Interview mit Eckardt-Verkaufsleiter Michael Schwarze

"Die Industrie muss kreativer werden"

Wir hören es seit Jahren: Die Gardinen- und Dekostoff-Branche steckt in einer tiefen Krise. Wie ist nun die Situation im Sommer 2001? BTH Raum + Textil hat Michael Schwarze, Verkaufsleiter von Stückwaren- und Fertiggardinen-Anbieter Eckardt, einer der führenden deutschen Gardinenhersteller, um eine Bestandsaufnahme gebeten.

BTH: Herr Schwarze, Sie sind seit drei Jahren Verkaufsleiter der Firma Eckardt und waren zuvor zehn Jahre als freier Handelsvertreter tätig. Sie kennen also sowohl die Situation des Handels als auch die Lage der Gardinen- und Dekostoff-Industrie. Wie hat sich nach ihrer Meinung die Branche in den letzten zwei, drei Jahren verändert und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Industrie?

Michael Schwarze: Der Markt ist sehr anspruchsvoll geworden, besonders hinsichtlich der Kollektionen. Die Gardine ist modischer geworden, wodurch sich die Lebenszyklen der Produkte verkürzt haben. Diese Entwicklung birgt für die Industrie auf der einen Seite die Gefahr, dass Artikel nicht mehr mit Erfolg über einen längeren Zeitraum angeboten werden können. Auf der anderen Seite ist die Chance gegeben, dass Einrichtungsstoffe tatsächlich zum Modeartikel werden und sich dadurch schneller beim Endverbraucher drehen - darauf hofft die Branche.

BTH: Was bedeutet das für die Industrie?

Michael Schwarze: Dass sie permanent mustern muss, dass sie sich sehr viel mehr nicht nur mit neuen Dessins, sondern auch mit grundsätzlich neuen Ideen auseinandersetzen muss, mit neuen Garnen, Grundgewirken oder Grundgeweben, mit ganz neuen, viel modischeren Dekorationsaussagen als bisher. Insbesondere die an sich konservative Wirkbranche muss dies tun.

BTH: Ist es angesichts dieser Entwicklung vorteilhafter ein Hersteller zu sein?

Michael Schwarze: Ich denke ja, insbesondere wenn man ein vollstufiges Unternehmen ist, wovon es in Deutschland nur noch wenige gibt. Die Firma Eckardt ist vollstufig bis auf die Garnherstellung. Sobald ein Unternehmen alle Arbeitsabläufe im eigenen Hause darstellen kann, ist es sehr schnell und sehr flexibel, und das ist auch eine unserer Stärken.

BTH: Welche Stärken hat Eckardt außerdem?

Michael Schwarze: Neben Flexibilität, einer abgerundeten Kollektion und umfassenden Serviceleistungen gehören auch Verkaufskonzepte dazu, auf die wir künftig verstärkt setzen.

BTH: Was verstehen Sie unter dem Begriff Verkaufskonzepte?

Michael Schwarze: Das kann ich derzeit leider noch nicht konkret sagen. Nur so viel: Wir werden spätestens zur Heimtextil mit neuen Ideen und Serviceleistungen für unsere Kunden auf den Markt kommen.

BTH: Apropos neue Ideen. Die Branche ist so kreativ wie nie zuvor. Warum kommt so wenig beim Endverbraucher an und was kann man dagegen tun?

Michael Schwarze: Wenn man beim Endverbraucher Interesse wecken oder dessen Einstellung gegenüber einem Produkt verändern möchte, dann geht das nur über massive, permanente Werbung. In unserer Branche gibt es bis auf ganz wenige Ausnahmen jedoch keine Markenartikler. Wir sind fast alle No-Name-Anbieter. Das war in der Vergangenheit sicherlich richtig, weil unsere Kunden kein Interesse hatten, ihre Lieferanten in den Vordergrund zu stellen. Diese Einstellung hat sich etwas verändert. Dennoch bedarf der Aufbau und die Pflege einer Marke einer ungeheuren finanziellen Anstrengung. Fernsehwerbung ist für das einzelne mittelständische Unternehmen einfach nicht finanzierbar. Es ginge nur über einen Zusammenschluss der Branche. Allerdings ist es schwierig, die vielen familiengeführten, sehr individuellen Unternehmen unter einen Hut zu bekommen und gemeinsam produktbezogene Endverbraucherwerbung durchzuführen.

BTH: Wie sehen die Alternativen aus?

Michael Schwarze: Ein gangbarer Weg ist, den Einzelhandel beim Verkauf zu unterstützen. Wir geben zum Beispiel bei der Schaufenstergestaltung Hilfestellung, in dem wir unseren Händlern Musterfenster sehr kostengünstig zur Verfügung stellen. Außerdem führen wir Dekorations- und Zuschnittschulungen durch, um das Fachpersonal aus- und fortzubilden. Wir bieten Verkaufsschulungen an, in denen der Aufbau von Kundengesprächen, Reklamationsbearbeitung und Problemlösungen bei schwierigen Raumsituationen et cetera thematisiert werden.

Eine andere Möglichkeit ist der Publikumstag auf der Heimtextil 2002, an dem wir uns beteiligen werden. Es wird zwar eher eine regional begrenzte Veranstaltung mit Besuchern aus einem Umkreis bis zu hundert Kilometern sein, aber durch den Publikumstag wird endlich die Presse auf die Heimtextilien-Branche aufmerksam. Und die Berichterstattung über die Messe ist auch eine Form von Endverbraucherwerbung. Der Publikumstag wird sich sicherlich nicht sofort auf den Umsatz auswirken, aber wir müssen jede Möglichkeit nutzen, den Endverbraucher wieder für unsere Produkte zu interessieren.

BTH: Wie groß war das Interesse des Verbrauchers im ersten Halbjahr 2001? Ist das Unternehmen Eckardt mit seinen Ergebnissen zufrieden?

Michael Schwarze: Mit Blick auf die allgemeine Branchenentwicklung sind wir zufrieden. Wir liegen im Umsatz pari zum Vorjahr. Wir haben sicherlich andere Wunschvorstellungen, aber man muss einfach realistisch bleiben. Die Stimmung auf der Messe in Frankfurt war gut. Wir haben ein Plus von circa 20 % erwirtschaften können. Allerdings wurde das Geschäft ab März, April sehr anspruchsvoll. Die Erwartungen, die auch der Einzelhandel an das Frühjahr gestellt hatte, wurden nicht erfüllt. Wir haben uns aber über Umsatzsteigerungen bei den Kundengruppen Fachhandel und Großhandel gefreut.

BTH: Erstaunlich, dass Sie als traditioneller Stückwaren-Anbieter beim Fachhandel zulegen konnten. Ist dort das Stückgeschäft nicht eher rückläufig?

Michael Schwarze: Das ist differenziert zu betrachten. In Hinblick auf das Fachgeschäft und den Raumausstatter gebe ich Ihnen recht. Eine entsprechende Tendenz ist dort sicherlich vorhanden. Dennoch ist die Entwicklung regional sehr unterschiedlich. Wir haben zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sehr viel kleine, gut sortierte Fachgeschäfte als Kunden, die mit Ballenware arbeiten. In Hessen und Sachsen dagegen geben immer mehr Raumausstatter Stückwaren komplett auf und führen nur noch Coupons. Wir konnten diese Entwicklung jedoch durch Zuwächse im Großhandel kompensieren.

BTH: Gewinnt der Großhandel für Sie wieder an Bedeutung?

Michael Schwarze: Der Großhandel hat für uns dahingehend wieder eine Bedeutung, dass wir uns gegenüber dieser Handelsform einfach besser darstellen können als früher. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die klassische Wirkgardine, also der Bogenstore, der Bordürenstore, für den Großhandel nicht mehr die entscheidende Rolle spielt, weil sich auch der Raumausstatter mit diesem Produkt kaum noch befasst. Es ist eine Produktlinie, die heute in erster Linie über Fachmärkte oder Discounter verkauft wird. Wir haben jedoch durch neue Qualitäten mit wertigeren Aussagen, edleren Garnen und mit höherwertiger Ausrüstung erreichen können, dass wir mit einigen Artikeln wieder gut plaziert sind.

BTH: Etwas provokant formuliert: Hat der Großhandel überhaupt noch eine Zukunft?

Michael Schwarze: Ja, er hat Zukunft. Es findet dort zwar derzeit ein Bereinigungsprozess statt, der sich noch fortsetzen wird - übrigens genau so wie auf Seiten der Industrie und des Handels. Aber diejenigen Großhandelsunternehmen, die das richtige Konzept haben, werden das Geschäft machen und sogar expandieren. Gerade weil der Raumausstatter dazu tendiert, sich nicht mehr mit Ballenware zu beschäftigen, sondern den Service eines Dienstleisters in Anspruch zu nehmen. Man muss heute mehr als nur Ware anbieten. Das gilt auch für uns Hersteller. Zweimal im Jahr neue Artikel herauszubringen, reicht nicht mehr aus. Notwendig sind komplette Konzepte ...

BTH: ... die Sie uns noch nicht verraten wollen. Wie haben sich denn die einzelnen Produktgruppen im ersten Halbjahr 2001 entwickelt? Gibt es Gewinner und Verlierer?

Michael Schwarze: In unserer aktuellen Kollektion laufen gemusterte Artikel mit modischer Aussage besonders gut. Nach wie vor spielt Transparenz eine große Rolle. Darüber hinaus werden neue Dekorationsformen immer wichtiger. Zunächst war es der Schlaufenstore, der heute in den Umsätzen stagniert, jetzt erzielen wir schöne Erfolge mit Raffrollos und merken, dass der Flächenschiebevorhang immer stärker wird. Allgemein lässt sich feststellen, dass fertig konfektionierte Waren einen immer höheren Stellenwert einnehmen. In unserer Produktion liegt ihr Anteil bereits bei etwa 50 %.

BTH: Wie haben sich die Auslandsmärkte entwickelt?

Michael Schwarze: Die Auslandsmärkte entwickeln sich erfreulich. Unter anderem sind unsere Bemühungen auf dem amerikanischen Markt verstärkt worden und tragen erste Früchte. Wir hoffen, dass diese Tendenz weiter anhält beziehungsweise dass wir das Exportgeschäft weiter ausbauen können. Derzeit erwirtschaften wir rund 35 % unseres Umsatzes im Ausland. Wir exportieren nach ganz Europa und darüber hinaus. Dem Auslandsgeschäft wird in den nächsten Jahren ein entscheidendes Gewicht bei der Unternehmensentwicklung zukommen.

BTH: Die Branche rückt seit geraumer Zeit immer enger zusammen. Zuletzt sind Cordima und Ardison eine strategische Allianz eingegangen. Sind auch für Eckardt Akquisitionen, Fusionen oder strategische Allianzen ein Thema?

Michael Schwarze: Konkret nicht, aber man muss sich sicherlich Gedanken darüber machen. Wenn man europäisch denkt, muss man in Allianzen und Kooperationen denken.

BTH: Wo soll Eckardt in fünf Jahren stehen?

Michael Schwarze: Für mich ist wichtig, dass wir von Eckardt auch in fünf Jahren noch den wachsenden Anforderungen des Marktes gerecht werden und weiterhin ein verlässlicher Partner für unsere Kunden sind, und zwar für alle, ob Fachgeschäft und Raumausstatter oder Versender und Filialisten. Wir möchten es unseren Kunden auch in Zukunft so schwer wie möglich machen, auf uns zu verzichten.
aus BTH Heimtex 10/01 (Wirtschaft)