Tarkett D/A/CH/NL: Interview mit Ivo Schintz und Patrick Bouisset

"Die Rückkehr zu profitablem Wachstum ist ein Muss"

In den letzten Monaten hatte Tarkett für einigen Gesprächsstoff auf dem Markt gesorgt. Der Einstieg von Finanzinvestor KKR und personelle Veränderungen in wichtigen Schlüsselpositionen warfen Fragen auf, verunsicherten die Kunden und entfachten Gerüchte und Spekulationen über den weiteren Kurs des Konzerns. Folglich ging man nach der Domotex 2007 schnellstmöglich daran, die Handelsaktivitäten in Westeuropa zu reorganisieren. Inzwischen sind die Positionen neu besetzt und das neue Modell steht. Wie Tarkett jetzt in den deutschsprachigen Märkten aufgestellt ist, Vertriebsstrategie, Kundenansprache und Sortimentspolitik aussehen, wollte BTH Heimtex wissen und lud dazu Ivo Schintz und Patrick Bouisset zum Gespräch in die Redaktion nach Hamburg.

BTH Heimtex: Anfang des Jahres herrschte reichlich Unruhe bei Tarkett. Nach der plötzlichen Demission von Westeuropa-Handelschef Jan Debrouwere und dem Branchen-Routinier Wolfgang Sosnowski, der in den deutschsprachigen Märkten für das Handelsgeschäft verantwortlich war, entflammten die wildesten Gerüchte und Spekulationen. Gerade vor dem Hintergrund der in diesem Jahr anstehenden CV-Listung des Großhandels erschien der Zeitpunkt für die personellen Turbulenzen als äußerst ungünstig, weil sich die Kunden Kontinuität, Verlässlichkeit und Sicherheit wünschen.

Nach der Messe wurde dann Carl Seitz zum neuen Westeuropa-Präses ernannt, Sie, Herr Schintz, leiten die Gesamtaktivitäten von Tarkett in den deutschsprachigen Märkten sowie den Niederlanden und Sie, Herr Bouisset, wurden zum Nachfolger von Wolfgang Sosnowski berufen. Außerdem wurde die komplette Organisation von Tarkett in deutschsprachigen Märkten reformiert. Ist das inzwischen abgeschlossen? Wo stehen Sie nun?

Ivo Schintz: Ich denke, dass wir jetzt ein Modell implementiert haben, das wirklich effizient und optimal funktioniert, die Entscheidungswege verkürzt und die Entscheidungskompetenz dorthin verlagert, wo Synergie-Effekte zwischen Vertrieb, Marketing und Produktion generiert werden können.

BTH Heimtex: Wie sieht dieses Modell konkret aus?

Schintz: Die Märkte Deutschland, Österreich, Schweiz und Niederlande wurden unter meiner Führung zusammengefasst. Darunter sind zwei Vertriebsschienen eingerichtet, Handel und Objekt, die jeweils von nationalen Teams zielgruppenorientiert bearbeitet werden. Dabei ist Patrick Bouisset für den traditionellen Fachhandel und den Großhandel in den deutschsprachigen Ländern verantwortlich, Hans-Peter Reinhardt ist weiterhin für das Objektgeschäft zuständig und ich komplett für die Niederlande. Baumärkte und Filialisten wie TTL oder die Domäne wurden ausgegliedert und werden von Andreas Rieke betreut, der wiederum an Didier Joducius berichtet, der europaweit diese Aktivitäten leitet. Damit reagieren wir auf Anforderungen aus den Märkten.

Übergreifende Funktionen wie Human Ressources, Marketing, Controlling und Anwendungstechnik haben wir zentralisiert, um besser Synergie-Effekte nutzen zu können.

BTH Heimtex: Sind Handel und Objekt nicht nur operativ, sondern auch juristisch getrennt, also selbstständige Einheiten?

Schintz: Nein, es gibt die Tarkett Holding GmbH, und innerhalb dieser Gesellschaft gibt es die Bereiche Handel, Objekt und Tarkett International. Wobei Patrick Bouisset und Hans-Peter Reinhardt für ihre Bereiche jeweils eigene G&V-Verantwortung tragen.

BTH Heimtex: Können wir das Ganze mit Zahlen unterfüttern? Wenn ich mich richtig erinnere, lagen Sie im Handel bei knapp 70 Mio. EUR Umsatz und im Objekt bei leicht über 40 Mio. EUR. Wieviel von den Handelserlösen entfiel auf den sog. modernen Vertrieb, den Sie jetzt separieren?

Schintz: Etwa 30% des Handelsumsatzes.

BTH Heimtex: Damit verbleiben also insgesamt knapp 90 Mio. EUR Umsatz. Der Handelsbereich hat es in den letzten Jahren schwer gehabt. Haben Sie dort rote Zahlen geschrieben?

Schintz: Der Handelsbereich kann besser werden und muss besser werden. Das ist auch der Sinn der Reorganisation.

BTH Heimtex: Das ist keine Antwort auf meine Frage.

Schintz: Das hängt davon ab, ob Sie das Ergebnis isoliert oder konsolidiert fassen. Wir rechnen mit konsolidierten Ergebnissen und da sieht es gar nicht so schlecht aus. Dennoch haben wir noch ein großes Potenzial, uns zu verbessern und das wollen wir künftig ausschöpfen. Die Rückkehr zu profitablem Wachstum ist ein Muss. Und das wollen wir durch unsere Fokus-Strategie erreichen.

BTH Heimtex: Darauf wollen wir gleich detailliert zu sprechen kommen. Herr Bouisset, Sie haben keine ganz leichte Aufgabe übernommen. Die Umstrukturierungen und daraus resultierende Unruhe am Markt, gleichzeitig die in diesem Jahr anstehende CV-Listung....was hat Sie gereizt? Wo liegt die Herausforderung?

Patrick Bouisset: Die Herausforderung ist, diese neue Struktur mit Leben zu erfüllen, die Mannschaft für die neue Strategie zu begeistern und die Kunden davon zu überzeugen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, der sicher in die Zukunft führt. Und außerdem die Verbindung zwischen Vertrieb und Werken zu intensivieren. Diese Kontakte waren in der Vergangenheit manchmal etwas zu lose, was dazu geführt hat, dass Produkteinführungen nicht optimal gelaufen sind. Heute ist die Zusammenarbeit viel besser, wir sind schneller und effektiver, haben beispielsweise schon Mitte Mai die Gespräche für die CV-Listungsrunde begonnen.

Unsere große Aufgabe ist jetzt, Transparenz zu schaffen: Dem Markt zu kommunizieren, wer wir sind, was wir wollen, was wir mit unseren Kunden zusammen erreichen und wo wir 2010 stehen wollen.

Schintz: Und die Herausforderung ist, diese Strategie auch tatsächlich umzusetzen und durchzuhalten.

BTH Heimtex: Allerdings. Tarkett hat schon diverse Male neue Strategien propagiert und dann ebenso schnell wieder verworfen, wie sie vorgestellt wurden. Und Sie müssen nun auch doppelgleisig fahren: zum einen die neue Strategie realisieren, zum anderen gewisse Aufräumarbeiten erledigen und den Ertrag verbessern.

Schintz: Ja, wir arbeiten gleichzeitig an verschiedenen Baustellen. Alles mit dem Ziel, profitabel zu wachsen. Und das ist nicht immer ganz einfach, sondern schon eine Herausforderung in einem Markt, der gesättigt ist. Unser Anteil am Gesamtumsatz von Tarkett liegt bei 7, 8 %. Und wir wollen uns natürlich innerhalb des Konzerns so gut wie möglich darstellen, doch wachsen andere Märkte wie Osteuropa oder Nordamerika viel schneller als unserer westeuropäischer. Damit können wir nicht Schritt halten.

Das soll jetzt kein falsches Bild ergeben: Wir halten als Tarkett in den deutschsprachigen Märkten eine starke und stabile Position und sind sicher, dass wir als Marke wie auch als Unternehmen immer noch über einen hohen Sympathiewert verfügen. Der Objektbereich ist konsolidiert; wir haben nur mit einem rückläufigen Umsatz im Handelsbereich zu kämpfen, der unter anderem aus der negativen Marktentwicklung eines unserer Kernprodukte resultiert, den CV-Belägen.

Und wir registrieren auf dem deutschen Markt stärkere Veränderungen im Wettbewerbsumfeld; auch im Kundenkreis, die Handelslandschaft ändert sich permanent, und damit auch die Anforderungen an uns. Die Produkte müssen sich von anderen unterscheiden, die Qualität top sein, der Service schnell. Das war der Input für unsere Fokus-Strategie, die wir verabschiedet und teilweise auch schon umgesetzt haben. Die weitere Umsetzung ist die Aufgabe von Patrick Bouisset.

BTH Heimtex: Welche sind die Inhalte und Ziele dieser Strategie?

Schintz: Die Fokus-Strategie basiert auf vier Säulen: Erstens der intensiven Betreuung von ausgewählten Kunden, zweitens einem marktorientierten Angebot, drittens der Optimierung des Lieferservices durch verstärkte Zusammenarbeit mit unseren Kunden und viertens transparenten Preisen und Konditionen.

Bouisset: Zunächst haben wir die interne Vertriebstrennung zwischen Fachhandel und Großhandel aufgehoben. Im nächsten Schritt wollen wir unseren Kundenstamm durchleuchten und prüfen, mit welchen unserer Partnern aus dem Großhandel und aus dem Fachhandel wir die Zukunft gemeinsam profitabel gestalten wollen.

BTH Heimtex: Mit wie vielen Kunden arbeiten Sie denn aktuell und wieweit wollen Sie reduzieren?

Bouisset: Bis 2008 liegt der Fokus auf 400 Ziel-Kunden. Dabei wollen wir differenziert vorgehen, wir wollen Premiumkunden definieren. Dazu müssen wir den Bedarf und die Entwicklung der Grossisten und der Fachhändler beobachten. Wir wissen, dass der Großhandel in Deutschland eine wichtige Rolle spielt und auch in der Zukunft spielen wird. Aber - welche Großhändler überleben? Wie sollen wir sie unterstützen? Wie können wir optimal zusammen arbeiten, damit beide Seiten davon profitieren?

Schintz: Jeder muss seine Rolle übernehmen. Wir als Industrie verfügen über die Kompetenz in der Produktion und der Großhandel über Kompetenz in der in der Supply Chain-Kette, sprich der Versorgung des Marktes. Wir müssen gemeinsam die jeweiligen Leistungen festlegen. Und dann einen leistungsorientierten Aktionsplan ausarbeiten, mit messbaren Zielen.

Bouisset: Wir werden uns wie gesagt auf ca. 400 Zielkunden fokussieren und deren Betreuung intensivieren. Das heißt, der Außendienst wird nur noch diese Kunden besuchen und zwar monatlich, wir bieten ihnen ein umfassendes Servicepaket mit mehr Schulungen, POS-Pflege und Unterstützung in Marketing und technischen Fragen. Außerdem wollen wir mit Ihnen Synergie-Effekte im Objekt entwickeln.

BTH Heimtex: Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Sie alle übrigen Kunden aufgeben wollen.... Vermutlich wollen Sie die kleineren Kunden dem Großhandel zuführen?

Bouisset: Ja. Wir gehen davon aus, dass sie vom Großhandel einen besseren Service erhalten, als wir ihnen bieten können; zum Beispiel schneller beliefert werden.

BTH Heimtex: Das heißt, eine reizvolle Umgestaltung zu Gunsten aller Parteien: Sie können diesen Klientel einen höheren Service über den Großhandel bieten, der Großhandel kann mehr Umsatz generieren und Sie reduzieren Ihren Logistikaufwand.....

Bouisset: Ja, wir wollen mit weniger Kunden arbeiten und die eigentliche Logistikstärke liegt ja auch beim Großhandel, nicht bei uns. Wir haben getan, als seien wir Logistiker - daher dieser große Kundenstamm. Dabei ist es gar nicht die Rolle der Industrie, breit und tief zu streuen.

Wir wollen verstärkt mit einigen regionalen und nationalen Grossisen zusammenarbeiten, um den Markt insgesamt besser zu bedienen. Das schließt den Ausbau des Logistikkonzeptes mit den Zielkunden genauso ein, wie eine Reduzierung der Lieferhäufigkeit bei Zielkunden, den Ausbau der Zubehörkunden und die Erhöhung der Mindestbestellmengen für Nicht-Zielkunden.

BTH Heimtex: Widerspricht sich das nicht? Sie definieren Zielkunden, wollen diesen möglichst optimalen Service bieten und reduzieren dann die Lieferhäufigkeit?

Bouisset: Wir haben jetzt große Kunden, die wir fünfmal pro Woche mit CV-Belägen beliefern. Das macht überhaupt keinen Sinn, ist viel zu teuer. Wir vereinbaren stattdessen künfig Stichtage, an denen wir alle Bestellungen der Woche liefern. Das hat für alle Partner Vorteile.

BTH Heimtex: Und warum wollen Sie die Zubehör-Kunden ausbauen? Weil sie erstens mehr Bindung erreichen wollen und zweitens das Zubehör einen guten Deckungsbeitrag liefert?

Bouisset: .....und drittens, weil es keinen Sinn macht, nur Zubehör zu liefern.

Schintz: Wir wollen und müssen generel die Komplexität bei uns reduzieren. Auf allen Ebenen. Auch im Produktbereich. Davon werden wir als Konzern profitieren - und wir können den Kunden gegenüber eine klare Preispolitik fahren und besseren Lieferservice bieten.

Auch hier greift die Pareto-Analyse: Danach erwirtschaften wir in allen drei Produktgruppen mit nur 30% unseres Artikelstamms 90% der Umsätze. Warum brauche ich 500 CV-Positionen, wenn ich nur mit 60,70 davon das Geschäft machen kann?

Unsere Produktpolitik wird wiederum gesteuert über den Deckungsbeitrag, den wir im Markt erwirtschaften. Und da muss ein gesunder Mix zwischen Einstiegs- und Hochwertprodukten vorherrschen. Und ich glaube, dass bei uns der Fokus zu sehr auf den Einstiegsprodukten lag und wir nicht in der Lage gewesen sind, zusammen mit unseren Kunden Trading-up zu realisieren. Stattdessen sind wir im Volumengeschäft hängen geblieben.

BTH Heimtex: ...und das war problematisch, weil dort extremer Wettbewerbsdruck herrscht und Sie aufgrund Ihres Kostengerüsts gar nicht profitabel arbeiten können. Ganz zu schweigen davon, dass die Marke Tarkett immer als hochwertig galt und Preiswertprodukte kaum zu diesem Image passen.

Schintz: Dieses Image wollen wir auch wieder pflegen und mit einem entsprechenden Produktportfolio unterstützen.

BTH Heimtex: Diese Sortimentsbereinigung ist aber eine schwierige Gratwanderung. Auf der einen Seite ist der Abbau der Komplexität ein ökonomischer Zwang, auf der anderen kann man sich als Marktführer bzw. Marktteilnehmer Ihrer Größenordnung nicht auf eine Handvoll gängiger Schnelldreher beschränken, sondern muss schon eine gewisse Breite und Tiefe im Sortiment vorhalten. Sonst werden Sie dem eigenen Anspruch und dem des Marktes nicht gerecht. Können wir das Ganze eigentlich mit Zahlen hinterlegen? Wie viele Positionen waren es früher, wie viele sind es heute?

Bouisset: Allein im CV-Bereich hatten wir über 500 Positionen, von denen 37 gut 70% des Umsatzes eingebracht haben.

Wir müssen nicht mehr unbedingt in jedem Bereich die Größten sein. Als erste Maßnahme haben wir daher das Laminatprogramm für Deutschland um 50% verkleinert, ebenso das Holz-Angebot, an CV arbeiten wir gerade. Im Werk gibt es 3.500 Positionen, das sind zu viele.

Wir haben auch die Ornamenta- und die Prolog-Kollektionen, die jetzt eingeführt werden, leicht geschrumpft: Ornamenta kommt noch auf 48 statt 66 Positionen und Prolog auf 12 statt 22. Und das reicht. Darin findet sich alles, was der Markt braucht und will. Alle sind damit zufrieden: unsere Vertriebsmannschaft, der Großhandel... Allerdings: Wenn wir innovative, trendige Farben und Dessins vermarkten wollen, brauchen wir dazu die Hilfe unserer Kunden. Dann müssen wir zusammen an einem Konzept arbeiten, wer welche Positionen aufnimmt, in welcher Menge, wer was einlagert...nur so kann es funktionieren.

Das sind ganz einfache Maßnahmen, die wir als Marktführer im CV-Bereich treffen und damit vielleicht auch anderen den Weg weisen.

BTH Heimtex: Wo wir beim Thema Laminat sind: Gerade hier sehen wir enorme Chancen für Sie. Der Laminatmarkt wird momentan völlig neu geordnet, neue Spieler treten an und Sie haben praktisch eine historische Chance, sich mit Laminat breiten Raum zu schaffen. Das sollten Sie nutzen.

Bouisset: Das werden wir auch tun. Unser Agepan-Laminatpark ist eine Klasse für sich. Dort sind alle Produktionsstufen von der MDF-Fertigung über die Laminatherstellung bis hin zu Lager und Logistik vereint, wir verfügen über die neueste Maschinen und insgesamt beste Voraussetzungen, um die Kunden zeitgemäß zu beliefern. Am Anfang hatten wir einige Probleme mit der Technik, die wir inzwischen jedoch in den Griff bekommen haben.

Wir werden in Eiweiler neue Strukturen entwickeln, auch im Designbereich einiges tun und noch im Sommer mit einer sehr schönen, hochwertigen Kollektion auf den Markt kommen.

Auch hier gilt das Gleiche, was Ivo Schintz eben geäußert hat: Um einen Fuß in das Geschäft zu bekommen, haben wir uns zuerst auf das Volumen konzentriert, jetzt müssen wir den Schritt vom Volumen- und Qualitätsanbieter machen. Wir wollen die Nr. 1 in der 8 mm-Klasse 32 werden - also dort, wo sich der Markt bewegt. Bei 6 und 7 mm haben wir dagegen keine Chance, das macht keinen Sinn.

BTH Heimtex: Ein Riesenpotenzial haben Sie sicher auch bei Holz. Vor rund 20 Jahre war Tarkett bei Parkett mit Hamberger zusammen die Nr. 1 in Deutschland und beanspruchte auch weltweit führende Position. Heute redet im Zusammenhang mit Holz kein Mensch mehr über Tarkett, andere Hersteller sind längst an Ihnen vorbeigezogen. Das ist sehr schade, weil ein enormes Parkett-Potenziel bei Ihnen schlummert, das es verdient hat, wiederbelebt zu werden.

Bouisset: Sie haben Recht, so ist es. Tarkett steht bei Holz für Qualität - immer noch - und das ist sehr wichtig für uns. Wir haben letztes Jahr einen wichtigen Schritt unternommen und beschlossen, uns nicht mehr in der Einstiegsklasse zu bewegen. Daraufhin haben wir die Preise erhöht und uns damit von bestimmten Kunden getrennt, was auf das Volumen drückte. Hier gilt genauso: Das tat erstmal weh und doch war der Schritt wichtig, weil wir künftig mit Profit wachsen wollen. Es gibt eine Übergangszeit, in der wir leiden, wir werden uns aber mit sehr hochwertigen Produkten zurückmelden und gezielten Kunden eine gezielte Strategie anbieten.

Schintz: Wir reden immer über Commodities. Damit gewinnt man zunächst in den Gesprächen, muss aber einen negativen Preiseffekt hinnehmen. Wir wollen künftig Trading-Up betreiben und über Innovationen wie neue Technologien den Angebotsmix verbessern und attraktiver darstellen. Dafür nehmen wir auch in Kauf, dass wir vielleicht weniger Quadratmeter verkaufen. Aber bei einem Produkt, das 20 EUR kostet, bleibt bei den Kunden und bei uns mehr hängen, als bei einem 10 EUR-Produkt.

BTH Heimtex: Was der Branche auch immer gefehlt hat, war der Blick und das Eingehen auf die Bedürfnisse der Kunden. Die Industrie benimmt sich immer noch so, als bewege sie sich auf einem Angebots-Markt und nicht auf einem Nachfrage-Markt. Natürlich drücken Sie riesige Losgrößen und Sie können nicht individuell auf jeden Kunden eingehen, aber eine engere Orientierung am Markt ist dringend notwendig.

Bouisset: Absolut. Wobei sich Tarkett schon mehrfach als Trendsetter und Vorreiter erwiesen hat. Wir testen im Vorfeld einer Kollektion sehr genau, welche Dekore bei den Kunden ankommen. Und dennoch: Einlagern würde der Großhandel neue Produktrichtungen oftmals nicht, weil ihm das Risiko zu hoch scheint. Und dafür müssen wir eine Lösung finden. Gerade CV-Beläge sind sehr modisch, folgen Trends...

Schintz: ...doch ein Produktlaunch dauert viel zu lange bei uns. Die Spanne von der Produktion über den Handel bis zum Verbraucher kostet viel zu viel Zeit, die Kette ist komplex. Da verpufft unsere ganze Innovationskraft.

BTH Heimtex: Tja. Dabei haben Sie selbst vor einiger Zeit für den 3 Jahres-Rhythmus bei CV-Kollektionen plädiert und mit durchgesetzt....

Bouisset: Das ist ein ganz interessanter Punkt an diesem CV-Markt. International sind zwei Jahre üblich, nur in Deutschland sind es drei Jahre. Ich würde das gerne ändern, vielleicht über ein anderes Amortisierungsmodell, denn dort ist einer der Haken, wie ich es verstanden habe. Darüber wollen wir mit dem Großhandel reden und einige Grossisten sind auch zu entsprechenden Gesprächen bereit.

BTH Heimtex: Der CV-Markt ist in den letzten Jahren stetig geschrumpft. Für 2005 schätzen Sie ihn auf 30,5 Mio. qm, wir hätten noch niedriger gelegen. Welche Perspektiven sehen Sie überhaupt für das Produkt? Hat CV Zukunft oder ist es langfristig eine sterbende Produktgattung?

Schintz: Absolut nicht. CV-Beläge stellen immer noch eine Riesen-Markt dar. CV ist ein hochwirtschaftliches Produkt mit unendlich vielen Möglichkeiten - gestalterisch wie technisch - , wir müssen es nur besser positionieren und seine Attraktivität wieder mehr in den Vordergrund stellen.

Bouisset: Und wir müssen es anders präsentieren: klarer, leichter verständlich, gegliedert nach Semi-Objekt, Standard und Einstiegsprodukten.

Damit verbunden ist auch eine neue Konditionspolitik, transparenter mit einer einheitlichen Preisliste für Großhandel und Fachhandel. Zugleich vereinfachen wir die Konditionen: es gibt weniger - allein für den Großhandel hatten wir 15.000 Sonderpreise! - aber diese sind auch leistungsgebunden.


Tarkett D/A/CH - die Fokus-Strategie und ihre 4 Säulen

1. Intensivere Betreuung von ausgewählten Kunden
Fokus auf 400 Ziel-Kunden
Aufhebung der internen Vertriebstrennung Großhandel/Fachhandel
Geografische Betreuung der Zielkunden
Transfer von Nicht-Zielkunden zu Zielkunden
Intensivere Bearbeitung der Zielkunden:
- Monatliche Besuche
- Mehr Schulungen
- POS-Pflege
- Technische Unterstützung
- Marketing-Unterstützung
Entwicklung von Synergien mit Objektgeschäft

2. Marktorientiertes Angebot
Fokus auf Markt und Distributionsbedarf
3 Qualitätsstufen: Semi-Objekt, Standard, Einstieg
Forcierung Zubehör
Coupon-Strategie
Fokus auf Bestseller-Dekoren, Drehzahl, Kapitalbindung

3. Optimierung der Logistik
Ausbau eines Logistikkonzeptes mit den Zielkunden
Reduzierung der Lieferhäufigkeit bei Zielkunden
Ausbau der Zubehörkunden
Erhöhung der Mindestbestellmengen für Nicht-Zielkunden

4. Transparente Preise und Konditionen
Einheitliche Preisliste für Großhandel und Fachhandel
Vereinfachung der Konditionen:
- weniger Konditionen
- leistungsgebundene Konditionen


Who is who - Patrick Bouisset

Persönliches
Gebürtiger Franzose mit deutscher Mutter, Jahrgang 1966, bilingual aufgewachsen mit Französisch und Deutsch, spricht außerdem fließend Englisch und etwas Spanisch, verheiratet, zwei Kinder, lebt im französischen Le Pecq.

Berufliches
Nach dem Betriebswirtschaftsstudium an der Ecole Supérieure de Commerce.
1990 Einstieg bei der französischen Tochter von Elektrowerkzeughersteller Bosch, Aufbau und Ausbau des Zubehörprogramms für Elektrowerkzeuge in Frankreich mit einer Umsatzverantwortung von 13 Mio. EUR.
1995 Ausdehnung der Zuständigkeit über Frankreich hinaus auf Belgien, die Niederlande, Spanin und Portugal (27 Mio. EUR Umsatz) und damit verbunden Umzug in die Schweiz.
1997 Ernennung zum Marketing-Manager Nordamerika, Restrukturierung der dortigen Tochter und Übernahme des Marktführers im Segment Zubehör für Elektrowerkzeuge.
2001 Marketing- und Vertriebsleiter Europa bei Bosch mit Sitz in Ravensburg.
2003 Vice President Sales und Marketing Europa, Asien und Australien bei Masterlock, Marktführer für Vorhangschlösser.
2004 Vertriebsleiter Europa bei Obi-Tochter Lux, Spezialist für Handwerkzeuge, Umstrukturierung und Ausbau des Vertriebsnetzes in West- und Nordeuropa, Einführung der Marke in Frankreich, Belgien, Portugal und Spanien.
2006 Wechsel zu Tarkett, zunächst mit der Aufgabenstellung, das Laminatgeschäft in Westeuropa zu übernehmen, dann als Nachfolger von Wolfgang Sosnowski zum 1. Februar 2007 zum Geschäftsführer Handel für Deutschland/Österreich/Schweiz berufen. In dieser Funktion berichtet Patrick Bouisset an Ivo Schintz, der die gesamten zentraleuropäischen Aktivitäten verantwortet.
aus BTH Heimtex 06/07 (Wirtschaft)