100 Jahre Stickerei Gerber

Plauener Spitze mit neuem Zeitgeist


Auerbach - Ihr 100-jähriges Bestehen begeht die vogtländische Stickereifirma Gerber in einer - gerade auf das Haupterzeugnis Tischwäsche bezogen - schwierigen Zeit: Einerseits der hart umkämpfte Absatzmarkt im In- und Ausland, andererseits die noch immer allgemein schwache konjunkturelle Lage, die sich negativ auf Kaufkraft und Kauflust der Verbraucher auswirkt. Erschwerend hinzu kommt die Schwemme an Billigprodukten aus Ost- und Südostasien einschließlich "Musterklau" und Plagiaten.

Unter diesen Befindlichkeiten die Firma zu erhalten und fortzuentwickeln ist bei der Gerber Spitzen & Stickereien GmbH jetzt die 4. Generation des Familienbetriebes mit Engagement und auch Risikobereitschaft zugange: Ulrich Gerber (51) als geschäftsführender Gesellschafter, seine mit Prokura ausgestattete, das Kaufmännische bearbeitende Ehefrau Sabine (51), die für Vertrieb zuständige 28-jährige Tochter Nicole (Prokura) und Sohn Sören (24), dem im Rahmen der Geschäftsleitung Produktion und Technik obliegt.

Der Blick zurück in die Historie: Es war Urgroßvater Richard Gerber, von Beruf Maurer, der seinerzeit die kleine, mit Handmaschinen betriebene Stickerei erbaute; eigentlich, um damit Flauten im Erwerb am Bau überbrücken zu können. Wenige Jahre später hielten aber schon Vomag-Maschinen mit Pantograph Einzug und mit dem Einstieg von Großvater Otto Gerber nach dem 1. Weltkrieg in die Firma - die Lochkartensteuerung war inzwischen technischer Standard geworden - wurde der Maschinenpark modernisiert und erweitert. So wurde z.B. eine Punchmaschine zur Lochkartenherstellung angeschafft.

Der Betrieb war mit Lohnarbeit für größere Stickereiunternehmen oder Verleger-Firmen tätig. Während des 2. Weltkrieges war man mit Steppstoff-Stickerei für den Wehrmachtsbedarf eingespannt, nach dem Krieg beauftragt, Tüll- und Luftspitze als Reparationszahlungen für die Sowjetunion zu fertigen und später massenhaft Embleme für Parteien und Organisationen der DDR. Die Auswirkungen sozialistischer Planwirtschaft sollten alsbald die Stickerei Gerber, inzwischen von Vater Helmut Gerber geführt, vollends treffen. 1961 musste staatliche Beteiligung aufgenommen werden; die Enteignung folgte 1972 und führte zur VEB-Bildung, in den dann einst private Stickereien zu Dutzenden eingegliedert wurden. Das Conglomerat "Goldspitze" bestand aus 56 im Vogtland verstreuten Betriebsstätten mit insgesamt ca. 300 Beschäftigten.

Ab diesem Zeitpunkt war es mit Eigeninitiative im Sinne Gerberscher Familientradition gänzlich vorbei, so dass Sohn Ulrich Gerber - nach Abschluss des Ingenieur-Studiums 1979 - sich unter den gegebenen Bedingungen des Systems einfügen musste bei seinem Einsatz als Erzeugnisentwickler, der dann Tischwäsche als Sortiment in dem Stickerei-Großbetrieb aufgebaut und die entsprechenden technischen Investitionen für den Konfektionsbereich vorbereitet hatte.

Mit der "Wende" in der DDR ergab sich die Chance, den Familienbetrieb Gerber wieder zu beleben. Dem Antrag auf Reprivatisierung folgte verfahrenstechnisch ein "Martyrium", wie Ulrich Gerber rückblickend die Klärung aller eigentumsrechtlichen Fragen im Spannungsfeld zwischen Treuhand und Banken beschreibt. Schließlich kam es zum Neustart am 1. Juni 1991 als Gerber Spitzen & Stickereien GmbH. Die strategische Ausgangslage - weiter den Großhandel mit exklusiven Angeboten bedienen. Im Ergebnis sei man "relativ schnell flüssig geworden hinsichtlich Mittel zur Abzahlung des Darlehens"; auch in den Folgejahren ging es mit der Aufrüstung der technischen Basis zügig voran. Ab 1994 in chronologischer Reihenfolge: Neuer Firmenanbau, Kauf zweier moderner 15-Yard-Großstickmaschinen samt Atelieranlage, Erweiterung der Ateliertechnik bei gleichzeitiger Anschaffung einer weiteren Großstickmaschine und dem Ausbau einer Mustermaschine, zwei alte Vomags werden durch Saurer-Epoca-Stickautomaten ersetzt. In Summe belaufen sich die Investitionen auf etwa sieben Millionen Euro.

Das Unternehmen, das derzeit 50 Beschäftigte zählt, agiert heute am Markt als Vollanbieter im Tischwäschebereich. Zu reinen Stickereiprodukten unter der Kollektivmarke Plauener Spitze ist im Ergebnis der 2004 erfolgten Eingliederung der Fa. Stöckle/Renningen auch Uni-, Druck- und Jacquardware hinzu gekommen, was neue Absatzfelder auch beim Möbelhandel erschlossen hat. Mit dem mutigen Schritt der Firmenübernahme gelang es, die Defizite aus der stark rückläufigen Entwicklung des Großhandelsumsatzes zu kompensieren. Dank des funktionierenden und über die Grenzen Deutschlands hinaus wirkenden Stöckle-Vertretersystems war die Alternative Einzelhandel gegeben; "erfolgreich umgesetzt", so das Fazit im Jubiläumsjahr.

In dem Zusammenhang verweist Ulrich Gerber auf sein den Marktgegebenheiten angepasstes unternehmerisches Credo für Erzeugnisse in Plauener Spitze: Nischen im Markt; je spezieller desto besser. Und die hochwertigen Produkte müssen als solche deutlich herausgestellt werden mittels des jetzt von Exportkunden sogar geforderten eingestickten Logos "Plauener Spitze", mittels solcher Labels und Verpackung. "Im überzeugenden Preis-Leistungsverhältnis einer guten Kollektion gepaart mit Service-Orientierung bei Fertigung und Lieferung sehe ich längerfristig gute Chancen sowohl am Binnenmarkt als auch im Export, den Kundenkreis weiter zu stabilisieren", sagt Ulrich Gerber. Erzeugnisseitig seien Reserven zu erschließen, indem Tischwäsche als Komplettprogramme mit Wohnaccessoires angeboten werden. Diesbezüglich sieht sich Gerber auf gutem Weg, wie die jüngste Tischwäsche-Kollektion belegt: Schon fester Bestandteil geworden sind Gardinen wie Kurzgardinen oder Schlaufenschals - auch gestickte Vertikallamellen - und Kissen.
aus Haustex 03/06 (Wirtschaft)