Nanotechnologie

Nanohält nicht nur die Fassade sauber

Mit der Nanotechnologie haben die Farbenhersteller ein Instrument an die Hand bekommen, mit dem sie ihren Produkten neue Eigenschaften verleihen. Dazu gehören geringe Verschmutzungsneigung, Abriefbfestigkeit und Farbtonstabilität. In der deutschen Industrie kommt den Kleinstteilchen deshalb eine wichtige Bedeutung zu. Gleichwohl sind sich die Unternehmen der Problematik bewusst, dass Nanopartikel gesundheitsschädlich sein könnten und unterziehen sie deshalb umfangreichen Untersuchungen. Ob sie aber tatsächlich Mensch und Umwelt beeinträchtigen, wird erst die Zukunft zeigen. Noch liegen keine endgültigen Forschungsergebnisse vor.von Cornelia Küsel

Die Nanotechnologie hat die Lack- und Farbenherstellung revolutioniert. Sie optimiert die Produkteigenschaften und sorgt für zusätzliche Funktionalitäten. Dabei bedient sie sich häufig Effekten aus der Natur. Bekanntestes Beispiel ist der selbstreinigende Lotuseffekt, der vor allem Fassadenfarben verliehen wird, um Verwitterung und Alterung möglichst lange herauszuschieben. Auch antibakterielle Beschichtungen und photokatalytische Farben zur Reinigung der Innenraumluft sind mit Nanoteilchen möglich.

Ungeachtet fehlender Erkenntnisse über mögliche gesundheitliche Auswirkungen schätzen die meisten Farbenhersteller in Deutschland die Nanotechnologie für die Entwicklung neuer Produkte. "Bei allen Neuentwicklungen dient sie als Grundlage für echte Problemlösungen", sagt Klaus Graefenstein, Produktmanager bei Dinova und verweist auf zwei neue Produkte: die Innenbeschichtungen Kerapaint Classic und Kerapaint Premium. "Aktuell ist Kerapaint Classic die einzige Innenfarbe, deren Reinigungsfähigkeit TÜV-geprüft ist." Kerapaint Premium wiederum schütze auch bei intensiven Farbtönen die Oberfläche vor dem Schreibeffekt.

Aber nicht nur innen setzt Dinova Kleinstpartikel ein. Der Fassadenfarbe SI-Fusion geben sie eine geringe Verschmutzungsneigung. Solche Eigenschaften fördern nach Ansicht von Alfred Lohmann von der Caparol Technik die Langlebigkeit einer Fassade. Zudem werde der Sanierungszyklus ausgeweitet - für Bauherrn, Architekten und öffentliche Auftraggeber eine wichtiger Entscheidungsgrund. So sorge die Nano-Quarz-Gittertechnologie (NQG) von Caparol dafür, dass Schmutzpartikel lose auf der Farboberfläche aufliegen und überwiegend von Wind und Regen abgetragen werden.

Diessner hat unter anderem Diescoltih SOL-Silikat Fassadenfarbe im Sortiment, mit der organische Altbeschichtungen einen neuen Anstrich erhalten können. Möglich macht dies ein Kieselsolfunktionsstoff in Nanogröße. Über eine sehr gute Reinigungsfähigkeit und Nassabriebbeständigkeit verfügt die matte Innenfarbe Diesco Clean Color, für deren Herstellung Diessner ebenfalls Rohstoffe in Nanogröße verwendet. "Mit unserer Grundphilosophie, dem Malerhandwerk und seinen Kunden Problemlösungen und Zusatznutzen anzubieten, forschen unsere Entwickler auch intensiv an der Einbindung neuer Rohstoffe", betont André Protze, Leiter Produktmanagement/Produkttechnik bei Diessner.

"Alligator hat bereits 2005 die Vorteile von Produkten mit Nanotechnologie vermarktet und ist damit einer der Pioniere in diesem Segment", meint Marketingleiterin Manuela Beiter. Gezielt eingesetzt, sorge die Technologie bei den Kieselit-Produkten von Alligator für eine sehr gute Haftung auch auf organischen Untergründen. Bei den Miropan-Fassadenfarben ist die Oberfläche beständiger gegen Verschmutzung.

Obwohl der Nanotechnologie große Bedeutung zukomme, greife Alligator nicht ausschließlich auf sie zurück. "Erfüllen andere Technologien ebenfalls die hohen Anforderungen an ein Produkt, werden auch diese aufgenommen", sagt Beiter. Diese Einstellung vertritt auch Max Ruprecht, Leiter des Technischen Beratungs- und Seminarzentrums der BASF-Tochter Relius. "Die Nutzung von Nanotechnologie kann in vielen Bereichen der dekorativen Anstrichsysteme Pluspunkte bringen. Sie ist jedoch nur eine von vielen Möglichkeiten zur Optimierung von Produkteigenschaften." Bei den Produkten unter der Bezeichnung Nanotech by Relus ermögliche sie Eigenschaften, die weit über die klassischen Schutz-, Haltbarkeits- und Verschönerungsfunktionen hinausgehen.

Für Zero-Lack hat Nanotechnologie laut Marketingchef Harald Kranz dagegen keine Bedeutung. Kein Produkt basiere darauf. "Außer vielen anderen Gründen hat auch die Negativberichterstattung über die gesundheitlichen Belastungen durch die Kleinstpartikel dazu geführt, dass Nano bei uns kein Thema ist", begründet Kranz die Firmenphilosophie.

Bei Diessner spricht man die Problematik offen an und bereitet das Thema in der Seminarreihe Nanotechnologie in der Farbenbranche: Fluch oder Segen? auf, berichtet André Protze. Man verweise auf herstellerneutrale Literatur und erläutere die Wirkungsweise und Einbindung der Rohstoffe. Ohnehin würden nur Vorprodukte verwendet, die geprüft und in der Beschichtungsmatrix fest eingebunden seien.

"Schon lange bevor die ersten Berichte auftauchten, haben wir einen umfangreichen Abprüfungsvorgang installiert, den die Produkte bei Relius durchlaufen müssen", versichert Max Ruprecht. Und auch Dinova ist überzeugt davon, dass die eigenen Produkte keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben, weil die Nanopartikel fest in die Bindemittelmatrix eingebunden seien. Und Manuela Beiter von Alligator ergänzt: "Für alle Anwendungsbereiche haben wir ein breites Sortiment an Produkten. Nicht alle basieren auf Nanotechnologie, so dass der sensible Verarbeiter die Möglichkeit hat auszuweichen, sofern er die Technologie ablehnt."

Fazit: Nanotechnologie birgt viele Chancen für die Farbenindustrie. Hier gilt es, am Ball zu bleiben. Allerdings bleibt die Gefahr, dass sie ihre Nano-Produkte eines Tages wegen der Auswirkungen auf Mensch und Umwelt aus dem Sortiment nehmen muss.


Junge Wissenschaft mit Zukunft


Die Vorsilbe "Nano" aus dem Griechischen bedeutet "Zwerg". Nanotechnologie ist eine noch junge Wissenschaft, die sich mit den Eigenschaften sehr kleiner Teilchen beschäftigt. Als Nanopartikel werden einzelne Atome und Strukturen bezeichnet, die eine Größe zwischen 1 und 100 Nanometer (nm) aufweisen. Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter. Er verhält sich zum Durchschnitt einer Murmel wie ein Fußball zum Erdball. Diese Größenordnung umfasst einen Grenzbereich, in dem die Oberflächeneigenschaften gegenüber den Volumeneigenschaften der Materialien eine immer größere Rolle spielen. Als Begründer der Nanotechnologie wird Richard P. Feynman angesehen, der bereits 1959 erkannte, dass in den nächsten Jahrzehnten präzise Mikroskope einzelne Atome abbilden könnten. Der Durchbruch kam 1981 mit der Entwicklung von Rastertunnelmikroskopen. Mit diesen Geräten lassen sich Nanopartikel nicht nur abbilden, sondern Atome und Moleküle auch gezielt manipulieren. Bisher sind natürliche und industriell hergestellte Nanopartikel zwar noch nicht vollständig auf ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit untersucht worden, dennoch sprechen Wissenschaftler von einer Technologie der Zukunft. Zu den wichtigsten nanotechnologischen Produkten zählen viele Pigmente und andere Zusatzstoffe (Additive).
aus BTH Heimtex 07/12 (Farben, Lacke)