Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Orient-Warenkunde

Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner ?" mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserer Orient-Warenkunde in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln.

Holbein-Teppich - Uschak-Teppiche aus dem 16. Jahrhundert


Als Holbein-Teppich bezeichnet man Teppiche, die unter anderem auf den Gemälden des Renaissance-Malers Hans Holbein der Jüngere abgebildet sind. Holbein wurde - je nach Quelle - 1497 oder 1498 in Augsburg geboren und starb 1543 in London. Er zählt zu den bedeutendsten Malern der Renaissance. Auch andere Künstler dieser Periode schufen Werke, die Teppiche dieses Typs abbilden. Trotzdem hat sich die Bezeichnung "Holbein-Teppich" etabliert.

Im 16. Jahrhundert waren Orientteppiche ein sehr teures und seltenes Luxusgut. Als Statussymbol waren Teppiche deshalb auch in Gemälden beliebt. Holbein schuf viele Porträtbilder, bei denen diese Teppiche auf den Tischen dekoriert wurden, an denen der Porträtierte saß. Beliebt sind auch kirchliche Szenen, die die Madonna mit Kind auf einem Teppich zeigen. Es finden sich außerdem Bilder von Szenen des Stadtlebens, bei denen die Teppiche über Brückengeländer oder aus Fenstern hängen. Für die Teppichforschung sind diese Teppichabbildungen in den Gemälden von großer Bedeutung, da nur sehr wenige Teppiche dieser Zeit erhalten geblieben sind.

Die Gruppe der Holbein-Teppiche unterteilt sich in großgemusterte und kleingemusterte Stücke. In den angesprochenen Bildern wurden vor allem die großgemusterten Knüpfungen abgebildet. Das Innenfeld der großgemusterten Holbein-Teppiche wird von zwei bis drei Oktogonen geprägt, die mit geometrischen Ornamenten gefüllt sind. Umgeben sind sie von Rechtecken. Die Bordüre ist sehr aufwendig gestaltet und zeigt ein geometrisch-verschlungenes Flechtband-Muster, das an Kufi-Bordüren erinnert. Bei den kleingemusterten Holbein-Teppichen wird das Innenfeld von Reihen gebildet, die abwechselnd kleine Oktogone und rautenartige Ornamente zeigen. Zugesprochen werden die Knüpfungen vor allem der türkischen Provenienz Uschak.

Azofarben - Gruppe chemischer Farbstoffe


Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhr die Textilindustrie einen großen Aufschwung. In der Folge war es nötig Farbstoffe zu finden, die schneller und günstiger zu beschaffen und anzuwenden sind als die bekannten natürlichen Farbstoffe. Ausgangsrohstoff für die frühen synthetischen Farbstoffe war Steinkohle-Teer. Die ersten chemischen Farbstoffe waren Teerfarbstoffe bzw. Anilinfarben.

Zeitgleich mit dem Aufkommen der chemischen Farbstoffe kam der Orientteppich in Europa in Mode. Die Nachfrage in den Ursprungsländern stieg sprunghaft an. Die neuen Farbstoffe kamen den Herstellern in den Ursprungsländern folglich grade recht. Es konnte schnell und günstig Wolle eingefärbt werden. Der optische Eindruck war ebenfalls positiv. Leider stellte sich schnell heraus, dass die Farben nicht sonderlich lichtecht waren. Auch kam es vor, dass die Farben bei einer starken Wäsche ausbluteten. Die neuen chemischen Farben bekamen dadurch in den Ursprungsländern schnell einen schlechten Ruf. Es kam sogar so weit, dass Anfang des 20. Jahrhunderts keine Anilinfarben mehr nach Persien eingeführt werden durften.

Eine Untergruppe der Anilinfarben sind die Azofarbstoffe. Es handelt sich dabei um die größte Gruppe der chemischen Farbstoffe überhaupt. Sie werden in allen denkbaren Bereichen eingesetzt, sogar in der Lebensmittelindustrie. Ihren Namen haben die Azofarben von den Azobrücken, die einen Teil der chemischen Struktur dieser Farbstoffe ausmachen. Erfolgreich wurden die Azofarben wegen Ihrer Lichtechtheit und der Tatsache, dass die Farben bei der Wäsche keine beständig sind.

Trotzdem bekam auch diese - größtenteils problemlose - Gruppe von synthetischen Farbstoffen negative Schlagzeilen: Seit Mitte der 1990er-Jahre dürfen einige bestimmte Azofarben in Europa nicht mehr zum Färben von Textilien benutzt werden, da sie im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Betroffen sind nur solche Textilien, die direkten Kontakt mit der Haut oder der Mundhöhle haben, Teppiche sind also von dieser Bestimmung ausgenommen.

Spinnen - Arbeitsschritt bei der Garnherstellung


Als Spinnen bezeichnet man den Vorgang, bei dem aus einzelnen Textilfasern ein stabiles Garn entsteht. Bei der Herstellung von Orientteppichen ist es vor allem Wolle, die zu Florgarnen oder bei Nomadenteppichen auch zu den Garnen des Grundgewebes versponnen wird. Auch alle anderen Textilfasern wie Baumwolle, Seide oder Kunstfasern müssen versponnen werden, bevor man aus ihnen einen Teppich herstellen kann. Bleiben wir bei der Wolle: Vor dem Spinnen muss die vom Schaf geschorene Wolle noch gewaschen, sortiert und gekardet werden. Als Karden bezeichnet man das Auskämmen der Wolle. Es sorgt dafür, dass die Wollfasern parallel liegen. Nur gekardet lassen sich die einzelnen Fasern zu einem Knüpfgarn verspinnen. Verantwortlich für die Qualität des gesponnenen Wollgarns ist neben der Kräuselung und Elastizität der Wollfasern auch die Länge der einzelnen Fasern (Stapellänge). Je länger die Faser ist, desto widerstandsfähiger ist das spätere Garn.

Das Spinnen selber kann entweder von Hand oder maschinell erfolgen. Für welches Verfahren man sich bei der Herstellung von Garnen für die Teppichherstellung entscheidet, hängt auch davon ab, welche Art Teppich entstehen soll. Wird die Wolle von Hand versponnen, ist das Ergebnis nicht ganz gleichmäßig. Das Garn hat dickere und dünnere Stellen, auch ist es mal mehr mal weniger stark versponnen. Das hat Einfluss auf das Erscheinungsbild des fertigen Teppichs. Die Oberfläche eines Teppichs aus handversponnener Wolle ist lebendiger. Desweiteren nimmt diese Wolle beim Färben die Farbe unterschiedlich gut an. Bei handversponnener Wolle sind Abrasche (leichte Farbsprünge) die Regel. Für nomadische Teppiche, wie Gabbeh oder Loribaft, wird nur Wolle im Flor verwendet, die von Hand versponnen ist. Nur damit kann das gefragte lebendige Erscheinungsbild des Teppichs erzielt werden.

Für die Fertigung von feinen Manufakturteppichen, wie Tabris, Isfahan oder Nain muss ein Florgarn genommen werden, das maschinell versponnen ist. Der industrielle Prozess garantiert ein Garn, das homogene Eigenschaften hat. Wichtig sind ein konstant gleicher Durchmesser und eine konstant feste Spinnung. Der Flor, der mit einem solchen Garn geknüpft wird, ist ebenmäßig und das Muster weist keine Farbsprünge auf - ein Qualitätskriterium bei Manufakturteppichen.


Amoghli - Renommierte Manfaktur in Mesched, Iran


Die Manufaktur des Meisterknüpfers Amoghli brachte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die feinsten Teppiche der Provenienz Mesched auf den Markt. Den Höhepunkt seines Schaffens erreichte Amoghli in den 1920er bis 1930er-Jahren, als er Hoflieferant des persischen Königs Reza Shah Pahlavi wurde. Die Stücke der Manufaktur zeichnen sich allesamt durch eine besondere Feinheit aus. Die Schur ist entsprechend kurz, sodass die Musterung auch voll zur Geltung kommt. Das sorgt für einen recht festen Griff. Im Gegensatz dazu gibt es die typischen Mesched-Teppiche, die eine weiche Haptik aufweisen. Eine Besonderheit bei Amoghli ist das Grundgewebe: Beim Knüpfen werden am Anfang und Ende jeder Knüpfreihe auf einigen Zentimetern keine Knoten eingetragen. So entsteht auch vertikal eine Art Kelimkante. Der Musterduktus und die Kolorierung entspricht wiederum den typischen Teppichen der Provenienz: Ein großes Zentralmedaillon, das in den Ecken aufgegriffen wird, umgeben von feinen, floralen Arabesken im Innenfeld. Die Rottöne haben einen leichten Blau-Stich.

Es sind nicht zuletzt die Arbeiten der Manufaktur Amoghli, die für den guten Ruf und die Beliebtheit der Teppiche aus Mesched begründen. Zu sehen sind einige dieser außergewöhnlichen Stücke heute im Golestan-Palast im Norden von Teheran. Aber auch in den feinen Teppichen, die noch heute in Mesched geknüpft werden, lebt der Geist Amoghlis weiter. Eine Besonderheit bei Amoghli ist das Grundgewebe, dass auch an den Längskanten eine einige Zentimeter breite Einfassung bildet.
aus Carpet Magazin 02/12 (Teppiche)