefolgt waren, ist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Diesmal wurde rund 230 Teilnehmer registriert. Neben den Tätigkeitsberichten des Obermeisters und der Fachgruppenleiter, Ehrungen, herausragenden Fachvorträgen stand eine schonungslose Beschreibung der gegenwärtigen Situation verbunden mit einem eindringlichen Appell des Obermeisters und Bundesinnungsmeisters an die Verantwortlichen der Politik im Mittelpunkt der Innungsversammlung.

In seinem Tätigkeitsbericht forderte Joachim Barth erneut, sich intensiv um Neumitglieder zu bemühen. "Unsere Organisation kann nur stark sein, wenn wir viele Mitglieder haben. Wir sind im Parkettbereich gut, im Bodenlegerbereich sehr schwach organisiert. Wir rechnen bundesweit mit bis zu 15.000 Bodenleger-Betrieben. Innungsmitglieder sind davon mal gerade 1.000. Hier gibt es eine Menge Nachholbedarf. Inzwischen hat ein starkes Werben um die Bodenleger eingesetzt, und zwar haben auch andere Gewerke den Bodenleger entdeckt, weil wir jetzt einen Ausbildungsberuf "Bodenleger" haben. Vorher hatte das alles keine Bedeutung. Jetzt melden sich andere Verbände zu Wort. Sie möchten die Lehrlinge in ihre Schulen übernehmen und sie stellen das in Frage, was unsere Vorkämpfer - allen voran Erich Rosenbaum - seit Jahrzehnten zu erreichen versucht haben - nämlich den Ausbildungsberuf "Bodenleger" zu schaffen. Jetzt interessieren sich plötzlich die Raumausstatter, die Maler - alle wollen Gespräche mit uns führen und alle wollen die Prüfungskommission selbst bestücken und natürlich die Bodenleger-Lehrlinge dann bei sich unterbringen."

Eingehend auf die verheerenden Hochwasserschäden, von denen auch Innungsmitglieder betroffen waren, dankte Barth allen Spendern, die dem Aufruf der Innung Nordost gefolgt waren. Von 22 Mitgliedsbetrieben, vier Fördermitgliedern, der Innung Mittelrhein-Mosel und vier Freunden der Innung kamen rund 8.500 EUR zusammen, die den am schlimmsten betroffenen Betrieben nach Grimma überwiesen werden konnten.

Zur Tarifsituation berichtete Barth, dass die Gewerkschaft den Tarif gekündigt und Lohnforderungen gestellt hat. Die Innung habe deutlich gemacht, dass sie keinen Handlungsspielraum sieht - und seitdem herrsche Ruhe an der Front.

Erfreut zeigte sich Barth über das ungebrochene Interesse an dem Meisterbrief. Zu den inzwischen angelaufenen Meisterprüfungsvorbereitungslehrgang in Halle haben sich 25 Teilnehmer gemeldet. Weniger Resonanz hat das Angebot einer externen Gesellenprüfung für langjährige Mitarbeiter im Parkettlegerbereich gefunden. Es gab nur vier Anmeldungen, und für so wenig Teilnehmer konnte der Kurs nicht durchgeführt werden. 15 Teilnehmer sollten es schon sein.

Die aktuelle Zahl der Auszubildenden wurde mit 121 angegeben. Davon werden 103 in Plauen, 18 in Berlin beschult. Im Berichtsjahr haben 49 Auszubildende die Gesellenprüfung bestanden, hinzu kamen 7 erfolgreiche Wiederholer. Außerdem konnten 17 Umschüler ihre Schulungsmaßnahmen mit Abschluss beenden. Für die Ausbildung zum Bodenleger sind in Plauen 10 Lehrlinge gemeldet, in Berlin 22.

Zur gegenwärtigen Situation des Parkettlegerhandwerks und des Bodenlegergewerbes fand Joachim Barth deutliche Worte:

"Das Handwerk als vielseitigster Wirtschaftsfaktor, größter Arbeitgeber und größter Ausbilder in diesem Land wird in Sonntagsreden seit vielen Jahren ob dieser Leistungen hoch gelobt. Der ehemalige Wirtschaftsminister Müller hatte sich für das Handwerk eine besondere Belohnung ausgedacht. Wörtlich sagte er in einer Fernsehdiskussion bei Sabine Christiansen: Die Handwerksordnung schaffen wir sowieso ab, nur jetzt nicht, denn das Handwerk bildet zur Zeit noch zu viel aus.' Das ist also der Stellenwert, den das Handwerk mit seinen noch 860.000 Betrieben in der alten und neuen Bundesregierung hat: Niemand hat dem Herrn Müller widersprochen.

In seiner 33-Seiten langen Berlin-Rede sprach der Bundespräsident nur einen ganzen Satz vom Handwerk, und der lautete: Handwerksbetriebe merken, dass die Zahl der Anbieter für Vorprodukte sinkt, dass die Nachfrage nach größeren Konzernen zunimmt und der Preisdruck steigt.' Das war's vom Bundespräsidenten über uns.

Erinnern wir uns: Am 25.06.02 spielte die deutsche Nationalmannschaft um den Einzug in das Finale. Am Sonntag zuvor hatten mehrere Politiker die Betriebe und Betriebsinhaber aufgefordert, deren Mitarbeitern freizugeben, sozusagen, um sie zu motivieren. Ich habe meinen Leuten nicht extra freigegeben. Die hatten nämlich frei, weil ich keine Arbeit für sie hatte. Zehntausende von Handwerksbetrieben, insbesondere in den Baugewerken, haben keine oder viel zu wenig Aufträge.

Derzeit gibt es in Deutschland noch 860.000 Handwerksbetriebe. In den nächsten Jahren werden nach Angaben des Zentralverbandes des deutschen Handwerks davon etwa 40 % vom Markt verschwinden, also 344.000 Betriebe. 344.000 Schicksale und verlorene Existenzen - nicht nur für die Familien der Betriebsinhaber. Mit dem Verschwinden der 344.000 Betriebe werden voraussichtlich 1 Mio. Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren. Welche Hartz-Kommission bringt die dann unter?

Während alt eingesessene, leistungsfähige Handwerksbetriebe unverschuldet in Konkurs geraten und erfahrene Handwerksmeister ihre Existenz verlieren, werden zur gleiche Zeit Existenzgründungen mit Milliardenaufwand finanziert. Das Insolvenzproblem ist ja keineswegs nur ein Problem unserer Nord-Ost-Region, nein, das ist ein nationales Problem. Zusammen mit 4 Mio. Arbeitslosen ist das eine nationale Katastrophe, die einfach hingenommen wird. Das Insolvenzproblem ist auch kein typisches Handwerksproblem, denn der Niedergang des Mittelstandes geht durch alle Branchen und Berufsgruppen.

Einen nicht geringen Anteil daran hat die vollkommen überlastete Justiz. Prozesse dauern über Jahre und das irgendwann gesprochene Urteil ist dann nur noch Makulatur. Der Betrüger und Schuldner hat sein Ziel erreicht. Es hilft eben keinem weiter, wenn die Gerichte mit ihren Urteilen Rechtsgeschichte schreiben und damit lediglich nur noch Zahlen zur Statistik liefern. Auch Gesetze zur Beschleunigung fälliger Zahlungen ändern an der Tatsache der Schwerfälligkeit der Justiz nichts. Wo bleiben die Aktivitäten zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren, etwa durch Einstellung von Richtern? Wer in der Politik beendet das Solidaritätsgefasel zugunsten eines wirklichen Programms? Wer beendet die Gängelung von Handwerksbetrieben wie z.B. durch das Betriebsverfassungsgesetz?

Wer beendet die menschenrechtsverletzende Diskriminierung und Enteignung der Handwerksmeister, die als letztes Glied in der Kette unverschuldet durch Betrügereien, etwa durch Bauträger, durch den Fiskus, durch Banken, durch Versicherungen und sonstige Institutionen gnadenlos in die Pleite getrieben werden? Durch die Untätigkeit leistet die Politik Verbrechern, Betrügern, Schuldnern Vorschub, verweigert mit etlichen Datenschutzvorschriften den rechtlichen Zugriff auf kriminelle Vertragspartner, ja sie provoziert förmlich deren Machenschaften.

Lauthals wird bejammert, dass der Unterschied zwischen arm und reich immer größer werde. Das ist falsch. Richtig ist vielmehr, dass der Mittelstand als Puffer dazwischen wegbricht. Richtig ist auch, dass es bestimmte Gruppen gibt, die das aus vielfältigen Gründen so wünschen und willkommen heißen. Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung funktionierte bisher, weil das Kapital auf viele Schultern verteilt war und weil viele bereit waren, Verantwortung zu übernehmen und Risiko zu tragen.

Mit jedem Betrieb, der sich verabschiedet, geht ein Stück Freiheit verloren.

Das Handwerk hat mit seiner Bodenständigkeit, mit seinen Steuern, mit seinen Arbeits- und Ausbildungsplätzen einen sehr großen Beitrag zum Wiederaufbau dieses Landes und der Demokratie beigetragen und kann zu Recht stolz darauf sein. Mit vielen Sonntagsreden wird das auch immer wieder von der Politik bestätigt. Das Handwerk hat gerade wegen seiner hervorragenden Leistungen der letzten Jahrzehnte ein Recht darauf, die volle Unterstützung der Politik zu erhalten. Dabei geht es insbesondere auch um Auftragsvergaben, und zwar sofort.

Was ist das für ein Stabilitätserfolg, wenn 2006 der Staatshaushalt vielleicht ausgeglichen sein soll, gleichzeitig aber und als Preis dafür inzwischen die kleineren und mittleren Betriebe ruiniert, Hunderttausende von Arbeitsplätzen und Zehntausende von Ausbildungsplätzen verlorengegangen sind und immer weniger Betriebe immer mehr Steuern, Handwerkskammerbeiträge, Beiträge zur Berufsgenossenschaft usw. aufbringen müssen, Straßen und öffentliche Gebäude mangels ausreichender Unterhaltungsarbeiten verkommen sind, die schließlich mit einem Notstandsprogramm in Milliardenhöhe dann schnellstens erneuert werden müssen.

Wir fordern unsere Handwerkskammern, den Zentralverband des deutschen Handwerks, die demokratischen Parteien, jeden einzelnen Politiker auf, endlich wach zu werden, endlich auch einzelne Proteste bitterernst zu nehmen, endlich den Notstand zu erkennen, endlich angemessen zu handeln. Das Handwerk war viele Jahre lang Öl im Getriebe dieses Staates. Wird es weiterhin so ignorant behandelt, muss man sich nicht wundern, wenn es aus Notwehr zumSand im Getriebe wird. Das Handwerk fordert keine Schutzräume, es fordert lediglich Arbeitsbedingungen, die es seinen Betrieben ermöglichen, sich den Herausforderungen unter normalen Marktbedingungen stellen zu können, die es seinen Betrieben ermöglichen, wieder Arbeits- und Ausbildungsplätze anzubieten, die es seinen Betrieben ermöglicht, ein Auskommen zu haben und die Verpflichtungen dem Gemeinwesen Staat gegenüber auch wieder erfüllen zu können, ohne nach Zahlung aller Abgaben stets mit einem Bein im Ruin zu stehen.

Ich appelliere an alle, nicht zu resignieren. Stärken Sie uns - Ihrer Innung, Ihrem Zentralverband Parkett und Fußbodentechnik - den Rücken, wo immer das möglich ist. Es hat sich ein Zug in Bewegung gesetzt, den noch einige unserer Handwerksinstitutionen und in der Politik als Bummelzug belächeln. Dieser Zug wird zunehmend größer und schneller. Wir wollen nicht, dass er eines Tages an einigen Stationen nicht mehr hält, weil diese nicht mehr gebraucht werden. Wir wollen mit dem lauter werdenden Protest unseren handwerklichen Selbstverwaltungsorganen vielmehr den Rücken stärken. 860.000 Betriebsinhaber, 860.000 Ehegatten oder Lebenspartner, 860.000 Söhne und Töchter der Betriebsinhaber - das gibt doch Rückenwind, den man nutzen muss, mit dem man sich in der Politik Gehör verschaffen kann.

Kluge Leute haben 1990 auf dem Gelände des Bildungs- und Technologiezentrums der Handelskammer Halle einen Stein mit einem klugen Spruch aufgestellt, den sich alle Verantwortlichen in diesem Lande hinter den Spiegel stecken mögen. Der lautet: "Deutsches Volk, hüte treulich Deinen Handwerksstand, als das Handwerk blühte, blühte auch Dein Land."
aus Parkett Magazin 06/02 (Wirtschaft)